Rofo 2011; 183(3): 302-308
DOI: 10.1055/s-0031-1274590
DRG-Mitteilungen
Radiologie & Recht
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Öffentliche Ausschreibung radiologischer Krankenhausleistungen

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Publication Date:
22 February 2011 (online)

 
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Anmerkungen zum Beschluss der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg vom 17.08.2009, Az. VgK-36/2009

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Einführung

Das Vergaberecht ist − sowohl durch die sich ständig wandelnde Rechtsprechung als auch durch gesetzgeberische Neuerungen − rasanten Änderungen unterworfen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts als 2. Stufe der Vergaberechtsreform gelten seit 2009 veränderte Vorschriften im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie seit 2010 veränderte Vorschriften der Verdingungsordnungen, die für alle Vergabeverfahren zu beachten sind. Auch im öffentlichen Gesundheitswesen findet das Vergaberecht immer größere Berücksichtigung. Mittlerweile unstreitig ist, dass gesetzliche Krankenkassen als „öffentliche Auftraggeber“ im Sinne des Vergaberechts anzusehen sind. Sie müssen ihre Aufträge daher öffentlich ausschreiben (vgl. EuGH, Vorabentscheidung v. 11.06.2009, Az. C-300/07; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.12.2007, Az. VII-Verg 51/07, Verg 51/07, PharmaR 2008, 153).

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Vergaberecht und Krankenhauskooperation

Bisher nicht abschließend geklärt ist die Frage, in welchem Umfang auch Kooperationen zwischen öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten dem Vergaberecht unterliegen. Gerade in der Radiologie hat der Abschluss von Kooperationsverträgen mit Krankenhäusern eine langjährige Tradition und einen besonderen Stellenwert. Dies hängt insbesondere damit zusammen, dass sich gerade die Radiologie durch eine hohe Schnelllebigkeit in der Medizintechnik auszeichnet; stichwortartig zu nennen sind insoweit die Bereiche MRT, CT, PET-CT oder auch RIS/PACS. Damit in unmittelbarem Zusammenhang stehen einerseits die hohen Investitionen (Anschaffungs- und Investitionskosten), andererseits aber auch der hohe Verfallswert. Daher machte es nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch zur Verbesserung der Patientenversorgung an der Schnittstelle der Versorgungssektoren Sinn, dass gerade zwischen Krankenhäusern und radiologischen Praxen Kooperationen geschlossen werden.

Mit der durch das Fallpauschalengesetz vom 23.04.2002 (BGBl. I S. 1412) geänderten Krankenhausfinanzierung hat der wirtschaftliche Druck auf die Krankenhäuser weiter zugenommen. Insbesondere in Funktionsabteilungen ohne eigenen Abteilungspflegesatz und mit teurer technischer Ausstattung wird die Frage der Reduzierung von Fixkosten auch in Zukunft immer wichtiger werden. Vor diesem Hintergrund haben „Outsourcing-Maßnahmen“ unter dem Stichwort der Privatisierung von Krankenhausabteilungen weiter zugenommen. Zweck der Privatisierung ist die bessere Ausnutzung von teurer Medizintechnik durch Behandlung von ambulanten und stationären Patienten in einer im Krankenhaus errichteten Vertragsarztpraxis. Die Krankenhausabteilung wird aufgelöst und die Versorgung der stationären Patienten erfolgt durch die im Krankenhaus niedergelassenen Vertragsärzte. Das Krankenhaus und der Vertragsarzt können hierdurch eine bessere Ausnutzung der Fixkosten und damit eine Kostenentlastung erreichen. Die ärztliche Praxis hat zudem einen Imagegewinn und Wettbewerbsvorteile durch die Anbindung an den „Großkunden“ Krankenhaus. Die gesetzlichen Änderungen im Rahmen der Gesundheitsreform 2000 sprechen zudem für eine verstärkte Verlagerung und Zentralisierung der Leistungserbringung an den Standort Krankenhaus.

Bei den Krankenhäusern ist grundsätzlich zwischen öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten Krankenhausträgern zu unterscheiden. Vom Vergaberecht betroffen sein können grundsätzlich nur öffentlich-rechtlich getragene Krankenhäuser. Öffentliche Krankenhausträger sind Bund (z.B. Bundeswehrkrankenhaus), Länder (z.B. psychiatrische Einrichtungen) und Kommunen (z.B. Kreiskrankenhaus); trotz privatrechtlicher Gesellschaftsform eingeschlossen ist insoweit auch die kommunale Krankenhaus-GmbH.

