Einführung
Einführung
Die Gestaltung von ärztlichen Praxisverträgen ist für den mit dem Vertragsarztrecht
befassten Rechtsanwalt ein bekanntes Geschäft. In der Radiologie hat der Abschluss
von Gemeinschaftspraxisverträgen, aufgrund der hohen Investitionen und der gesellschaftsrechtlichen
Haftung sämtlicher Gesellschafter im Außenverhältnis einen besonderen Stellenwert.
Seit Jahren wird unter den mit dieser Rechtsmaterie befassten Juristen jedoch darüber
gestritten, ob vertragliche Konstellationen zulässig sind, in denen niedergelassene
Vertragsärzte in Gemeinschaftspraxen eingebunden werden, ohne dass sie am materiellen
und immateriellen Vermögen sowie Gewinn und Verlust beteiligt sind. Die Frage, welche
Gesellschafterrechte ein sog. „Juniorpartner“ in einer Gemeinschaftspraxis haben muss,
um noch eine Gesellschafterstellung inne zu haben und nicht als verdeckter Angestellter
zu gelten, war jedoch bisher weitgehend akademischer Natur, da die Zulassungsausschüsse
entweder großzügig verfuhren oder ihnen entsprechende Vereinbarungen nicht bekannt
wurden, weil sie die Verträge nicht anforderten. Diese Situation dürfte sich durch
die Entscheidung des BSG vom 23.06.2010 jedoch grundlegend ändern.
Die Problematik besteht in der Praxis häufig darin, dass die Ärzte einer Gemeinschaftspraxis
jungen Kollegen die Möglichkeit geben wollen, in die bestehende Gesellschaft einzusteigen,
obwohl die finanziellen Eigenmittel der jungen Ärzte eine Kapitalbeteiligung am Gesellschaftsvermögen
noch nicht unbedingt zulassen oder diese das Risiko einer hohen Verschuldung, aufgrund
der Unsicherheiten einer Refinanzierung durch das vertragsärztliche Vergütungssystem,
scheuen. Dies ist insbesondere bei Fachgebieten wie der Radiologie problematisch,
bei denen die Praxisausstattung aufgrund der erforderlichen Geräte und sonstigen Betriebsmittel
hohe Ausgaben erfordert. Das Vertragsarztrecht lässt jedoch gegenwärtig die Tätigkeit
eines niedergelassenen Arztes mit vertragsärztlicher Zulassung in einer Gemeinschaftspraxis
nur in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder einer Partnerschaftsgesellschaft
(PartG) zu und erfordert daher zwingend eine Gesellschafterstellung.
Um den Einstieg des ärztlichen Nachwuchses dennoch zu ermöglichen, wird in der Gestaltungspraxis
häufig das Modell der sog. „Nullbeteiligung“ gewählt, wobei der neu aufgenommene Arzt
für eine Übergangszeit als Kennenlernphase oder aber auch auf Dauer am Gesellschaftsvermögen
der Gemeinschaftspraxis nicht beteiligt wird und einen pauschalierten Gewinnanteil
erhält. Der neu aufgenommene Arzt zahlt folglich keinen Kaufpreis für einen Geschäftsanteil
und erspart somit erhebliche Aufwendungen. Demgegenüber steht ihm jedoch im Vergleich
zu den am Vermögen beteiligten Gesellschaftern meist nur ein deutlich niedrigerer
Gewinnanteil zu. Ziel, eine derartige „Nullbeteiligung“ zunächst nur für einen begrenzten
Zeitraum zu vereinbaren (Kennenlernphase), ist es, die Zusammenarbeit in dieser Zeit
zu „erproben“ und somit die fachlichen als auch persönlichen Kompetenzen des ärztlichen
Nachwuchses kennenlernen zu können. Eine wirtschaftliche Beteiligung soll also gerade
nicht vor dem sicheren Wissen der funktionierenden Kooperationsfähigkeit zwischen
den neuen Partnern erfolgen. Sollte sich während der Kennenlernphase eine Zusammenarbeit
als nicht effektiv herausstellen, so kann im Fall des Modells der Nullbeteiligung
eine eventuelle Trennung oder Umwandlung der Zusammenarbeit in ein Anstellungsverhältnis
mangels vermögensmäßiger Verbindung leichter fallen.
