Rechteinhaber, Rechteverwertung und Rechteübertragung
Die medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften in Deutschland haben in den
vergangenen fast 20 Jahren eine Vielzahl medizinisch-wissenschaftlicher Leitlinien
erarbeitet. Die Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher medizinischer Fachgesellschaften
(AWMF) hat dabei insbesondere die Aufgabe übernommen, die Erarbeitung solcher Leitlinien
zu koordinieren, kodifizierten einheitlichen Standards zu unterwerfen und die erstellten
Leitlinien in möglichst aktuellen Fassungen zu veröffentlichen. Diese Entwicklung
ist stets von großer Eigeninitiative und ärztlichem Enthusiasmus getragen worden.
Mittlerweile aber setzen sich neben den immer schon bestehenden juristischen Implikationen
zunehmend merkantile Aspekte und Interessen bei der Leitlinienerstellung durch. Gerade
die Verwertung der Leitlinienerkenntnisse und ihre Auswirkungen auf die Patientenversorgung
sind für einige Beteiligten im Gesundheitswesen von bedeutendem Interesse. Dabei geht
es dann oft um die Fragen, wem gehören eigentlich die Leitlinien und wer oder was
darf sie wie verwerten.
Die folgenden Ausführungen sollen daher die rechtlichen Grundlagen der Urheberrechte
an medizinisch-wissenschaftlichen Leitlinien darstellen. In Einzelfällen kann es aufgrund
besonderer Vereinbarungen berücksichtigungswürdige Abweichungen geben
Bestehen von Urheberrecht an Leitlinien
Das Urheberrecht findet auf medizinische Leitlinien Anwendung. Diese sind Sprachwerke
im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Urheberrechtsgesetz (UrhG).
Bei einer Leitlinie wird die nach § 2 Abs. 2 UrhG geforderte Schöpfungshöhe regelmäßig
erreicht. Die dazu erforderliche persönlich-geistige Schöpfung, also die Schaffung
etwas noch nie Dagewesenes, wird bei Leitlinien der Stufen S2 und S3 sowie Nationalen
Versorgungsleitlinien (NVL) regelmäßig vorliegen. Bei diesen liegt die schutzfähige
geistige Schöpfung weniger im eigentlichen Wortlaut, als vielmehr in der Struktur
der Leitlinie und der wissenschaftlichen Aufbereitung der ihr zugrundeliegenden Evidenz.
Anderes könnte bei wenigen Leitlinien der Stufe S1, somit bei Handlungsanweisungen,
gelten. Bei diesen kann unter Umständen die eigene geistig-schöpferische Leistung
der Autoren in Abgrenzung zu bestehenden und bekannten Ausführungen zu der jeweiligen
Therapie so gering ausfallen, dass eventuell kein Urheberrecht entstehen kann. Hier
ist eine Einzelfallbetrachtung erforderlich.
Urheber
Urheber sind die Schöpfer, mithin die Autoren der Leitlinie. Infrage kommen auch sonstige
wissenschaftliche Mitarbeiter, die z. B. die Aufbereitung der Evidenz durchführen.
Da es sich bei der Erstellung einer Leitlinie um ein Gemeinschaftswerk der gesamten
Leitliniengruppe handelt, werden auch die Mitglieder dieser Gruppe gemeinsam Urheber.
Das bedeutet, dass den Mitgliedern der Leitlinien-Gruppe das Urheberrecht gemeinschaftlich
„zur gesamten Hand“ zusteht, § 8 Abs. 2 Satz 1 UrhG. Eine Übertragung von Nutzungsrechten
kann grundsätzlich nur gemeinschaftlich erfolgen. Zwar wäre eine abweichende Vereinbarung,
nach der Stimmenmehrheit ausreicht, möglich, eine solche ist aber nicht ersichtlich,
da entsprechende Vereinbarungen unter den Autoren regelmäßig nicht getroffen werden.
Verwertungsrechte
Eine Übertragung des Urheberrechts als solches ist grundsätzlich ausgeschlossen, § 29
UrhG. Auch die Verwertungsrechte (§§ 15ff UrhG) sind ausschließliche Rechte des Urhebers
und durch Rechtsgeschäft nicht übertragbar. Durch einen Vertrag (Rechtsgeschäft) auf
Dritte übertragbar sind allein die Nutzungsrechte (§§ 31ff. UrhG).
Nutzungsrechte / Einwilligung in Eingriffe
Die Urheber können durch Einräumung von Nutzungsrechten oder durch Verzicht auf das
urheberrechtliche Verbotsrecht (Einwilligung in den Eingriff in das Urheberrecht)
anderen die (wirtschaftliche) Verwertung der Leitlinien ermöglichen. Dieses kann auch
mündlich und sogar stillschweigend (konkludent) geschehen.