Unter dem Begriff „Vergaberecht“ ist die Gesamtheit der Regeln und Vorschriften zu verstehen, die ein Träger öffentlicher Gewalt bei der Beschaffung von sachlichen Mitteln und Leistungen, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, zu beachten hat, denn öffentliche Aufträge stellen zweifellos einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar. Das Vergaberecht ist daher ein spezieller Teil des Haushaltsrechts, welches Vorschriften zur Aufstellung und zur Abwicklung des Etats des Staates, seiner Behörden und seiner Institutionen beinhalten. Die allgemeinen gesetzlichen haushaltsrechtlichen Vorschriften (vgl. z.B. § 55 BHO, LHO, SVHV), die die öffentlichen Institutionen durchweg nur ganz allgemein verpflichten, im Wettbewerb und nach Ausschreibungen zu beschaffen, werden ergänzt und ausgefüllt durch sog. Verdingungsordnungen. In den 3 aktuell vorhandenen Verdingungsordnungen (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen [VOB], Verdingungsordnung für Leistungen [VOL] und Verdingungsordnung für freiberufliche Leistungen [VOF]) sind Regeln enthalten, die die Auftraggeber bei der Anbahnung und dem Abschluss von Abschlüssen zu beachten haben. Außer den Bestimmungen über das bei der Vergabe einzuhaltende Verfahren in den Teilen A enthalten die Verdingungsordnungen in ihren Teilen B Allgemeine Geschäftsbedingungen (nicht VOF), die beim Abschluss des Vertrags zugrunde gelegt werden müssen. Die VOB enthält außerdem noch einen Teil C mit technischen Vorgaben für das Bauen. Mit Abschluss des Vertrags werden sie Vertragsgegenstand. Die staatlichen Normen ergeben sich aus dem im Wesentlichen europarechtlich geprägten 4. Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§§ 97 ff. GWB). Bei der Vergabe sind u.a. der Wettbewerbs- und Transparenzgrundsatz, der Gleichbehandlungsgrundsatz, das Verhandlungsverbot und das Gebot der Wirtschaftlichkeit zu beachten. Zum System des Vergaberechts wird auf Abb. 1 verwiesen.

Die rechtlichen Problembereiche, die sich aus Krankenhauskooperationen ergeben, sind sehr vielschichtig; das Vergaberecht ist insoweit nur einer dieser Bereiche. Nach Auffassung der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg haben auch öffentlich-rechtlich getragene Krankenhäuser ordnungsgemäße, geregelte Vergabeverfahren über die Übernahme radiologischer Leistungen durchzuführen. Wenn sie dieses Verfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß anwenden, laufen sie Gefahr, dass ihnen untersagt wird, die Auswahl eines Kooperationspartners für die radiologische Versorgung ihrer Patienten vorzunehmen.

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Entscheidung der Vergabekammer Lüneburg

In dem zugrunde liegenden Verfahren betreibt ein Städtisches Krankenhaus eine eigene Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin. Im Rahmen der Umsetzung ihres Strukturkonzeptes „Medizinisches Zentrum“ strebt sie zur Unterstützung und Erweiterung des Behandlungsspektrums und zur umfassenden Versorgung der Bevölkerung die Ansiedlung einer niedergelassenen radiologischen Praxis am Krankenhaus an, um mit dieser zu kooperieren und radiologische Leistungen zur angemessenen Versorgung der Patienten des Krankenhauses und Beratungsleistungen in Fragen der radiologischen Diagnostik zu beschaffen.

Der Vertragsentwurf sah vor, dass der Kooperationspartner geeignete Räume innerhalb des Krankenhaus anmietet, von der Auftraggeberin zur Verfügung gestelltes Personal der vorhandenen Röntgenabteilung gegen Kostenerstattung einsetzt sowie die vorhandene technische Ausstattung der Auftraggeberin ankauft und unter diesen Bedingungen eine radiologische Praxis betreibt. Diese soll den ausschließlichen radiologischen Versorgungsauftrag für das Krankenhaus erhalten. Das Krankenhaus soll auf die dort zu erbringenden Versorgungsleistungen im Rahmen genauer vereinbarter Kooperationsmodalitäten Zugriff nehmen können. Gegenstand des Vertragsentwurfs ist zudem u.a. die Verpflichtung des Kooperationspartners zur kurzfristigen Anschaffung und zum Betrieb eines Kernspintomografen (MRT), welchen das Klinikum gegen ein zu vereinbarendes Entgelt mitbenutzen will. Gemäß § 5 des Entwurfs zum Kooperationsvertrag, überschrieben „Budgetierung/Entgelte“, will die Auftraggeberin die nicht wahlärztlichen radiologischen Leistungen der Praxis nach Maßgabe der GOÄ vergüten und – im Rahmen eines zu überwachenden Budgets – hierfür zu vereinbarende fixe monatliche Abschlagszahlungen an den Kooperationspartner leisten. Die Entgelte für wahlärztliche Leistungen an stationären Patienten soll der Kooperationspartner gemäß § 6 des Vertragsentwurfes selbst bei den Patienten liquidieren. Der Kooperationsvertrag soll auf unbestimmte Zeit geschlossen werden und frühestens 10 Jahre nach Vertragsschluss kündbar sein.

Insgesamt wurde mit 3 denkbaren Kooperationspartnern verhandelt. Neben der Radiologie-Praxis A waren dies 2 weitere Radiologie-Praxen. Nach Abwägung der vorgelegten Kriterien hat sich das Krankenhaus für die Radiologie-Praxis A als Kooperationspartner entschieden. Nachdem die Antragstellerin im Rahmen der Anhörung im vertragsärztlichen Genehmigungsverfahren Kenntnis von der Entscheidung für eine Kooperation mit der Radiologie-Praxis A erhalten hatte, wandte sie sich mit einem Nachprüfungsantrag an die zuständige Vergabekammer. Die Antragstellerin beanstandete die nicht ordnungsgemäße vergaberechtliche Behandlung der Kooperation. Das Krankenhaus habe die beabsichtigte Kooperation nicht gemäß den Vorgaben der VOL/A bzw. VOF oder übergeordneten europarechtlichen Vorschriften ausgeschrieben. Es habe keine Zuschlagskriterien bekannt gegeben und das Transparenzgebot und das Gleichbehandlungsgebot verletzt.