Wie das Urteil des Bundessozialgerichts zeigt, sind jedoch derartigen „Nullbeteiligungen“
enge Grenzen gesetzt. Vertragliche Gestaltungen, die die vom BSG aufgestellten Anforderungen
nicht beachten, laufen Gefahr gegen die vertragsarztrechtlichen Vorgaben mit der Folge
zu verstoßen, dass die nach § 33 Abs. 3 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte
(Ärzte-ZV) erforderliche Genehmigung zur gemeinsamen Berufsausübung auch rückwirkend
als nicht rechtmäßig erteilt angesehen wird und das an die Gemeinschaftspraxis in
diesem Zeitraum ausgezahlte Honorar von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zurückgefordert
werden kann.
Sachverhalt
Sachverhalt
In dem zugrunde liegenden Verfahren hatte das BSG in letzter Instanz über Honorarrückforderungen
der KV bei einer vom Zulassungsausschuss genehmigten, radiologischen „Gemeinschaftspraxis“
zu entscheiden. Bei der betreffenden Praxis hatten die bereits gemeinsam tätigen Seniorpartner
im Jahr 1996 mit einem neu aufzunehmenden Juniorpartner einen sogenannten Kooperationsvertrag
geschlossen, nach welchem der Juniorpartner nach einer erfolgreichen Probezeit als
„freier Mitarbeiter“ partnerschaftlich eingebunden werden sollte. Dieser Vertrag sah
allerdings sowohl während der Probezeit als auch für die Zeit danach weder gesellschaftliche
Mitwirkungsrechte noch irgendeine Form der Beteiligung am Gesellschaftsvermögen oder
am Wert der Praxis zugunsten des Juniorpartners vor. Zu der im Kooperationsvertrag
zunächst vorgesehenen partnerschaftlichen Einbindung kam es nicht. Vielmehr wurde
die Gesellschaft wegen Unstimmigkeiten der beteiligten Ärzte untereinander zum 31.12.2001
beendet.
Die KV hob zum 30.11.2001 die gegenüber der Gemeinschaftspraxis erlassenen Honorarbescheide
für die Quartale IV/1996 bis I/2001 rückwirkend auf und forderte die ihrer Ansicht
nach in diesen Quartalen zu Unrecht gezahlten Honorare in Höhe von 880.578,27 € zurück.
Dabei stützte sich die KV auf die nach ihrer Auffassung von den beteiligten Ärzten
rechtswidrig erlangte Genehmigung zur gemeinschaftlichen Ausübung vertragsärztlicher
Tätigkeit. Die vom Zulassungsausschuss genehmigte Gemeinschaftspraxis habe tatsächlich
nie existiert und der neu aufgenommene Juniorpartner sei lediglich Angestellter gewesen.
Aufgrund dessen sah sich die KV als berechtigt an, den auf diesem Verhalten beruhenden
Honoraranteil sachlich-rechnerisch richtig zu stellen und das bereits ausgezahlte
Honorar zurückzufordern.
