Rofo 2011; 183(5): 486-491
DOI: 10.1055/s-0031-1274649
DRG-Mitteilungen
Radiologie & Recht
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Zur Zulässigkeit fachgebietsfremder ärztlicher Tätigkeiten

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29 April 2011 (online)

 
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Anmerkungen zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 01.02.2011

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Einleitung

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat sich aufgrund einer Verfassungsbeschwerde in seinem Beschluss vom 01.02.2011 (Az.: 1 BvR 2383/10) mit der Frage befasst, ob es mit der durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützten Berufsfreiheit in Einklang steht, wenn ein Arzt wegen des Verbots außerhalb des eigenen Fachgebietes ärztlich tätig zu werden, durch berufsgerichtliche Entscheidungen sanktioniert wird. Der Beschwerdeführer in dem Verfahren war approbierter Arzt- und Zahnarzt, der die Facharztbezeichnung „Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie“ führte. Sein Anteil an „systematisch“ durchgeführten fachfremden Operationen (Schönheitsoperationen im Bauch-, Brust- und Oberarmbereich) betrug bezogen auf die Gesamtzahl der von ihm jährlich durchgeführten Operationen weniger als 5%. Das BVerfG sah in dem zu entscheidenden Fall die Berufsfreiheit des Arztes durch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteile der Berufsgerichte als verletzt an, weil diese in der fachfremden Tätigkeit ein Berufsvergehen sahen und ihn daher mit einem Verweis und einer Geldbuße belegt hatten.

Die Entscheidung des BVerfG stellt nunmehr klar, dass Ärzte im privatärztlichen Bereich fachfremde Leistungen auch systematisch und dauerhaft erbringen können, soweit es sich nur um einen geringfügigen Leistungsumfang handelt.

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Das Gebot zur Einhaltung der Fachgebietsgrenzen

In den Heilberufs- und Kammergesetzen der Länder ist geregelt, dass derjenige Arzt, der eine Gebietsbezeichnung führt, grundsätzlich nur in diesem Gebiet ärztlich tätig werden darf. Die in der jeweiligen Weiterbildungsordnung festgelegten Gebietsgrenzen bestimmen gleichzeitig den Rahmen der Zulassung für eine bestimmte Gebietsbezeichnung. Führt also ein Arzt eine bestimmte Gebietsbezeichnung, so beschränkt sich seine ärztliche Tätigkeit auf dieses Gebiet, obwohl ihn seine ärztliche Approbation zunächst zur gebietsüberschreitenden heilkundlichen Tätigkeit berechtigt. In Anlehnung an seine bisherige Rechtsprechung hat das BVerfG klargestellt, dass in dieser Beschränkung auf das Fachgebiet kein Verstoß gegen die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG gesehen werden kann. Die Begrenzung der Facharzttätigkeit auf das eigene Fach beruht danach auf vernünftigen Gründen des Gemeinwohls und kann die Einschränkung der freien Berufsausübung rechtfertigen. Sie ist zumutbar, wenn die Abgrenzung der Bereiche vom fachlich medizinischen Standpunkt aus sachgerecht ist und der Facharzt in der auf sein Fachgebiet beschränkten Tätigkeit eine ausreichende Lebensgrundlage finden kann (sog. „Facharztbeschluss“, BVerfGE 33, 125).

Die entsprechenden gesetzlichen Regelungen werden folglich nach wie vor als verfassungsmäßig angesehen, jedoch muss die Anwendung und Auslegung im konkreten Einzelfall durch die Ärztekammern und die Fachgerichte den Anforderungen an Art. 12 Abs. 1 GG genügen, sodass die Berufsfreiheit des Arztes nicht unverhältnismäßig eingeschränkt wird.

