Brauchen starke Lobby
Sehr geehrte physiopraxis-Redaktion
, zusätzlich zum Zusammenspiel von Arzt, Therapeut und Krankenkasse sowie der Besteuerung
- wie Professor Günther Neubauer ausführte - müssen wir für den Direktzugang noch
weitere Aspekte berücksichtigen.
Im Newsletter des ZVK-Nordverbunds stand, man habe eine Fortbildung entwickelt, die
Physiotherapeuten zum First Contact Practitioner (FCP) befähigt. Ich bin Befürworter
des FCP und finde, wir können selbstbewusst an die Sache herangehen. Damit aber der
FCP wirklich kommt und zum Erfolg wird, braucht es mehr als einen 40-stündigen Kurs.
Wir werden uns damit bei den Entscheidungsträgern lächerlich machen: Die Bundesländer
verlangen als Prüfungsvoraussetzung für eine beschränkte Heilpraktikerzulassung zwischen
60 und 500 Stunden Fortbildung!
Vor allen Dingen sollten unsere Berufsverbände endlich einmal wirklich zusammenarbeiten.
Berichte aus anderen Ländern zeigen doch, dass für eine starke Lobby eine einheitliche
Interessenvertretung wesentlich ist Wir müssen fordern, dass sie mit einer Stimme
sprechen, um wirklich Gewicht bei Verhandlungen mit Entscheidungsträgern aus Politik,
Krankenkassen und Ärzteschaft zu erlangen. Sonst werden in einem halben Jahr vier
verschiedene FCP-Fortbildungen haben, von denen keine anerkannt werden wird.
Bedenken wir eigentlich wirklich, was als Erstbehandler auf uns zukommt? Eine Dissertation
zeigt, dass deutsche Physiotherapeuten den FCP zwar wünschen, aber noch nicht in der
Lage sind, Kontraindikationen zuverlässig zu erkennen [2]. Ein entsprechendes Curriculum
muss einen Therapeuten auch ohne MT-Zertifikat oder McKenzie-Fortbildungen in der
Entscheidung sicher machen, ob er einen Patienten direkt behandeln kann oder erst
zu einem Arzt schicken sollte. Ob das in vier Tagen möglich ist, wage ich zu bezweifeln.
Wenn der erste Patient mit einer schwerwiegenden Erkrankung unentdeckt bleibt, wird
der Aufschrei nicht nur in der Ärzteschaft groß sein.
Ein weiterer Aspekt: Wie viel höher muss uns eine Berufshaftpflichtversicherung demnächst
absichern? Werden sich die höheren Kosten und die erheblich höhere Verantwortung auch
in einer deutlich höheren Vergütung niederschlagen?
Der Direktzugang kann eine Verbesserung des Gesundheitssystems sein. Wenn die Veränderungen
in Aus- und Weiterbildung gemeinsam angegangen werden, sieht unser Beruf aufregenden
Zeiten entgegen.
Mit freundlichen Grüßen Andreas Schwartz, Physiotherapeut aus Aachen
25.-27. Januar 2013
Erste Programminfos
Die Organisation des physiokongresses 2013 läuft auf Hochtouren. Er wird wieder im
Rahmen der Medizin Messe Stuttgart sein. Thema diesmal: „Kraft und Muskulatur“. Entspricht die Klassifizierung in „lokale“ und „globale“ Muskeln noch der aktuellen
Evidenzlage? - dies ist eine Frage, die zur Diskussion steht. Ein Thema, das viele
Fragen aufwirft, ist das der Muskeldehnung. Treibt auch Sie eine dazu um, dann schicken
Sie diese an physiopraxis@thieme.de, wir leiten sie vertraulich an die Referenten weiter.
Die Keynote-Referate erörtern das Motto „Was uns stärkt!“ Als Beispiel sei Mentales Training genannt. Die Vorträge zur Neuroreha drehen sich
um das Thema „Tonus“: „Botox oder kein Botox?“ und „Was bewirkt Krafttraining?“
Bald mehr unter www.thieme.de/physioonline/physiokongress.
Zum Artikel „Höchstleistung ohne Kreuzband“ aus pp 5/12
Sie haben so recht!
Sehr geehrter Herr Diemer und Herr Sutor, ich bin im Allgäuer Anzeiger Ende Juni 2012
auf Ihre interessanten Ausführungen zum Thema „Riss des vorderen Kreuzbandes“ gestoßen
und habe dann im Internet recherchiert. Gratulation. Ich zähle mich selbst zu den
„Adaptern“ und sehe keinen Anlass zur OP. Anfang 2010 hatte ich mit 62 beim Skifahren
einen Totalabriss. Kurz danach startete ich erste erfolgreiche Skating-Versuche, dann
intensives Joggen jeweils mit Orthese. In der Wintersaison 2010/11 konnte ich bereits
wieder mit Orthese Alpinskifahren - Skaten nur mit Patellarband von der Firma Sporlastic.
Seit Sommer 2011 kann ich wieder bergwandern, biken und intensiv joggen (circa 30-40
km pro Woche), und dies seit 2012 sogar wieder ohne Patellarband.
Mein aktueller Zustand: verbleibende Instabilität, die zu Vorsicht mahnt (zum Beispiel
kein Tennis und keine „Bocksprünge“ in alpinem Gelände), aber sonst keine größeren
Einschränkungen. Und: keine Indizien für eine drohende Arthrose.
