Dtsch Med Wochenschr 2011; 136(28/29): 1494-1495
DOI: 10.1055/s-0031-1281544
Korrespondenz | Correspondence
Leserbrief
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Diagnose von Nahrungsmittelallergien: Streitfall IgG

IgG food allergies – a subject of controversyM. Worm, I. Reese, C. Schäfer, B. Niggemann, M. Raithel, T. Werfel, stellvertretend für die Arbeitsgruppe Nahrungsmittelallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI)
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Publication Date:
05 July 2011 (online)

Zum Beitrag aus der DMW Nr. 4/2011

Den Beitrag zur IgG-Diagnostik mit Nahrungsmitteln aus der DMW Nr. 4/2011 [7] möchten wir ergänzen, um zukünftig überflüssige Tests, Kosten und vor allem ungerechtfertigte Diäteinschränkungen für Patienten zu vermeiden. Die Position der Europäischen Allergologen (European Academy of Allergy and Clinical Immunology; EAACI) [6] zu dem Thema ist ebenso eindeutig wie die der Amerikanischen Allergologen (American Academy of Allergy, Asthma and Immunology; AAAAI) [3]: „Eine Bestimmung von IgG und IgG4-Antikörpern gegen Nahrungsmittel hat keinen diagnostischen Wert.”

Sämtliche Allergologenverbände in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben die Europäischen Empfehlungen übernommen [4] . Unterstützung finden sie dabei in Deutschland durch die wissenschaftlichen Fachgesellschaften der Internisten (DGIM), der Laborärzte (DGKL), die Experten für Ernährungsmedizin (DAEM), die Oecotrophologen (VDOE) und anderer Verbände. Verschiedene Gründe verbieten die Bestimmung von IgG gegen Nahrungsmittel:

Die IgG-Immunantwort gegen Nahrungsmittel ist physiologisch und nicht pathologisch. Positive IgG-Befunde finden sich daher generell auch bei gesunden Personen, außer bei primären Immundefizienzen mit Antikörpermangel-Syndromen. Die IgG-Tests können daher nicht zwischen gesund und krank unterscheiden. Das Aufdecken einer nicht-immunologischen Nahrungsmittelunverträglichkeit mit einem IgG-Test ist weder belegt noch nachvollziehbar, da es sich bei IgG um einen Immunparameter handelt. IgG-Tests mit Nahrungsmitteln sind bei anderen chronischen Erkrankungen (Reizdarm-Syndrom, Migräne, chronische Hauterkrankungen) aufgrund methodisch unzulänglicher Studien (s. unten) ebenfalls abzulehnen.

Im Beitrag wird eine anhaltende, wissenschaftliche Diskussion dargestellt, die allerdings längst abgeschlossen ist. Weiterhin werden neue Studiendaten mit IgG-gestützten Diäten bei Probanden mit Migräne zitiert [1], die aus folgenden Gründen methodisch unzureichend sind und daher nicht zur Evidenz beitragen:

Keine Definition eines primären Studien-Endpunktes; keine Darstellung der beiden randomisierten Gruppen, insbesondere in Hinblick auf anamnestische Angaben (z. B. potenzielle Auslöser wie Gewürze, Nüsse, Fisch, Käse und Lebensmittel-Zusatzstoffe); keine Beschreibung der individuellen Diäten (nach IgG-Test); keine verblindete Diätphase; die vorgestellten Daten zeigen einen erheblichen Placebo-Effekt unabhängig von der durchgeführten Diät.

Eine häufig zitierte Publikation [2] bezieht sich auf das Reizdarm-Syndrom (RDS, engl.: irritable bowel disease, IBS) und beschreibt eine 10 %ige Besserung der Symptome nach einer aufgrund von IgG-Befunden vereinbarten Diät (IgG-Diät) im Vergleich zu einer Kontrollgruppe, die andere häufige Nahrungsmittel gemieden hat (Kontroll-Diät). Trotz kontrollierten Designs zeigt die Studie gravierende Schwächen und wurde kontrovers diskutiert (siehe http://gut.bmjjournals.com/cgi/eletters/53/10/1459):

Die Palette der gemiedenen Nahrungsmittel unterschied sich erheblich; Bei der IgG-Diät wurden im Gegensatz zur Kontroll-Diät häufig Milch- u. Weizenprodukte gemieden, die unabhängig vom IgG-Befund bei Patienten mit RDS zu einer Symptomverschlechterung führen können; Diese stark abweichenden Diäten (zwischen IgG- und Kontroll-Diätgruppe) stellen zusätzliche Variablen im Studiendesign und eine weitere Erklärung für die Ergebnisunterschiede dar; Die vorgelegten Daten gestatten letztlich keine Bewertung oder Empfehlung einer IgG-Diagnostik bei RDS.

In Übereinstimmung mit dieser Kritik sollte gemäß einer aktuellen, sorgfältig konsentierten S3-Leitlinie zum Reizdarmsyndrom (http://www.dgvs.de/index_898.php) [5] keine Untersuchung von IgG-Titern auf Nahrungsmittelallergene erfolgen, da die klinische Signifikanz der Bestimmung von Serum-IgG-Titern ungesichert ist.

Literatur

  • 1 Alpay K, Ertas M, Orhan E K, Ustay D K, Lieners C, Baykan B. Diet restriction in migraine, based on IgG against foods: a clinical double-blind, randomised, cross-over trial.  Cephalalgia. 2010;  30 829-837
  • 2 Atkinson W, Sheldon T A, Shaath N, Whorwell P J. Food elimination based on IgG antibodies in irritable bowel syndrome: a randomised controlled trial.  Gut. 2004;  53 1459-1464 Kommentare in Gut 2005;54:566 – 567
  • 3 Bock S A. AAAAI support of the EAACI Position Paper on IgG4.  J Allergy Clin Immunol. 2010;  125 1410
  • 4 Kleine-Tebbe J, Reese I, Ballmer-Weber B K. et al . Keine Empfehlung für IgG- und IgG4-Bestimmungen gegen Nahrungsmittel. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA), der Gesellschaft für Pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA), der Österreichischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI) und der Schweizerischen Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) (AWMF-Registriernummer: 061 – 028).  Allergo Journal. 2009;  18 267-273
  • 5 Layer P, Andresen V, Pehl C. et al . S3-Leitlinie Reizdarmsyndrom: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie. Gemeinsame Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) (AWMF-Registriernummer: 021/016).  Z Gastroenterol. 2011;  49 237-293
  • 6 Stapel S O, Asero R, Ballmer-Weber B K. et al . Testing for IgG4 against foods is not recommended as a diagnostic tool: EAACI Task Force Report.  Allergy. 2008;  63 793-796
  • 7 Weiß J. Diagnose von Nahrungsmittelallergien: Streitfall IgG.  Dtsch Med Wochenschr. 2011;  136 116-117

Prof. Dr. med. Margitta Worm

Berlin

Dr. oec. troph. Imke Reese

München

Christiane Schäfer

Hamburg

Prof. Dr. med. Bodo Niggemann

Berlin

Prof. Dr. med. Martin Raithel

Erlangen

Prof. Dr. med. Thomas Werfel

Hannover, stellvertretend für die Arbeitsgruppe Nahrungsmittelallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI)

URL: http://dgaki.de

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