Das BVerfG ist dabei davon ausgegangen, dass die Annahme der Berufsgerichte, der Arzt verstoße unabhängig von dem Umfang seiner gebietsfremden Tätigkeit schon deswegen gegen das Verbot fachfremder Tätigkeit, weil eine „systematische“ Gebietsüberschreitung vorliege, verfassungswidrig sei. Schon bisher war in der Rechtsprechung anerkannt, dass wegen der nur „grundsätzlichen“ Verpflichtung zur Begrenzung auf das Fachgebiet, eine Toleranzbreite anzuerkennen ist, innerhalb derer eine vereinzelte fachfremde Tätigkeit akzeptiert werden muss. Diese Toleranzbreite rechtfertigte aber keine regelmäßig systematische fachfremde Tätigkeit, es sei denn, dass bestimmte fachfremde Leistungen zur Durchführung einer bestimmten ärztlichen Untersuchung erforderlich sind und die Versicherten wegen des zeitlichen Zusammenhangs nicht an einen anderen Arzt überwiesen werden können. Von dieser Rechtsprechung weicht das BVerfG nunmehr ab.

Nach Ansicht des BVerfG darf das Verbot der ärztlichen Tätigkeit außerhalb des eigenen Gebiets nicht zu eng ausgelegt und angewandt werden, weil es den Arzt in seiner Berufsausübung empfindlich einschränkt. Der Zweck der gesetzlichen Regelungen in den Heilberufs- und Kammergesetzen sei zu berücksichtigen, wonach die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Facharztes auf seinem Gebiet erhalten bleiben sollen. Dieser Zweck wird danach schon dann erreicht, wenn die Tätigkeit in dem eigenen Gebiet den deutlich überwiegenden Umfang der Gesamttätigkeit ausmacht, sodass es nicht ausreicht, allein mit dem Argument der „systematischen“ Tätigkeit in einem anderen Fachgebiet ein entsprechendes Verbot auszusprechen.

Zwar hat danach ein Arzt in jedem Einzelfall zu prüfen, ob er aufgrund seiner Fähigkeiten und der sonstigen Umstände – wie etwa der Praxisausstattung – in der Lage ist, seinen Patienten nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu behandeln. Vorbehaltlich dieser Prüfung ist er aber, unabhängig vom Vorhandensein von Spezialisierungen, berechtigt, Patienten auf allen Gebieten, die von seiner Approbation umfasst sind, zu behandeln. Eine generelle Verpflichtung, Patienten mit Erkrankungen auf einem bestimmten Gebiet an einen für dieses Gebiet zuständigen Facharzt zu verweisen, ist hiermit nicht vereinbar.

Im Ergebnis sind durch den Beschluss die beiden bisher von der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmefälle (medizinischer Notfall oder besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient, aufgrund derer der Patient ausdrücklich eine fachfremde Behandlung wünscht), um den Ausnahmefall einer lediglich geringfügigen fachfremden Tätigkeit (unter 5%) erweitert worden. Diese geringfügige fachfremde Tätigkeit darf nunmehr insbesondere auch systematisch ausgeübt werden.

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Auswirkungen auf das Fachgebiet der Radiologie

Die Entscheidung des BVerfG wirft die Frage auf, ob Ärzte nicht nur zu einer systematischen Überschreitung ihrer Fachgebietsgrenzen, sondern auch zur Erbringung von medizinisch-technischen Leistungen berechtigt sind, die nicht zu den Inhalten und Zielen ihrer Weiterbildung gehört. Insbesondere stellt sich die Frage, ob mit dieser aktuellen Entscheidung, die bisherigen Nichtannahmebeschlüsse des BVerfG inhaltlich aufgehoben werden, in denen die generelle Unzulässigkeit der Erbringung von magnetresonanztomografischen Leistungen durch Orthopäden und Kardiologen mit der Fachgebietsfremdheit dieser Methode für diese Fachgebiete begründet worden ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.07.2004, Az.: 1 BvR 1127/01 und BVerfG, Beschl. v. 08.07.2010, Az.: 2 BvR 520/07; vgl. hierzu Fortschr Röntgenstr 2011; 183: 401–404). Darüber hinaus ist zu klären, ob therapeutische Fachgebiete aufgrund dieser Entscheidung berechtigt sind, systematisch in geringem Umfang radiologische Leistungen zugunsten ihrer Patienten zu erbringen, auch wenn die betreffende radiologische Methode nicht zu ihrem Fachgebiet gehört? Für Radiologen dürfte die Erbringung fachfremder Leistungen ebenfalls von Interesse sein, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass dieses Fachgebiet in der GKV erheblichen Beschränkungen unterliegt, ihren Verordnungsumfang selbst zu bestimmen.