Keine gemeinsame Berufsausübung
Keine gemeinsame Berufsausübung
Das BSG stellte fest, dass zu keinem Zeitpunkt durch den zwischen den beteiligten
Ärzten geschlossenen Kooperationsvertrag eine partnerschaftliche Einbindung des neu
aufgenommenen Juniorpartners in die Gesellschaft stattgefunden habe. Mangels partnerschaftlicher
Einbindung handele es sich daher um eine reine Scheingesellschaft und damit nicht
um eine Gemeinschaftspraxis, die den Anforderungen des § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV gerecht
werde. Zwar sei die Gesellschaft formell durch den zuständigen Zulassungsausschluss
als Gemeinschaftspraxis genehmigt worden, doch müsse auch die tatsächliche Ausübung
der ärztlichen Tätigkeit gemeinsam mit den anderen Ärzten und unabhängig in freier
Praxis erfolgen. Mangels Einräumung von Mitbestimmungsrechten und durch die im Kooperationsvertrag
vorgesehene Zahlung eines Festgewinnanteils ergebe sich jedoch eine Abhängigkeit des
neu aufgenommenen Arztes wie in einem Anstellungsverhältnis, so dass von einer Ausübung
der vertragsärztlichen Tätigkeit in „freier Praxis“ nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV
nicht mehr ausgegangen werden könne.
Tätigkeit in freier Praxis
Tätigkeit in freier Praxis
Nach den Ausführungen des BSG setzt eine Gemeinschaftspraxis jedoch grundsätzlich
voraus, dass alle Beteiligten die vertragsärztliche Tätigkeit „in freier Praxis“ ausüben
und dass jedem Gesellschafter eine ausreichende Eigenverantwortlichkeit zukommt.
Nach § 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV hat der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit
persönlich in „freier Praxis“ auszuüben. Dies setzt, so das BSG, bezogen auf die Zusammenarbeit
in einer Gemeinschaftspraxis voraus, dass das wirtschaftliche Risiko von jedem Vertragsarzt
mitgetragen wird und eine Beteiligung am materiellen und immateriellen Wert der Gesellschaft
sowie eine ausreichende Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit besteht. Mit
anderen Worten muss der Vertragsarzt das wirtschaftliche Risiko in der Form mittragen,
dass es von seiner eigenen Arbeitskraft abhängt, welchen Umfang an Einkünften er pro
Quartal erzielt. Für die berufliche und persönliche Autonomie ist es entscheidend,
dass keine erhebliche Einflussnahme durch Dritte, insbesondere kein verdecktes Angestelltenverhältnis
vorliegt. Demnach ist sowohl die wirtschaftliche Komponente als auch die ausreichende
Handlungsfreiheit in beruflicher und persönlicher Hinsicht für das Vorliegen der Ausübung
„in freier Praxis“ von tragender Bedeutung.
Diese Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV erfüllte nach Ansicht des BSG
der im vorliegenden Fall zwischen den niedergelassenen Radiologen und dem neu aufgenommenen
Juniorpartner geschlossene Kooperationsvertrag nicht. Eine Berufsausübung „in freier
Praxis“ habe seitens des neu aufgenommenen Arztes nie stattgefunden. So habe der Juniorpartner
zu keinem Zeitpunkt ein wirtschaftliches Risiko getragen und sei darüber hinaus auch
nicht an der Verwertung des von ihm erarbeiteten Praxiswertes beteiligt gewesen. Vielmehr
habe der neu aufgenommene Radiologe lediglich ein Festgehalt erhalten. Darüber hinaus
sei er von Honorarverkürzungs- und Regressansprüchen freigestellt gewesen und die
Abrechnung von Privat- und Kassenpatienten sei allein den Inhabern der Gemeinschaftspraxis
zugute gekommen. Damit habe sich die Einkommenslage des Juniorpartners nicht von der
eines angestellten Arztes unterschieden. Diese Vertragsgestaltung sei ein wesentliches
Indiz gegen das Vorliegen einer selbstständigen Ausübung „in freier Praxis“, sodass
vorliegend unerheblich sei, ob der Juniorpartner darüber hinaus Einfluss auf die Geschäftsführung
hatte oder nicht.
