physiopraxis 2012; 10(06): 51-53
DOI: 10.1055/s-0032-1321704
physiospektrum
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10 Antworten zum Arbeitsvertrag – Nicht alles ist rechtens

Karsten Bossow

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Publication Date:
21 June 2012 (online)

 

Urlaubstage, Fortbildungszuschüsse, Provisionen - man findet kaum zwei Arbeitsverträge mit den gleichen Modalitäten. Die Frage ist: Welche davon sind rechtens? Rechtsanwalt Karsten Bossow gibt Antworten.


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Karsten Bossow

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Karsten Bossow ist seit 1999 Rechtsanwalt mit den Tätigkeitsschwerpunkten Arbeits-, Medizin- und Sozialrecht. Seit 2003 ist er Fachanwalt für Arbeitsrecht und seit 2010 Fachanwaltfür Medizinrecht.

Als sich Physiotherapeutin Kerstin Ezell nach einem sogenannten 400-Euro-Job umsah, staunte sie nicht schlecht: Jede der in Frage kommenden Praxen hatte eigene Vertragsmodalitäten. Die einen boten fixe Arbeitszeiten, bezahlte Urlaubstage und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Andere hatten Bedingungen ähnlich einem freien Mitarbeiter - also keine Bezahlung bei Lücken, Urlaub und Krankheit. Verunsichert wandte sie sich an physiopraxis. Durch eine Umfrage auf unserer Facebook-Seite „Thieme liebt Physiotherapeuten“ bestätigte sich unsere Vermutung, dass Verunsicherungen bezüglich Arbeitsverträgen kein Einzelfall sind. Wir sammelten die Beiträge und baten Rechtsanwalt Karsten Bossow um Antworten.

Arbeitszeit, Urlaub und Pausen

Ich arbeite drei Tage die Woche in einer Praxis und habe 26 Urlaubstage, wie auch die Vollzeitkräfte. Wenn ich eine Woche Urlaub nehmen möchte, muss ich fünf Tage Urlaub nehmen. Würden drei Tage dafür nicht genügen?

Nach dem Bundesurlaubsgesetz hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf 24 Werktage Urlaub im Kalenderjahr. Da Werktage die Tage von Montag bis Samstag sind, wird der - gesetzliche - Urlaubsanspruch bei weniger Arbeitstagen allerdings entsprechend reduziert. Für die 5-Tage-Woche gilt dann ein Anspruch auf mindestens 20 Arbeitstage Urlaub. Wenn ein Arbeitnehmer nur drei Tage pro Woche arbeitet und im Arbeitsvertrag, wie bei den Vollbeschäftigten, zum Beispiel 30 Tage Urlaub vereinbart sind, könnte der Arbeitnehmer die 30 Tage grundsätzlich verlangen. In aller Regel wird dies jedoch nicht so gemeint sein. Vielmehr führen 30 Tage Urlaub bei einer 5-Tage-Woche dann, entsprechend umgerechnet, zu 18 Tagen Urlaub in einer 3-Tage-Woche.

Sind nicht belegte oder kurzfristig abgesagte Termine Arbeitszeit oder Freizeit? Fällt der erste oder letzte Termin aus, ist das bei uns automatisch Freizeit, auch wenn man noch aufräumt oder sich umzieht. Ist das rechtens?

Der Arbeitgeber kann die Lage und Dauer der Arbeitszeit sowie die Arbeitsaufgaben im Rahmen des Arbeitsvertrages bestimmen. Gehört das Umziehen zu den vertraglichen Pflichten des Arbeitnehmers, beginnt damit auch die Arbeitszeit. Sind bestimmte Arbeiten wie zum Beispiel das Aufräumen in einer Physiotherapiepraxis üblich, kann er sie dem Therapeuten neben seiner eigentlichen Arbeit anweisen. Dann handelt es sich dabei ebenfalls um Arbeitszeit. Bei Lücken im Plan und bei Absagen kann der Arbeitgeber verlangen, dass der Arbeitnehmer eine unbezahlte Pause macht. Eine Pause liegt jedoch nur dann vor, wenn der Therapeut nicht am Arbeitsplatz verweilen muss und tun kann, was er will also nicht zum Beispiel „auf Abruf“ im Pausenraum sitzen muss. Die Pause muss zudem gemäß § 4 Arbeitszeitgesetz mindestens 15 Minuten dauern, eine Höchstdauer gibt es nicht.

