Verantwortlich für diese Rubrik: Manfred Wolfersdorf, Bayreuth; Iris Hauth, Berlin
Mit dem §17d des KHG hat der Gesetzgeber die Entwicklung eines leistungsorientierten
Entgeltsystems für die stationäre Psychiatrie und Psychosomatik eingeleitet, die sich
an den Bedürfnissen von Menschen mit psychischen Erkrankungen und Behinderungen orientieren
soll, so wie es der §27 (1) des SGV vorgibt.
Um dies zu gewährleisten, muss sich das neue leistungsbezogene Entgeltsystem vom etablierten
DRG Fallpauschalensystem der somatischen Fächer deutlich unterscheiden. Zum einen
eignen sich die Fallpauschalen nicht für die Vergütung der Behandlung psychischer
Erkrankungen, weil weder die Dauer des Behandlungsprozesses noch die dafür notwendigen
Ressourcen und finanziellen Aufwendungen zuverlässig vorhersagbar sind. Zum anderen
ist der im DRG-Fallpauschalensystem immanente Anreiz, Personal durch die Verbesserung
und Beschleunigung technischer Behandlungsprozesse einzusparen, in der Psychiatrie
und Psychotherapie geradezu kontraproduktiv, weil hier die Zeit, die dem Patienten
gewidmet werden kann, zu den ganz wesentlichen Wirkfaktoren zählt.
Deshalb wurde zu Recht in §17d des KHG ein Tagesbezug für die Entgelte festgeschrieben,
und gleichzeitig festgelegt, dass die seit Jahren problematische Personalausstattung
der Kliniken wieder den notwendigen fachlichen Standards angepasst werden muss.
Die bisherige Umsetzung dieses Gesetzes seit 2009 entspricht leider weitgehend nicht
den darin formulierten Zielen. Trotz umfänglicher Kritik aller einschlägigen Fach-,
Patienten- und Angehörigenverbände (z. B. Hauth und Pollmächer, 2010) wurden alle
Kliniken zu einer personalaufwendigen zusätzlichen Leistungsdokumentation verpflichtet,
die der Logik der OPS des DRG-Systems folgt. Die Analyse der Leistungs- und Kostendaten
durch das InEK erfolgte mit Mitteln der DRGKalkulationssystematik und hat bisher keine
verwertbaren Ergebnisse erbracht.
Der im November 2011 veröffentlichte Referentenentwurf für ein Gesetz zur Einführung
eines pauschalierenden Entgeltsystems für psychiatrische und psychosomatische Einrichtungen
(PsychEntG) steht inhaltlich in seiner Ausgestaltung in eklatantem Widerspruch zum
ursprünglich deklarierten Willen, den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker gerecht
zu werden.
In schriftlichen Stellungnahmen und bei der Anhörung Anfang Dezember 2011 haben alle
Fachgesellschaften, Fachverbände und der Betroffenen- und Angehörigenorganisationen
unisono auf die gravierenden Mängel hingewiesen. Ohne Berücksichtigung der Argumente
und weiterer Diskussionen wurde am 18. Januar 2012 der Kabinettsentwurf inhaltlich
nahezu unverändert veröffentlicht.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung erfüllt in folgend aufgeführten Inhalten die
Anforderungen an die Entwicklung eines leistungsorientierten und versorgungsgerechten
Entgeltsystems für Menschen mit psychischen Störungen nicht:
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Die Finanzierung des zunehmenden Versorgungsbedarfs, der durch erhöhte Erkrankungshäufigkeit und vermehrte Inanspruchnahme aller Altersgruppen
bedingt ist, ist sowohl auf Hausebene als auch auf Landesebene defizitär geregelt,
sodass eine qualitätsvolle Versorgung der psychisch erkrankten Menschen nicht mehr
gewährleistet sein wird.
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Die quantitative und qualitative Personalausstattung, die ein wesentlicher Wirkfaktor in der Behandlung psychisch erkrankter Menschen ist,
wird schon in der budgetneutralen Phase, viel mehr noch nach Wegfall der Psychiatrie-Personalverordnung
in der Konvergenzphase, nicht mehr gewährleistet sein. Die anteilige Refinanzierung
der tarifbedingten Personalkostensteigerungen, die ca. 80% eines Gesamtbudgets eines
Krankenhauses ausmachen, führen zu einer galoppierenden Unterfinanzierung mit Abbau
von qualifiziertem Personal und damit zu erheblicher Einschränkung von Leistungsqualität.
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Es fehlt ein klares Bekenntnis zum Tagesbezug der Entgelte, wobei die Entwicklung zu Fallpauschalen und zeitorientierten Pauschalen offen gelassen
wird. Dies widerspricht dem ursprünglichen Willen des Gesetzgebers, der sich nicht
ohne Grund dafür entschieden hat, die Psychiatrie aus dem Fallpauschalensystem herauszunehmen.
Weltweit haben Fallpauschalen wegen der variierenden Verweildauern und Ressourcen
bei der Behandlung psychisch erkrankter Menschen nicht zum Ziel geführt. Effekte,
wie sie als Folge des DRG-Fallpauschalen-Systems bekannt sind, gefährden die Qualität
der psychiatrischen Versorgung.
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Die regionale Pflichtversorgung durch psychiatrische Krankenhäuser ist von hoher Bedeutung für die Qualität der regionalen Versorgung und unterstützt
die hoheitlichen Aufgaben der Länder und Behörden. Es fehlt nach wie vor ein klares
Bekenntnis des Gesetzgebers, dass die bisher über die Krankenhausbudgets finanzierten
Aufgaben der Krankenhäuser im Rahmen der regionalen Pflichtversorgung auch im neuen
System über die Krankenhausvergütung adäquat finanziert werden soll.
Zusammenfassend erscheint der nun dem Bundestag zur Beratung zugeleitete Entwurf ein
Rationierungs- und Spargesetz, welches entgegen der ursprünglichen Absicht weder die
besonderen Belange der Menschen mit psychischen Erkrankungen berücksichtigt, noch
die für deren fachgerechte Behandlung langfristig notwendigen personellen Ressourcen
sichert. Aus Sicht der BDK ist nicht hinzunehmen, dass die früh und vielfach vorgetragenen
Bedenken von Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten, die mehrfach angeboten haben
an der Entwicklung einer sachgerechten Lösung in einer Expertenkommission mitzuwirken,
bis heute beharrlich ignoriert werden.
Deshalb fordert die BDK ein Moratorium, so lange bis eine vom BMG einzusetzende Kommission
bestehend aus Vertretern der Selbstverwaltungspartner, der Betroffenen, Angehörigen
und Fachleuten auf der Basis einer Analyse der aktuellen und zukünftigen Versorgungsnotwendigkeiten
einen wirklich sachgerechten Vorschlag für die konkrete Ausgestaltung des ordnungspolitischen
Rahmens und des Entgeltsystems selbst vorgelegt haben wird.[
1
] Die BDK bittet alle Entscheidungsträger nachdrücklich, insbesondere die Angehörigen
des Deutschen Bundestages, keinem Gesetz zuzustimmen, welches die gerade in Deutschland
mühsam über Jahrzehnte erkämpften hohen Behandlungsstandards für Menschen mit psychischen
Erkrankungen massiv gefährdet, wie dies der jetzt vorgelegte Gesetzesentwurf tut.
29. Februar 2012
Dr. Iris Hauth
Vorsitzende der BDK
Prof. Dr. Thomas Pollmächer
Mitglied des Vorstandes der BDK