Rofo 2013; 185(4): 389-392
DOI: 10.1055/s-0032-1319349
DRG-Mitteilungen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Vornahme einer digitalen Subtraktionsangiografie bei einer superfiziellen Siderose – Aufklärung über die Erfolgschancen des diagnostischen Eingriffs

Anmerkung zum Urteil des OLG München vom 31. 05. 2012 – Az.: 1 U 3884/11
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Publikationsdatum:
03. April 2013 (online)

 

Einführung

„Salus et voluntas aegrotii suprema lex – Das Heil und der Wille des Kranken sind oberstes Gesetz.“ Dieser Grundsatz kommt insbesondere in der Pflicht des Arztes, den Patienten vor jeder diagnostischen oder therapeutischen Maßnahme aufzuklären, zum Ausdruck. Information und Zustimmung des Patienten basieren demzufolge in erster Linie auf ethischen Geboten. Daneben hat die Aufklärungspflicht des Arztes aber auch eine normative Wurzel: Das verfassungsrechtlich gewährleistete Selbstbestimmungsrecht des Patienten gebietet die Achtung und Schutz der Würde, die Freiheit des Menschen sowie sein Recht auf körperliche Unversehrtheit, Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 sowie Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Wesentlicher Ausfluss dieses Rechts auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit ist im Arzthaftungsrecht der Vorbehalt des Patienten, wonach er seine Zustimmung zu einer Behandlung erteilen, aber auch verweigern kann. Um eine sinnvolle Wahrnehmung des Selbstbestimmungsrrechts gewährleisten zu können, bedarf die Einwilligung aber der vorherigen ordnungsgemäßen Aufklärung des Patienten (sog. informed consent). Die Aufklärung ist damit das bestimmende Merkmal der Einwilligung.

Vor diesem Hintergrund kann ein jeder im Rahmen der Rechtsordnung über seinen Körper sowie das, was mit ihm geschieht, selbst frei bestimmen. So entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem viel zitierten Urteil, dass „die Bestimmung über seine leiblich-seelische Integrität […] zum ureigensten Bereich der Personalität des Menschen [gehört]. In diesem Bereich ist er aus Sicht des Grundgesetzes frei, seine Maßstäbe zu wählen und nach ihnen zu leben und zu entscheiden. Eben diese Freiheit zur Selbstbestimmung wird durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG besonders hervorgehoben und verbürgt. [1]“

Fehlt es hingegen an einem solchen „informed consent“, so ist dies grundsätzlich als Verletzung des Behandlungsvertrags zu werten, sodass die Behandlung – von Ausnahmen abgesehen – letztlich rechtswidrig erfolgt ist und zwar unabhängig davon, ob sie indiziert war und lege artis durchgeführt wurde. Mit anderen Worten: Eine unterlassene, unvollständige oder falsche Aufklärung kann aus zivilrechtlicher Sicht sowohl zu einer vertraglichen sowie zu einer deliktischen Haftung führen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Anforderungen an die medizinische Aufklärungspflicht durch das aktuelle Patientenrechtegesetz nunmehr in § 630c sowie § 630e Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gesetzlich festgeschrieben wurden. Zudem begeht der Arzt eine rechtswidrige Körperverletzung gem. §§ 223 ff. Strafgesetzbuch (StGB), wenn und soweit sich der Eingriff im konkreten Fall nicht als gerechtfertigt erweist.