Für die Beantwortung dieser Frage ist danach zu differenzieren, welche radiologischen Leistungen betroffen sind und ob diese privatärztlich oder im GKV-System erbracht werden.

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Privatärztliche Leistungen

Der Beschluss des BVerfG beschäftigt sich ausschließlich mit der Zulässigkeit fachgebietsfremder Tätigkeiten nach dem ärztlichen Weiterbildungsrecht und hat daher zunächst Auswirkungen auf die Möglichkeit, im privatärztlichen Bereich in einem fremden Fachgebiet ärztliche Leistungen zu erbringen. Auch hier kommt es aber, wie im Folgenden erläutert wird, auf die Art der fachgebietsfremden Leistung an.

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Magnetresonanztomografie

Für den Bereich der Magnetresonanztomografie (MRT) hat sich durch die Einführung der sog. Zusatzweiterbildung „Magnetresonanztomografie fachgebunden“ eine Änderung in der ursprünglichen weiterbildungsrechtlichen Beurteilung dieser Methode für andere Fachgebiete als der Radiologie und der Nuklearmedizin ergeben. Während die MRT vor Einführung der Zusatzweiterbildung aufgrund der Entscheidungen des Bundessozialgerichts und der Bundesverfassungsgerichts für alle anderen, insbesondere die therapeutisch tätigen, Fachgebiete, als fachgebietsfremd eingestuft worden sind, gehört dieses diagnostische Verfahren nunmehr prinzipiell auch zu den erlernbaren Verfahren anderer Fachgebiete. Dies gilt allerdings mit der Einschränkung, dass die Zusatzbezeichnung unter den in der jeweiligen Weiterbildungsordnung festgelegten Bedingungen erworben worden ist. Nur unter diesen Voraussetzungen ist der betreffende Facharzt zur Führung der jeweiligen Zusatzbezeichnung und damit auch zur Durchführung der Leistungen berechtigt.

Die Bestimmungen der Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern (WO) schreiben für den Erwerb der Zusatzbezeichnungen folgende Anforderungen in § 2 Abs. 4 vor:

„(4) Eine Zusatzweiterbildung beinhaltet die Spezialisierung in Weiterbildungsinhalten, die zusätzlich zu den Facharzt- und Schwerpunktweiterbildungsinhalten abzuleisten sind, sofern nichts anderes in Abschnitt C geregelt ist.

Wer in der Zusatzweiterbildung die vorgeschriebenen Weiterbildungsinhalte und -zeiten abgeleistet und in einer Prüfung die dafür erforderliche fachliche Kompetenz nachgewiesen hat, erhält eine Zusatzbezeichnung.

Sind Weiterbildungszeiten gefordert, müssen diese zusätzlich zu den festgelegten Voraussetzungen zum Erwerb der Bezeichnung abgeleistet werden, sofern nichts anderes in Abschnitt C geregelt ist.