Weiter verweist die Antragstellerin auf die Entscheidung der Vergabekammer Saarbrücken vom 19.05.2006, Az.: 3 K 03/2006, und deren Bestätigung durch das Saarländische OLG vom 20.09.2006, Az.: 1 Verg 3/06. Nach diesen Entscheidungen beinhaltet die Vergabe eines Kooperationsvertrags im Bereich der Labormedizin nicht prioritäre Dienstleistungen, die eine Ausschreibungspflicht nach Maßgabe des 1. Abschnitts der VOL/A begründeten. Die hiesige angestrebte Kooperationsvereinbarung gleiche jener in allen vergaberechtlich relevanten Gesichtspunkten. Auch die vorliegende Kooperation beinhalte im vergaberechtlichen Sinne nachrangige Dienstleistungen, die gemäß § 3 VOL/A öffentlich auszuschreiben seien, da sie vorab eindeutig und erschöpfend beschrieben werden können. Eine freihändige Vergabe gemäß § 3 Nr. 4 h VOL/A sei nicht zulässig. Selbst wenn man zu dem Schluss käme, dass im vorliegenden Fall lediglich die VOF zur Anwendung kommen könne, sei festzustellen, dass die Auftraggeberin vergaberechtswidrig gehandelt habe, da sie gegen Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsätze verstoßen habe. Als potenzielle Kooperationspartner käme eine Vielzahl von Radiologen in Betracht. Vertragsarztrechtliche Genehmigungserfordernisse dürften nicht ausschlaggebend für die vergaberechtliche Beurteilung des Sachverhalts sein. Die von dem Krankenhaus getroffene Auswahlentscheidung und die von ihr in Aussicht genommene Zuschlagsentscheidung seien willkürlich und ermessensfehlerhaft und verletzten die Antragstellerin in ihren Rechten. Die Auftraggeberin habe nicht dokumentiert, dass das Verfahren für alle Bieter gleich gestaltet wurde. Die der getroffenen Auswahlentscheidung des Aufsichtsrates zugrunde liegenden Informationen über die mit ihr geführten Verhandlungen enthielten zahlreiche unrichtige Behauptungen. Sie gäben Verlauf und Inhalt dieser Verhandlung unzutreffend wieder. Nach dem tatsächlichen Verlauf habe die Auftraggeberin keinen Anlass für die Annahme, dass mit der Antragstellerin eine Einigung über einen Kooperationsvertrag nicht zu erreichen sei. Dass sie in einem Vergabeverfahren keine Chance auf den Zuschlag habe, sei reine Spekulation.

Das Krankenhaus hielt den Nachprüfungsantrag für unzulässig, hilfsweise auch für unbegründet. Zu seinem Auswahlverfahren trägt es vor, nach dem Vertragsarztrecht sei zunächst nur die Antragstellerin als einzige ortsansässige niedergelassene Radiologie-Praxis für eine Kooperation infrage gekommen. Daher sei über längere Zeit nur mit der Antragstellerin verhandelt worden. Diese Verhandlungen seien schließlich daran gescheitert, dass die Antragstellerin nicht über das vorgegebene, bundesweit typische Vertragsmodell verhandeln, sondern eigene Vertragsinhalte vorgeben wollte. Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit der Antragstellerin habe man vor dem Hintergrund der Änderung des Vertragsarztrechtes Anfang 2007 in Erwägung gezogen, mit einer nicht ortsansässigen Radiologie-Praxis zu kooperieren, die hierzu eine Zweigpraxis einzurichten hätte. Eine solche Kooperationsmöglichkeit habe sich erst durch die Änderung des vertragsarztrechtlichen Rahmens ergeben. Man habe in der Radiologie-Praxis A einen geeigneten Verhandlungspartner gefunden, mit dem man einen Kooperationsvertrag eingehen wolle.

Unterstellt man eine Anwendbarkeit des Vergaberechts, so ist nach Auffassung des Krankenhauses festzustellen, dass die Antragstellerin die Rügeobliegenheit des § 107 GWB verletzt hat. Zudem fehle der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragstellerin habe über lange Zeit verhandelt und sei in dieser Zeit auch anwaltlich beraten worden. Ihre vergaberechtliche Rüge habe sie aber erst erhoben, nachdem sie bemerkt habe, dass sie mit ihren Vorstellungen nicht zum Zuge kommen werde. Im Übrigen sei die Antragstellerin an einer Kooperation offenbar gar nicht interessiert. Denn es bestünden bezüglich verschiedener Forderungen unvereinbar gegensätzliche Positionen. Damit sei nicht davon auszugehen, dass es zu einer Einigung zwischen Krankenhaus und Antragstellerin über das der Antragstellerin angebotene Kooperationsmodell kommen werde; wegen ihrer erheblich abweichenden Vorstellungen über die Bedingungen der Kooperation habe die Antragstellerin keine Chance auf einen eventuellen Zuschlag. Daher drohe ihr auch kein Schaden zu entstehen. Der Auftraggeberin sei zudem bekannt, dass die Antragstellerin bis zum Jahr 2012 anderweitig gebunden sei und sie diese Bindung nicht gefährden wolle. Da die Antragstellerin gar kein wirkliches Interesse an der angebotenen Kooperation habe, sei ihre Berufung auf das Vergaberecht als rechtsmissbräuchlich zu bezeichnen.