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Sachverhalt

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Ausgangsverfahren klagte eine Patientin, die seit Jahren an einem Schwankschwindel litt und sich deswegen in die Behandlung der Beklagten begab. Ein angefertigtes MRT des Schädels ergab eine ausgedehnte Mikroangiographie, den Verdacht auf kleine venöse Malformationen im Tentorium links mit Zeichen einer abgelaufenen Subarachnoidalblutung mit Hämosiderinablagerungen auf dem Kleinhirn. Zwei Wochen später wurde ein kranielles MRT erstellt, welches die Diagnose einer unklaren, superfiziellen Siderose ergab. Deswegen wurde die Patientin zur weiteren differenzialdiagnostischen Abklärung auf eine neurologische Station verlegt. Die dort durchgeführten Computertomografien von Wirbelsäule und Kopf führten zum Nachweis von Blut im Wirbelkanal. Dieser Verdacht konnte durch eine Liquoruntersuchung erhärtet werden. Auf dieser Grundlage stellten die Beklagten die Indikation zu einer Angiografie. Im Beisein der Tochter fand ein Gespräch statt, in dem auf die Gefahr eines Schlaganfalls bei der DSA-Untersuchung hingewiesen wurde. Die später durchgeführte DSA blieb ohne Befund. Während der Untersuchung beschrieb die Klägerin ein Kribbeln im linken Arm, nach Entfernen des Katheters auch Kribbelparästhesien. Nach Verlegung auf die Stroke Unit wurde ein Schlaganfall mit einer armbetonten geringgradigen Halbseitensymptomatik links diagnostiziert. Die Symptome bildeten sich zurück, traten dann aber erneut auf.

Die Klägerin trug vor, sie sei im Vorfeld der Untersuchung nicht hinreichend über das mögliche Risiko eines Schlaganfalls infolge der DSA aufgeklärt worden. Ferner sei eine ordnungsgemäße Aufklärung über mögliche Behandlungsalternativen unterblieben, obwohl es an einer unbedingten therapeutischen Indikation für die DSA gefehlt habe. Vor diesem Hintergrund begehrte die Klägerin, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu einer Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz sowie einer monatlichen Rente zu verurteilen.

Das Landgericht (LG) München wies die Klage in erster Instanz als unbegründet ab. Das Oberlandesgericht (OLG) München bestätigte diese Entscheidung im Berufungsverfahren.


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Inhalte der Aufklärung

Von der sog. therapeutischen Aufklärung, welche den Patienten über prä- sowie postoperative Verhaltensmaßregeln zur Gewährleistung des Heilerfolgs („Patienten-Compliance“) informieren soll, ist die bereits erwähnte Selbstbestimmungsaufklärung (auch Eingriffsaufklärung genannt) zu unterscheiden. Letztere untergliedert sich wiederum in die Diagnose-, Verlaufs- und Risikoaufklärung.

Die Diagnoseaufklärung, das heißt die Mitteilung des Befunds sowie die aus ihr resultierenden Prognosen, ist der Ausgangspunkt einer jeden Behandlung. Sie umfasst dabei auch die Mitteilung darüber, wie „sicher“ die Diagnose ist, da die Entscheidungsgrundlage des Patienten bei einer reinen Verdachtsdiagnose eine gänzlich andere ist als bei einer exakten Diagnose. Davon zu trennen ist die Verlaufsaufklärung. Sie erstreckt sich auf Art, Umfang und Durchführung sowie die Indikation des beabsichtigten Eingriffs. Der Arzt muss seinen Patienten in diesem Zusammenhang ebenfalls seinen nach dem jeweiligen Stand des ärztlichen Wissens prognostizierbaren weiteren Gesundheitsverlauf ohne medizinische Behandlung im Vergleich zu seiner gesundheitlichen Situation nach erfolgtem Eingriff darlegen. Im Mittelpunkt der Aufklärungsproblematik steht die Risikoaufklärung, welche den Patienten über die sich aus dem Eingriff ergebenden Belastungen und Komplikationen, die seine Lebensführung beeinflussen können, unterrichten soll. Deswegen muss mit dem Patienten neben den Erfolgschancen ebenso das Risiko des Fehlschlagens des Eingriffs erörtert werden, welches sich auch bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt und fehlerfreier ärztlicher Behandlung nicht immer gänzlich vermeiden lässt.

