Der Klinikarzt 2011; 40(2): 66-67
DOI: 10.1055/s-0031-1275186
Medizin & Management

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Ärztemangel im Krankenhaus - Tendenz steigend?

DKI-Gutachten prognostiziert: 2019 fehlen 37 000 Ärzte
Further Information

Publication History

Publication Date:
04 March 2011 (online)

 
Table of Contents

Auch im Krankenhaus lässt sich der Ärztemangel nicht mehr verleugnen. Das Gutachten des Deutschen Krankenhausinstituts e. V. (DKI) "Ärztemangel im Krankenhaus" prognostiziert für das Jahr 2019, dass mehr als 37 000 Ärzte fehlen. Die meisten davon in den Kliniken, fürchtet Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Wenn die Prognose eintritt, hätte das deutsche Gesundheitswesen ein massives Versorgungsproblem. Schon jetzt können laut DKI-Studie 5500 Arztstellen in deutschen Kliniken nicht besetzt werden - Tendenz steigend.

Zwar ist die Zahl der hauptamtlichen Krankenhausärzte von 2000 bis 2008 um 25 % auf 139 300 Ärzte gestiegen, aber für die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) steht das nicht im Widerspruch zu dem zu beobachtenden Ärztemangel im Krankenhaus. Der Anstieg sei ein eher theoretischer Wert: basierend auf statistischen Effekten wie die Zunahme ärztlicher Teilzeitkräfte (+12 200), die Abschaffung des Arztes im Praktikum und eine damit verbundenen Änderung in der amtlichen Statistik (+10 370). Darüber hinaus wirken sich auch die Arbeitszeitverkürzungen des neuen Arbeitszeitrechts auf die stationäre Versorgung aus.

#

Status quo des Ärztemangels

Realität ist, dass sich die Zahl der Allgemeinkrankenhäuser, die Probleme mit der Besetzung ärztlicher Stellen haben, von 2006 bis 2009 fast verdreifacht hat. Hatten 2006 nur 28 % der Häuser Probleme, waren es 2009 schon 80 %. Anfang 2010 konnten rund drei Viertel der Krankenhäuser (74,2 %) ihre offenen Stellen nicht mehr besetzen. Hochgerechnet fehlen bundesweit 5500 Vollkraftstellen; das sind im Mittel 3,6 Stellen des ärztlichen Dienstes, die durchschnittlich rund 3 Monate vakant sind (Abb. [1]).

Zoom Image

Abb. 1 Nicht besetzte Stellen im Ärztlichen Dienst nach Krankenhausgröße - Krankenhäuser mit Stellenbesetzungsproblemen [1].

Vor diesem Hintergrund hatte die DKG das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) mit einer empirischen Studie zur aktuellen und künftigen Situation im Ärztlichen Dienst der Krankenhäuser beauftragt. Die Studie basiert auf 2 Forschungsmodulen: eine schriftliche Repräsentativbefragung von insgesamt 450 Krankenhäusern sowie Sekundäranalysen der amtlichen Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamtes bzw. der Ärztestatistik der Bundesärztekammer. Analysiert wurde der Ärztemangel bzw. -bedarf nach typischen Merkmalen wie Krankenhausgröße, Trägerschaft, regionaler Lage etc. und Arztmerkmalen wie Fachgebiet und funktionale Stellung. Demnach sind vor allem kleinere Krankenhäuser bis 300 Betten (6,3 % offene Stellen bundesweit), Psychiatrien (7,1 %) und Krankenhäuser in ländlichen Räumen (5,0 %) betroffen. In Universitätskliniken (1,8 %) und bei Krankenhäusern in privater Trägerschaft (3,1 %) ist der Ärztemangel dagegen eher unterdurchschnittlich. Auch bei der regionalen Verteilung gibt es deutliche Unterschiede: In Bayern (3,3 %) und Baden-Württemberg (3,6 %) fällt er etwas niedriger aus als im übrigen Bundesgebiet. Überproportional fällt der Ärztemangel bei den Assistenzärzten aus. 4,8 % der Assistenzarztstellen mit oder in der Weiterbildung können derzeit nicht besetzt werden. Dagegen blieben von den Oberarztstellen nur 3,3 % vakant, bei den Chefärzten lediglich 1,0 %. Nach Fachgebieten aufgeteilt, sind vor allem die Psychiatrie mit 5,9 % und die Innere Medizin mit 5,6 % überdurchschnittlich vom Ärztemangel betroffen.

