Seit Langem ist Phosphat als ein "Kalzifizierungspromotor" bekannt. Ein hoher Serumphosphatspiegel
begünstigt die Entstehung von Gefäß- und Weichteilverkalkungen und ist mit einer deutlich
erhöhten Mortalität der Patienten assoziiert [1]. Recht neu ist hingegen die Erkenntnis, dass hohes Phosphat - und eben nicht wie
bislang angenommen ein Mangel an 1,25-OH-Vitamin D bei urämischen Patienten - der
Auslöser für die Entstehung eines sekundären Hyperparathyreoidismus (sHPT) sein könnte.
Der sHPT ist eine häufige Begleiterkrankung der chronischen Niereninsuffizienz, die
ebenfalls mit vaskulären Verkalkungen sowie Verkalkungen des Weichteilgewebes und
einer erhöhten Mortalität einhergeht. Eine möglichst frühe Erkennung und Behandlung,
bestenfalls eine sHPT-Prävention, ist daher erforderlich. Dabei wird zukünftig die
Phosphatkontrolle einen zentralen Stellenwert einnehmen, so die einhellige Meinung
der Teilnehmer des 6. Interaktiven Experten-Forums in Frankfurt.
FGF-23 - ein "Frühwarnsystem" für eine erhöhte Phosphatretention
FGF-23 - ein "Frühwarnsystem" für eine erhöhte Phosphatretention
Prof. Danilo Fliser, Homburg/Saar, führte in diesem Zusammenhang die Bedeutung des
kürzlich entdeckten Phosphatonins FGF-23 ("fibroblast growth factor 23") aus. Das
FGF-23 ist ein wichtiger Regulator des Mineralstoffmetabolismus: Eine hohe Phosphatbelastung
führt zur vermehrten FGF-23-Freisetzung, was dann über die Abnahme der renalen und
intestinalen Phosphatresorption die Phosphatbalance wieder herstellt [2]-[4]. Mit diesem Regulationsmechanismus versucht der Organismus, hohe Phosphatwerte so
lange wie möglich auszugleichen, was allerdings nicht ohne Nebeneffekte abläuft: FGF-23
senkt auch die 1,25-OH-Vitamin-D-Spiegel und drosselt die Kalziumresorption aus dem
Darm. In der Folge kommt es zur klassischen "sHPT-Konstellation", zu Hypokalzämie
und Vitamin-D-Mangel.
Beides wurde bislang als Ursache für den sHPT verstanden. Heute weiß man, dass diese
beiden Erscheinungen bereits eine Folge der erhöhten Phosphatretention sind und man
beim Phosphat beginnen muss, will man das "Übel" sHPT an der Wurzel packen. Fliser
stellte sogar die gewagte Hypothese auf, dass der Vitamin-D-Mangel in der Allgemeinbevölkerung
phosphatbedingt sein könnte, da sich der Phosphatgehalt der Lebensmittel in den vergangenen
Jahrzehnten dramatisch erhöht habe. Umso schwieriger ist es für Patienten mit chronischer
Nierenerkrankung (CKD: "chronic kindey disease"), ihren Mineralstoffhaushalt in Balance
zu halten.
Steigendes FGF-23 ist bereits ein Zeichen für die erhöhte Phosphatretention bei CKD-Patienten,
selbst wenn die Serumphosphatwerte noch im Normalbereich liegen. Bei einer langanhaltend
hohen Phosphatzufuhr versagt der Regulationsmechanismus allerdings nach einiger Zeit,
dann beginnt auch der Serumphosphatspiegel zu steigen. FGF-23 wäre somit ein sensitives
Frühwarnsystem für eine erhöhte Phosphatretention und könnte zukünftig als Parameter
herangezogen werden, um über den Beginn einer phosphatsenkenden Intervention (Diät,
Phosphatbinder) zu entscheiden. In jedem Fall scheint eine frühzeitige Therapie sinnvoll,
nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Prävention des sHPT.
Frühzeitige Phosphatsenkung - aber wie?
Frühzeitige Phosphatsenkung - aber wie?
