Die Patientin (im Folgenden Frau Gruber genannt) war zum Zeitpunkt des Auftretens
der
Erkrankung 31 Jahre alt, Mutter von zwei Söhnen und arbeitete in einer Bankfiliale
in Wien.
Die Aufnahmediagnose auf der Intensivstation lautete Guillain-Barré-Syndrom.
Das Interview mit Frau Gruber ist gekennzeichnet durch eine sehr konstruktive und
reflektierte Beschreibung des Erlebten. Von besonderer Bedeutung ist für Frau Gruber,
dass
sie sich nicht als belehrender Mensch zeigen möchte und sich darüber im Klaren ist,
dass
Menschen unterschiedliche Bedürfnisse haben.
Grüß Gott, Frau Gruber. Zuerst einmal herzlichen Dank für Ihre Bereitschaft, mit mir
dieses Interview zu führen und uns an Ihren Erfahrungen und Gefühlen teilhaben zu
lassen.
Darf ich Sie bitten, uns Ihren Krankheitsverlauf zu schildern?
Mit 31 Jahren, also im Herbst 2003, bekam ich eine Lähmungserscheinung nach einer
Virusinfektion. Ich war schon fast zwei Wochen im Krankenstand und hatte unter starken
Schmerzen festsitzende Herpesbläschen im Hals und starken Husten. Etwas Nennenswertes
werde
ich wohl nie vergessen: Ein Schluck Eistee hatte ein ganz seltsames Gefühlserlebnis
ausgelöst. Ich fror blitzschnell, spürte die Ameisen auf der Schädeldecke kraxeln,
runter in
den Rücken und zurück rauf spürte ich im Hals, auf der Zunge und in den Kopf hinein
ein
wanderndes, pelziges, fast schon haariges betäubendes noch nie erlebtes Gefühl, das
mich
total verwunderte. Beim Abendessen versuchte ich etwas Fleisch zu essen – vergeblich,
denn
es war mehr ein Würgen. Dann wollte ich ein Glas Wasser trinken – es schoss mir allerdings
gleich aus der Nase. Die Lähmung zog sich dann über den Kehlkopf runter. Die Selbstlaute
verschwanden beim Sprechen. Meine Kollegin verstand mich am Handy nicht mehr und alarmierte
die Rettung.Ich fühlte mich schon schwach und die Lähmungen waren nun auch in den
Fingerspitzen, als
ich im Krankenhaus auf der Hautambulanz wegen des brennenden weiß gepunkteten Hautausschlags
am Bein landete. Danach kam ich in die HNO-Ambulanz. Man schien ratlos zu sein. Ich
war drei
Stunden im Krankenhaus unterwegs, danach riss der Film. Teilszenen sind hängen geblieben:
Ich war noch fähig, mir den Speichel mittels eines Schlauches abzusaugen. Ich lag
im Bett
auf der Neurologie und schrieb, was ich sagen wollte, auf einen Zettel nieder. Es
war mir
unmöglich zu sprechen. Dann fiel mir aber auch bald der Bleistift aus der Hand, ich
sah nur
noch Doppelbilder, schlief dazwischen immer wieder ein. Permanent wurde ich auf Reflexe
kontrolliert, die immer schwächer wurden, und befragt. Eine Ärztin sagte mir, sie
hätten
einen Verdacht auf Miller-Fisher-Syndrom, das habe auch die Entnahme der Flüssigkeit
aus dem
Rückenmark ergeben. Ich sei in guten Händen und werde in ein anderes Krankenhaus verlegt,
da
sei ich sehr gut aufgehoben. Dort wurde ich direkt auf der Intensivstation aufgenommen.
Mir war das allerdings nicht
richtig bewusst, die letzten Szenen, die ich mitbekam, waren als man mir die intravenösen
Zugänge setzte. Dann wurde ich in den Tiefschlaf versetzt. Das Zwerchfell war gelähmt,
die
Atmung setzte aus und ich wurde künstlich beatmet. Viele Komplikationen folgten. Zwischen
dem Abendessen und dem Einschlafen lagen zwei Tage!
Sie waren viele Wochen auf der Intensivstation. Einen großen Teil dieser Zeit waren
Sie
im Tiefschlaf. Wie haben Sie den Aufenthalt auf der Intensivstation und im Besonderen
die
Aufwachphase erlebt?