Die Gebietsgrenzen fachärztlicher Tätigkeiten werden durch Zusatzweiterbildungen nicht erweitert.“

Voraussetzung für den Erwerb einer Zusatzbezeichnung ist daher die Ableistung der vorgeschriebenen Weiterbildungsinhalte und -zeiten sowie einer Prüfung. Darüber hinaus dürfen durch die Zusatzweiterbildung die Fachgebietsgrenzen nicht erweitert werden. Die Zusatzweiterbildung berechtigt die betreffenden ärztlichen Fachgruppen ausschließlich zu einer MRT-Diagnostik innerhalb ihrer eigenen Fachgebietsgrenzen. § 2 Abs. 4 S. 4 WO regelt insoweit, dass die Gebietsgrenzen fachärztlicher Tätigkeiten durch die Zusatzweiterbildungen nicht erweitert werden. Das bedeutet, dass z.B. Orthopäden nach dem Erwerb der Zusatzweiterbildung ausschließlich zur Durchführung von MRT-Untersuchungen des muskuloskelettalen Bereichs und Kardiologen zur Durchführung von MRT-Untersuchungen am Herzen berechtigt sind. Dagegen haben ausschließlich Radiologen weiterhin die universale Berechtigung zur Durchführung von sämtlichen MRT-Untersuchungen, weil sie eine umfassende Ausbildung dieses diagnostischen Verfahrens für sämtliche Körperregionen erhalten haben. Daraus folgt zunächst, dass ein nichtradiologischer Facharzt, etwa der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, der Facharzt für Neurologie oder auch der Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie im privatärztlichen Bereich MRT-Leistungen nur erbringen darf, wenn er über die (fachgebundene) Zusatzweiterbildung Magnetresonanztomografie verfügt. Soweit er die Zusatzbezeichnung von der zuständigen Ärztekammer erhalten hat, wäre er berechtigt, über den ihm nach seinem Fachgebiet zugewiesenen Untersuchungsbereich hinauszugehen und MRT-Leistungen aus anderen Körperregionen zu erbringen. Der Orthopäde mit Zusatzbezeichnung MRT wäre danach berechtigt, Untersuchungen am Herzen durchzuführen und privatärztlich abzurechnen. Dabei gilt allerdings die wesentliche Einschränkung, dass diese MRT-Leistungen nur einen geringen Umfang im Verhältnis zu den Gesamtleistungen haben dürfen, wobei das BVerfG keine feste Obergrenze festgelegt, sondern sich auf die Feststellung beschränkt hat, dass zumindest ein Leistungsumfang von weniger als 5% als geringfügig anzusehen ist. Darüber hinaus muss er fachlich und von der apparativtechnischen Ausstattung in der Lage sein, diese fachfremden MRT-Untersuchungsleistungen durchzuführen.

Darüber hinaus ist die Anforderung zur Durchführung der MRT nach dem „Gesetz zur Regelung des Schutzes vor nichtionisierender Strahlung – NiSG“ vom 17.03.2009 (BT-Drucksache 16/12276) hinzuweisen. Das NiSG sieht auch für den Bereich der MRT zukünftig eine Fachkunde vor, ohne deren Erwerb eine Erbringung der Leistungen, wie nach der Röntgenverordnung (RöV) unzulässig ist. Das NiSG ist am 29.07.2009 vom Bundestag verabschiedet worden (BGBL. I, S. 2433). Die Anforderungen an die notwendige Fachkunde sollen nach § 5 Abs. 1 NR. 2 NiSG auf der Basis des Gesetzes in einer Verordnung konkretisiert werden, die derzeit vom Bundesumweltministerium erarbeitet wird. Dies gilt ebenso für die Abnahme entsprechender Prüfungen. Die Einführung einer Fachkunde für die MRT führt dazu, dass eine fachgebietsfremde Erbringung dieser Leistung generell nicht zulässig ist.

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Computertomografie, konventionelles Röntgen

Bei der Anwendung von Röntgenstrahlen, wozu nach § 2 Nr. 1 RöV die technische Durchführung und Befundung einer Röntgenuntersuchung oder die Überprüfung und Beurteilung des Ergebnisses einer Röntgenbehandlung nach Stellung der rechtfertigenden Indikation zählen, ergeben sich durch den Beschluss des BVerfG vom 01.02.2011 keine Änderungen gegenüber der bisher geltenden Rechtslage.