Je nach Arbeitsvertrag trägt der Arbeitgeber das Risiko, den Arbeitnehmer die vereinbarte Zeit beschäftigen zu müssen. Ist eine 40-Stunden-Woche vereinbart, muss der Arbeitgeber die 40 Stunden also auch dann bezahlen, wenn tatsächlich nur 20 Stunden gearbeitet wurden. Beinhaltet ein Vertrag ein Arbeitszeitkonto, ist zudem wichtig zu klären, ob nur „Plus“-Stunden oder auch „Minus“-Stunden anfallen dürfen. Überstunden abzubauen, kann der Arbeitgeber grundsätzlich anordnen. Bei einem „Minus“ am Ende des Monats ist jedoch das vereinbarte Gehalt zu zahlen.


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Arbeit auf Provisionsbasis

Ist ein Bonussystem rechtens, bei dem man als Therapeut im Prinzip keine Chance hat, den Bonus zu erreichen, weil der dafür „hereinzuarbeitende“ Betrag selbst bei 100 % Auslastung quasi nicht erreichbar ist?

Ob das Ziel erreichbar ist, hängt von vielen Faktoren ab. Wie bei der Höhe der Vergütung wird ein Gericht auch schwer entscheiden können, welche Bonusvorgabe adäquat ist. Erscheint dem Therapeuten also die Zielvorgabe von vornherein nicht erreichbar, muss er sich überlegen, ob er den Arbeitsvertrag zu diesen Bedingungen eingehen will.

Übrigens: Ist eine wirksame Vereinbarung getroffen, die einen Teil des Gehaltes von erzielten Umsätzen abhängig macht, hat der Arbeitnehmer auch bei Krankheit und Urlaub Anspruch auf diese Provision. Für den Urlaub ergibt sich dies aus § 11 Bundesurlaubsgesetz, wonach sich das für den Urlaub zu zahlende Entgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst der vorangegangenen dreizehn Wochen (mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Entgelts) bestimmt. Für den Krankheitsfall folgt der gleiche Anspruch aus dem sogenannten Lohnausfallprinzip.


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Einschränkung der Selbstständigkeit

Darf der Arbeitgeber in den Vertrag schreiben, dass sich der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in einem Radius von 15 km selbstständig machen darf?

Eine solche Klausel ist grundsätzlich zulässig, muss aber räumlich, zeitlich und gegenständlich beschränkt sein. Der Physiotherapeut kann demnach zwar verpflichtet werden, keine entsprechende Praxis zu eröffnen, darf jedoch um die Ecke beispielsweise einen Bratwurststand aufmachen. Im Streitfall kann die Angemessenheit gerichtlich überprüft werden. Bei einem Übermaß, wenn also der Arbeitsvertrag zum Beispiel einen zu großen Radius vorgibt, kann die gesamte Klausel unwirksam werden. So haben Gerichte für eine Arztpraxis in der Großstadt einen Radius von fünf Kilometern als adäquat erachtet und für eine Tierarztpraxis einen vorgegebenen Radius von 30 km als zu groß.


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Mündliche Absprachen

Muss eine Gehaltserhöhung vertraglich festgehalten werden? Unser Chef meint, eine mündliche Absprache würde reichen.

Viele Vereinbarungen im Arbeitsverhältnis werden schriftlich getroffen. Dies dient zum einen der besseren Beweisbarkeit im Streitfall, zum anderen ist der Arbeitgeber nach dem Nachweisgesetz sogar verpflichtet, die wesentlichen Vereinbarungen im Arbeitsverhältnis schriftlich niederzulegen.

Daneben sind jedoch auch mündliche Vereinbarungen grundsätzlich wirksam. Wird also ein mündlicher Arbeitsvertrag geschlossen, sind Arbeitnehmer und Arbeitgeber hieran genauso gebunden wie an einen schriftlichen Vertrag. Auch mündlich vereinbarte Gehaltserhöhungen, Bonusregelungen und sonstige Absprachen sind wirksam. In der Praxis kommt es sogar vor, dass Arbeitsverträge seit zwanzig oder dreißig Jahren nicht schriftlich geändert wurden, sich das Gehalt aber dennoch regelmäßig erhöht.


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Fortbildung

Wie viele Fortbildungstage stehen einem zu?

Es gibt dazu keine allgemeine rechtliche Grundlage. In einigen Bundesländern gibt es zwar Bildungsurlaub, allerdings häufig nur für bestimmte anerkannte Träger und Weiterbildungen wie Rhetorik und EDV. Gewährt der Arbeitgeber keine bezahlte Freistellung für die Weiterbildung und gibt es keine gesetzliche Regelung, muss sich der Arbeitnehmer in seiner Freizeit und auf eigene Kosten weiterbilden.