Soweit sich die Antragstellerin mit ihrer Forderung nach einem förmlichen Vergabeverfahren auf die Rechtsprechung der Vergabekammer Saarbrücken und des OLG Saarbrücken berufe, sei darauf hinzuweisen, dass sich das hier streitbefangene Kooperationsmodell deutlich von den dort entschiedenen Sachverhalten unterscheide. Unterstelle man im vorliegenden Fall eine vergaberechtliche Relevanz und versuche man eine vergaberechtliche Einordnung, so sei festzustellen, dass wegen der für die möglichen Partner höchst unterschiedlichen Gegebenheiten Art und Umfang der Leistungen vor einer Vergabe nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben werden können und auch keine vergleichbaren Angebote zu erwarten seien. Die VOF sehe in solchen Fällen ein Verhandlungsverfahren vor. Faktisch sei gerade dieses auch durchgeführt worden.

Die Auftraggeberin treffe indes überhaupt keine Verpflichtung, einen Kooperationspartner im Wege eines vergaberechtsförmigen Verfahrens auszuwählen. Hier gehe es nämlich gerade nicht um die Vergabe einer Dienstleistung in Form einer freiberuflichen Tätigkeit, sondern um die Ausgestaltung einer besonderen Zusammenarbeit zwischen einer radiologischen Praxis niedergelassener Ärzte und dem Klinikum. Die möglichen Kooperationspartner stünden nicht miteinander im Wettbewerb, auch habe der Vorgang keinen Beschaffungscharakter i.S.d. § 99 GWB. Man könne einen radiologischen Kooperationspartner nicht durch eine europäische Ausschreibung gewinnen.

Mit ihrem Auswahlverfahren habe sie sich an der einschlägigen Fachliteratur orientiert, nach welcher bundesweit verfahren werde. Auswahl und Entscheidung orientierten sich allein an den Regelungen des Vertragsarztrechtes in den §§ 95 ff. SGB V. Für eine Anwendung des Vergaberechtes bestehe auch deshalb kein Anlass, weil über die Zulassung einer Zweigpraxis nicht sie als Auftraggeberin im Sinne des § 98 GWB, sondern die Kassenärztliche Vereinigung nach Maßgabe der Ärztezulassungsverordnung entscheiden werde.

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Kein vergaberechtsförmiges Verfahren

Die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg stellte zunächst fest, dass ein vergaberechtsförmiges Verfahren vorliegend bisher nicht eingeleitet worden sei. Insbesondere wäre von einem vergaberechtsförmigen Verfahren gänzlich abgesehen und die Vergabe eines öffentlichen Auftrags gleichsam informell betrieben worden, mithin seien keine vergaberechtlichen Vorschriften angewandt worden. Eine bewusste Nichtdurchführung des Vergabeverfahrens läge jedoch nicht vor, weil das Krankenhaus dies mit Blick auf die Ausnahmeregelungen des GWB für entbehrlich gehalten habe.

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Städtisches Krankenhaus ist öffentlicher Auftraggeber

Das städtische Krankenhaus ist nach Auffassung der Kammer öffentlicher Auftraggeber im Sinne von § 98 Nr. 2 GWB. Nach dieser Vorschrift wären öffentliche Auftraggeber unter anderem solche juristischen Personen des privaten Rechts, die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen, wenn Gebietskörperschaften sie überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben. Als gemeinnützige GmbH wäre die Auftraggeberin Trägerin eines städtischen Krankenhauses, deren Betrieb eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe sei (vgl. § 1 Nds. KHG). Einzige Gesellschafterin der Auftraggeberin sei eine Stadt; ihre Finanzierung erfolge nach Maßgabe der §§ 2 ff. KHG aus Mitteln des Landes und der Stadt.

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Sachliche Anwendbarkeit des GWB

Der 4. Teil des GWB (§§ 97 bis 129b GWB) ist nach Auffassung der Vergabekammer sachlich anwendbar. Die von der Auftraggeberin angestrebte Kooperation mit einer radiologischen Arztpraxis habe den Charakter eines öffentlichen Auftrags im Sinne des § 99 GWB. Die Auftraggeberin würde tätig, um sich gegen Entgelt eine Dienstleistung zu beschaffen, an deren Erbringung ein Bedarf schon deshalb bestehe, weil die Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen ein Bestandteil staatlicher Daseinsvorsorge ist (vgl. § 1 Nds. KHG). Sobald ein Auftraggeber einen tatsächlich bestehenden Bedarf erkenne, den er nicht selbst decken wolle, komme ein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 Abs. 1 GWB in Betracht.

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Kooperation als Leistung, für die ein Markt besteht

Spätestens durch das zum 01.01.2007 in Kraft getretene Vertragsarztrechtsänderungsgesetz handelt es sich nach Auffassung der Vergabekammer Lüneburg bei der vorliegenden Kooperationsform auch um eine Leistung, für die ein Markt besteht. Wären zuvor Zweigniederlassungen von Vertragsarztpraxen in anderen vertragsärztlichen Zulassungsbezirken als in dem Bezirk der Stammpraxis häufig unmöglich gewesen, sei es durch diese Gesetzesänderung zu weit reichenden Möglichkeiten für öffentliche Auftraggeber gekommen, unter mehreren Arztpraxen einen Kooperationspartner auszuwählen. Gerade das vorliegende Verfahren, in dem – allein nach der bereits einschränkenden Vorauswahl der Auftraggeberin – zwischenzeitlich bis zu 3 Arztpraxen als Partner infrage gekommen wären und um eine Kooperation konkurriert hätten, zeige das Bestehen eines Marktes auf. Dem stehe auch nicht entgegen, dass für die Realisierung einer Kooperation Zustimmungsvorbehalte der Kassenärztlichen Vereinigungen bestehen würden. Öffentlich-rechtliche Zustimmungs- oder Genehmigungsvorbehalte würden in zahlreichen Wirtschaftsbereichen existieren, für regulierungsbedürftige Märkte seien sie geradezu typisch. Nach Meinung der Vergabekammer sind sie deshalb Element einer wirtschaftsbereichsspezifischen Marktordnung. Sie seien aber nicht geeignet, das Bestehen eines Marktes überhaupt in Abrede zu stellen.

