Otten H.
Professionelle Beziehungen. Theorie und Praxis der Balintgruppenarbeit.
Heidelberg: Springer Verlag; 2012.
ISBN: 978-3-642-03609-5 137 S., 39,95 €
„Der Arzt, sein Patient und die Krankheit“ – dieses medizingeschichtlich bahnbrechende
Grundlagenwerk Michael Balints hat den Anfang gemacht: es hat erstmals im Setting
der allgemeinmedizinischen Versorgung herausgearbeitet, dass Krankheit eben nicht
betrachtet werden kann als Defekt in einer Maschine, sondern dass es nur kranke Menschen
gibt, die in ihrer leib-seelischen Ganzheit betroffen sind und entsprechend behandelt
werden müssen, bei Strafe der falschen und schädlichen somatischen Medizin im Falle
der Missachtung dieses Grundsatzes. Balint hat mit seinem Werk die Beziehung zwischen
Arzt und Patient wieder zum Thema gemacht und deutlich werden lassen, welches Potenzial
an heilen Kräften, aber auch an Vertiefung des Kranken und Unheilen in dieser Beziehung
liegt. Eine wesentliche Folge dieses Werks war die Entstehung der Balintgruppen, heute
unentbehrlicher und selbstverständlicher Teil der psychosomatischen Ausbildung und
Praxis.
Das vorliegende Werk möchte einen Überblick geben über die Balintgruppenarbeit in
ihrer Entstehung und heutigen Praxis. Das Praxiskapitel beschreibt entsprechend den
Ablauf der Sitzungen sowie die Balintgruppenarbeit mit somatisch tätigen Ärzten, Psycho-Ärzten
(Psychiatern, Psychotherapeuten und Psychosomatikern) sowie mit Studenten. Die Darstellungen
beinhalten des Weiteren aber auch Balintgruppenarbeit und ihre besonderen Voraussetzungen
und Schwierigkeiten in unterschiedlichen Berufsgruppen, Kulturen und Nationalitäten.
Damit nicht genug, führt die Autorin auch in die Welt der Balintgruppenarbeit mit
„zusätzlichen kreativen Elementen“ wie Skulptur, Rollenspiel, Psychodrama oder Imagination
ein. Das ist für einen „somatisch tätigen Arzt“ noch weit schwerer zu schlucken als
eine Gruppe, in der er seine „apostolische Funktion“ abgeben muss, aber doch ein Faszinosum,
das zu erfahren wohl lohnend sein könnte.
Der Bildungsweg zu einer Leitung von Balintgruppen ist im Detail gezeichnet, sowohl
hinsichtlich der formalen Voraussetzungen als auch der weiteren Ausbildung einschließlich
Supervision der Gruppenleiter.
Die Darstellungen sind knapp, zuweilen sicherlich zu knapp, aber immer präzise. Immerhin
hätte man sich mehr Beispiele aus der Praxis gewünscht, doch allein dieser Wunsch
zeigt schon an, dass es der Autorin gelungen ist, das Interesse des Lesers für die
Balintgruppenarbeit zu wecken. Eindeutig zu kurz ausgefallen ist die Zusammenfassung
der Forschungsergebnisse, die nur 11 Seiten umfasst, ebenso ist das Literaturverzeichnis
sehr karg.
Dessen ungeachtet: Wer sich über die Balintgruppenarbeit informieren möchte, ist als
„somatisch tätiger Arzt“ ebenso wie als „Psycho-Arzt“, aber auch als Interessierter
aus nichtmedizinischen Berufen mit diesem Band sehr gut bedient.
Prof. Dr. Santiago Ewig, Bochum