Z Gastroenterol 2012; 50(4): 363
DOI: 10.1055/s-0031-1299364
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Forschung zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen – Auslaufmodell oder Perspektive?

Research in Inflammatory Bowel Disease – an Obsolescent Model or New Perspectives?
A. Stallmach
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Publication Date:
01 April 2012 (online)

In Deutschland leiden etwa 350 000 – 400 000 Patienten an einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED); die Häufigkeit in Nordeuropa und Nordamerika ist weitgehend stabil. CED-Patienten sind zahlenmäßig in der ambulanten und stationären Betreuung relativ selten. Verschiedene andere Erkrankungen wie z. B. das Reizdarmsyndrom oder die H.-pylori-Infektion mit einer Prävalenz von bis zu 30 % sind wesentlich häufiger.

Die Behandlung von CED-Patienten ist durch zahlreiche nationale und internationale Leitlinien standardisiert; bei konsequenter Umsetzung kann bei mehr als 90 % der Patienten über 5 Jahre eine stabile Remission erreicht werden (Gastroenterology 2011; 141: 90). Vordergründig scheint sich auch in der Forschung zu CED eine gewisse Eintönigkeit auszubreiten; so werden von vielen die Aktivitäten auf die „Erforschung“ des x-ten Zytokin-Antikörpers reduziert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob in der Zeitschrift für Gastroenterologie eine Sektion „Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen“ überhaupt noch gerechtfertigt ist. Hätte die Schriftleitung den Wechsel von G. Adler zu T. Seufferlein nicht nutzen sollen, um „wichtigere“ Sektionen einzurichten. Den Protagonisten dieser Sichtweise soll an dieser Stelle deutlich widersprochen werden.

Die Betreuung von CED-Patienten stellt auch in den nächsten Jahren eine große klinische und wissenschaftliche Herausforderung dar. Wir wissen nun, dass CED komplexe Systemerkrankungen sind, bei denen das Risiko der Erkrankung für das einzelne Individuum durch die Kombination zahlreicher genetischer und umweltassoziierter Faktoren determiniert wird. In der Grundlagenforschung sind in den letzten Jahren die Konzepte der „defekten Barriere“ sowie der „gestörten Immunregulation“ und die Bedeutung der intestinalen Mikrobiota in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussion gerückt. Zu diesen Konzepten wurden im letzten Jahr in Nature gerade aus Deutschland zentrale Publikationen durch die Arbeitsgruppen um M. Neurath in Erlangen (2011; 477: 335), um J. Wehkamp und E. F. Stange in Stuttgart (2011; 469: 419) und P. Bork in Heidelberg (2011; 473: 174) veröffentlicht. Diese sind Beispiele einer Reihe innovativer Ansätze, die physiologische und pathophysiologische Interaktionen von Bakterien und Wirtszellen des Gastrointestinaltrakts aufklären. Aus einem besseren Verständnis der Interaktionen werden sich aus der grundlagenorientierten Forschung neue Behandlungsoptionen auch für zahlreiche andere Erkrankungen (u. a. Adipositas, Diabetes mellitus, Zöliakie) ergeben. Es erscheint realistisch, zukünftig metabolische Funktionen der enterohepatischen Achse zu modifizieren und zudem die Signalkaskaden bei der entzündungsinduzierten Karzinogenese zu modulieren.

Aber auch die klinische Forschung im Bereich der CED steht vor neuen Herausforderungen. Unterschiedliche phänotypische Ausprägungen und differente klinische Verläufe vom „benignen“ Krankheitsbild bis hin zu hoher chronischer Krankheitsaktivität oder zum fulminanten Schub bei zunehmend jüngeren Patienten erfordern individualisierte Therapiekonzepte. Wenn sich auch zahlreiche Arbeitsgruppen mit der Erarbeitung prädiktiver Faktoren beschäftigt haben (Gastroenterology 2006; 130: 650; J Crohns Colitis; 2012, 6: 21), fehlen doch immer noch validierte, einfach zu erhebende Parameter, deren individueller prädikter Wert den Nutzen einer frühzeitig eingeleiteten intensivierten Therapie begründet. Mit der „German Inflammatory Bowel Disease Study Group“ (GISG) (http://www.gisg.eu/index.html) ist in den letzten Jahren eine Plattform geschaffen worden, die sich derartiger klinischer Fragestellungen widmen kann. Die GISG ist aus einer gemeinsamen Initiative der „Deutschen Arbeitsgemeinschaft für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen“ (DACED) und des Kompetenznetzes CED (http://www.kompetenznetz- ced.de) hervorgegangen. Ziel ist es, Vertreter aller Versorgungsstrukturebenen für Patienten mit CED, d. h. Praxen, Klinik und Universitäten, in die GISG zu integrieren. Dabei sollen individuelle Studienideen gemeinsam ausgearbeitet und umgesetzt werden und so die Forschung und Versorgung im Bereich der CED nachhaltig unterstützt werden. Aktuell beteiligen sich mehr als 90 Mitglieder aus 80 Studienzentren an der GISG. Während die GISG die patientennahe, klinische Forschung unterstützt, konzentriert sich die DACED mehr auf die grundlagenorientierte, krankheitsbezogene Forschung. In regelmäßigen Treffen der zahlreichen Arbeitsgruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, an denen insbesondere jüngere Kolleginnen und Kollegen teilnehmen, findet ein intensiver Austausch zu Aspekten der Pathogenese und experimenteller Therapieformen statt. Auch diese erfolgreichen Strukturen belegen nachhaltig die Dynamik in der Forschung im Bereich der CED. Insgesamt wird sich hoffentlich auch langfristig im Bereich der CED eine international kompetitive translationale Forschung mit sehr guten Perspektiven gerade für Nachwuchswissenschaftler in Deutschland weiter entwickeln. Diese Entwicklungen spannend und anregend für die Leser abzubilden und CED-interessierte Autoren mit qualitativ hochwertigen Manuskripten zu gewinnen, sind zentrale Aufgaben der Schriftleitung der Zeitschrift für Gastroenterologie. Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen der zukünftigen Hefte.