Darf der Arbeitgeber den Therapeuten für bestimmte Zeit an die Praxis binden, wenn dieser Fortbildungszuschüsse bekommen hat?

Unterstützt der Arbeitgeber eine Weiterbildung finanziell und stellt den Therapeuten hierfür auch bezahlt von der Arbeit frei, ist verständlich, dass er sich die neu erworbenen Kompetenzen für die Praxis erhalten will. Deshalb darf er ihn dazu verpflichten, nach Ende der Fortbildung weiter für einen bestimmten Zeitraum in der Praxis zu bleiben. Ob eine solche Vereinbarung wirksam ist, hängt von verschiedenen Umständen ab, unter anderem der Dauer der bezahlten Freistellung, der Höhe der vom Arbeitgeber getragenen Weiterbildungskosten und dem Inhalt der Weiterbildung. Erlernt der Therapeut zum Beispiel ein Spezialthema, das der Arbeitnehmer bei einem anderen Arbeitgeber nicht anwenden kann, ist auch bei hohen Kosten nur eine kürzere Bindungsfrist angemessen. Grundsätzlich ist bei einer Vollzeit-Fortbildung von bis zu einem Monat eine Bindung von sechs Monaten adäquat, bei einer Fortbildung von zwei Monaten eine Bindung von bis zu zwölf Monaten, bei einer Fortbildungsdauer von drei bis vier Monaten bis zu zwei Jahren. Im Einzelfall kann jedoch eine kürzere oder längere Bindungsdauer angemessen sein. Falls die Praxisbindung unangemessen lang ist, kann eine Weiterbildungsund Rückzahlungsvereinbarung in einem vom Arbeitgeber herangezogenen Vertragsformular insgesamt unwirksam sein.

Kann mir mein Arbeitgeber Geld, das ich von ihm für eine Fortbildung bekommen habe, nach einer Kündigung wieder von meinem letzten Gehalt abziehen? Wenn ja, in welchem Rahmen?

Ja, das darf er - allerdings nur anteilig. Da der Arbeitgeber bereits direkt nach der Weiterbildung von den erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten profitiert, wäre es unangemessen, die kompletten Fortbildungskosten zurückzufordern. In der Regel reduziert sich der zurückzuzahlende Betrag, je länger der Therapeut nach Ende der Weiterbildung an seiner Stelle gearbeitet hat. Voraussetzung ist aber eine wirksame Rückzahlungsvereinbarung. Fehlt diese, kann der Arbeitgeber in der Regel auch kein Geld zurückfordern.

Bei einer Kündigung kann der Arbeitgeber den entsprechenden Betrag vom (meist letzten) Gehalt einbehalten. Die Höhe des Betrags ist allerdings durch die sogenannten Pfändungsfreibeträge begrenzt: Je weniger der Therapeut netto verdient und je mehr unterschiedliche Unterhaltspflichten er hat, desto geringer ist der Pfändungsbetrag.

Muss man für Fortbildungen, die von betrieblicher Seite aus eine Pflichtveranstaltung sind, seine Freizeit in Form von unbezahlten Überstunden opfern?

Schickt der Arbeitgeber einen Therapeuten verpflichtend auf eine Weiterbildung, handelt es sich um Arbeitszeit, die auch entsprechend zu berücksichtigen ist.


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400-Euro-Job

Welche Regelungen gelten bei einem 400-Euro-Job?

Manche Arbeitgeber versuchen, Arbeitnehmer mittels 400-Euro-Jobs flexibler einzusetzen. Dabei verkennen sie ab und an, dass der Arbeitnehmer auch beim 400-Euro-Job Anspruch auf bezahlten Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Teilnahme an Provisionssystemen hat. Der Unterschied zu „normalen“ Arbeitsverhältnissen besteht lediglich in Fragen der Sozialversicherungsabgaben und der Steuern. Somit hat auch ein 400-Euro-Jobber beispielsweise Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub: Arbeitet er regelmäßig an zwei Tagen pro Woche, hat er Anspruch auf mindestens acht Tage (vier Wochen) bezahlten Urlaub im Jahr. Wird im Arbeitsvertrag weniger Urlaub vereinbart als gesetzlich vorgesehen, ist dies unwirksam.


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Karsten Bossow ist seit 1999 Rechtsanwalt mit den Tätigkeitsschwerpunkten Arbeits-, Medizin- und Sozialrecht. Seit 2003 ist er Fachanwalt für Arbeitsrecht und seit 2010 Fachanwaltfür Medizinrecht.