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Übersteigen des Schwellenwertes

Der streitbefangene öffentliche Auftrag übersteigt nach Ansicht der Vergabekammer auch den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB. Der 4. Teil des GWB würde nur für solche Aufträge gelten, die die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt seien. Maßgeblich sei vorliegend ein Schwellenwert von 206 000,00 € gemäß § 2 Nr. 3 VgV.

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Kooperation als Dienstleistungsauftrag

Bei der in Streit stehenden medizinischen Kooperation handelt es sich nach Ansicht der Vergabekammer um einen Dienstleistungsauftrag im Sinne des § 99 Abs. 4 GWB. Im Vordergrund stünde dabei nicht die bloße Lieferung eines Kernspintomografen an die Auftraggeberin. Die Einbringung eines vom Kooperationspartner selbst beschafften Kernspintomografen in die Räumlichkeiten der Auftraggeberin diene lediglich unterstützend für eine ordnungsgemäße Erbringung der medizinischen Leistungen, funktional stehe mithin die Leistungserbringung im Vordergrund.

Bei der geplanten Kooperation handele es sich nicht um eine Dienstleistungskonzession. Zwar handelt es sich bei den in Rede stehenden Tätigkeiten um eine Dienstleistung im Sinne des § 99 Abs. 4 GWB. Doch würde der Entwurf des Kooperationsvertrags weder vorsehen, dass der Antragstellerin das Recht zur Erbringung der Dienstleistung zur unternehmerischen und eigenverantwortlichen Ausnutzung übertragen würde, noch dass die Gegenleistung für die Nutzung lediglich darin bestehen würde, die Möglichkeit zur Dienstleistungserbringung wirtschaftlich auszunutzen. Denn der Partner der Auftraggeberin würde im Rahmen der in Aussicht gestellten Kooperation räumlich und in die organisatorischen Strukturen des Krankenhauses eingebunden werden. So sehe der Entwurf des Kooperationsvertrags spezifische und detaillierte Betriebsorganisationspflichten für den Kooperationspartner vor, es solle eine Integration der medizinischen Informationstechnik (RIS, PACS) in diejenige der Auftraggeberin stattfinden. Ferner würde die Auftraggeberin den Kooperationspartner für radiologische Untersuchungen an stationären Patienten vergüten, die keine wahlärztlichen Leistungen in Anspruch nehmen würden, gemäß der GOÄ. Die Einkünfte des Kooperationspartners würden damit von der Auftraggeberin selbst herrühren, nicht aber von Dritten (hier: den Krankenhauspatienten), die von der Erbringung der Dienstleistung faktisch profitieren würden. Dass die Auftraggeberin ihrerseits mit den Krankenkassen hinsichtlich der erbrachten Dienstleistungen abrechnen würde, sei für diese Betrachtung unschädlich, denn es sei nicht vertraglich vorgesehen, dass Leistungsstörungen im Verhältnis zwischen Krankenkasse und Auftraggeberin rechtliche Konsequenzen im Verhältnis zwischen Auftraggeberin und Kooperationspartnerin haben sollen.

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Förmlichkeit des Vergabeverfahrens

In den genannten, die Zulässigkeit eröffnenden und näher regelnden Bestimmungen des GWB ist nach Auffassung der Vergabekammer Lüneburg von einer bestimmten Förmlichkeit der angesprochenen Vergabe nicht die Rede. Es sei ausreichend, wenn überhaupt ein Vorgehen infrage steht, an dem ein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB und mindestens ein außen stehender Dritter als Marktteilnehmer beteiligt seien. Ferner müsse das Vorgehen begonnen worden sein, um einen entgeltlichen Vertrag im Sinne des § 99 GWB abzuschließen, der nicht nach § 100 Abs. 2 GWB von den Regelungen des 4. Teils des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ausgenommen ist und dessen Wert den nach § 100 Abs. 1 GWB festgelegten Schwellenwert erreicht oder übersteigt. Schon nach dem Wortlaut der § 102 und § 107 GWB möge man in diesem Fall einen Nachprüfungsantrag für zulässig halten. Denn das Beschaffungsverhalten eines öffentlichen Auftraggebers stelle faktisch eine Vergabe dar, und eine „Nichtbeachtung von Vergabevorschriften“ läge erst recht dann vor, wenn die Vorschriften des Vergaberechts insgesamt im Vergabevorgang außer Acht gelassen würden. Jedenfalls aber nach Sinn und Zweck der vergaberechtlichen Rechtsschutzmöglichkeit vor den Vergabekammern müsse ein Nachprüfungsantrag auch dann statthaft sein, wenn er sich auf die Nichtdurchführung eines vergaberechtsförmigen Verfahrens stützen würde. Dies gebiete der Grundsatz gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung nationalen Rechts, der eingreife, wenn der Wortlaut der einschlägigen nationalen Norm oder Normen einen Entscheidungsspielraum eröffnen würde. Denn nach Gemeinschaftsrecht dürften die Mitgliedsstaaten die vergaberechtliche Nachprüfungsmöglichkeit nicht von der Einleitung und Durchführung eines bestimmten Vergabeverfahrens abhängig machen.