Die Anwendung von Röntgenstrahlen setzt stets die Erfüllung der rechtlichen Vorgaben voraus, die für die Anwendung von Röntgenstrahlen am Menschen in der Heilkunde vorgesehen sind. Dazu zählt insbesondere die Röntgenverordnung (RöV, in der Fassung vom 30.04.2003) und die „Richtlinie Fachkunde und Kenntnisse im Strahlenschutz bei dem Betrieb von Röntgeneinrichtungen in der Medizin oder Zahnmedizin“ (in der Fassung vom 22.12.2005). Aus dem Beschluss des BVerfG folgt daher (selbstverständlich) nicht die Befugnis für approbierte Ärzte ohne Fachkunde im Strahlenschutz im Rahmen der 5%-Klausel Röntgenleistungen zu erbringen, die der RöV unterliegen. Dem Schutz der ärztlichen Berufsfreiheit ist vom BVerfG allein mit Blick auf den Zweck der Regelung des Gebots zur Beachtung der Fachgebietsgrenzen nach den Heilberufs- und Kammergesetzen der Länder der Vorrang eingeräumt worden. Der Zweck der gesetzlichen Regelung besteht darin, die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten eines Facharztes auf seinem Gebiet zu erhalten. Der Zweck der RöV als Recht der Gefahrenabwehr ist hingegen ein anderer und besteht darin, die Allgemeinheit und den Einzelnen bei der Anwendung von Röntgenstrahlen vor Strahlenexpositionen zu schützen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, dass Personen, die Röntgenstrahlen anwenden, über die erforderliche Fachkunde im Strahlenschutz verfügen. Daher setzt die Stellung der rechtfertigenden Indikation, die technische Durchführung und die Befundung einer Röntgenuntersuchung voraus, dass die anwendende Person über die erforderliche Fachkunde im Strahlenschutz gemäß §§ 23, 24 RöV verfügt. Radiologische Leistungen, die unter die RöV fallen, können von daher auch weiterhin von Ärzten, die über keine entsprechende Fachkunde verfügen, auch nicht im geringen Umfang, nicht erbracht werden.

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Ambulante vertragsärztliche Versorgung

Auf die Erbringung radiologischer Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung hat der Beschluss des BVerfG ebenfalls keine Auswirkungen. Die bereits nach seiner früheren Rechtsprechung gebilligte Beschränkung der vertragsärztlichen Abrechnung unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit der Versorgung ließ das BVerfG ausdrücklich unangetastet und verwies insbesondere auf seine Entscheidung zur Zulässigkeit des Verbots der Erbringung von MRT-Leistungen gegenüber sämtlichen ärztlichen Fachgebieten, außer der Radiologie und der Nuklearmedizin.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind in der vertragsärztlichen Versorgung Einschränkungen der ärztlichen Tätigkeit zulässig, die über das ärztliche Berufs- und Weiterbildungsrecht hinausgehen, da sie dem Gemeinwohl dienen. Durch die gesetzlichen Regelungen werden gesundheitspolitische Ziele der Qualitätsverbesserung für die Versicherten neben finanzpolitischen Zielen der Kostendämpfung angestrebt. Das BVerfG hat es daher auch gebilligt, dass die Partner der Bundemantelverträge nach § 135 Abs. 2 SGB V berechtigt sind, in den sog. Qualitätssicherungsvereinbarungen besondere Anforderungen an die Ausführung der ärztlichen Leistungen, an die Kenntnisse und Erfahrungen (sog. Fachkundenachweis) sowie an die Praxisausstattung festzulegen. Auch die durch das GKV-Modernisierungsgesetz zum 01.01.2004 in § 135 Abs. 2 S. 4 SGB V eingefügte Regelung, mit der die Partner der Bundesmantelverträge berechtigt sind, Regelungen zu treffen, nach denen die Erbringung bestimmter medizinisch-technischer Leistungen den Fachärzten vorbehalten ist, für die diese Leistungen zum Kern ihres Fachgebiets gehören, ist vom BVerfG als verfassungskonform angesehen worden (BVerfG, Beschl. v. 08.07.2010, Az.: 2 BvR 520/07; vgl. hierzu Fortschr Röntgenstr 2011; 183: 401–404). Das BVerfG stellt insoweit fest, dass zur Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Beschränkung auf den engeren Bereich der fachärztlichen Tätigkeit zulässig ist. Das Vertragsarztrecht knüpfe zwar grundsätzlich an das Berufsrecht an, sei aber in seinen Anforderungen nicht notwendig deckungsgleich mit ihm. Insoweit könnten sich aus dem System der GKV Besonderheiten ergeben, die geeignet seien, weiterreichende Einschränkungen zu rechtfertigen als dies berufsrechtlich vorgesehen sei.