Beteiligung am Goodwill
Beteiligung am Goodwill
Eng verbunden mit der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit „in freier Praxis“
ist die Beteiligung am immateriellen Wert (sog. Goodwill) der Praxis. Dieser ist durch
die ausgeprägte und geschützte Vertrauensbeziehung besonders nachhaltig personengebunden
und verflüchtigt sich rasch mit dem Ausscheiden eines Praxispartners. Die Beteiligung
am immateriellen Wert ist daher Ausdruck der persönlichen Arbeitsleistung des Arztes
in der Praxis und somit unerlässlich für die notwendige Selbstständigkeit des Praxispartners.
In dem vom BSG zu entscheidenden Fall blieb dem Juniorpartner bei Beendigung seiner
vertragsärztlichen Tätigkeit keine Chance auf Verwertung des auch von ihm erarbeiteten
immateriellen Praxiswertes, da er weder berechtigt sein sollte, den Vertragsarztsitz
zu verlegen, noch stand ihm ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindungszahlung zu. Bereits
aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes folgt jedoch, dass Klauseln in Gemeinschaftspraxisverträgen
unzulässig sind, die eine Verlegung des Vertragsarztsitzes für den Fall des Ausscheidens
aus der Gemeinschaftspraxis dauerhaft untersagen.
Unzulässigkeit eines Festgewinnanteils
Unzulässigkeit eines Festgewinnanteils
Aus dem Erfordernis, dass es beim Vertragsarzt „maßgebend von seiner Arbeitskraft
abhängen“ muss, in welchem Umfang seine freiberufliche Tätigkeit Einkünfte erbringt,
ihn also im positiven wie im negativen Sinne die Chance und das Risiko des beruflichen
Erfolgs oder Misserfolgs persönlich treffen müssen, folgt nach Ansicht des BSG die
Notwendigkeit, den Status des Vertragsarztes eindeutig von dem Status des angestellten
Arztes abzugrenzen. Dies bedeutet insbesondere, dass der Vertragsarzt nicht wie ein
Angestellter nur ein Festgehalt erhalten darf. Vielmehr muss ihm maßgeblich der Ertrag
seiner vertragsärztlichen Tätigkeit zugutekommen, ebenso wie ein eventueller Verlust
zu seinen Lasten gehen muss. Entscheidend ist, dass dieses Erfordernis von Anbeginn
der vertragsärztlichen Tätigkeit erfüllt sein muss und nicht für die Dauer einer „Probezeit“
suspendiert werden kann.
Keine Umdeutung in ein Anstellungsverhältnis
Keine Umdeutung in ein Anstellungsverhältnis
Im Ergebnis führt die fehlende Ausübung der ärztlichen Tätigkeit in „freier Praxis“
jedoch nicht nur zur Rechtswidrigkeit der Genehmigung der Gemeinschaftspraxis, sondern
berührt auch die vertragsärztliche Zulassung des betreffenden Arztes. Nach § 33 Abs.
2 Satz 1 Ärzte-ZV ist die gemeinsame Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit zulässig
unter allen zugelassenen Leistungserbringern. Das setzt die (auch materiell rechtmäßige)
Zulassung eines jeden einzelnen Mitglieds der Gemeinschaftspraxis voraus. Daran fehlt
es, wenn der „Juniorpartner“ nicht als Arzt in freier Praxis, sondern tatsächlich
als „freier Mitarbeiter“ tätig geworden ist. Da das Vertragsarztrecht den Typus des
„freien Mitarbeiters“ nicht kennt, ist der „Juniorpartner“ vertragsarztrechtlich als
„angestellter Arzt“ bzw. als „Assistent“ zu qualifizieren. Derartige Tätigkeiten sind
jedoch nur mit entsprechender Genehmigung zulässig, an der es im vorliegenden Fall
fehlte.