Diskutiert wurde in Frankfurt allerdings nicht nur, wann eine phosphatsenkende Therapie
beginnen, sondern auch, wie sie erfolgen sollte. Dr. Patrick Biggar, Coburg, warf
in seinem Vortrag zur Phosphat-kontrolle daher die Frage "Kalziumhaltig oder nicht
kalziumhaltig?" auf. 2005 empfahl die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zur
wirtschaftlichen Verordnungsweise den Einsatz von kalziumhaltigen und mit Einschränkungen
auch von aluminiumhaltigen Phosphatbindern, die Gruppe der kalzium- und aluminiumfreien
Präparate wurde hingegen nur in Ausnahmefällen befürwortet [5].
Biggar nahm zu dieser Empfehlung kritisch Stellung, denn letztlich habe die Dialysebehandlung
längst nicht mehr nur die Aufgabe der Enturämisierung und des Flüssigkeitsentzugs,
sondern sie soll auch einen adynamen Knochen, Weichteilverkalkungen und eine Beladung
mit möglicherweise toxischen Stoffen vermeiden. Da sowohl Aluminium als auch Kalzium
resorbiert werden, ist eine Akkumulation im Körper wahrscheinlich. Bei Aluminiumanreicherungen
sind mögliche Langzeitfolgen wie Enzephalopathie, Osteomalazie und Anämie bekannt.
Die Resorption von Kalzium könnte Kalzifizierungsprozesse beschleunigen.
So verwies Biggar auf eine experimentelle Studie von Shroff et al. [6], der zufolge die Gabe von mäßig hohem Phosphat und hohem Kalzium die Kalziumbeladung
in der Gefäßwand erhöht - und zwar signifikant stärker als die alleinige Phosphatbeladung.
In dieser Untersuchung erwies sich Kalzium als ein stärkerer Induktor von Kalzifizierungen
als Phosphat, obwohl die jeweiligen Kalziumphosphatprodukte vergleichbar waren. Selbst
für den Einsatz in der Allgemeinbevölkerung wächst derzeit die Skepsis bezüglich einer
Kalziumsupplementierung, da sie mit einer höheren Rate an kardiovaskulären Ereignissen
assoziiert ist [7], aber den Knochenstatus auch bei zusätzlicher Vitamin-D-Substitution nur geringfügig
verbessert [8]. Allerdings dürfe Kalzium nicht als ausschließlicher Promotor der Gefäßverkalkung
bei CKD-Patienten erachtet werden, so Biggar, da der Kalzifizierungsprozess multifaktoriell
bedingt sei. Eine wichtige Rolle spielt beispielsweise ein Versagen bestimmter zellulärer
Schutzfunktionen gegen die Verkalkung - so haben die Patienten eine geringere Konzentration
des "Verkalkungsinhibitors" Fetuin-A -, aber auch die Inflammation.
"Add-on"-Effekt: Einfluss von Sevelamer auf Inflammation und Gefäßelastizität
"Add-on"-Effekt: Einfluss von Sevelamer auf Inflammation und Gefäßelastizität
Die CRP-Werte (CRP: C-reaktives Protein) von Dialysepatienten sind im Vergleich zur
Normalbevölkerung bis zu 10-fach erhöht. Die Inflammation korreliert mit einem Anstieg
der Mortalität, ist aber auch mit einer Zunahme von Gefäßverkalkungen assoziiert [9], [10]. In einer prospektiven randomisierten Studie [11] konnte gezeigt werden, dass die Therapie mit dem kalzium- und metallfreien Phosphatbinder
Sevelamer nicht nur das Phosphat effektiv senkt, sondern auch die Inflammation: Während
die Therapie mit kalziumhaltigen Phosphatbindern das CRP leicht erhöhte, nahm es unter
Sevelamer signifikant ab (p = 0,001).
Darüber hinaus verbesserte sich auch ein Parameter der endothelialen Dysfunktion:
Die flussvermittelte Dilatation (FMD: "flow mediated dilatation") war in der Sevelamergruppe
signifikant stärker als in jener Patientengruppe, die kalziumhaltige Phosphatbinder
erhalten hatte. Der FMD-Test, ein sonografisch gemessener Funktionstest der Endothelien,
zeigt die Ausdehnungsfähigkeit der Arteria brachialis nach 5 Minuten Ischämie an.