Für die Ausführung und Abrechnung kernspintomografischer Leistungen im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung gilt danach weiterhin, dass diese den in § 4 Abs. 1 Nr. 2 KernspinV vorgesehenen Fachgebieten und Schwerpunktbezeichnungen (Diagnostische Radiologie, Kinderradiologie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin) vorbehalten sind. Damit sind Ärzte ohne die entsprechende Weiterbildung aus Gründen der Qualitätssicherung und zur Sicherung der finanziellen Stabilität und Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung von der Erbringung kernspintomografischer Leistungen ausgeschlossen.

Bei der Erbringung radiologischer Leistungen, die unter den Anwendungsbereich der RöV fallen, ergeben sich zukünftig durch den Beschluss des BVerfG ebenfalls keine Änderungen. Die Leistungen der diagnostischen Radiologie, der allgemeinen Röntgendiagnostik, der Mammografie, der Computertomografie, der Strahlentherapie und der Nuklearmedizin unterliegen nach § 2 der Vereinbarung zur Strahlendiagnostik und -therapie einem Genehmigungsvorbehalt. Für den Erhalt der Genehmigung ist regelmäßig erforderlich, dass die für den Strahlenschutz erforderliche Fachkunde nach § 3 RöV nachgewiesen wird. Die Anforderungen der RöV gelten danach auch in der GKV uneingeschränkt und werden durch den Beschluss des BVerfG nicht verändert.

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Fachfremde Leistungserbringung durch Radiologen

Als weitere Auswirkung des Beschlusses des BVerfG stellt sich die Frage der Erweiterung der Möglichkeiten zur Erbringung von fachgebietsfremden Leistungen durch das Fachgebiet der Radiologie. Das Fachgebiet der Radiologie ist als methodendefiniertes Fachgebiet grundsätzlich in deutlicherem Maße an die in den Weiterbildungsordnungen beschriebenen Inhalte gebunden, als die therapeutisch tätigen Fächer, weil durch den Katalog der diagnostischen und therapeutischen Verfahren in den Weiterbildungsordnungen die Grenzen des Fachgebiets bereits im Detail umschrieben werden. Das BSG hat z.B. in einem Urteil vom 18.09.1973 (Az.: 6 RKa 14/72) festgestellt, dass die Elektrokardiografie als diagnostische Methode zur Aufzeichnung der Aktionsströme des Herzens unter Benutzung der Elektrizität in das Fachgebiet der Radiologie nicht einbezogen worden sei. Radiologen seien deshalb, abgesehen von den Fällen in denen bestimmte Untersuchungen die Verbindung von Röntgenologie und Elektrokardiografie medizinisch forderten, zur unbeschränkten und systematischen Erbringung von EKG-Leistungen nicht berechtigt, weil dieses Verfahren für diese Fachgruppe fachgebietsfremd sei. Der Einwand des klagenden Radiologen, wonach der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) dadurch verletzt sei, dass andere Fachärzte (Internisten, Chirurgen) grundsätzlich über die Grenzen ihres Fachgebiets hinaus (teil-) röntgenologisch tätig sein dürften, nicht aber Radiologen (teil-) elektrokardiografisch, wurde vom BSG nicht akzeptiert. Einerseits sei klarzustellen, dass die Weiterbildungsordnung eine Betätigung der Chirurgen und Internisten unter der ausdrücklichen Bezeichnung als „Teil-Röntgenologen“ nicht vorsieht. Im Übrigen sei die Röntgendiagnostik für diese Ärzte nicht fachfremd, da sie die röntgenologischen Untersuchungen in weitem Umfange – anders als Radiologen elektrokardiografische – fachgebunden benötigen würden, um die in ihren Fachgebieten zu behandelnden Gesundheitsstörungen zu erkennen. Aufgrund dessen sei es nicht willkürlich, sondern sachgerecht, wenn die Berechtigung der Internisten und Chirurgen zur Röntgendiagnostik anders beurteilt werde als die der Radiologen zu EKG-Leistungen. Das Urteil des BSG macht deutlich, dass therapeutisch tätige Fächer eher die Erbringung von diagnostischen Leistungen für sich beanspruchen können als umgekehrt der Radiologe therapeutische Leistungen. Für das Fachgebiet der Radiologe dürfte der Beschluss des BVerfG daher hilfreich sein, zukünftig auch therapeutische und diagnostische Leistungen erbringen zu dürfen, die nicht zu ihrem Fachgebiet gehören.