Art. 1 der „Richtlinie 89/665/EWG des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge“ würde bestimmen, dass die Entscheidungen der Vergabebehörde hinsichtlich der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge auf Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften nachgeprüft werden können. Nach der Auslegung, die diese Regelung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften erfahren habe, würde bereits dann eine Entscheidung vorliegen, die der Nachprüfung zugänglich sein müsse, wenn ein öffentlicher Auftraggeber beschließen würde, kein geregeltes Vergabeverfahren einzuleiten, weil der zu erteilende Auftrag seiner Auffassung nach nicht in den Anwendungsbereich der einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts bzw. des diese umsetzenden nationalen Rechts fallen würde (vgl. EuGH, Urt. v. 11.01.2005, Az. C-26/03, dort Rn. 33). Auch im vorliegenden Streitfall müsse nach Auffassung der Vergabekammer deshalb das in Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nach § 102 GWB vorgesehene Nachprüfungsverfahren eröffnet sein.

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Verpflichtung zur unverzüglichen Rüge

Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht nach Auffassung der Vergabekammer die Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 2 und 3 GWB nicht entgegen. Nach den genannten Ziffern des § 107 würde es der Antragstellerin obliegen, Verstöße gegen Vergabevorschriften unverzüglich gegenüber der Auftraggeberin zu rügen. Dabei würden die Nummern 2 und 3 der Vorschrift an Verstöße gegen Vergabevorschriften anknüpfen, die aufgrund der Bekanntmachung bzw. erst in den Vergabeunterlagen erkennbar wären, und würden den spätestmöglichen Rügezeitpunkt bestimmen. Die Nummer 1 fordert bei den übrigen Verstößen gegen Vergabevorschriften eine unverzügliche Rüge. In Sachverhaltskonstellationen wie der hier zugrunde liegenden wäre es damit nach Ansicht der Vergabekammer sehr zweifelhaft, ob eine Rügeobliegenheit nach der genannten Vorschrift überhaupt besteht. Denn die Vorschrift ließe sich durch die Verwendung der Rechtsbegriffe des „Vergabeverfahrens“, der „Bekanntmachung“ und der „Vergabeunterlagen“ ohne Weiteres so verstehen, dass sie lediglich innerhalb eines vergaberechtsförmigen Verfahrens Rügeobliegenheiten statuieren würde, im Falle einer Vergabe unter gänzlicher Außerachtlassung des Vergaberechts jedoch keine Anwendung finden würde.

Jedenfalls aber habe hier die Antragstellerin nach Auffassung der Vergabekammer die Nichtanwendung des Vergaberechts unverzüglich gerügt, nachdem sie die rechtliche Problematik erkannt hat. § 107 Satz 1 Nr. 1 GWB würde nach seinem Wortlaut positive Kenntnis des späteren Antragstellers voraussetzen. Zwar wären der Antragstellerin vorliegend die tatsächlichen Umstände, auf die sich die Rüge dann stützte, bereits seit geraumer Zeit bekannt gewesen. Erforderlich sei aber zudem eine zumindest laienhaft und durch vernünftige Beurteilung hervorgebrachte rechtliche Wertung, dass das Handeln der Auftraggeberin vergaberechtlich zu beanstanden sein könnte. Vorliegend habe es sich nach Auffassung der Vergabekammer um einen Sachverhalt gehandelt, dessen vergaberechtliche Relevanz nicht ohne weiteres erkennbar sei bzw. dem man eine solche Relevanz, wie seitens der Auftraggeberin geschehen, mit nachvollziehbaren Argumenten auch absprechen könne. Zugleich fehle es an exemplarischen Fällen, anhand derer in dem Tätigkeitsbereich der Antragstellerin die denkbare vergaberechtliche Relevanz des in Streit stehenden Vorgangs nachvollzogen werden könnte. Da ein Antragsteller zudem bis zur Grenze eines mutwilligen Sich-Verschließens vor der Rechtslage nicht verpflichtet sei, vergaberechtlichen Rat einzuholen, könne von einem laienhaften Nachvollzug der Rechtslage durch die Antragstellerin vor dem Zeitpunkt ihrer Rüge nicht ausgegangen werden.

Der Nachprüfungsantrag ist nach Ansicht der Vergabekammer nicht wegen § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GWB unzulässig. Nach dieser Vorschrift ist ein Nachprüfungsantrag dann unzulässig, wenn mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind, bevor er den Nachprüfungsantrag stellt. Es könne hier dahingestellt bleiben, ob einem Antragsteller die Einhaltung dieser Frist auch dann obliegen würde, wenn eine Rüge des Antragstellers gar nicht erforderlich wäre, er aber dennoch den Verstoß gegen Vergabevorschriften gegenüber dem Auftraggeber gerügt habe. Denn vorliegend habe sich der Antragsteller jedenfalls rechtzeitig an die Vergabekammer gewandt, womit auch eine 15-Tagesfrist gewahrt gewesen wäre.

