In bestimmten Situationen bereiten Hunde und Katzen ihren Haltern mitunter Last durch
Verhaltensauffälligkeiten. Oft werden sie dann in der Praxis vorgestellt mit dem Wunsch,
dem Tier zu helfen und sein Verhalten zu beeinflussen.
Grundsätze der Verhaltenstherapie
Grundsätze der Verhaltenstherapie
Die fachgerechte Herangehensweise bei Fragestellungen zum Thema Verhaltensproblematik
ist grundsätzlich wie folgt:
Schritt 1: Gründliche allgemeine klinische Abklärung des Tieres, um eine gesundheitliche Ursache
(z.B. Schmerzen, Infektionen, hormonelle Imbalanzen) für die Verhaltensänderung sicher
ausschließen zu können.
Schritt 2: Verhaltensmedizinische Abklärung des Tieres durch auf diesem Gebiet ausgebildete
Personen (inkl. der Beurteilung des Ausdrucksverhaltens, der Kontrolle der Haltungsbedingungen,
des täglichen Beschäftigungslevels und des Umgangs mit dem Tier sowie der Einschätzung
des Gefahrenpotentials). Anhand der erhobenen Daten wird dann ein individueller Therapieplan
erstellt, der sowohl Anteile der klinischen Behandlung (Einsatz von Medikamenten zur
Heilung/Linderung einer körperlichen Erkrankung, hormoneller Imbalanz oder Störung
im Neurotransmitterhaushalt), verhaltenstherapeutische Übungen, Managementmaßnahmen
als auch generelle Umstellungen in Bezug auf die Haltung, Beschäftigung oder Umgangsform
mit dem Tier umfassen kann.
Therapie von Angstpatienten
Therapie von Angstpatienten
Bei der Therapie von Angstproblemen ist die Kombination verhaltenstherapeutischer
Maßnahmen mit einer gezielten Pharmakotherapie dann sinnvoll bzw. notwendig, wenn
die verhaltenstherapeutischen Maßnahmen (inkl. Management) alleine nicht ausreichen,
um das Problem zu lösen.
Das häufige Erleben von Angst stellt eine schwerwiegende psychische Belastung des
Tieres dar und erfüllt den Zustand des Leidens. Therapiemaßnahmen, die nicht innerhalb
weniger Wochen zu einer deutlichen Linderung der Angst führen sowie Haltungsformen,
in denen schwere oder besonders häufig Angst ausgelöst wird, sind als tierschutzrelevant
zu betrachten.
Ziel der Therapie ist die Linderung des Angstgefühls (Anxiolyse). Zur Auswahl stehen angstlösende Beruhigungsmittel (Anxiolytika) und
Psychopharmaka sowie weitere Substanzen wie z. B. Nahrungsergänzungen, Futtermittel
und Pheromone (s.u.).
ACHTUNG: Da jede Form der Anxiolyse auch zu enthemmtem Verhalten führen kann, ist
im Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob dadurch nicht evtl. Gefahren entstehen können.
Neuroleptika (z.B. Acepromazin) sind in einer Angstsituation nicht Mittel der Wahl!
Diese Medikamente gehören zu einer anderen Wirkstoffgruppe als die Anxiolytika und
wirken hauptsächlich muskelrelaxierend (muskelentspannend). Neuroleptika legen das
Tier „lahm“, bewirken jedoch nicht den Zustand von psychischem Wohlbefinden. Konkret
bedeutet dies für das Tier: Es hat unter Umständen weiterhin (starke) Angst und wirkt
nur deshalb ruhig, da es sich aufgrund der Medikamentenwirkung nicht mehr (gut) bewegen
kann. Dies führt auf lange Sicht (z.B. beim wiederholten Einsatz bei Geräuschängsten)
zu einer Verschlechterung der Ausgangslage, weil das Tier dem Angstereignis mangels
Training schutzlos und durch die Medikamentenwirkung zudem handlungsunfähig gegenüber
steht.
Arzneimittel für den Angstpatienten
Arzneimittel für den Angstpatienten
Für den Einsatz im Rahmen der tiermedizinischen Verhaltenstherapie stehen 2 erprobte
Wirkstoffgruppen zur Verfügung: Benzodiazepine und Psychopharmaka. Bei beiden Medikamenten
ist zu beachten, dass ältere Patienten weniger Medikamente benötigen und dass diese
nur bei ausreichender Leber- und Nierenfunktion gegeben werden dürfen.
