Die Diagnose des Schulterimpingements umfasst eine Reihe von Pathologien, welche mit
Funktionseinschränkungen einhergehen und mit heutigen diagnostischen Möglichkeiten
sehr gut differenziert werden können. Ist dieser allgemeingültige Begriff noch zeitgemäß?
Dies soll folgende Peer-Review-Studie zeigen.
Published Evidence Relevant to the Diagnosis of Impingement Syndrome of the Shoulder.
J Bone Joint Surg Am. 2011;93:1827–32
Einleitung
Neer führte 1972 den Begriff des Impingements für eine Reihe von Schulterpathologien
ein, die klinisch wie röntgenologisch nicht hinreichend gut differenzierbar waren.
Unsere heute standardgemäß eingesetzten diagnostischen Methoden mit MRT, Sonografie
und Arthroskopie lassen exakt zwischen den Ursachen wie (komplette und inkomplette)
Rotatorenmanschettenläsionen, Bursitis, sowie akromiale Pathologien oder Tendinosen
unterscheiden. Ziel dieser Studie war die Gültigkeit des Begriffes des "Schulterimpingements",
sowie die häufigste durchgeführte Therapie durch Akromioplastik anhand von fünf allgemeingültigen
Thesen in einem Peer-Review zu prüfen.
Material und Methoden
124 von 2303 den Suchkriterien der Studie entsprechenden Abstracts wurden auf die
Gültigkeit folgender zugrunde gelegter Hypothesen geprüft:
-
Klinische Tests können die Differentialdiagnosen des Impingement-Syndroms eindeutig
wiedergeben.
-
Häufige Ursache klinisch auffälliger Rotatorenmanschettenläsionen ist der Kontakt
mit dem korakoakromialen Bogen.
-
In gesunden Schultern besteht kein Kontakt zwischen dem korakoakromialem Bogen und
der Rotatorenmanschette.
-
Ein ventraler Akromionsporn reicht nicht in das korakoakromiale Band sondern liegt
dorsal davon, um die Rotatorenmanschette zu tangieren.
-
Die erfolgreiche Therapie schließt zwangsläufig die Akromioplastik ein.
Es wurden lediglich Level I- und II-Studien berücksichtigt und von drei der Autoren
ein systematisches Review durchgeführt.
Ergebnisse
Keine der Hypothesen konnte durch hohe Evidenz unterstützt werden. Die Autoren empfehlen
entsprechend unseren zeitgemäßen diagnostischen Möglichkeiten, die Begrifflichkeiten
sowie die Akromioplastik als Therapie des "Impingement-Syndroms" zu überdenken.
Kommentar
Die Studie besitzt aufgrund ihres Designs einen hohen Evidenzgrad (Level 1) und Die
Aktualität des Themas "Impingement" zeigt der in den letzten Jahrzehnten beobachtete
hohe Anstieg der Rate operativ durchgeführter subakromialer Dekompression (340 % in
New York, 575 % Minnesota) [
1
], [
2
]. Die Akromioplastik geht jedoch mit nicht unerheblichen Komplikationen, wie Schultersteife,
Instabilität, therapieresistenten Schmerzen oder Pseudoparalyse infolge M. deltoideus-Schädigung,
einher [
3
]. Dies zeigt die klinische Relevanz der Studie, welche klar strukturiert ist und
zum Nachdenken anregt.
Das Impingement-Syndrom ist eine funktionelle (Arbeits-)Diagnose aller Altersgruppen
mit Beschwerden beim Heben des Armes in Innenrotation, also Arbeiten in Überkopfhöhe.
Diese Bewegung, forciert, entspricht auch dem diagnostischen Äquivalent bei der Schulteruntersuchung,
beispielsweise mit dem Neer-Zeichen, Hawkins-Kennedy-Zeichen oder Neer-Infiltrations-Test.
Die Autoren fanden bei ersterem (Neer) eine Sensitivität von 76 % und 36 % Spezifität
(Hawkins 80 %/41 %), was den Erwartungen entspricht und die Anwendung weiterer apparativer
diagnostischer Optionen bekräftigt. Damit erhält die per definitionem "funktionelle
Diagnose" Impingement-Syndrom ein pathologisch-anatomisches Korrelat:
-
Rotatorenmanschettenruptur,
-
Bizepssehnenruptur,
-
Bursitis,
-
Tendinitis calcarea,
-
Akromionsporn,
-
pathologische.
-
Akromiondeformitäten,
-
ACG-Osteophyten,
-
mobiles Os acromiale,
-
in Fehlstellung verheilte Tuberkulum-majus-Frakturen,
-
Vernarbungen nach Rotatorenmanschetten-Naht etc.
Der Aspekt, dass die Rotatorenmanschette in einer gesunden Schulter mit dem korakoakromialen
Bogen artikuliert, wurde nicht nur in dieser Studie aufgezeigt, so dass die allgemeine
These der Ursächlichkeit eines Impingement-Syndroms durch mechanischen Kontakt der
Rotatorenmanschette mit diesem, nicht bekräftigt wird. Interessant wäre nun die weiterführende
Analyse, welche Indikationen zur (alleinigen) operativen Akromioplastik Bestand haben
und in welchem Grad tatsächlich effektiv sind.
Dr. med. Anica Eschler
Chirurgische Universitätsklinik Rostock
Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie
E-Mail: anica.eschler@med.uni-rostock.de