Meine Erinnerungen bestehen aus dem Teil, den ich in meiner eigenen Welt, also in
meinem
Kopf, erlebt habe, dem Teil, den ich vermutlich auf der Station durch meine funktionierenden
Sinnesorgane wie Fühlen, Hören, Spüren aufgenommen habe und dem Gemischten, das meine
Halluzinationen daraus gemacht haben. Sie waren gefüllt mit Szenen, die mit großer
andauernder Angst zu tun hatten, ich wurde
verfolgt, man wollte meine Organe, Krankenschwestern unterhielten sich über dubiose
Dinge
und bedrohten mich, ich hörte Dschungelgeräusche, war immer liegend ans Bett gefesselt.Mein
Sohn starb, weil er in der Welt meiner Phantasie im Auto warten musste, weil gerade
keine Besuchszeit war, und er den Motor laufen lassen musste, weil es im Winter ja
so kalt
war. Er wurde durch die Auspuffgase vergiftet. Zudem konnte dann der rettende Hubschrauber
nicht starten, der Defibrillator war defekt.Ich selbst erstickte qualvoll in einer
extrem lang empfundenen Zeitspanne hilflos und starb
in einer fremden Gegend unter Krieg, man schlug mir das Telefon aus der Hand, meine
letzte
Rettung, weil ich ja keine Luft bekam, ich fragte mich ständig: Warum hilft mir denn
keiner?
Isolation pur …Ich erlebte mich an den verschiedensten Orten: im Fischkutter an einem
Fluss bei der Oper,
mein eigenes Begräbnis, allein liegend am Südbahnhof, eine Wendeltreppe runter holpernd,
eine göttliche Stimme, ein helles Licht, dem ich überall hin gefolgt wäre, irre Szenen,
die
Hollywood-Filmemachern gefallen hätten, die Gefühle jeder Szene wurde x-mal so gewaltig
vermittelt wie bei einem normalen Traum, gemischt mit der Umgebung und Menschen aus
der
Intensivstation, eine „eigene“ Welt, die niemand verstehen kann, der es nicht erlebt
hat.
Vielleicht mag man es mit den Halluzinationen eines Drogenabhängigen vergleichen.
Zeit gab es nicht. Sie war nicht fassbar. Ich hatte bemerkenswerte Erlebnisse, die
so
verrückt, aber auch realistisch waren, ich konnte diese nicht hinterfragen, nahm sie
so hin
und hatte Dinge wie den Hauseinsturz samt meiner Wohnung auch beim Aufwachen in die
reale
Welt mitgenommen, weil ich nicht differenzieren konnte.Oft habe ich mir den Fingerkuppelschlauch
zum Gerät, das meine Herzfrequenz gemessen hat,
runtergearbeitet, um auf mich aufmerksam zu machen, dass ich keine Luft bekam. Manchmal
passierte es, dass nicht gleich eine Schwester kam, da war ich oft verzweifelt, der
Schleim
in meiner Luftröhre war die aller-, allerstärkste Qual für mich, der ich so hilflos
ausgeliefert war. Ich dachte oft, ich weiß, dass das letzte Mal, als die Schwester
da war,
nicht lange her sein musste, aber ich bekam keine Luft! Und das leider häufig. Das
Aussaugen
des Schleims war zwar unangenehm, aber tat nicht weh und war befreiend. Beim Aufwachen
glaubte ich wirklich an den Tod meines Sohnes und trauerte. Ich musste viel
aufarbeiten und beginnen zu differenzieren, was wahr und nicht wahr war. Ich traute
der
realistischen Welt nicht mehr, fürchtete, dass Augenblicke später wieder alles auf
dem Kopf
steht. Doch die Bilder fügten sich in der immer wacheren Zeit immer mehr zusammen.
Dann begann die Zeit, in der ich wieder selbst atmete, die Schläuche Stück für Stück
aus
mir entfernt wurden, ich den ersten Wasserschluck sitzend im Rollstuhl trinken durfte.