Benzodiazepine
Diazepam
Mittel der Wahl für Hund und Katze
vor
einem kurzen vorhersehbaren Angstereignis. Die Verabreichung sollte in Ruhe bzw. ruhiger Umgebung erfolgen, der volle Wirkungseintritt
wird innerhalb der ersten 15-45 Minuten erreicht und hält für ca. 3-4 Stunden an.
Nachdosierungen sind möglich, es besteht jedoch bei adipösen Patienten die Gefahr
der Kumulation, d.h. das Medikament sammelt sich im Fettgewebe an, wird langsam abgebaut
und die Wirkung hält länger an. Diazepam ist aufgrund der kurzen Wirkdauer nicht für
einen therapiebegleitenden Einsatz geeignet.
Unerwünschte Nebenwirkungen in Bezug auf das Verhalten: Torkeln, Müdigkeit, Appetitsteigerung,
Lerneinbußen, Orientierungsschwächen, Unzuverlässigkeit im Gehorsam (d.h. kein Freigang
oder Freilauf während des Behandlungszeitraumes!).
Dosierung Hund: 0,5-2,0 mg/kg KGW
Dosierung Katze: 0,1-1,0 mg/kg KGW
Spezieller Hinweis: Für Diazepam sind bei der Katze als seltene Nebenwirkung spontane Lebernekrosen (Absterben
von Leberzellen) beschrieben.
Alprazolam
Alprazolam ist das Mittel der Wahl vor einem vorhersehbaren länger andauernden Angstereignis
und direkt nach einem Angstereignis.
Alprazolam ist ein sehr potentes Anxiolytikum, daher muss bei längerer therapiebegleitender
Gabe auf ein besonders langsames Ausschleichen geachtet werden, um ein erneutes Aufkommen
der Ängste nach Abschluss der Therapie zu vermeiden. Beim Einsatz nach einem Angstereignis
spielt die Zeitspanne zwischen dem Angstereignis und der Verabreichung des Arzneimittels
die entscheidende Rolle: je kürzer umso besser. Beim Einsatz nach einem angstauslösenden
Ereignis bewirkt Alprazolam, dass Informationen nicht in gewohnter Art und Weise abgespeichert
werden und eine Art retrograde Amnesie entsteht, d.h. ein Zustand mit einem temporären
Gedächtnisverlust für zurückliegende Ereignisse.
Alprazolam kann in niedrigen Dosierungen auch zu Beginn einer Therapie eingesetzt
werden, wenn die Ängste sehr stark sind und auf keinem anderen Weg Zugang zum Patienten
gefunden werden kann.
Alprazolam macht Hunde und Katzen sehr „albern“, d.h. die Tiere verhalten sich dadurch
ungehemmter und man sollte ihnen Freigang oder Freilauf aus Sicherheitsgründen verwehren.
Alprazolam führt zu einer deutlichen Appetitsteigerung und kann daher in Einzelfällen
aggressives Verhalten in Bezug auf Futterressourcen auslösen.
Dosierung Hund: 0,02-0,2 mg/kg KGW (bei längerem Einsatz alle 8 Stunden) Dosierung
Katze: 0,0125-0,2 mg/kg KGW (bei längerem Einsatz alle 8 Stunden)
Abb. 1 Deutlich erkennbare ängstliche Anspannung beim Hund.
Psychopharmaka
Die beiden für Hunde zugelassenen Wirkstoffe Clomipramin und Selegilin sind ausschließlich
für die Verwendung in Kombination mit einer Verhaltenstherapie konzipiert und eignen
sich nicht zum kurzfristigen, alleinigen Einsatz. Die Auswahl und der Einsatz als
therapiebegleitende pharmakologische Unterstützung gehört unbedingt in die Hände erfahrener
Fachleute.
Die gleichzeitige Gabe von Clomipramin und Selegelin ist strengstens kontraindiziert,
weil beide Medikamente an verschiedenen Stellen im ZNS ansetzen und bei gleichzeitigem
Einsatz unvorhersehbar negative Wirkungen entstehen können.
Praxisbeispiel zur Therapie der Geräuschangst
-
A) Ein Tier ist als geräuschempfindlich bekannt und wird vor einem definierten Geräuschereignis
(z.B. einem Feuerwerk) vorgestellt.
Therapiemaßnahmen: Einsatz eines Benzodiazepins + Umsetzung von gezielten Managementmaßnahmen für die
Situation.
-
B) Ein Tier wird ohne Zusammenhang zu einer akuten oder lange Zeit vor einer bevorstehenden
Geräuschangst-Situation vorgestellt und als geräuschempfindlich beschrieben.
Therapiemaßnahmen: Verhaltenstherapeutische Übungen, ggf. therapiebegleitender Einsatz eines Psychopharmakons
sowie in der akuten Situation ggf. in Kombination mit einem Benzodiazepin + Managementmaßnahmen.