#

Ursachen und Wirkung

Als Hauptübel macht die Studie die Novellierung des Arbeitszeitrechts aus dem Jahre 2004 aus. Die gesetzliche Pflicht, bisherige inaktive Bereitschaftsdienstzeiten als Arbeitszeit anzuerkennen, führte zu einem erheblichen Mehrbedarf an ärztlichem Personal. Die hohe Schwundquote vom ersten Fachsemester des Medizinstudiums bis zum Beginn der Weiterbildung im Krankenhaus und die zunehmende Abwanderung von Ärzten ins Ausland sind weitere Ursachen. Von 2000 bis 2008 sind rund 19 300 Ärzte aus Deutschland abgewandert, aber nur rund 13 900 Ärzte zugewandert. Die Motive sind bekannt: hohe Arbeitsbelastungen, lange Arbeitszeiten sowie mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. Privatleben. Auch der zunehmende Frauenanteil unter Medizinstudenten und Ärzten begünstigt den Ärztemangel. Bei weiblichen Ärzten ist die Teilzeitquote höher; außerdem sind Frauen mehr an geregelten Arbeitszeiten oder einer längeren Elternzeit interessiert als Männer.

#

Prognose

Maßgeblich für die Entwicklung der Arztzahlen bis 2019 sind der Ersatzbedarf für die Ärzte, die wegen Abwanderung und Verrentung aus der Versorgung ausscheiden, der Mehrbedarf an zusätzlichen Ärzten aufgrund steigender Fallzahlen und Teilzeitquoten sowie der erwartete Zugang neuer Ärzte. Die Studie kommt auf einen Ersatzbedarf bis 2019 von 108 260 Ärzten, der sich aus der altersbedingten Berufsaufgabe von 18 940 Krankenhausärzten bzw. 51 800 Vertragsärzten errechnet. Weitere Faktoren sind Abwanderungen von 11 330 Ärzten ins Ausland sowie altersbedingte Berufsaufgaben von Ärzten in sonstigen ambulanten Tätigkeiten (9990 Ärzte), in Rehabilitationseinrichtungen (1300 Ärzte), bei Behörden, Körperschaften und andere Bereichen (14 900 Ärzte) (Tab. [1]). Der Mehrbedarf an Ärzten bis 2019 liegt bei knapp 31 000 Ärzten (Tab. [2]). Aktuell fehlen 6000 Krankenhausärzte (Beschäftigte oder "Köpfe", das entspricht 5500 Vollkraftstellen) und 3600 Nachfolger für vakante Vertragsarztsitze. Darüber hinaus fehlen infolge Demografie bedingter Fallzahlsteigerungen in den verschiedenen Versorgungssektoren 10 640 Ärzte sowie durch die Steigerung der Teilzeitquoten weitere 11 190 Ärzte.

Zoom Image

Tab. 1 Ersatzbedarf an Ärzten bis 2019 [1].

Zoom Image

Tab. 2 Mehrbedarf an Ärzten bis 2019 [1].

Der Zugang neuer Ärzte hängt von der Zahl der Studienabsolventen ab. Je nach Schwundquote im Medizinstudium liegt diese bis 2019 bestenfalls bei 145 320 (Drop-out 0 %) und schlimmstenfalls bei 79 930 Neuzugängen (Drop-out 45 %). Gemäß der aktuellen Drop-out-Rate von rund 30 % sind 101 720 Neuzugänge an Ärzten zu erwarten (Status-Quo-Szenario). Aufgrund des errechneten Mehrbedarfs von 31 000 Ärzten und des Ersatzbedarfs von 108 000 Ärzten kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass das System zur Bedarfsdeckung bis zum Jahr 2019 einen Zugang von 139 000 Ärzten benötigt. Geht man von der realistischsten Schwundquote von 30 % aus, würden etwa 37 400 Ärzte fehlen.