Zur Vollständigkeit sei an dieser Stelle auf die wirtschaftliche Aufklärungspflicht gem. § 630c Abs. 3 BGB hingewiesen, wonach der behandelnde Arzt, wenn er positiv weiß oder ihm hinreichende Anhaltspunkte bekannt sind, verpflichtet ist, den Patienten darüber zu informieren, dass die voraussichtlichen Behandlungskosten ggf. nicht durch einen Dritten vollständig übernommen werden.

a) Umfang der Aufklärung

Der Umfang der erforderlichen Aufklärung lässt sich pauschal nicht festlegen, sondern hängt weithin von den Umständen des einzelnen Falles ab [2]. Ausgangspunkt ist wiederum der Schutzzweck der Aufklärung: das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Der Patient muss Wesen, Bedeutung und Tragweite der Behandlung erfassen und das Für und Wider so verstehen können, dass ihm eine verständige Abwägung und dadurch die Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts möglich ist [3]. Deswegen muss der behandelnde Arzt als primär Aufklärungspflichtiger zunächst in einem direkten Gespräch mit dem Patienten als Aufklärungsadressaten ermitteln, inwieweit eine Aufklärung notwendig, zumutbar und gewollt ist, wobei er insbesondere die persönlichen Bedürfnisse und Eigenarten berücksichtigen muss. Mithin gilt das Prinzip der patientenbezogenen Information. Für die Risikoaufklärung folgt daraus einerseits, dass eine exakte medizinische Beschreibung mit Darstellung sämtlicher Erscheinungsformen der in Betracht kommenden Risiken nicht erforderlich ist. Andererseits ist eine solche Grundaufklärung nur erteilt, wenn dem Patienten ein zutreffender Eindruck von der Schwere des Eingriffs und von der Art der Belastungen vermittelt wird, die für seine körperliche Integrität und Lebensführung auf ihn zukommen.

Die Anforderungen an den Umfang der Aufklärung steigen somit mit den Risiken, die mit dem Eingriff verbunden sind [4]. Entscheidend ist dabei primär die Schwere eventueller Schäden infolge des Eingriffs für die Lebensführung des Patienten sowie der Umstand, dass ein Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet [5]. Erst nachrangig ist auf die Komplikationsdichte erfahrungsgemäß eintretender Schadensfolgen hinzuweisen. Birgt der beabsichtigte Eingriff mehrere unterschiedliche Risiken, so ist der Patient über jedes einzelne aufzuklären. Es genügt dabei insbesondere nicht, den Patienten auf das schwerste in Betracht kommende Risiko hinzuweisen, da die Aufklärung über das Hauptrisiko eine Aufklärung über weniger schwere Risiken nicht entbehrlich macht [6]. Somit hat der Arzt auch über seltene Risiken aufzuklären. Bei der Gewichtung und Bewertung der Risiken ist auf die individuelle Beurteilung des Patienten abzustellen, da dieser in Kenntnis des geringeren Risikos möglicherweise eine andere Entscheidung getroffen hätte [7].

Nach der Rechtsprechung verhalten sich Umfang und Genauigkeitsgrad der Aufklärung umgekehrt proportional zur Dringlichkeit und zu den Heilungsaussichten eines Eingriffs [8]. „Je weniger dringlich der Eingriff sich nach medizinischer Indikation und Heilungsaussicht in zeitlicher und sachlicher Hinsicht für den Patienten darstellt“ [9], desto intensiver und schonungsloser muss die Aufklärung erfolgen. Umgekehrt gilt: Je dringlicher ein Eingriff aus medizinischer Sicht ist, desto eher können therapeutische Gesichtspunkte das Maß der Aufklärungslast begrenzen. Infolgedessen unterliegen insbesondere diagnostische Eingriffe ohne therapeutischen Eigenwert strengeren Maßstäben, sofern der invasive Schritt nicht dringend oder sogar vital indiziert erscheint. In einem solchen Fall muss der Arzt dem Patienten selbst entfernt liegende Komplikationsmöglichkeiten in angemessener Weise aufzeigen [10].

Die Aufklärungspflicht kann freilich nur für solche Risiken Geltung beanspruchen, die nach dem medizinischen Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Vornahme des Eingriffs bereits bekannt waren. Dabei ist es nicht erforderlich, dass eine wissenschaftliche Diskussion zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen war. Es genügt vielmehr, dass bei Vornahme der Behandlung ernstzunehmende Stimmen in Theorie und Praxis vorhanden waren, die auf bestimmte mit der Behandlung verbundene Risiken hinweisen. Außerdem braucht der Arzt nur nach dem jeweiligen Stand des Wissens seiner Facharztrichtung aufzuklären [11].