Hergebrachte Veröffentlichungswege
Den Autoren von Leitlinien ist von Beginn an bewusst, dass die Leitlinien von den
beteiligten Fachgesellschaften, der AWMF und ggfls. – bei NVL – der Bundesärztekammer
(BÄK) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und Dritten, etwa dem Ärztlichen
Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ), veröffentlicht werden. In Kenntnis dieser
Verwertung des eigenen Werks (nämlich der Leitlinie) geben sie die Leitlinien den
genannten Organisationen zur Verwendung (und somit Nutzung im Rechtssinne) nach Fertigstellung
frei. In dieser Freigabe ist eine begrenzte Übertragung von Nutzungsrechten konkludent enthalten. Diese ist auf solche Nutzungsarten begrenzt, die bei Freigabe der Leitlinie
den Autoren (Rechteinhabern) bekannt waren und von denen sie erfahrungsgemäß ausgehen
durften. Nur in Bezug auf solche Nutzungsarten und auch in Bezug auf den bekannten
Umfang der Nutzung kann ein Rechtsbindungswille der Autoren angenommen werden. Weitergehende
Nutzungen der Leitlinie, sei es in anderen Medien, in anderem Umfang (z. B. kostenpflichtig)
oder in sonstiger bisher nicht praktizierter Art und Weise sind mit einer konkludent
erteilten Nutzungsrechtseinräumung nicht enthalten. Beweispflichtig für den Umstand,
dass Nutzungsrechte eingeräumt wurden, ist derjenige, der sich auf die Nutzungsrechte
beruft, mithin die die Leitlinie veröffentlichenden Organisationen.
Die AWMF hat seit geraumer Zeit auf ihrer Homepage einen Disclaimer, wonach die Autoren
bzw. Fachgesellschaften von „normalen“ Leitlinien der AWMF mit der Einreichung der
Leitlinie zur Veröffentlichung im Leitlinien-Register der AWMF dieser das Nutzungsrecht
zur Veröffentlichung im WorldWideWeb einräumen. Ein entsprechender Disclaimer ist
auch in Bezug auf NVL auf den Seiten der AWMF vorhanden.
In Bezug auf die hergebrachten Veröffentlichungswege ist davon auszugehen, dass Nutzungsrechte
von den Autoren mit der Freigabe der Leitlinie jedenfalls gegenüber der AWMF (Disclaimer),
wohl aber auch gegenüber den sonstigen Organisationen (Fachgesellschaften, BÄK, KBV
und ÄZQ) konkludent eingeräumt wurden / werden.
Neue Veröffentlichungswege (z. B: Apps)
Bisher nicht übertragen werden die Rechte zur Veröffentlichung der Leitlinien oder
ihres Inhalts in anderen Medien oder auf anderen Veröffentlichungswegen. Das Urheberrecht
– so der Grundsatz – hat die Tendenz, beim Urheber zu verbleiben. Daraus folgt, dass
im Zweifel kein Nutzungsrecht eingeräumt worden ist.
Wie dargestellt ist bereits die Veröffentlichung im hergebrachten Umfang durch die
AWMF etc. nur unter Zuhilfenahme anerkannter rechtsdogmatischer Interpretationen,
wie konkludenten Vertragsschluss zur Übertragung von Nutzungsrechten oder Einwilligung
in Eingriffe in das Urheberrecht, möglich.
Da es keine explizite Regelung zum Umfang des eingeräumten Nutzungsrechts gibt, ist
zur Feststellung dieses Umfangs auf die gesetzliche Regelung des § 31 UrhG zurückzugreifen.
„(1) Der Urheber kann einem anderen das Recht einräumen, das Werk auf einzelne oder
alle Nutzungsarten zu nutzen (Nutzungsrecht). Das Nutzungsrecht kann als einfaches
oder ausschließliches Recht sowie räumlich, zeitlich oder inhaltlich beschränkt eingeräumt
werden…
(5) Sind bei der Einräumung eines Nutzungsrechts die Nutzungsarten nicht ausdrücklich
einzeln bezeichnet, so bestimmt sich nach dem von beiden Partnern zugrunde gelegten
Vertragszweck, auf welche Nutzungsarten es sich erstreckt. Entsprechendes gilt für
die Frage, ob ein Nutzungsrecht eingeräumt wird, ob es sich um ein einfaches oder
ausschließliches Nutzungsrecht handelt, wie weit Nutzungsrecht und Verbotsrecht reichen
und welchen Einschränkungen das Nutzungsrecht unterliegt.“
Im Zweifel ist davon auszugehen, dass das Nutzungsrecht nur im geringstmöglichen und
-nötigen Umfang eingeräumt worden ist. Da kein expliziter Vertragsschluss vorliegt,
vielmehr auf einen konkludenten Vertragsschluss abgestellt werden muss, ist entscheidend,
von welchen Formen der Veröffentlichung die Urheber zum Zeitpunkt der Freigabe der
Leitlinie positive Kenntnis hatten. Nur in diese Formen der Veröffentlichung konnten
sie konkludent einwilligen.