Jede
Bewegung konnte man sich im Kopf vorstellen und kannte man, aber alles war so schwer,
wollte
nicht gelingen, ich musste alles lernen. Ganz von vorn. Die Hilfe vom Intensivpflegepersonal
empfand ich ganz, ganz positiv. Es war zwar eine Extremerfahrung pur abhängig zu sein,
und
nicht schön – vor allem wenn man mitten im Leben stand! – und sich selbst nackt im
Bett
liegend zu waschen war eine Stundenaufgabe und sehr unangenehm. Man sprach mich immer
bei
meinem Nachnamen an, das gab mir das Gefühl, man nimmt mich wahr und wichtig, die
Schwestern
waren feinfühlig, fragten immer wieder nach meinem Befinden. Kleine Witze bauten mich
auf. Eine der schönsten Erinnerungen ist Heiligabend, der Tag, an dem das Beatmungsrohr
aus
meinem Hals entfernt wurde und ich das erste Mal wieder sprechen konnte. Die Schwestern
und
Therapeutinnen halfen zusammen, um mich im Rollstuhl zum Christbaum zu führen, danach
machten die Schwestern und ich aus, was ich sagen soll, wenn meine Mutter zur Tür
rein
kommt. Sie machten diese Weihnachten besonders schön, freuten sich mit mir, das merkte
man
von Herzen, ich bin so dankbar dafür …
Nach den vielen Wochen auf der Intensivstation mit dem ganzen Auf und Ab würde mich
nun
interessieren: Wie haben Sie den Wechsel von der Intensivstation auf die Bettenstation
erlebt?
Der Wechsel auf die Bettenstation war einerseits befreiend, weil die anderen
Intensivpatienten und deren Behandlung mit den Maschinen endlich aus dem Blickwinkel
verschwanden, das belastete mich im Wachzustand schon sehr. Aber der gravierende Unterschied
war: Der menschlich einfühlende, fast schon sanfte Umgang
der Schwestern fehlte mir. Man fühlt sich auf der Bettenstation plötzlich sich selbst
überlassen, verlassen, fast schon hilflos. Diese Zuwendung gibt es nicht auf der
Bettenstation. Das war für mich schwer. Hier wäre eine psychologische Unterstützung
sehr,
sehr wertvoll – genau an diesem Punkt.
Wie ging es nach der Bettenstation weiter?
Hier kann ich nur noch nach der Entlassung direkt in die Reha einhaken, die Erfahrung
in
der Reha war einzigartig und toll, es ging extrem aufwärts.Der Weg in den Beruf, zurück
in die Bankfiliale, war hart, ich hatte kaum Selbstvertrauen,
keine Ausdauer, war oft müde, hatte auf Teilzeit gekürzt und von meinem Filialleiter
zum
Glück jede Unterstützung, doch kaum Verständnis von Kolleginnen und Kollegen, da man
mir
meine Krankheit nicht primär ansah. Die Kunden fragten oft nach meiner Halsnarbe.
Das war
auch schwer. Jeder Blick in den Spiegel erinnerte mich an diese Zeit, mit dem
Alltagsrhythmus kam die Routine und ich habe heute das Gefühl, ich habe diese Zeit
in erster
Linie primär einfach verdrängt. Tief runter verdrängt. Bereit zur Verarbeitung meiner
Erlebnisse war ich erst vor knapp eineinhalb Jahren, als der Nervenzusammenbruch und
das
Burnout ausbrachen. Ich lernte in meinen Psychotherapien meine Vergangenheit zu akzeptieren
und damit zu leben.Grundsätzlich werde ich bis heute diese Grundgefühle des Tiefschlafes
dieser Angst nicht
los, habe oft kein Selbstvertrauen ohne Grund und dieses Urgefühl der Sicherheit verloren.
Angst hatte ich davor gehabt, in den ersten acht Monaten eine Art Rückfall zu erleiden,
das
war für mich lähmend, bei jedem Anzeichen war ich panisch. Heute kann ich viele kleine
Besonderheiten in meinem Leben viel mehr schätzen und genießen, ich bin viel ruhiger
geworden, brauche auch Ruhe, mag keine Menschenmengen und Lärm seitdem. Komisch war
kurz
nach dem Spitalsaufenthalt auch das fremde Gefühl, wieder unter Leuten zu sein. Das
war
eigenartig …
Sie sprechen viel über Gefühle: Hat Ihnen das Pflegepersonal bei der Bewältigung Ihrer
Angst Unterstützung bieten können? Was hat Ihnen geholfen, was hat Ihnen Sicherheit
gegeben?