Formale Genehmigung der Gemeinschaftspraxis
Formale Genehmigung der Gemeinschaftspraxis
Wie das BSG in seinen Entscheidungsgründen ausführt, hindert auch die formale Genehmigung
der Gemeinschafspraxis gemäß § 33 Abs. 3 Ärzte-ZV die Annahme einer Scheingesellschaft
dann nicht, wenn die gemeinsame Tätigkeit tatsächlich nicht ordnungsgemäß wahrgenommen
wurde. So dürfe ein Arzt, der sich die Vertragsarztzulassung unter Vorspiegelung falscher
Tatsachen verschafft habe, allein unter Berufung auf den dadurch erworbenen formalrechtlichten
Status keine vertragsärztliche Leistungen erbringen und abrechnen. Die Berufung auf
den formalrechtlichen Status sei ausgeschlossen, wenn Zulassungsgremien eine Zulassung
oder Genehmigung bei Kenntnis der genauen Umstände nicht erteilt hätten, beziehungsweise
nicht hätten erteilen dürfen. Dies sei insbesondere bei der missbräuchlichen Nutzung
von Gestaltungsformen der Fall, wenn, wie vorliegend, die Kooperationsform Gemeinschaftspraxis
dadurch rechtswidrig genutzt werde, dass der Juniorpartner als angestellter Arzt und
somit gerade nicht als Praxispartner tätig geworden sei. Die Vorteile, die eine Gemeinschaftspraxis
gegenüber einer Einzelpraxis gewährt, sind nur dann gerechtfertigt, wenn diese Kooperationsform
ordnungsgemäß wahrgenommen werde, die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit tatsächlich
gemeinsam mit den anderen Ärzten und unabhängig in freier Praxis erfolge. Nach Ansicht
des BSG schützt der verliehene, jedoch rechtswidrig erlangte Status, nicht in vergütungsrechtlicher
Hinsicht im Innenverhältnis gegenüber der KV.
Befugnis der KV zum Erlass des Rückforderungsbescheids
Befugnis der KV zum Erlass des Rückforderungsbescheids
Gem. § 45 Abs. 2 S. 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte bzw. gem. § 34 Abs. 4 S. 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte/Ersatzkassen
hat die KV von Amts wegen die Befugnis, die von Vertragsärzten eingereichten Abrechnungen
rechnerisch und gebührenordnungsmäßig zu überprüfen und nötigenfalls richtig zu stellen.
Dabei zielt die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnungen auf
die Feststellung ab, ob die abgerechneten Leistungen vertragsarztrechtlich rechtmäßig
erbracht worden sind.
Zu beachten ist insbesondere, dass die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung
der Honorarforderung auf bundesmantelvertraglicher Rechtsgrundlage nicht nur im Falle
rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler besteht, sondern auch Fallgestaltungen
erfasst, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über
formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und
abgerechnet hat. Dementsprechend hat das BSG in seiner Rechtsprechung das Rechtsinstitut
der sachlich-rechnerischen Richtigstellung auch bei folgenden Verstößen gegen die
vertragsarztrechtlichen Bestimmungen angewandt:
-
bei der Abrechnung fachfremder Leistungen,
-
bei der Abrechnung qualitativ mangelhafter Leistungen,
-
bei Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten,
-
bei der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs mithilfe eines Assistenten
-
bei der Abrechnung von Leistungen, die nach stationärer Aufnahme erbracht werden
-
bei der Nichtbeachtung der bereichsspezifischen Vorschriften zur Datenerhebung,
-
Verarbeitung und Nutzung im Rahmen der vertragsärztlichen Abrechnung und
-
bei einem Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen.
Denkbar sind darüber hinaus auch Fallgestaltungen, in denen ein Vertragsarzt zwar
nach § 20 Abs. 2 Ärzte-ZV in formal zulässiger Weise für ein Krankenhaus tätig geworden
ist, jedoch z.B. die höchstzulässige Arbeitszeit von 13 h pro Woche überschreitet.
