? Herr Barth, einmal angenommen, irgendwo auf der Welt tauchen Probleme mit einem
Prothesenmodell in einem nationalen Register auf. Wie viel Zeit hat ein Hersteller
dann, um die Daten zu prüfen, und gegebenenfalls eine weltweiten Rückruf einzuleiten?
Die Rückrufverpflichtung ist für uns Juristen zunächst einmal eher sekundär. Entscheidend
ist vielmehr, ob das Produkt fehlerhaft ist. In Deutschland regelt dies das Produkthaftungsgesetz
vom 15. Dezember 1989. Es hat im Prinzip die vorherige verschuldensabhängige Haftung
abgelöst. Sicher, angenommen, ein Produktfehler wird bekannt, und ein Hersteller ruft
dann wider besseren Wissens nicht zurück. Dann wäre das vorsätzliche Körperverletzung.
Aber dass so etwas wirklich vorkommt, das will ich mal Niemandem unterstellen.
? Was heißt das konkret? Wie kann man einen Produktfehler nachweisen?
Das sind Sachfragen, die unter Umständen nur in einem langwierigen Prozess geklärt
werden. Und zwar letzten Endes auch nicht von den Richtern, sondern von Sachverständigen.
? Was wäre ein typischer Produktfehler?
Das ist vielschichtig. Das kann z. B. ein Fabrikationsfehler sein, wenn einzelne Produkte
und Chargen einer Produktionsserie fehlerhaft sind. Weiterhin gibt es Konstruktionsfehler
schon im Design, für deren Vermeidung ein Hersteller alles objektiv Erforderliche
und Zumutbare getan haben muss. Oder aber es ist ein Instruktionsfehler – wenn der
Hersteller falsch aufklärt, wie Ärzte sein Produkt implantieren müssen.
? Reicht eine erhöhte Revisionsrate gegenüber anderen vergleichbaren Modellen nicht
aus, um zu sagen – dieses Produkt ist fehlerhaft?
Nein, eine erhöhte Revisionsrate gibt einen gewissen Hinweis auf Fehler, beweist den
Fehler nicht. Sie kann andere Ursachen haben, etwa Fehler der Chirurgen.
? Bei Klagen gegen einen Hersteller muss ein Gericht also, salopp gesagt, zu der Erkenntnis
kommen, dass der Schaft einer Prothese falsch konstruiert war? Sonst kein Schadensersatz?
Ja. Wobei es bei den derzeit besonders intensiv diskutierten Metall zu Metall-Paarungen
meist um Metallabrieb geht. Brüche spielen eher eine Rolle bei Keramik-Prothesen.
Im konkreten Fall hier in Freiburg geht es z. B. um die Vermutung, dass die Dimension
einer Kugelkopfprothese im Verhältnis zum Schaft fehlerhaft war. Zumal sie in einem
modularen System auch noch auf einer zusätzlichen Konushülse steckt. Dies zusammengenommen
könnte eine erhöhte Korrosionsgefahr für diese Hülse geschaffen haben, was wiederum
verstärkten Metallabrieb bewirkt hat.
? Sie sprechen vom System der Firma Zimmer aus Durom Hüftpfanne und Metasul® LDH®Großkugelkopf.
Ein Beweis dafür, dass es wirklich fehlerhaft war, ist aber bislang nicht erbracht?
Nein. Es gibt Gutachten des Trägers des Loretto-Krankenhauses, die in die Richtung
Produktfehler gehen. Einen echten Produktfehler kann man daraus aber noch nicht ableiten.
Obendrein wissen wir auch noch nicht genau, welche Schäden ein Metallabrieb wirklich
anrichtet. Auf jeden Fall ist der Nachweis eines Produktfehlers vor Gericht sehr schwer
zu führen.
? Die Firma Zimmer weist Modellfehler zurück, zumal ihr Produkt weltweit keine erhöhten
Revisionsraten zeigte. Sie hält Anwenderprobleme für die wahrscheinlichste Ursache.