Managementmaßnahmen für Angstprobleme können auf der Homepage der Autorin unter www.lupologic.de heruntergeladen werden.
Tab. 1
Vergleich anxiolytisch wirksamer Arzneimittel
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Benzodiazepine
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Psychopharmaka
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Haupteinsatzgebiet
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akute starke Angst, vorhersehbares Angstereignis (z. B. Silvester)
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generalisierte Ängstlichkeit, langfristige Therapiebegleitung bei schweren Angststörungen
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Wirkungseintritt
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sehr schnell
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mehrwöchige Anflutungszeit
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Wirkungsstärke
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stark/sehr stark
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gering/mittel
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Wirkungsmechanismus
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Bindung an hemmenden Rezeptor im Zentralnervensystem
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je nach Präparat unterschiedliche Ansatzpunkte im Bereich der Neurotransmitter (Botenstoffe
zw. den Nervenenden)
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Nebenwirkungen
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- Sedation (dosierungsabhängig) - Appetitsteigerung - Lerneinschränkungen
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- abhängig vom Präparat, z. B. vorübergehende Appetitlosigkeit
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Suchtpotential
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hoch
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je nach Präparat +/-
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Ausschleichen erforderlich
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bei einem Behandlungszeitraum von mehr als 3 Tagen ja, ggf. über einen sehr langen
Zeitraum (bis zu 10 Wochen!); bei einem zu schnellen Absetzen können starke und nachhaltige
Ängste ausgelöst werden
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je nach Präparat +/- Ausschleichen über 7-14 Tage ist in aller Regel ausreichend
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Besonderheiten
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paradoxe (widersprüchliche) Erregung möglich; beim therapiebegleitenden Einsatz Kombination
mit verhaltenstherapeutischen Übungen erforderlich
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als alleinige Maßnahme nicht zur Problemlösung geeignet (Kombination mit Übungen zwingend
erforderlich)
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Clomipramin
Clomipramin kann bei schweren Ängsten als begleitende Maßnahme zur Verhaltenstherapie eingesetzt werden. Die Anflutungszeit
beträgt 4-6 Wochen, d. h. nach 4-6 Wochen wirkt das Medikament erst in vollem Umfang.
Die Behandlungsdauer umfasst mehrere Monate und ein ausschleichendes Absetzen ist
empfehlenswert.
Dosierung Hund: 1-3 mg/kg KGW 2 x tägl.
Clomipramin ist für die Katze nicht zugelassen, kann jedoch in Einzelfällen eingesetzt
werden (Dosierung bei der Autorin zu erfragen).
Spezielle Hinweise: Zu Beginn der Therapie sind Sedation und Appetiteinbußen möglich, häufig werden außerdem
gastrointestinale Nebenwirkungen beobachtet. In schweren Angstfällen ist die vorübergehende
Kombination mit einem Benzodiazepin möglich.
Selegilin
Einsatzgebiet für Selegilin sind ebenfalls schwere Ängste. Dosierung Hund: 0,5 (-1) mg/kg KGW 1 x tägl. Die Anflutungszeit beträgt 4-6 Wochen.
Selegelin ist bei der Katze nicht zugelassen, kann jedoch in Einzelfällen eingesetzt
werden (Dosierung bei der Autorin zu erfragen).
Spezielle Hinweise: Das Medikament ist in den meisten Fällen gut verträglich, jedoch sehr bitter. Da
der Behandlungszeitraum oft viele Monate umfasst, sollte darauf geachtet werden, die
Tabletten gut in Futter versteckt zu verabreichen, um eine höhere Akzeptanz zu erreichen.
Beim Absetzen ist kein Ausschleichen erforderlich. Bei schweren Ängsten sind Kombinationen
mit Benzodiazepinen möglich.
Nahrungsergänzungen
Auch natürliche Stoffe können angstlösende Wirkung haben, die Effekte sind jedoch
deutlich milder als beim Einsatz von Medikamenten und reichen als alleiniges Therapeutikum
meist nur bei leichten Angst- und Stresszuständen aus.
α-Casozepin
Der Wirkstoff α-Casozepin (ein Milcheiweißbaustein) bindet sich an bestimmte Rezeptoren
im ZNS und wirkt dadurch anxiolytisch. Der Wirkungseintritt wird schnell erzielt,
jedoch sind die Veränderungen eher subtil, sodass eine erkennbare Wirkung in Form
einer milden Anxiolyse und einer hierdurch allgemein etwas höheren Stressstabilität
oft erst nach 10-14 Tagen auffällt.