Kommt die KV zu dem Ergebnis, dass der Vertragsarzt seine ärztlichen Leistungen unter
Verstoß gegen die formalen oder inhaltlichen Voraussetzungen der Leistungserbringung
durchgeführt und abgerechnet hat, so ist sie zur Richtigstellung der Honorarforderung
berechtigt. Bei der Rückforderung ist zu beachten, dass als Adressat des Regressbescheids
in einer Gemeinschaftspraxis jeder Partner für sich genommen von der KV in Anspruch
genommen werden kann und damit für die Forderungen gesamtschuldnerisch haftet.
Ausschlussfrist
Ausschlussfrist
Die Aufhebung der ursprünglichen Honorarbescheide ist regelmäßig nur innerhalb der
von der Rechtsprechung anerkannten 4-jährigen Ausschlussfrist möglich. Im vorliegenden
Fall hielt das BSG den Erlass des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids auch außerhalb
der Ausschlussfrist für zulässig, da einer der anerkannten Vertrauensausschlusstatbestände
greife. Dies sei immer dann der Fall, wenn die ursprünglichen Honorarbescheide zum
einen auf Angaben beruhten, die vom Vertragsarzt grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung
unrichtig gemacht wurden (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X), zum anderen dann, wenn die
Nichtkenntnis der Rechtswidrigkeit der Honorarbescheide auf grober Fahrlässigkeit
beruhte (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X). Das BSG hat dabei festgesellt, dass ein langjährig
tätiger Vertragsarzt wissen müsse, dass ein Arzt, der weder am Erfolg noch am Wertzuwachs
der Praxis beteiligt war, kein Partner einer Gemeinschaftspraxis sein könne.
Kriterien der Bundesärztekammer
Kriterien der Bundesärztekammer
Das BSG hat in seinem Urteil vom 23.06.2010 nicht zu allen für die Annahme einer Gemeinschaftspraxis
notwendigen Gesichtspunkte Stellung genommen. Die Bundesärztekammer (BÄK) hat bereits
in dem Positionspapier „Niederlassung und berufliche Kooperation“ vom 17.02.2006 eingehend
zu der Frage Stellung genommen, wann im berufsrechtlichen Sinne von einer gemeinsamen
Berufsausübung gesprochen werden kann. Damit sind diese Anforderungen nicht nur im
Rahmen der vertragsärztlichen Tätigkeit, sondern auch bei ausschließlich privatärztlichen
Zusammenschlüssen von Ärzten zu beachten.
Nach Ansicht der BÄK sind insbesondere folgende tragende Kriterien für die Annahme
einer gemeinsamen Berufsausübung maßgeblich:
-
Wille zur gemeinsamen Berufsausübung in einer auf Dauer angelegten systematischen
Kooperation. Der bloße Wille, nur Ressourcen gemeinsam zu nutzen, ist nicht ausreichend.
-
Ein schriftlicher Gesellschaftsvertrag ist erforderlich, der diesen Willen zum Ausdruck
bringt und die Rechte und Pflichten der Gesellschafter festlegt. Entscheidend ist
jedoch stets, „wie die Gesellschaft gelebt wird“.
-
Außenankündigung der Gesellschaft nach Maßgabe des § 18a Abs.1 MBO.
-
Der Behandlungsvertrag wird von der Gemeinschaftspraxis geschlossen, weshalb die Abrechnung
durch die Gemeinschaft erfolgt.
-
Die Gemeinschaft muss über einen gemeinsamen Patientenstamm verfügen, d. h., jeder
Partner muss Zugriff auf die Patientenkartei haben.
-
Von einer gemeinsamen Berufsausübung kann nur dann gesprochen werden, wenn die beteiligten
Ärzte mehr oder minder gleiche Rechte und Pflichten haben. Eine Berufsausübungsgemeinschaft
macht es aus, wenn jeder Gesellschafter an unternehmerischen Chancen und Risiken beteiligt
ist.