Je stärker die Dilatation ist, desto gesunder sind die Gefäße. Stark verkalkte Gefäße
haben hingegen eine geringe Elastizität. Die unter Sevelamer verbesserte Dilatationsfähigkeit
könnte also ein Hinweis auf einen verringerten Kalzifizierungsgrad sein - zumal die
gleiche Studie auch zeigte, dass unter Sevelamer die Konzentration des Verkalkungsinhibitors
Fetuin-A signifikant ansteigt, unter Therapie mit kalziumhaltigen Phosphatbindern
aber nahezu konstant blieb (Abb. [1]).
Abb. 1 Einfluss von Sevelamer auf inflammatorische Parameter und Gefäßelastizität.
FMD = "flow mediated dilatation", hs-CRP = hochsensitives C-reaktives Protein
PEP bei pädiatrischen Patienten erfolgreich
PEP bei pädiatrischen Patienten erfolgreich
Bei einer festen Phosphatbinderdosis besteht die Gefahr der Über- und Unterdosierung.
Letztere ist besonders häufig, da starre Einnahmeschemata in der Regel nicht die Zwischenmahlzeiten
berücksichtigen. PEP (Phosphat-Einheiten-Programm) ist ein Programm, das zu einer
flexiblen, dem Phosphatgehalt der Mahlzeit angepassten Phosphatbinderdosierung anleitet.
Die Teilnehmer lernen, ohne komplizierte Berechnungen und Tabellen die Phosphateinheiten
auf ihrem Teller einzuschätzen und die Phosphatbinder entsprechend zuzuteilen. Ein
erhoffter Nebeneffekt des PEP ist, dass ein "Phosphatbewusstsein" bei den Patienten
entsteht und sie auf phosphatreiche Lebensmittel verzichten.
Dr. Thurid Ahlenstiel, Hannover, stellte in Frankfurt ihre prospektive Studie zu PEP
an einem pädiatrischen Kollektiv vor [14]. 16 Kinder im Alter zwischen 4 und 17 Jahren erhielten mit ihren Eltern eine PEP-Schulung.
Das erfreuliche Ergebnis: Der Anteil der hyperphosphatämischen Kinder sank signifikant,
ebenso wie der mittlere Serumphosphatwert. Die mittlere Phosphatbindertagesdosis stieg
nach der Einführung des Programms von 6,3 ± 2,9 auf 8,2 ± 5,4 Tabletten an. Die eigenverantwortliche
Dosisanpassung führte also zu einer Verbesserung des Phosphatmanagements. Einziger
Wermutstropfen: PEP ermunterte die Kinder nicht, sich phosphatärmer zu ernähren –
die bessere Phosphatkontrolle wurde durch höhere Phosphatbinderdosen erreicht.
"Basisschutz" durch 1-mal täglich Sevelamer?
"Basisschutz" durch 1-mal täglich Sevelamer?
Neben diesen pleiotropen Effekten scheint Sevelamer auch über einen "Basisschutz"
gegen die Hyperphosphatämie zu verfügen: Biggar führte 2 Studien an, die beide den
phosphatsenkenden Effekt von Sevelamer 3-mal täglich versus 1-mal täglich verglichen
[12], [13]. In beiden Studien lagen die Serumphosphatwerte der Studienarme nicht so weit auseinander,
wie es zu erwarten gewesen wäre. Die 1-malige Gabe war zwar nicht ebenso effektiv
wie die 3-malige, führte aber ebenfalls zu einer signifikanten Phosphatsenkung [13], was allein durch eine kurzfristige intraluminale Phosphatbindung nicht erklärt
werden könne.
Biggar deutete diesen Effekt so, dass das nichtresorbierbare Sevelamer den Darm auskleide
und dadurch einen länger anhaltenden "Phosphatschutz" böte. Abschließend stellte er
die Frage in den Raum, ob es daher nicht sinnvoller sei, die derzeitige Verordnungsempfehlung
umzukehren und nichtkalziumhaltige Phosphatbinder als Basistherapie einzusetzen und
bei Bedarf diesen Basisschutz durch die Gabe von herkömmlichen Phosphatbindern aufzustocken.
Möglicherweise wäre es an der Zeit für einen Paradigmenwechsel.
Dr. Bettina Albers, Weimar
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg.
Die Beitragsinhalte stammen vom "6. Interaktiven Nephrologischen Experten-Forum",
veranstaltet von der Genzyme GmbH, Neu-Isenburg.
Autorin: Dr. Bettina Albers, PR-Agentur albersconcept, Weimar.
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