? Herr Prof. Ewerbeck, Sie sind u. a. Mitglied im Präsidium der Arbeitsgemeinschaft
Endoprothetik der DGOU. Warum hört und liest man so wenig von den hiesigen Fachgesellschaften
zu aktuellen Problemen bei Endoprothesen? Die Briten oder Australier erklären sich
dazu viel mehr?
Schon richtig. Letzten Endes ist dies, selbstkritisch gesagt, auch keine besonders
kluge Einstellung von uns. Andererseits sehe ich v. a. praktische Gründe. Nehmen wir
mal den Rückruf von ASR durch De Puy. Für uns hier in Heidelberg gilt: Wir waren schon
längst wieder draußen aus dieser ASR-Thematik, als diese Modelle zunächst aus dem
australischen Markt herausgenommen wurden. Wir zählten da schon gar nicht mehr zu
den Anwendern, für uns zumindest war das kein Thema.
? Aber es sind in Deutschland über 5000 Patienten mit ASR versorgt worden …
In der Tat. Und eine Revisionsrate von 12,5 %, wie bereits 2007 im Australischen Register
gefunden, ist inakzeptabel hoch. Dass DGOU und DGOOC sich dazu nicht geäußert haben,
liegt aber auch daran, dass wir die Ursachen bis heute nicht verstehen. Dann tut man
sich schwer zu sagen, da ist dieser oder jener Fehler gewesen. Mittlerweile ist das
Produkt ja vom Markt, und die Firma De Puy verhält sich sehr anständig. Ein Hersteller,
der erklärt, er stehe für Probleme gerade, vermutlich ohne selber zu wissen, warum
sie passiert sind – das finde ich lobenswert.
? Macht die Firma nicht einfach nur ihren Job? Sie muss ein Produkt schließlich zurücknehmen,
wenn sich zu hohe Risiken zeigen?
Man kann jemanden auch loben, wenn er seine Pflicht tut.
? Was lässt sich tun, um solche Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern? Stichwort
Erprobung in Zentren. Das ist ein Konzept, für das Sie werben. Wie soll das gehen?
Es geht mir um eine stufenweise Einführung, eine Stage Introduction. Wir sollten ein
Implantat, das CE-zertifiziert ist und das nach dem deutschen und dem EU-Recht damit
freigegeben ist für den Markt, eben nicht mehr Jedem gleich zur Anwendung geben. Besser
wäre, wir könnten uns darauf einigen, den Einsatz zeitlich befristet auf eine gewisse
Zahl an Zentren, oder Kliniken zu limitieren. Dann schaut man sich nach einigen Jahren
an, welche Erfolge es gibt und welche vielleicht nicht. Und erst dann kann ein neues
Produkt in der Breite auf den Markt.
? Wie lange soll die Probephase dauern?
Unter 5 Jahre würde ich auf keinen Fall gehen. Am Ende sind das Dinge, die der Gesetzgeber
festlegen müsste.
? Die Hersteller wechseln aber womöglich ihre Produktpalette bereits binnen 5 Jahren
oder rascher?
Ja. Aber ich spreche hier von echten Innovationen. Wenn es sich nur um wirklich marginale
Änderungen gegenüber einem Vorläufermodell handelt, dann muss man das sicher nicht
5 Jahre lang prüfen. Bei völlig neu designten Prothesen, da bin ich für diese Erprobung.
Was zu tun ist, müsste man sicherlich in jedem Einzelfall prüfen.
? Teilen die orthopädischen Fachgesellschaften das Konzept?
Das ist noch keine offizielle Position der Fachgesellschaft. Ich bin sicher, es könnte
eine werden, wenn wir dazu eine Stellungnahme anstreben würden.
? Die DGCH hat unlängst ein derartiges Konzept verfochten, der GKV-Spitzenverband
auch …
Ja, aber letzten Endes ist natürlich der Gesetzgeber gefordert.
? Das geplante neue Versorgungsgesetz sieht dazu nichts vor.
Ja, und ich fürchte, da kommt erst eine gesetzliche Regelung, wenn es wieder irgendwelche
großen Katastrophen gibt.
? Die EU-Kommission will das Medizinprodukterecht überarbeiten …
Und dort müsste das verankert werden.
? Könnte eine Zulassung von Medizinprodukten wie bei Arzneimitteln von Amtes wegen
für mehr Sicherheit sorgen? Eine Zulassung, die auch stringentere Vorgaben für die
klinische Prüfung machen würde?
Da werden wir nicht drum herum kommen. Letzten Endes glaube ich, dass wir in Zukunft
eine Behörde brauchen, die solche Medizinprodukte zulässt.
? Und parallel den Markt überwacht?
Das bestehende Meldesystem liefert leider nur eine ziemlich unsichere Datenlage, weil
vieles offensichtlich überhaupt nicht gemeldet wird. Selbst den Firmen, die eigene
Auswertungen fahren, dürfte vieles durch die Lappen gehen. Wir haben da eine riesige
Dunkelziffer. Ich hoffe, dass da jetzt endlich das Endoprothesenregister greifen wird.
Es kann präzise Daten zum Geschehen in der Anwendung liefern und damit bekommen wir
eine Chance, notfalls auch schnell Implantate vom Markt zu nehmen.
Interview: BE