Die berufsrechtlichen Vorgaben der BÄK sind daher bei der Beurteilung der Zulässigkeit
von Berufsausübungsgemeinschaften ergänzend heranzuziehen. So ließ das BSG die Frage
offen, ob für eine Übergangsfrist eine sogenannte „Nullbeteiligung“ möglich ist. Nach
Ansicht der BÄK ist gerade bei der Gründung von Gemeinschaften, aber auch bei Aufnahme
eines Gesellschafters eine sog. vermögensrechtliche Nullbeteiligung dann zu akzeptieren
ist, wenn sie nicht auf Dauer angelegt ist, sondern z.B. nach einer „Kennenlernphase“
ein Anwachsen der Kapitalbeteiligung vorgesehen ist. Maßgeblich ist vor allem eine
Beteiligung am immateriellen Wert und weniger am materiellen Wert.
Die Problematik um die Nullbeteiligung am Gesellschaftsvermögen gewinnt unter Zugrundelegung
der hier dargestellten Entscheidungsgründe erst dann an Bedeutung, wenn sich keine
eindeutige Aussage zur Tragung des wirtschaftlichen Risikos machen lässt. Das BSG
hat jedoch hervorgehoben, dass gewisse Gesichtspunkte dafür sprechen, dass eine Beteiligung
am (materiellen) Gesellschaftsvermögen nicht ausnahmslos erforderlich ist, wenn der
Arzt am Gewinn und Verlust über das „Einkommen“ beteiligt ist und somit das Einkommensrisiko
trage. Zulässig könnten demnach Gestaltungen sein, in denen Ärzte nicht nur die Praxisräume,
sondern die Praxisausstattung anmieten, oder in denen ein alteingesessener Vertragsarzt
mit einem jungen Arzt, welcher die Praxis irgendwann übernehmen möchte, zunächst eine
Gemeinschaftspraxis bildet, in der die gesamte Ausstattung dem „Alt-Arzt“ gehört.
Fazit und Kritik
Fazit und Kritik
Die Entscheidung des BSG verdeutlicht, dass beim Abschluss von Gemeinschaftspraxisverträgen
der Gestaltungsfreiheit der Parteien und damit der Vertragsautonomie deutliche Grenzen
gesetzt sind, die sich aus dem ärztlichen Berufs- und Vertragsarztrecht ergeben. Entscheidend
ist, dass jeder Praxispartner den Beruf persönlich in „freier Praxis“ ausübt (§ 32
Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV). Die maßgeblichen Kriterien des BSG liegen hierfür im Tragen
des wirtschaftlichen Risikos, in der Beteiligung am wirtschaftlichen Erfolg der Praxis
und in der ausreichenden Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit und damit auch
in der Beteiligung am immateriellen Wert der Praxis. Sprechen hingegen mangels jeglicher
Beteiligung und aufgrund eines Festgehalts die Indizien für ein Angestelltenverhältnis,
so kann nicht mehr von einer Ausübung „in freier Praxis“ ausgegangen werden. Das BSG
hat ebenso festgestellt, dass eine Berufung auf die formale Genehmigung der Gemeinschaftspraxis
durch den zuständigen Zulassungsausschuss einem Rückforderungsbescheid der KV nicht
entgegensteht, da nur ordnungsgemäß wahrgenommene Kooperationsformen von den Vorteilen
gegenüber Einzelpraxen profitieren sollen.
Eine unzulässige Vertragsgestaltung zwischen den Praxispartnern einer Gemeinschaftspraxis
kann daher zu schwerwiegenden, insbesondere finanziellen Konsequenzen führen, und
somit die Existenz der gesamten Praxis gefährden. Insbesondere in Fachbereichen, die
jungen Ärzten hohe finanzielle Belastungen aufbürden, wie beispielsweise im Bereich
der Radiologie, ist daher eine präzise und ausgewogene Gestaltung des Gesellschaftsvertrages
von besonderer Wichtigkeit. Um dabei juristisch auf der sicheren Seite zu sein, sollten
bei Vertragsverhandlungen die hier dargestellten, vom BSG aufgestellten Anforderungen
zwingend beachtet werden. Daneben ist jedoch auch im Fall bereits bestehender Gemeinschaftspraxen
eine Überprüfung der gesellschaftsvertraglich getroffenen Regelungen und der tatsächlichen
Ausgestaltung zu empfehlen.