Im Gegensatz zu den bereits erwähnten eingriffsspezifischen Risiken braucht der Arzt den Patienten über allgemeine Risiken, die mit dem Eingriff verbunden sind, in der Regel nicht aufzuklären [12]. Er darf insoweit beispielsweise die Kenntnis eines medizinischen Laien über ein mögliches Infektionsrisiko [13], das Risiko von Nachblutungen, Narbenbrüchen und Embolien [14] infolge eines operativen Eingriffs als vorhanden voraussetzen. Dies gilt jedoch nur, sofern sich aus den tatsächlichen Umständen keine Anhaltspunkte für eine erforderliche Aufklärung ergeben.

Im vorliegenden Fall beruft sich die Klägerin darauf, dass sie nicht hinreichend über das mögliche Risiko des Schlaganfalls infolge der DSA aufgeklärt worden sei, zumal es sich dabei um einen diagnostischen Eingriff ohne therapeutischen Eigenwert handelte. Dem entgegneten die Beklagten, dass die Risiken der Untersuchung explizit in einem mindestens zwanzigminütigen Gespräch in Anwesenheit der Tochter besprochen worden seien. So sei insbesondere auf das Risiko eines Schlaganfalls hingewiesen worden sowie die Risiko-Nutzen-Relation der beabsichtigten Maßnahme erörtert worden.

Sowohl das LG München als auch das OLG München sahen den Umfang der erfolgten Aufklärung als hinreichend genug an. So bejahe die Klägerin zum einen selbst, dass über das Risiko eines Schlaganfalls gesprochen worden sei. Zum anderen sei die Komplikationsrate vom aufklärungspflichtigen Arzt vorliegend nach Aussage des Sachverständigen mit 0,5% zutreffend beziffert worden. Ferner sei der Klägerin bewusst gewesen, dass es sich bei der DSA lediglich um eine diagnostische Maßnahme handele und damit verständlicherweise eine Maßnahme ohne vitale Indikation sei.

Nach den Ausführungen der Gerichte sei die Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit eines Eingriffs für die Entscheidung des Patienten ein gewichtiges Kriterium und müsse daher Bestandteil der Aufklärung sein. Voraussetzung sei allerdings, dass eine solche Aussage überhaupt möglich sei. Den Ausführungen des Sachverständigen folgend könne nach Ansicht der Richter jedoch bei einer äußerst seltenen Krankheit, wie der superfiziellen Siderose, keine wissenschaftlich begründete oder ggf. durch klinische Erfahrung gewonnene Aussage über die Erfolgschancen der Untersuchung getroffen werden.


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b) Aufklärung über Behandlungsalternativen

Aus dem Grundsatz der Therapiefreiheit folgt, dass die Wahl der konkreten Behandlungsmethode primär im Ermessen des Arztes steht. Solange der Arzt eine Therapie anwendet, die dem aktuellen medizinischen Standard entspricht, ist er nicht verpflichtet, dem Patienten ungefragt weitere theoretisch in Betracht kommende Behandlungsmethoden zu erläutern und darzulegen. Er kann sich vielmehr für diejenige Methode entscheiden, die er für die geeignetste hält und in der er am besten geübt ist [15].

Abweichend von diesem Grundsatz ist hingegen eine Aufklärung über mögliche Behandlungsalternativen erforderlich, wenn mehrere gleichermaßen anerkannte, medizinisch indizierte Behandlungsmethoden existieren, die wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, sodass mithin eine sog. echte Wahlmöglichkeit des Patienten besteht [16]. Dies basiert letztlich wiederum auf dem Gedanken des Selbstbestimmungsrechts: Der Patient muss nach entsprechend vollständiger ärztlicher Aufklärung selbst entscheiden können, auf welchem Weg die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will. Der BGH nennt in diesem Zusammenhang exemplarisch die Möglichkeit einer konservativen Vorgehensweise im Vergleich zu einem operativen Eingriff [17]. Über die Behandlungsalternative ist demzufolge dann aufzuklären, wenn die alternative Methode entweder bei gleichwertiger Heilungs- oder Erfolgsaussicht eine geringere Risikobelastung des Patienten aufweist oder bei nach Art und Richtung gleichwertigen Belastungen und Risiken eine wesentlich günstigere Risikoquote oder eine deutlich bessere Erfolgsaussicht verspricht [18].

