Auch die DGIM Gesellschaftsaugabe 4/2011 der Deutschen
Medizinischen Wochenschrift verspricht dem „eiligen” Leser
in Kürze klinisch relevante Ergebnisse aus den 11 Schwerpunkten der
Inneren Medizin zu vermitteln. Die Autoren wählen zu einem
Themenschwerpunkt ihres Gebietes die in der Regel „hochrangig” publizierten Erkenntnisse
der letzten Jahre aus. Ich möchte allen Autoren danken,
dass sie zeitgerecht die Literatur gesichtet haben und die Daten
leserfreundlich, mit eigenen Interpretationen versehen, präsentieren.
Etliche Ergebnisse werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Eingang in
unser klinisches Handeln finden. Erlauben Sie mir, auf einige dieser „Neuigkeiten”
stichpunktartig
einzugehen.
Angiologie: Die Geschichte der Medizin
zeigt uns immer wieder, dass auch „logisch” erscheinende medizinische
Maßnahmen, werden sie wissenschaftlich im Rahmen von prospektiven
randomisierten Studien evaluiert, oft als Mythen entlarvt werden.
So muss nach einer neuen S3-Leitlinie zur Thromboembolieprophylaxe
der Einsatz von Stützstrümpfen völlig
neu überdacht werden. Nur noch bei viszeralchirurgischen
Eingriffen mit hohem Thromboembolie-Risiko zeigte eine Studie eine
Wirksamkeit.
Endokrinologie und Diabetologie: Eine
pharmakologische Therapie der Adipositas, u.a „Appetitzügler” ist
vorerst noch nicht in Sicht. Außer der medikamentösen
Hemmung der Lipase mit der in Pilzen entdeckten Substanz Tetrahydrolipstatin
(Orlistat) mussten andere Medikamente aufgrund von Nebenwirkungen,
wie Depression oder erhöhtes kardiovaskuläres
Risiko, vom Markt genommen werden; andere Wirkprinzipien wurden
gar nicht erst zugelassen. Letztlich ist unser Verständnis
der hormonellen und nervalen Regulation des Sättigungs-
und Hungergefühls noch unvollständig, um eine
gezielte und nebenwirkungsarme pharmakologische Beeinflussung dieser
Regelkreise zu erreichen. Genetisch sind wir seit Jahrtausenden
auf den Umgang mit Nahrungsmangel programmiert. Jetzt wird in den
Industrienationen Nahrung an sprichwörtlich jeder Ecke
angeboten.
Geriatrie: Harninkontinenz ist ein
häufiges Symptom, das vor allem ältere, oft multimorbide Frauen
betrifft und von vielen Patienten aus Schamgefühl verschwiegen
wird. Die medikamentös-therapeutischen Möglichkeiten
sind noch nicht zufriedenstellend. In dem Beitrag wird die Notwendigkeit
eines geriatrischen „Basis-Assessments” dargestellt,
welches über das weitere Procedere entscheidet. Es gilt
die verschiedenen Formen der Inkontinenz und Mischformen zu kennen.
Die meisten geriatrischen Patienten erhalten ja aufgrund der Multimorbidität eine
Vielzahl an Medikamenten. Je nach Inkontinenzart müssen
die Medikamente bekannt sein, die die Inkontinenz verschlechtern.
Die in diesem Artikel enthaltene Tabelle 1 ist
besonders aussagekräftig und handlungsrelevant.
Hämatologie und Onkologie: In
keinem anderen Schwerpunkt der Inneren Medizin sind die Erfolge
der „targeted therapy” so eindrucksvoll wie in
der Hämatologie und Onkologie. So kann bei einer früher
tödlichen Erkrankung wie der chronisch-myeloischen Leukämie
mit Tyrosinkinase-Inhibitoren, wie Imatinib, durch Hemmung von Signal-Transduktionskaskaden
die Proliferation der Leukämiezellen gehemmt werden. Der
Beitrag „von der risikoadaptierten Therapie zur Genotyp-spezifischen
Therapie” zeigt weitere beeindruckende Beispiele auch bei
der akuten myeloischen Leukämie. Hier lassen sich durch
genotypische Charakterisierung der Leukämie, z. B.
Nachweis bestimmter Mutationen, Risikogruppen identifizieren, die
das weitere therapeutische Procedere bestimmen, wie Art der Chemotherapie,
Allokation zur Stammzelltransplantation, Konsolidierungstherapie.
Infektiologie: Bei der HIV-Infektion
ist Dank der therapeutischen Möglichkeiten das Risiko der Malignomentwicklung
zurückgegangen, aber nicht für alle Tumoren. Die
Ursache der Zunahme des Zervixkarzinoms bedarf der Klärung.
Diskutiert wird, wann und für welche Malignome, z. B.