Auch wenn die vom BSG aufgestellten Anforderungen an die gemeinsame Berufsausübung
prinzipiell zu begrüßen sind, da in der Vergangenheit das Instrument der Nullbeteiligung
häufig zur wirtschaftlichen Benachteiligung der Juniorpartner geführt hat, so ist
Kritik an der Rechtsprechung insoweit zu üben, als sich die Honorarrückforderung auf
die gesamten Honorare der Gemeinschaftspraxis bezieht und zudem kein Abzug der Praxiskosten
vorgenommen wird. Dies gilt insbesondere in den Fällen, wie dem vorliegendem, in denen
die ärztlichen Leistungen gegenüber den Patienten vollständig und ohne Abstriche der
Qualität erbracht worden sind. Bedenkt man, dass der Praxiskostenanteil in der Radiologie
mittlerweile bei 70–80% liegt, erscheint die vollständige Rückforderung der Honorare
als ein unverhältnismäßiger, weil existenzvernichtender, Eingriff in die Berufsfreiheit
der betreffenden Ärzte. Darüber hinaus muss deutliche Kritik an den KVen bzw. Zulassungsgremien
geübt werden, die sich bis heute die Praxisverträge nicht vorlegen lassen und diese
keiner positiven Überprüfung unterziehen. Insbesondere in derartigen Fällen erscheint
eine nachträgliche Berufung auf einen Gestaltungsmissbrauch der betreffenden KV als
rechtsmissbräuchlich.
Schließlich stellt sich auch die Frage, warum die Anforderungen an eine „gemeinsame
Berufsausübung“ insbesondere bei niedergelassenen Vertragsärzten derart überspannt
gehandhabt werden, während dieses Kriterium im Bereich von Medizinischen Versorgungszentren
(MVZ) größtenteils völlig außer Acht gelassen wird. Dies gilt sowohl hinsichtlich
der rechtlichen Anforderungen an die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung,
als auch für die Frage, wie eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachgebiete in tatsächlicher
Hinsicht zu erfolgen hat. Betrachtet man heute die Leistungserbringer, die nach §
95 SGB V als berechtigte Gründer eines MVZ infrage kommen, so hat dies nichts mehr
mit der Erbringung von ärztlichen Leistungen durch freiberuflich tätige Ärzte zu tun.
Darüber hinaus ist das Merkmal der Freiberuflichkeit auch im Bereich der niedergelassenen
Ärzte durch die vielfältigen Möglichkeiten, angestellte Ärzte zu beschäftigen, derart
aufgeweicht worden, dass man sich die Frage stellen muss, warum dieses Merkmal gerade
bei der Zusammenarbeit in einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis vom BSG derart extensiv
ausgelegt wird.
Die Vielzahl der vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten, die sich durch die „Liberalisierung“
der Berufsausübung durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) von 2007 ergeben
haben, werden für Vertragsärzte zum „Bumerang“, wenn ihnen jedes Detail ihrer Berufsausübung
auf der Gesellschafterebene vorgeschrieben wird, zumal das Zivil- und Gesellschaftsrecht
derartige Anforderungen nicht stellt und die Rechtswidrigkeit der Gestaltung aufgrund
ungeschriebener gesetzlicher Vorgaben erfolgt. Letztlich lässt sich in einen unbestimmten
Rechtsbegriff wie der „freien Praxis“ alles hineininterpretieren. Zu einer Förderung
der Kooperationsmöglichkeiten führt eine derartige Rechtsprechung für die betroffenen
Vertragsärzte mangels ausreichender Rechtssicherheit jedoch nicht.