So ist es. Sagen wir so: Oft steht am Ende von Gutachten und Gegengutachten vor Gericht
auch eher ein Vergleich, den ich für die Betroffenen allerdings auch schon für einen
Erfolg halte, da er Entschädigungen bringt. Es ist noch sehr früh, wir sind jetzt
gerade mit einem Prozess in der ersten Instanz. Viele Betroffene warten erst mal ab.
? Und was ist, wenn der Verdacht besteht, dass Fehler im Krankenhaus gemacht wurden,
dass der Chirurg womöglich einen Fehler gemacht haben könnte?
Man muss vorsorglich noch gegenüber dem Krankenhausträger den Streit verkünden und
später unter Umständen einen Arztfehler nachweisen. Im konkreten Fall gehe ich eher
nicht davon aus.
? Welche Summen an Entschädigung sind drin bei einer vorzeitigen Revision, vorausgesetzt
ein Nachweis auf Produktfehler wird wirklich erbracht?
Bei einer komplikationslosen Revisionsoperation ist das hierzulande vielleicht eine
Summe von 20?000 Euro Schmerzensgeld. Zusätzlich müsste man noch nach Verdienstausfall
und einigen weiteren kleineren Posten schauen. Das gilt für komplikationslose Fälle.
Wenn es bei der Revision zu neuen Komplikationen kommt, sind alle Folgen hinzuzurechnen.
In den USA sind die Summen ungleich höher.
? Am Ende benötigt man v. a. gute Gutachter?
Ja, und da ist das dicke Problem. Man findet kaum einen Gutachter, der nicht mit der
Industrie irgendwie in Verbindung steht.
? Was dann automatisch ein K.O.-Kritierum ist?
Wenn Beziehungen offengelegt werden und jemand erklärt, dass er sich trotzdem nicht
befangen fühlt, muss das kein K.O.-Kriterium sein. Aber aus Patientensicht ist das
nicht so gut. In einem ersten Verfahren liegt jetzt ein Beweisbeschluss vor, wobei
die Auswahl der Sachverständigen noch offen ist. Bis das Gutachten in diesem Fall
vorliegt, werden die anderen Verfahren möglicherweise einvernehmlich ausgesetzt.
? Kann man vergleichbare Fälle nicht zusammenlegen?
Nein. Die Gerichte stehen auf dem Standpunkt, dass die Sachlage in jedem Einzelfall
wieder anders sein kann. Eine Art Sammelklage ist nicht vorgesehen.Dabei fände ich
es sinnvoll, allein zur Beweisaufnahme, zur technischen Begutachtung der Fehlerfrage
ähnliche Fälle vorübergehend zusammenzubringen. Danach könnte man sie wieder trennen.
Leider machen die Gerichte da nicht mit.
? Wie lange dauern die Prozesse noch?
Wir stehen am Anfang. Wenn der Sachverständige feststeht, wird es im aktuellen Verfahren
noch etwa ein Jahr dauern, bis ein erstes Urteil vorliegt, vielleicht auch länger.
? Also noch Jahre?
Auf jeden Fall. Sie haben mindestens 2 Instanzen und dann noch eine Revision beim
BGH unter Umständen. Was es bislang in so einer Frage noch nicht gab. Allerdings enden
solche Verfahren nach meiner Einschätzung spätestens in der zweiten Instanz vor dem
Oberlandesgericht.
? Wie oft ist vor Gericht in der Vergangenheit der Nachweis eines Produktfehlers gelungen?
Nach meiner Kenntnis gibt es in der Regel Vergleiche. Mir ist aus Deutschland kein
Fall bekannt, wo das mal richtig bis zum Ende beurteilt wurde. Das muss vielleicht
gar nicht schlecht sein. Denn am Ende wäre bei der Komplexität der Materie Prinzipienreiterei
auch ein Fehler. Denn, sagen wir so, die Kausalität bis in jedes Detail lässt sich
vielleicht erst beim Jüngsten Gericht aufklären.
Interview: BE