Lymphom, hepatozelluläres Karzinom und Analkarzinom, regelmäßige
Vorsorgeuntersuchungen den Patienten angeboten werden sollten.
Intensivmedizin: Zuviel, aber auch
zu wenig Sauerstoff nach Wiederherstellung des Kreislaufs erhöhen
neurologische Defizite in der Spätfolge; Hypothermie nach überlebtem
plötzlichen Herztod hingegen ist neuroprotektiv.
Kardiologie: Sind beim Vorhofflimmern die
Tage der Antikoagulation mit Pheprocoumon gezählt, da andere
Medikamente, die die Gerinnung beeinflussen, die gleiche Wirksamkeit
zur Embolieprophylaxe, aber ein geringeres zerebrales Blutungsrisiko
haben? Hier sei der Thrombinantagonist Dabigatran genannt. Die Therapie
des Vorhofflimmerns und Embolieprophylaxe ist jedoch noch wesentlich
differenzierter, um nur Katheterablation und perkutaner Verschluss
des linken Vorhofohres zu nennen.
Nephrologie: Bei der chronischen Niereninsuffizienz
ist die Messung von Progressionsfaktoren zur Prognoseabschätzung und
Therapiesteuerung wichtig. Die therapeutische Hemmung des Renin-Angiotensin-Systems
bleibt unverzichtbar. Das chronische Nierenversagen wird aufgrund
der Zunahme des Typ-2-Diabetes und der Hypertonie zu einem der wichtigsten
Gesundheitsprobleme werden. Komorbidäten, wie Herzinfarkt,
sind häufig Prognose-entscheidend. „Erfreulicherweise” wird
weniger als 1 % der Patienten mit chronischer
Niereninsuffizienz dialysepflichtig.
In der Pneumologie bieten sich überzeugende
diagnostische und therapeutische Möglichkeiten der Endoskopie
an, zum Beispiel die Endosonographie-gesteuerte transbronchiale
Biopsie, die die Treffsicherheit erhöht oder die endoskopische Volumenreduktion
in der Behandlung des Emphysems.
Rheumatologie: Gastrointestinale Nebenwirkungen
der NSAR bis hin zu lebensbedrohlichen Ulkusblutungen sind bekannt.
Wie bereits vermutet, haben auch die „klassischen” NSAR
ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Ihre frühere
Zulassung unterlag sicher nicht den strengen Kriterien, wie sie
bei der Zulassung heute verlangt werden. Das erhöhte kardiovaskuläre
Risiko führte ja zum „Aus” u. a.
für das bezüglich des Gastrointestinaltraktes
im Vergleich zu nicht selektiven NSAR verträglichere Coxib
Rofecoxib. Wir dürfen daher gespannt den Einsatz möglicher
medikamentöser Alternativen zur Schmerztherapie, wie des
Opioids Tapentadol, erwarten.
Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten: Hier
werden neue Ansätze zur Behandlung der Komplikationen der
Leberzirrhose besprochen. Bei Leberzirrhose korreliert ein portalvenöser
Druck > 20 mm Hg mit einem erhöhten Ösophagusvarizen-Blutungsrisiko,
insbesondere einem erhöhten Rezidivblutungsrisiko. In dieser
Situation ist der transjuguläre intrahepatische portosystemische Stent-Shunt
wahrscheinlich die Therapie der Wahl im Vergleich zur Ligaturbehandlung.
Die therapeutischen Optionen zur Behandlung der hepatischen Enzephalopathie
beschränkten sich bislang auf Laktulose und verzweigtkettige
Aminosäuren. Nach dem Ergebnis aktueller Studien sollte
das nicht resorbierbare Antibiotikum Rifaximin für diese
Indikation zugelassen werden.
Ich empfehle den Leserinnen und Lesern aber auch die weiteren
Beiträge dieses Heftes, so die differenzialdiagnostischen Überlegungen,
die zur Lösung des Mediquiz erforderlich sind. Die Einnahmetreue
von Medikamenten („adherence”) ist nicht nur bei
multimorbiden Patienten ein großes Problem und kann die Therapie
der Erkrankung konterkarieren. Der Artikel von Laufs et al. gibt
hier gute Tipps. Die Prävention der Adipositas bei Kindern
ist eine der wichtigsten Herausforderungen, um der Epidemie der Adipositas
mit all ihren negativen Folgen entgegenzuwirken. Auf dieses Problem weist
der Beitrag von G. Kühne hin. In Leipzig ist unter der
Leitung von Professor Dr. med. Michael Stumvoll zum Thema Adipositas
ein IFB (integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum) entstanden,
das auch das Thema Adipositas bei Kindern umfasst. Die Kasuistik
von Karch et al. macht auf eine seltene Tumorentität des Ösophagus
aufmerksam, die man kennen sollte.
Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Ihr
Prof. Dr. med. Joachim Mössner