Liebe Leser,
Der isoflavonhaltige Tofu wurde schon vor 1000 Jahren als diätetisches Mittel und
wichtiger Ernährungsbestandteil in der chinesischen Medizin erwähnt; sie empfiehlt
ihn bei Kraftlosigkeit, chronischem Husten und Blasenentzündungen. Mit den epidemiologischen
Untersuchungen Anfang des letzten Jahrzehnts brach dann ein richtiggehender »Hype«
aus. Denn die Ergebnisse zeigten, dass bei in Asien lebenden Frauen nicht nur weniger
Wechseljahressymptome auftraten, sondern auch die Inzidenz von Brustkrebs deutlich
geringer war. Man vermutete, dass der reichliche Genuss von isoflavonhaltigen Produkten
dafür verantwortlich sein könnte. Diese Erkenntnisse kamen genau zu dem Zeitpunkt,
als klar wurde, dass die Hormonersatztherapie bei Frauen in den Wechseljahren erhebliche
Risiken mit sich bringt. Damit gerieten als Phytoöstrogene wirkende Inhaltsstoffe
aus den unterschiedlichsten Pflanzen in den Fokus. Noch bevor entsprechende klinische
Studien vorlagen, wurden bereits unzählige Produkte aus Phytoöstrogenen verschiedenster
Provenienz mit Arzneimittel- oder Nahrungsergänzungsmittelstatus vermarktet, um Wechseljahresbeschwerden
zu lindern oder z.B. einer Gewichtszunahme, der Arteriosklerose, Demenz, Osteoporose
und Krebs vorzubeugen. Zudem stieg der Verbrauch von Nahrungsmitteln auf Sojabasis
beispielsweise in den USA in den vergangenen Jahren deutlich an. Mittlerweile ist
eine unüberschaubare Menge an Publikationen entstanden. Allein in der Datenbank Pubmed
sind gegenwärtig unter dem Stichwort »phytoestrogen« 847 Reviews und 323 klinische
Studien verfügbar – mit teilweise widersprüchlichen Ergebnissen. Einige der Studien
zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden mit in Europa verwendeten pflanzlichen
Drogen wie Cimicifuga, Rotklee oder Hopfen werden in diesem Heft kritisch referiert.
Noch nicht abgeschlossen ist auch die Debatte, ob und in welchem Ausmaß hormonabhängige
Tumoren durch Phytoöstrogene beeinflusst werden. Das ist insofern klinisch durchaus
relevant, weil bei Frauen mit hormonrezeptorpositivem Mamma–karzinom durch die Entfernung
der Ovarien und die Gabe von Antiöstrogenen massive Wechseljahres-beschwerden ausgelöst
werden. Man hoffte hier zunächst, dass eine Einnahme von Phytoöstrogenen die Beschwerden
möglicherweise lindern könnte, war aber andererseits hinsichtlich eines erhöhten Risikos
für ein Rezidiv verunsichert. Zumindest für Cimicifuga ergab sich jedoch bei dieser
Personengruppe keine Überlegenheit hinsichtlich der Menopausensymptomatik gegenüber
Placebo.
Im Dezember 2009 erschien in der Zeitschrift JAMA eine Kohortenstudie mit 5042 Chinesinnen
mit Mammakarzinom, deren Konsum von isoflavonhaltigen Nahrungsmitteln bzw. reinen
Isoflavonen über 4 Jahre beobachtet wurde. Mit steigender Dosierung (bis 11 g Sojaprotein
täglich) wurden die spezifische Mortalität und die Rezidivrate unabhängig vom Menopausen-
und Rezeptorstatus reduziert – allerdings scheint das Risiko durch die Nahrungsmittel
noch etwas günstiger als durch reine Isoflavone beeinflusst zu werden. Möglicherweise
sind, wie die Autoren schreiben, die verschiedenen weiteren Inhaltsstoffe in den Nahrungsmitteln
für diesen Effekt verantwortlich. Sie sind deshalb der Ansicht, dass der Genuss von
isoflavonhaltigen Nahrungsmitteln beim Mammakarzinom sicher ist, und, wenn sich die
tägliche Zufuhr in Maßen hält, möglicherweise auch den Verlauf günstig beeinflusst.
Da vergleichbare Untersuchungen für die heimischen pflanzlichen Drogen fehlen, sollte
man bei entsprechenden Empfehlungen zurückhaltend sein.
Aus naturheilkundlicher Sicht sollte man den betroffenen Frauen allerdings ein mäßiges,
aber regelmäßiges Bewegungsprogramm empfehlen, da große klinische Studien hierzu eine
sehr gute Risiko-Nutzen-Bewertung ergeben haben, sowohl hinsichtlich der Tumorrezidivrate
als auch der Menopausebeschwerden.