Vorliegend gilt daher, dass die AWMF, die Fachgesellschaften und Dritte (BÄK, KBV,
ÄZQ) nur ein einfaches Nutzungsrecht in Bezug auf die hergebrachten Veröffentlichungsformen
eingeräumt wurde. Die Veröffentlichung in Apps oder anderen, bisher nicht bekannten
oder nicht üblichen Erscheinungsformen stellt eine neue Form der Veröffentlichung
dar, für die kein Nutzungsrecht besteht. Da z. B. die App auch von Smartphones oder
TabletPCs aufgerufen werden kann, ist bereits aus diesem Grund von einem anderen Medium
und somit von einem neuen Vertriebsweg auszugehen. Vergleichbar ist dies mit der Neuausgabe
eines bisher nur als gebundene Ausgabe erschienenen Buchs als Taschenbuch. Auch in
diesem Fall wäre eine neue Einräumung von Nutzungsrechten (sog. (Unter-) Lizenz) erforderlich.
Ob der Inhalt der Leitlinie unverändert übernommen oder redaktionell überarbeitet
wird, ist unerheblich.
Veröffentlichung durch Dritte
Auch nicht umfasst vom konkludent eingeräumten Nutzungsrecht ist die Weitergabe dieses
Nutzungsrechts an Dritte bzw. die Einräumung eines Unternutzungsrechts. Damit ist
auch eine Kooperation mit Dritten (z. B. Verlagen) ohne Zustimmung der Urheber ausgeschlossen.
Ergebnis
Die beteiligten Organisationen (Fachgesellschaften, AWMF, BÄK, KBV, ÄZQ) haben durch
konkludente Übertragung von der Urhebergemeinschaft ein einfaches Nutzungsrecht für
die hergebrachten Formen der Veröffentlichung von Leitlinien eingeräumt erhalten.
Für die Nutzung der Leitlinien in anderen Veröffentlichungsformen oder für die Einräumung
eines Unternutzungsrechts an Dritte ist die Zustimmung der Urheberrechtsgemeinschaft
erforderlich. Diese Zustimmung kann nur von allen Mitgliedern der Urheberrechtsgemeinschaft
gemeinsam erklärt werden.
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Für bereits bestehende Leitlinien sind diese anzufragen. Streng genommen kann eine
solche nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) nicht erteilt werden, da § 8 Abs. 1
UrhG allein die vorherige Zustimmung (Einwilligung) zulässt. Eine Genehmigung kann
jedoch als Verzicht auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus der Rechtsverletzung
gewertet werden.
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Für noch nicht freigegebene Leitlinien kann die Einwilligung durch eine entsprechende
Abstimmung der Leitlinien-Gruppe erfolgen.
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Für noch nicht angemeldete Leitlinien kann grundsätzlich der bisherige Weg beschritten
werden. Allerdings ist auch hier eine nachweisbare und explizite Einräumung von Nutzungsrechten
durch Einwilligung vorzugswürdig (Rechtssicherheit).
Grundsätzlich kann für die Zukunft auch ein Nutzungsrecht mit Recht zur Einräumung
von Unternutzungsrechten (Sublizenzen) eingeräumt werden. Ein solches Nutzungsrecht
dürfte allerdings rechtssicher nur durch explizite – zu Beweiszwecken idealerweise
schriftliche – vertragliche Vereinbarung eingeräumt werden können.
Rechtsanwalt Dr. A. Wienke
Rechtsanwalt Torsten Nölling
Fachanwälte für Medizinrecht
Wienke & Becker – Köln
Sachsenring 6
50677 Köln
0221/3765310
Internet: www.Kanzlei-WBK.de
Rückblick – Bayerischer Röntgenkongress 2012
Vom 28.10.–29.10.2012 fand der diesjährige Bayerische Röntgenkongress in Erlangen
statt.
Das breit gefächerte Programm mit den Hauptthemen:
und die Möglichkeit, am Freitagnachmittag einen praktischen Workshop zu besuchen zog
viele Teilnehmer/innen an. Die Zahlen im Überblick:
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Gesamtbesucher: 612
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MTRA: 129
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Ärzte, Referenten: 346
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Industrie: 137
Voller Saal beim MTRA-Programm.
Ein Dankeschön geht an die Firma Bayer. Traditionell veranstalteten sie wieder das
Lunchsymposium unter dem Motto: „3 Tesla vs. 1.5 Tesla“
2013 findet der Bayerische Röntgenkongress in Bamberg statt. Auch hier wird es ein
interessantes Programm u. a. mit den Themen Orthopädie, Neuroradiologie und Onkologie
geben.
Notieren Sie sich schon mal den 18./19.10. 2013 in Ihrem Terminkalender. Wir würden uns freuen, Sie wieder zahlreich begrüßen zu
dürfen.
Ihr VMTB-Vorstand