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Pflicht zur Einleitung eines geregelten Vergabeverfahrens

Aus § 97 Abs. 1 GWB ergibt sich nach Auffassung der Vergabekammer vorliegend eine Pflicht der Auftraggeberin, zur Beschaffung der streitgegenständlichen Dienstleistung ein geregeltes Vergabeverfahren einzuleiten.

Die Pflicht der Auftraggeberin aus § 97 Abs. 1 GWB würde nicht allein im haushälterischen Interesse der öffentlichen Hand an einem geordneten und rationalen Verfahren bestehen. Sie würde auch im Interesse potenzieller Vertragspartner der öffentlichen Hand bestehen. Denn durch die Eröffnung eines Vergabeverfahrens sollen die Grundsätze von Wettbewerb, Transparenz und Gleichbehandlung gewährleistet werden. Hierdurch solle den Bietern die Chance eröffnet werden, am Maßstab der Wirtschaftlichkeit ihres Angebots gemessen und entsprechend behandelt zu werden. Damit wäre nach Ansicht der Vergabekammer auch hinsichtlich der Einleitung eines geregelten Vergabeverfahrens ein durchsetzbarer Anspruch zugunsten interessierter Unternehmen anzuerkennen. Erst dieser Anspruch eröffne den umfassenden Rechtsschutz, der nach den europarechtlichen Vorgaben gemeinschaftsrechtlich geboten sei. Diesen Anspruch der Regelung des § 97 Abs. 7 GWB zu entnehmen, sei auch mit dem Wortlaut dieser Vorschrift in Einklang zu bringen. Denn auch die Vorschrift des § 97 Abs. 1 GWB gehöre zu den „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“.

Die Auftraggeberin könne sich nicht darauf berufen, faktisch ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren gemäß § 5 Satz 1 VgV in Verbindung mit § 5 VOF (oder gemäß § 5 Abs. 1 VgV in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 2 VOF, Kat. 25 Anh. I B) der VOF durchgeführt zu haben. Dabei könne dahinstehen, ob die Vergabe der streitgegenständlichen Dienstleistung nach diesen Vorschriften überhaupt erfolgen könnte, oder ob hier nicht § 5 Satz 2 VgV etwas anderes bestimmen würde, indem dort die VOL zur Anwendung berufen werde. Denn die Auftraggeberin würde nicht behaupten, entsprechende Erwägungen im Zeitpunkt der Kooperationsverhandlungen angestellt zu haben, sondern rekonstruiere in der Rückschau ihr Verhalten anhand dieser Vorschriften. Dementsprechend fehle es auch an jeglicher Dokumentation, anhand derer die vergaberechtlichen Erwägungen der Auftraggeberin nachvollzogen werden könne. Dies genügt indes dem Gebot der Transparenz gemäß § 97 Abs. 1 GWB nicht. Es sei nicht ausreichend, dass der Vergabevermerk erst nach Abschluss des Vergabeverfahrens und bei Zuschlagserteilung vorliegen würde. Vielmehr müsse die Dokumentation aus Gründen der Transparenz und Überprüfbarkeit laufend fortgeschrieben werden. Die Gründe für die Wahl einer bestimmten Verfahrensart – auch einer solchen, die sehr voraussetzungsarm ist – wären aktenkundig zu machen. Zu fordern wären wenigstens dokumentierte Erwägungen zu der Frage, in welchem Umfang auf eine Dokumentation bspw. wegen § 2 Abs. 1 Satz 2 VOF verzichtet werden könne, denn auch diese Vorschrift entbinde einen öffentlichen Auftraggeber nicht von jeder Förmlichkeit.

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Kritik und Fazit

Die Entscheidung der Vergabekammer bei der Bezirksregierung Lüneburg vom 17.08.2009 verdeutlicht, dass beim Abschluss von Kooperationen zwischen öffentlich-rechtlich getragenem Krankenhaus und radiologischen Arztpraxen das Vergaberecht zu berücksichtigen ist. Andernfalls besteht die Gefahr, dass ein Mitbewerber eine Kooperation entweder ganz zum Scheitern bringt oder zumindest für eine erhebliche zeitliche Verzögerung sorgt, die ein Vergabeverfahren stets mit sich bringt.

Inhaltlich ist von der Vergabekammer Lüneburg nur unzureichend bedacht worden, dass neben den vergaberechtlichen Vorschriften auch die sozialrechtlichen bzw. vertragsarztrechtlichen Vorschriften zu beachten sind. Zwar ist es richtig, dass öffentlich-rechtliche Zustimmungs- oder Genehmigungsvorbehalte in zahlreichen Wirtschaftsbereichen existieren und für regulierungsbedürftige Märkte geradezu typisch sind. Entgegen der Auffassung der Vergabekammer sind diese Vorbehalte sehr wohl geeignet, das Bestehen eines Marktes überhaupt in Abrede zu stellen, insbesondere, wenn die Zustimmung oder Genehmigung aus Gründen, die nicht mit dem Vergaberecht im Zusammenhang stehen, rechtmäßig versagt wird. In dem Fall hätte eine radiologische Praxis zwar einen vergaberechtlichen Zuschlag erhalten, dürfte die Kooperation mangels Zustimmung oder Genehmigung aber nicht umsetzen. Dies hätte möglicherweise zur Folge, dass das Krankenhaus das Vergabeverfahren – mit erneut ungewissem Ausgang – nochmals durchführen müsste und die Praxis in Regress nehmen würde. Es dürfte einleuchten, dass die Schaffung eines solchen Zustands sowohl für die Krankenhäuser als auch für Radiologen zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führt und damit untragbar ist.