Zu erwähnen ist, dass die Aufklärungslast nicht dadurch eingeschränkt wird, dass in der Praxis des behandelnden Arztes oder in dem fraglichen Krankenhaus die alternative Behandlungsmöglichkeit aus organisatorischen oder personellen Gründen oder wegen fehlender Ausstattung nicht vorgenommen werden kann. Entscheidend ist einzig, dass die Alternative grundsätzlich besteht. Zudem ist es darüber hinaus nicht zwingend erforderlich, dass die wissenschaftliche Diskussion über bestimmte Risiken der Behandlungsalternative bereits abgeschlossen ist. Es genügt vielmehr, dass ernstzunehmende Stimmen auf bestimmte Gefahren hinweisen [19]. Daraus folgt andererseits, dass eine Aufklärung über Methoden, die (noch) nicht als „Verfahren der Wahl“ gelten, entbehrlich ist [20], es sei denn, der Patient fragt explizit nach.

Ausgehend von dem Vorgenannten, lässt sich dies auch auf diagnostische Maßnahmen übertragen. Der Arzt hat in diesem Bereich ebenfalls den medizinischen Standard einzuhalten. Ist eine Aufklärung über alternative Diagnosemaßnahmen nach ärztlichem Standard nicht geboten, muss der Arzt den Patienten demzufolge auch nicht über die Existenz und die Möglichkeit weiterer Diagnostik aufklären [21].

Im vorliegenden Fall trägt die Klägerin vor, sie sei nicht über mögliche Behandlungsalternativen, das heißt nicht invasive Diagnosemöglichkeiten, aufgeklärt worden, sodass der Eindruck entstanden sei, eine solche existiere nicht. Eine Alternative läge ihrer Ansicht zufolge indes aber in der MRT-Angiografie. Bei (vorheriger) Kenntnis dieses schonenderen Untersuchungsverfahrens hätte sich die Klägerin gegen eine DSA entschieden. Dem wiederum entgegneten die Beklagten, dass die MR-Angiografie vorliegend keine Alternative gewesen sei, da sie zuvor durchgeführt worden und ergebnislos geblieben sei.

Sowohl das LG als auch das OLG München folgten der Ansicht der Beklagten. Wie der Sachverständige dargelegt habe, reiche eine kernspin-angiografische Darstellung für das Auffinden feinerer Gefäßmalformationen nicht aus, sodass die konventionelle angiografische Abklärung als „Goldstandard“ in der Abklärung von Blutungsquellen bei der superfiziellen Siderose gelte. Der Behauptung der Klägerin, dass die nicht invasiven Diagnosemöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft gewesen wären, konnten die Richter nicht folgen. Vielmehr sei den Krankenunterlagen zu entnehmen gewesen, dass im Rahmen der Voruntersuchungen das bestmögliche Gerät mit der bestmöglichen Auflösung für die MRT-Angiografie verwendet worden sei. Nachdem diese Voruntersuchung erfolglos geblieben sei, verblieb die DSA als letzte Möglichkeit, die Blutungsquelle aufzuspüren und Ansätze für eine Therapie zu gewinnen, um ein Fortschreiten der Krankheit zu verhindern. Folglich standen im vorliegenden Fall keine weiteren Untersuchungsalternativen zur Verfügung, über die hätte aufgeklärt werden müssen.