Der Beschluss des BVerfG erlaubt daher Fachärzten für Radiologie, ebenso wie anderen Fachgebieten, zukünftig eine systematische fachgebietsfremde Tätigkeit, soweit diese nur in einem geringen Umfang ausgeübt wird. Diese Option dürfte bei Privatpatienten unproblematisch bestehen, während sie bei GKV-Patienten dagegen schwieriger zu begründen ist.

Für GKV-Patienten dürfte diese Möglichkeit nur bestehen, wenn der Radiologe die fachfremden Leistungen in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit den in sein Fachgebiet fallenden Untersuchungen durchführt. Dieser Umstand beruht auf der Tatsache, dass Radiologen, wie andere sog. methodendefinierten Fachgebiete in der GKV nach § 13 Abs. 4 BMV-Ä bzw. § 7 Abs. 4 EKV generell nur auf Überweisung eines anderen Vertragsarztes in Anspruch genommen werden können. Eine Ausnahme besteht lediglich für das Mammografie-Screening. Die auf Überweisung tätigen Fachgebiete haben daher anerkanntermaßen keine nennenswerte Möglichkeit, ihren Verordnungsumfang selbst zu bestimmen. Die Beschränkung der Radiologen und anderer Fachgruppen auf bloße Überweisungsfälle ist nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. BSGE 58, 18, 21 ff.) und des BVerfG (Beschl. V. 17.06.1999, Az.: 1 BvR 1500/97) rechtlich nicht zu beanstanden. Der Überweisungsvorbehalt führt bei realistischer Betrachtung dazu, dass für Radiologen die Möglichkeit besteht, radiologische und fachfremde Leistungen von ein und demselben Arzt nur in einem zeitlich einheitlichen Untersuchungsprogramm durchzuführen.

Im Übrigen muss einschränkend auf § 24 Abs. 3 und 4 BMV-Ä bzw. § 27 Abs. 3 und 4 EKV verwiesen werden. Nach § 24 Abs. 3 BMV-Ä kann eine Überweisung an einen anderen Arzt erfolgen zur Auftragsleistung als Zielauftrag. Dies ist bei dem Überweisungsauftrag an den Radiologen in der Regel der Fall. Ein Zielauftrag bedeutet jedoch, dass der Radiologe vom Inhalt und Umfang an den Überweisungsauftrag gebunden ist, von diesem prinzipiell nicht abweichen und ihn auch nicht erweitern darf. Diese Besonderheiten in der Leistungserbringung belegen, dass fachfremde Tätigkeiten in der GKV für Radiologen grundsätzlich schwierig umzusetzen sein dürften, zumal bei einem Verstoß gegen diese Vorgaben kein Honoraranspruch gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung für die Leistungen besteht.