Man konnte es vermutlich in meinen Augen erkennen, ich war nachdenklich, traurig,
versuchte
zu begreifen, zu verstehen, was mir die Ärztin zuvor sagte, ich wurde aufgeklärt,
dass ich
sieben Wochen im Tiefschlaf war. Ich musste weinen. Eine Schwester kam an mein Bett,
hielt
mir die Hände. Auch wenn sie es nicht 100 %ig wissen konnte, sagte sie mir, ich werde
alles
wieder lernen, alles würde wieder gut, ich solle Geduld haben, und dass ich das erst
alles
verarbeiten muss – so liebe Worte, sie nahm sich sehr viel Zeit, verschwand nicht
gleich
wieder hinter einem danebenstehenden PC (die ich übrigens schrecklich finde neben
all diesen
Geräten und Monitoren, die den ganzen Tag piepsen), sondern sie baute mich mit Worten
auf,
solange bis ich nicht mehr weinen musste, Zuversicht bekam, dass ich eines Tages doch
wieder
laufen lernen würde. Die Worte der Schwester „Ihre beiden Jungs warten doch auch auf
Sie zu Hause“ waren da ganz
besonders gut, denke ich. Sicherheit hat mir, so komisch es klingen mag, auch die
tägliche
Beobachtung der Schwestern bei ihrer Arbeit gegeben.Es war das Besondere, dass man
individuell auf mich eingegangen ist und sich auch genau
gemerkt hat, was ich erzählt habe oder meine persönlichen Umstände genau kannte, dass
ich
aus dem Alltag gerissen wurde, man war mit großem Verständnis und Feingefühl für mich
da.
Auch pflegerisch gesehen. Ich empfand es fast als eine kleine Familie, zu der ich
gehörte.
Das war das Besondere, würde ich sagen.Ich muss Ihnen unbedingt dazwischen etwas mitteilen,
einfach so, weil mir auch noch so viel
im Kopf durchgegangen ist, und vielleicht einiges, was wichtig wäre, ich weiß aber
nicht, wo
ich das einbauen könnte. Also, zunächst mal möchte ich mich nicht als belehrenden
Menschen
zeigen. Patienten haben mit Sicherheit verschiedene Erlebnisse und verschiedene Bedürfnisse
und ich weiß nicht, ob z. B. ein älterer Mensch überhaupt berührt werden möchte …
Ich mochte
es z. B. gern, wenn man bei der Pflege (da war ich schon im „wacheren“ Zustand) bei
jedem
Schritt, den man tut, auch dazu gesprochen hat, z. B. dass man nicht nur die Hand
nimmt und
wäscht, sondern mir etwa auch gesagt hat: „So, ich wasch jetzt ihre Hand, dann die
Finger,
den kleinen bis zum Daumen“, das klingt jetzt irgendwie blöd, aber ich hab mich dabei
wohler
gefühlt. Ich wusste, was die Schwester jetzt im nächsten Schritt macht, und ich hab
zugehört
und es hat mich beruhigt.
Während der Zeit auf der Intensivstation waren Sie auch lange Zeit beatmet. Wie haben
Sie
diese Zeit erlebt?
Ich habe zu Beginn gar nicht bemerkt, dass ich bei der Atmung künstlich unterstützt
wurde,
erst als ich so im Halbwachzustand meine Mama sagen hörte, dass es so sei und ich
nach dem
Schlauch griff. Ich wunderte mich zu Beginn, dass ich das gar nicht spürte und war
voll der
Meinung, ich hab doch selbst geatmet … Da war kein Unterschied zu erkennen. Es war,
glaub
ich, doch gerade zu Beginn eine Zeit, wo ich nicht verschleimt war, so glaub ich das
heute,
weil ich auch später eben oft das Problem hatte, besonders vielleicht im wachen Zustand,
mit
dem Schleim zu atmen, der sich halt mit jedem Atemzug rauf und runter bewegte, mal
mehr, mal
weniger. Wenn ich Glück hatte gar nicht, das war schön. Dann musste ich mir fast nicht
überlegen, ob ich mir diese Fingerspitze vom Zeigefinger zupfte, anders konnte ich
nicht um
Aussaugen bitten … Man war so unglaublich abhängig, das war eine große Stresssituation.
Es
war z. B. oft eine Schwester, die immer wieder kam, und ich war so froh darüber, dass
sie
Verständnis zeigte – doch einmal ist es mir auch passiert, dass eine Schwester sagte,
dass
das nicht immer ginge, „nicht schon wieder“, ich war dann schon frustriert. Aber das
war
Gott sei Dank sehr selten. Man hat schon Angst, dass man vielleicht den Eindruck auf
das
Personal macht, man wolle Aufmerksamkeit oder nervt vielleicht absichtlich, aber das
war
keineswegs der Fall. Ich war froh, wenn ich Luft bekam und schlafen konnte, ich war
so
unglaublich erschöpft.Ich bekam von den Schwestern oft das Feedback, dass ich eine
ruhige, brave Patientin, eine
sehr umgängliche gewesen sei, ich freute mich natürlich darüber, aber ich möchte auch
offen
und ehrlich sagen: Leise kam in mir auch der Gedanke auf, was ist, wenn man ein
anstrengender Patient ist …
Falls es für Sie möglich ist, wäre es großartig, wenn Sie ein paar wenige ganz konkrete
Maßnahmen nennen könnten, von denen Sie glauben, dass es ganz wichtig ist, dass die
Pflegenden das in der täglichen Arbeit berücksichtigen.