#

Gegenmaßnahmen zum Ärztemangel

Viele Krankenhäuser setzen bei der Bekämpfung des Ärztemangels auf finanzielle Anreize wie die Unterstützung von Fortbildungen und Kongressen, außer- oder übertarifliche Bezahlungen, Leistungsprämien, Boni oder die Vorweggewährung von Aufstiegsstufen. Mehr als 60 % der Krankenhäuser beauftragen bereits Personalagenturen zur Arztsuche bzw. beschäftigen sog. Honorarärzte. Darüber hinaus akquirieren 39 % der Häuser gezielt Ärzte im Ausland; ein Viertel der Einrichtungen beschäftigt zeitlich befristet Vertragsärzte.

Familienfreundliche Arbeitsbedingungen bieten 19 % der Krankenhäuser mit betrieblichen Belegplätzen in Kinderbetreuungseinrichtungen der Umgebung an; 15 % halten betriebseigene Betreuungseinrichtungen vor.

#

Handlungsempfehlungen

Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass der Abbau der Versorgungsgrenzen zwischen dem ambulanten und stationären Sektor die knappen ärztlichen Ressourcen zwischen den Sektoren effizienter verteilen werde. Dafür müssten Krankenhaus- oder Institutsambulanzen für die ambulante Versorgung geöffnet werden. Im Gegenzug sollten aber auch freiberufliche Fachärzte stärker als bislang an der Patientenversorgung im Krankenhaus mitwirken können.

Unumgänglich sei die Delegation ärztlicher Tätigkeiten, die zur Entlastung der Ärzte an andere Gesundheitsberufe oder an neue Berufsgruppen delegiert werden könnten. Auch eine Entbürokratisierung wird als Gegenmaßnahme gesehen. Die fortwährende Ausweitung von Dokumentationsanforderungen durch Politik, Selbstverwaltung, Kostenträger und MDK müsse gestoppt werden. Krankenhäuser könnten durch Standardisierung und Delegation der Dokumentation sowie innovative technische Lösungen zur Reduktion des Dokumentationsaufwandes im Ärztlichen Dienst beitragen.

In der mitarbeiterorientierten Weiterbildung, wie Tutoren- oder Mentorensystemen, standardisierten Weiterbildungsplänen, regelmäßigen Weiterbildungsgesprächen oder der festen Zusage der Einhaltung vorgesehener Weiterbildungszeiten sieht die Studie geeignete Instrumente und empfiehlt die Weiterbildungsordnungen auf Straffungs- und Verschlankungspotenziale zu überprüfen. Familienfreundliche Arbeitsbedingungen, wie bedarfsgerechte betriebliche Kinderbetreuung, flexible Arbeitszeiten und Wiedereinstiegsprogramme während der Elternzeit, werden als wesentlicher Standort- und Wettbewerbsfaktor gesehen.

Letztlich sei der Ärztemangel im Krankenhaus ein Problem, das trotz aller krankenhausseitigen Verbesserungsmöglichkeiten in hohem Maße durch den Mangel an verfügbaren Fachkräften bedingt sei. Mittelbar müsse der Ersatz- und Mehrbedarf an Ärzten komplett über den Krankenhausbereich gedeckt werden, weil die Neuzugänge hier ihre Weiterbildung absolvieren. Gelingt es nicht, die hohe Abbrecherquote während des Medizinstudiums und in der Übergangsphase zwischen Studium und Aufnahme der ärztlichen Tätigkeit zu senken, würden die Krankenhäuser am frühesten und drastischsten der Mangel an ärztlichem Nachwuchs zu spüren bekommen.

Anne Marie Feldkamp, Bochum

#

Quelle

  • 1 Blum K, Löffert S. Deutsches Krankenhausinstitut (DKI) .Ärztemangel im Krankenhaus - Ausmaß, Ursachen, Gegenmaßnahmen. Im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Düsseldorf, Oktober 2010
#

Quelle

  • 1 Blum K, Löffert S. Deutsches Krankenhausinstitut (DKI) .Ärztemangel im Krankenhaus - Ausmaß, Ursachen, Gegenmaßnahmen. Im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Düsseldorf, Oktober 2010
 
Zoom Image

Abb. 1 Nicht besetzte Stellen im Ärztlichen Dienst nach Krankenhausgröße - Krankenhäuser mit Stellenbesetzungsproblemen [1].

Zoom Image

Tab. 1 Ersatzbedarf an Ärzten bis 2019 [1].

Zoom Image

Tab. 2 Mehrbedarf an Ärzten bis 2019 [1].