Weiter hat die Vergabekammer Lüneburg ohne inhaltliche Begründung darauf abgestellt, dass ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren gemäß § 5 Satz 1 VgV in Verbindung mit § 5 VOF (oder gemäß § 5 Abs. 1 VgV in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 2 VOF, Anhang I B, Kategorie 25: „Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen“) der VOF mangels Dokumentation nicht durchgeführt worden ist. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die im Anhang I B genannten Kategorien „privilegiert“ sind, d.h. dass nach § 1a Nr. 2 VOL/A a.F. lediglich die §§ 8a (a.F.; Technische Spezifikationen) und 28a (a.F.; Bekanntmachungen vergebener Aufträge), nicht aber die übrigen a-§§ anzuwenden waren; dementsprechend galten für die Vergabe der in Anhang I B zur VOF genannten Leistungen nach § 2 Abs. 1 VOF nur die § 8 Abs. 2 bis 7 VOF und § 17 VOF. Das ist ein erheblicher Vorteil, da das Vergabeverfahren abgesehen von den Ausnahmen der §§ 8 a, 28 a VOL/A „national“ durchgeführt wird.

Schließlich hat sich die Vergabekammer Lüneburg nicht mit einer Abgrenzung zwischen VOL und VOF auseinandergesetzt, wie es das Saarländische OLG (Beschl. v. 10.09.2006, Az. 1 Verg 3/06, GesR 2006, S. 558-562) getan hat, dessen Rechtsprechung die Vergabekammer Lüneburg in weiten Teilen übernommen hat, ohne auf mögliche Unterschiede hinzuweisen. Dies wäre jedoch geboten gewesen, da dem Anwender, d.h. vorliegend dem Krankenhaus, mit Blick auf das komplexe Vergabeverfahren im Rahmen eines bürgerfreundlichen Verhaltens mitgeteilt werden sollte, wie grundsätzlich vorzugehen ist. Der insoweit maßgebliche Ansatz, welches Verfahren berücksichtigt werden könnte, ergibt sich aus § 5 VgV, der wie folgt lautet:

„1Auftraggeber nach § 98 Nr. 1 bis 3 und 5 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen haben bei der Vergabe von Dienstleistungen, die im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit erbracht oder im Wettbewerb mit freiberuflichen Tätigen angeboten werden, sowie bei Auslobungsverfahren, die zu solchen Dienstleistungen führen sollen, die Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. November 2009 (BAnz. Nr. 185a vom 8. Dezember 2009) anzuwenden. 2Dies gilt nicht für Dienstleistungen, deren Gegenstand eine Aufgabe ist, deren Lösung vorab eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann.“

Daraus folgt, dass für eine Dienstleistung, die im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit erbracht oder im Wettbewerb mit freiberuflichen Tätigen angeboten wird, sowie bei Auslobungsverfahren, die zu solchen Dienstleistungen führen sollen ,die VOF anzuwenden ist. Die VOL/A ist hingegen anzuwenden für Dienstleistungen, deren Gegenstand eine Aufgabe ist, deren Lösung vorab eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann.

Eine vorab eindeutig und erschöpfend beschreibbare Lösung im Sinne von § 5 VgV liegt dann vor, wenn die Leistung so genau beschrieben werden kann, dass sie Gegenstand eines offenen oder nicht-offenen Verfahrens sein kann (Saarländisches OLG, Beschl. v. 20.09.2006, Az. 1 Verg 3/06, juris Rdnr. 29). § 5 Satz 2 VgV verlangt insoweit nicht, dass ein bestimmter Lösungsweg im Einzelfall vorgegeben werden kann oder dass das Arbeitsergebnis von vornherein feststeht. Eindeutig und erschöpfend beschreibbar ist eine Lösung vielmehr auch dann, wenn auf verschiedene in Betracht kommende Lösungswege Bezug genommen wird und wenn lediglich vorgegeben wird, dass ein Arbeitsergebnis festzuhalten ist. Andernfalls verbliebe für die Vorschrift praktisch kein Anwendungsbereich, weil die meisten Lösungen wenigstens im Detail auf unterschiedlichen Wegen erreicht werden können und ein Arbeitsergebnis in vielen Fällen nicht von vornherein feststehen wird.

Die VgV ist umgesetzt in § 1 VOF und § 1 VOL/A. Eine Definition der freiberuflichen Tätigkeit findet sich weder in der VgV, noch in der VOF. Eine Fußnote zu § 1 VOL/A verweist hingegen auf § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, dessen Satz 2 wie folgt lautet:

„... Zu der freiberuflichen Tätigkeit gehören die selbständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratenden Volks- und Betriebswirte, vereidigten Buchprüfer, Steuerbevollmächtigten, Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe.“

Die Vergabeentscheidungen der Vergabekammer Lüneburg und des OLG Saarbrücken beschränken sich auf den radiologischen Bereich und den Laborbereich. Bisher noch ungeklärt ist die Frage, ob auch andere ärztliche- und auch psychotherapeutische Kooperationen mit öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern dem Vergaberecht unterliegen, was zur Folge hätte, dass auch diese öffentlich ausgeschrieben werden müssten. Dies würde bei allen Beteiligten zu einer weiteren Verunsicherung führen. Zu einer Förderung der Kooperationen mit öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern führt eine derartige Rechtsprechung sicherlich nicht.

RA Dr. Michael Ossege

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