Also, ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass man den Patienten sanft berührt und
darauf
achtet, was man in seiner Umgebung sagt. Also eventuell keine privaten Gespräche in
der
unmittelbaren Umgebung oder auch eher positive Wörter, ich bin nach meinem Erlebnis
davon
überzeugt, dass der Patient – auch wenn er schläft – Berührungen, Worte und kurze
Bilder
durch Augenöffnen genau spürt und in seine Welt aufnimmt.Ich glaube, es wäre wichtig,
auf die Reaktionen des Patienten genau zu achten, ich soll im
Schlaf geweint haben oder mit den Armen um mich geschlagen haben, ich denke, dass
ich da
etwas Heftiges oder Schlimmes geträumt habe und glaube, dass es in dieser Situation
wichtig
wäre, nicht nur festzuhalten, sondern auch beruhigende Worte auszusprechen, sanfte
Worte,
streichelnde Berührungen. Ich glaube, eine reine ausführende pflegende Maßnahme spürt
man als Patient schon.
Irgendwie scheint es eine Antenne zu geben, auch wenn man schläft. In der Aufwachphase
strengten mich auch kurze Besuche Angehöriger sehr an und die aus dem
Radio schallende Musik, jeder Ton schmerzte in meinem Kopf, ich konnte nichts tun.
Ich
glaube, dass Musik überbewertet wird, sie tut vielleicht nicht immer gut, das erkennt
man am
besten am Patienten. In der Zeit des Aufwachens war ich wie geschockt über das, was
passiert war, verwundert …
Unsicherheit, wie weit die Rückbildung der Lähmung geht, Angst, ohne Geräte einfach
zu
sterben, keine Orientierung, keine Kontrolle über meine Bewegungen, die ich neu erlernte –
diese Angst wurde durch Zuspruch von Schwestern und Ärzten und auch Nähe beendet.
Besonders
wichtig war für mich auch Einfühlungsvermögen, weil man sensibler ist. Vielleicht
ist es
auch irgendwie wichtig, dass nach dem Aufwachen ein Angehöriger auch erzählt, was
sich zu
Hause tut. Als mir meine Mama von den Jungs erzählt hat, dass sie auf mich warten
und es ihnen gut
geht, habe ich immer wieder unter Tränen versucht ihr mitzuteilen, dass sie mich anlügt.
Dass sie mich nicht belügen soll, weil sie mich schonen möchte. Ich konnte nicht zur
wachen
Welt unterscheiden. Sie agierte und holte die Jungs zum Besuch. Erst dann wurde mir
klar,
ach Gott, was läuft da … Ich dachte über die Situation nach, und der Genesungsprozess
hing
sehr viel davon ab, glaube ich! Erst als ich wusste, dass es meinen Kindern gut geht,
konnte
ich mich wieder auf mich konzentrieren, darauf, wieder nach Hause zu kommen, und der
Wille
war einfach auch wieder da. Vielleicht ist das vielen Angehörigen nicht so klar. Man
sollte
dem Patienten gut zuhören, ob er irgendwelche Dinge von sich gibt, die ihn aufregen,
und man
sollte dann abklären, ob das auch der Realität entspricht.Wichtig ist auch zu berücksichtigen,
dass es sehr schwer ist, plötzlich so hilflos und
abhängig zu sein. Ich glaube, großes Verständnis und eine gewisse Stärke aufseiten
der
Pfleger sind Voraussetzung für diesen sicher sehr anstrengenden Beruf.Aufgrund des
Datenschutzes und um die Anonymität dieser Frau zu wahren, wurden der Name der
Patientin und Textpassagen so verändert, dass ein Wiedererkennen der Person nicht
möglich
ist. Das Interview fand aufgrund von Praktikabilität per Mailverkehr statt. Der hier
abgedruckte Teil ist ein Auszug aus dem gesamten Interview, das im Mai 2011 von Martin
Fangmeyer durchgeführt wurde.