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Fazit und Praxishinweis

Eine nicht rechtmäßige Aufklärung kann, wie bereits einleitend aufgezeigt, für den behandelnden Arzt zu erheblichen rechtlichen Konsequenzen führen. Denn die falsche, unterlassene oder unvollständige Aufklärung des Patienten stellt einen selbstständigen und von dem Vorliegen eines „klassischen“ Behandlungsfehlers streng zu trennenden und unabhängigen Haftungsgrund dar. Im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung kann sich ein Arzt sowohl unter vertraglichen (§ 280 Abs. 1 BGB) als auch unter deliktischen (§ 823 BGB) Gesichtspunkten schadensersatzpflichtig machen. Aber auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten sind die Anforderungen an eine rechtmäßige Aufklärung zwingend einzuhalten. So stellt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung [22] jeder medizinische Eingriff eine tatbestandliche Körperverletzung im Sinne von §§ 223 ff. StGB dar. Lediglich das Vorliegen einer wirksamen Einwilligung des Patienten, die ihrerseits wiederum eine umfassende fehlerfreie Aufklärung voraussetzt, führt zu einer Rechtfertigung und damit zu einer Strafbefreiung des ärztlichen Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit des Patienten.

Einzelfälle, wie in dem vorliegend vom OLG München entschiedenen Fall, machen jedoch deutlich, welche Schwierigkeiten bzgl. des hinreichenden Umfangs der Aufklärung bestehen können. Letztendlich sind allein die jeweiligen Umstände des konkreten Einzelfalls maßgeblich. Um nicht nur den Patienten, sondern auch den Ärzten einen Leitfaden für die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Aufklärung zu geben, wurden die bislang von der Rechtsprechung in Einzelfallentscheidungen entwickelten Grundsätze durch das Patientenrechtegesetz in § 630 c sowie § 630e BGB gesetzlich normiert. Es bleibt abzuwarten, inwiefern diese gesetzlichen Neuregelungen zu mehr Rechtssicherheit im Rahmen der Erfüllung der Aufklärungspflichten führen werden.

Festzuhalten ist, dass im Vordergrund einer ärztlichen Aufklärung grundsätzlich das Selbstbestimmungsrecht des Patienten steht, somit das Recht über Risiken, Erfolgschancen und Behandlungsalternativen informiert zu werden. Dies gilt jedoch nur insoweit, wie der Arzt hierzu wissenschaftlich fundierte Aussagen treffen kann. In den Fällen seltener Krankheiten, wie in dem hier vom OLG München zu beurteilenden Fall, wird dies nur begrenzt möglich sein, sodass im Rahmen derartiger Fallgestaltungen ein geringer Maßstab an den Inhalt und Umfang der Aufklärungspflichten zu stellen ist.

Literatur

vgl. BVerfGE 52, 131, 175

vgl. Katzenmeier in Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, 2009, S. 108 f.

vgl. BGHZ 29, 176 (180); BGHZ 166, 336 (339)

vgl. Katzenmeier in Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, 2009, S. 110

vgl. BGH, NJW 2006, S. 2108 (2109)

BGH NJW 2007, 217 (218 f.).

Kaiser in Ratzel / Luxemburger, Handbuch Medizinrecht, 2008, S. 662.

BGH NJW 1980, 1905 u. 2751; 1991, 2349; 1997, 1637; 1998, 1784.

Katzenmeier in Laufs / Katzenmeier / Lipp, Arztrecht, 2009, S. 109.

OLG Hamm VersR1981, 686; OLG Karlsruhe VersR 1989, 1053; OLG Hamm VersR 1989, 807.

BGH NJW 1996, 776 f.

BGH NJW 1992, 743 f.; 1996, 788 f.

OLG Köln NJW 1978, 1690 (1691).

BGH NJW 1992, 743 f.

BGH NJW 1982, 2121; BGH NJW 1988, 763.

BGH NJW 1989, 1533; BGH NJW 2005, 1718; OLG Köln VersR 2006, 124; OLG Koblenz MedR 2007, 175 (176).

BGH NJW 2000, 1788 f.

BGH NJW 2000, 766; BGH 2004, 3703; OLG Hamm VersR 2001, 461; OLG Stuttgart VersR 2007, 1417; vgl. OLG Zweibrücken MedR 1999, 224.

BGH NJW 1996, 776; vgl. BGH NJW 2000, 1784.

BGH VersR 1988, 495; OLG Nürnberg MedR 2002, 29 (31).

OLG Nürnberg ArztR 2002, 78.

seit RG 25, 375; BGH NJW 1971, 1889; 1978, 1206; 2000, 885.

RA Dr. Peter Wigge

Fachanwalt für Medizinrecht

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