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Geringfügiger Anteil

Das BVerfG hat bereits in früheren Entscheidungen festgestellt, dass wegen der nur „grundsätzlichen“ Verpflichtung zur Begrenzung auf das Fachgebiet eine Toleranzbreite anzuerkennen ist, innerhalb derer eine vereinzelte fachfremde Tätigkeit durch den Arzt akzeptiert werden muss. In der aktuellen Entscheidung hat das BVerfG nun festgestellt, dass ein geringfügiger Anteil fachgebietsfremder Leistungen jedenfalls bei weniger als 5% anzunehmen ist.

Damit bestätigt das BVerfG eine prozentuale Grenze, die in den meisten Kassenärztlichen Vereinigungen als geringfügig angesehen worden ist. Bei der Anerkennung einer Toleranzbreite hat man vor allem an die einzelnen Behandlungsfälle gedacht, mit denen sich der Arzt in seiner täglichen Praxis befassen muss. Ihre Vielgestaltigkeit zwingt den Arzt, um dem Bedürfnis der Praxis gerecht zu werden, im Rahmen seiner Behandlung auch hin und wieder Leistungen zu erbringen, die als solche nicht mehr zu seinem Fachgebiet gehören. Von Kassenärztlichen Vereinigungen wurden daher z.T. ausdrücklich, z.T. stillschweigend fachfremde Leistungen in einem Umfang bis zu 5% des Gesamtleistungsvolumens hingenommen. Aus der zugestandenen Toleranzbreite konnte aber nach Ansicht des BSG bisher keine grundsätzliche Ermächtigung des Gebietsarztes hergeleitet werden, bestimmte fachfremde Leistungen generell in sein Leistungsangebot einzubeziehen. Dazu war er auch dann nicht berechtigt, wenn der Gesamtaufwand für diese Leistungen weniger als 5% des Gesamtaufwandes aller seiner Leistungen ausgemacht hätte.

Diese Auffassung dürfte sowohl in der privatärztlichen als auch in der vertragsärztlichen Versorgung nach der Entscheidung des BVerfG nicht mehr aufrechterhalten werden können. Sowohl die Grenze von 5% als auch die systematische Erbringung der fachfremden Leistungen sind daher zukünftig als zulässig anzusehen. Für die vertragsärztliche Versorgung dürften diese Aussagen ebenfalls gelten, soweit die ärztliche Leistungserbringung nicht zusätzlich durch Qualitätssicherungsvereinbarungen oder Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses reglementiert wird. Dies ist im Einzelfall für die jeweilige Leistung genau zu prüfen.

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Fazit

Die Auswirkungen des Beschlusses des BVerfG vom 01.02.2011 zur Zulässigkeit der Erbringung fachfremder Leistungen sind für das Fachgebiet der Radiologie eher als gering einzustufen. Einerseits werden andere Fachgebiete durch den Beschluss nicht in einem größeren Umfang zur Erbringung von radiologischen Leistungen berechtigt, da die Vorgaben der RöV dies nicht erlauben. Auch im Bereich der privatärztlichen Erbringung von MRT-Leistungen sind die Anforderungen der „Zusatzweiterbildung fachgebundene Magnetresonanztomografie“ zu beachten, die eine Erbringung dieser Leistungen nur nach erfolgreichem Abschluss der Weiterbildung erlauben. Schließlich ist eine fachgebietsfremde Erbringung von radiologischen Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung, aufgrund des Genehmigungsvorbehalts in der Kernspintomografie-Vereinbarung und der Vereinbarung zur Strahlendiagnostik und –therapie ausgeschlossen. Demgegenüber ermöglicht der Beschluss Radiologen zukünftig, ebenso wie anderen Fachgebieten, bei Privatpatienten eine systematische fachgebietsfremde Tätigkeit, soweit diese geringfügig bleibt. In der GKV bedingen Überweisungsvorbehalt und Zielauftrag dagegen weiterhin eine Beschränkung des ärztlichen Auftrags.

Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt Fachanwalt für Medizinrecht

Anke Harney
Rechtsanwältin
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