α-Casozepin hat kein Suchtpotential und die Gefahr einer unerwünschten Enthemmung
mit nachfolgender Aggression ist extrem gering.
Dosierung für Hunde und Katzen (z.B. Zylkene®): 15 mg/kg
KGW, 1 x tägl.
Besonders günstig ist der Einsatz vor (milden) vorhersehbaren Stresszuständen wie
z.B. Silvester (bei mäßiger Aufregung), vor einem Umzug oder der Unterbringung in
einer Pension. Obwohl α-Casozepin langfristig eingesetzt werden kann, ist es sinnvoller,
den Wirkstoff bei länger dauerndem Einsatz mit Verhaltenstherapie und anderen Maßnahmen
zu kombinieren.
L-Tryptophan
L-Tryptophan ist als essentielle Aminosäure (muss mit Nahrung zugeführt werden) ein
wichtiger Baustein des Neurotransmitters Serotonin.
Serotonin ist der wichtigste Neurotransmitter in der Großhirnrinde des Stirnhirns.
Dieser Teil des Gehirns ist für „kluges, planvolles Handeln“ und alle intensiven Denkprozesse
und somit auch für das Lernen von neuen Informationen erforderlich. Für den Einbau
dieses Nahrungsbestandteils in den Neurotransmitter muss jedoch ein striktes Fütterungsregime
eingehalten werden: Unter Alltagsbedingungen ist diese Art der konsequenten Fütterung
sehr schwierig, sodass es meist einfacher ist, eine Kombination von L-Tryptophan mit
Vitamin B6 als Tablette (z.B. Relaxan®) zu verabreichen. Beim Einsatz dieses Produktes ist darauf
zu achten, dass es zusammen mit leichtverdaulichen Kohlenhydraten (z.B. Nudeln, Reis,
Kartoffeln) gegeben wird, um eine optimale Wirkung zu erzielen. So wird ausreichend
L-Tryptophan bei gleichzeitigem Verzicht auf die Zuführung von Tyrosin (Mais) gefüttert.
Die Dosierung erfolgt nach Packungsangabe des Herstellers.
Futtermittel
α-Casozepin und L-Tryptophan sind als Kombination in einem speziellen Alleinfuttermittel
für erwachsene Katzen und Hunde bis 15 kg erhältlich (z.B. Calm®). Als therapieunterstützende
Maßnahme ist eine Fütterung über mehrere Monate (ggf. auch länger) sinnvoll, als alleinige
Therapiemaßnahme bei schweren Angstproblemen ist es anxiolytisch jedoch nicht ausreichend
wirksam.
Pheromone
Pheromone spielen bei Tieren in der innerartlichen Kommunikation häufig eine wichtige
Rolle und können als nebenwirkungsfreie therapiebegleitende Maßnahmen in der Verhaltensmedizin
eingesetzt werden. Einsatzgebiete für Hunde- und Katzenpheromone sind Unsicherheit
und Stress.
Für Hunde gibt es die synthetische Formulierung des Dog Appeasing Pheromons (kurz D.A.P.),
das in speziellen Drüsen in der Zitzenumgebung gebildet wird. Beim Saugen an der Milchbar
der Mutterhündin werden die Welpen ständig mit diesem „Duftstoff“ konfrontiert. In
den ersten 5 Lebenswochen (der Kernphase des Säugens) stehen Welpen unter dem vorherrschenden
Einfluss des Parasympathikus, der als Anteil des vegetativen Nervensystems für Ruhe
und Entspannung verantwortlich ist. Das Pheromon ist daher für alle Hunde, die in
den ersten 5 Wochen gesäugt wurden, ein sogenannter Geborgenheitsreiz, der auch später
im Leben eine Erinnerung an den Zustand von Wohlbefinden auslöst.
Für Katzen ist ein Produkt auf dem Markt, das in synthetischer Form 4 Komponenten des Pheromons
enthält, das Katzen in speziellen Drüsen im Wangenbereich bilden und diesen „Duftstoff“
im Rahmen ihres Markierverhaltens (sog. „Köpfchengeben“) einsetzen. Dieses Verhalten
zeigen Katzen nur im Zustand von Wohlbefinden. Sie markieren mit diesem Pheromon z.B.
Gegenstände in ihrem Kernrevier - also dem Teil ihres Reviers, in dem sie sich sicher
und geborgen fühlen. Durch die Anwendung im Wohnbereich wird das Sicherheitsgefühl
der Katze unterstützt.
Online zu finden unter:
http://dx.doi.org/10.1055/s-0031-1280611