Mit besten Grüßen Günter Blesch aus Oberstdorf
Anmerkung der Redaktion
Sehr geehrter Herr Blesch, wir leiten Ihr Schreiben gerne an die beiden Autoren weiter.
Es motiviert uns sehr, zeigt es doch, dass das Expertenwissen unserer Autoren nicht
nur bei den Physiotherapeuten, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit ankommt.
Noch weitere Medien haben die wichtige Aussage der beiden Physiotherapeuten, dass
man eine Kreuzband-OP genau abwägen soll, aufgegriffen. Wir wissen, dass die Stuttgarter
Zeitung darüber berichtet hat und Newsportale im Internet wie beispielsweise n-tv.de,
Focus Online, Stern.de, ruhrnachrichten.de, oeffentliche.de, general-anzeiger-bonn.de,
maerkischeallge-meine.de, nachrichten.de, main-spitze.de sowie westline.de. Ein Blick
in diesen Spiegel der Medien zeigt: physiopraxis wird wahrgenommen und sorgt für Gesprächsstoff.
Zum Studienergebnis „Multiple Sklerose - Effekt von exzentrischem Krafttraining fraglich“
, physiopraxis 3/12
Zwischenzeitlich ist es wohl Konsens in der Welt der nicht-ärztlichen Therapieberufe,
dass die Akademisierung und Professionalisierung richtig und wichtig ist, entsprechend
der sich wandelnden Anforderungen an moderne Therapeuten. Einen wesentlichen Beitrag
leisten diejenigen, die sich der Forschung in der Therapie und der Verbreitung der
wissenschaftlichen Ergebnisse widmen. Die Verfügbarkeit von Informationen, die sich
mit der Wissenschaft in der Therapie befassen, unterstützen Therapeuten auf dem neusten
Stand zu bleiben. Zudem führt die Präsenz wissenschaftlicher Themen z.B. in Physiotherapie-Zeitschriften
dazu, dass so die Beschäftigung mit Therapie-Wissenschaft zur Selbstverständlichkeit
wird und so die Nische für „akademisierte“ Therapeuten verlässt - Das ist gut so.
Die wenigen Zeitschriften für nicht-ärztliche Therapieberufe tragen viel dazu bei,
denn sie erreichen nicht nur diejenigen, die ohnehin an Therapiewissenschaft interessiert
sind, sondern auch die Therapeuten, die tagtäglich an der Behandlungsbank stehen und
das tun, was Therapeuten normalerweise tun: nach bestem Wissen und Gewissen Patienten
verantwortungsvoll behandeln.
Was viele, die sich mit praxisrelevanter Wissenschaft in den Therapieberufen befassen,
fordern, nämlich den Transfer von Wissenschaft in die Praxis, findet an dieser Schnittstelle
statt. Dabei ist die Verantwortung derjenigen groß, die z.B. Studienergebnisse vorstellen.
Denn unter anderem hier wird sich über die Zeit herausstellen, inwieweit die Wissenschaft
dem praktischen Handeln dienlich ist. Unter anderem der praktikable Wissenstransfer
hat einen Einfluss auf die Akzeptanz von therapeutischer Forschung und Lehre in den
therapeutischen Berufen. Anders ausgedrückt: Wenn therapeutisch-wissenschaftliche
Ergebnisse nicht bei den Patienten ankommen, ist das einerseits schlecht für den Forstschritt
der Behandlungsqualität und andererseits ist es auch Wasser auf die Mühlen der Akademisierungsskeptiker,
die es durchaus immer noch gibt.
Konkret: Wenn man sich den oben angesprochenen Bericht zu intensivem exzentrischen
Muskeltraining bei Multipler Sklerose anschaut, wird die große Mehrheit der Leser
den Eindruck gewinnen, dass diese Art des Trainings MS-Patienten eher keinen zusätzlichen
therapeutischen Nutzen bringt. Wer wenig Zeit hat, um sich diese Studien selber im
Detail anzuschauen - wie viele Therapeuten im Behandlungsalltag - wird dann eher auf
exzentrisches Training verzichten. Denn die meisten Leser werden sich tendenziell
auf die berichteten Ergebnisse verlassen. Sie gehen in der Regel davon aus, dass die
Ergebnisse richtig berichtet wurden und dass sich die Autoren der Studie intensiv
mit z.B. einer bestimmten Therapieform intensiv beschäftigt haben.
Nachdem ich mir den physiopraxis-Text angeschaut habe kam mir spontan der Gedanke,
dass die hier untersuchte Stichprobe (in zwei Gruppen) vermutlich zu klein gewählt
worden sein muss, um einen statistisch signifikanten und gesundheitsrelevanten Effekt
der Intervention belegen zu können. Deswegen habe ich mir die Studie einmal genauer
angeschaut. Schon in der Zusammenfassung der Studie ist ein Satz zu finden, der beim
Bericht und der Interpretation der Ergebnisse im physiopraxis-Text nicht hätte unberücksichtigt
bleiben dürfen: Frei übersetzt steht dort, dass den Forschern nach der Datenerhebung
aufgefallen ist, dass ihre Stichprobe zu klein war, um statistisch belastbare Aussagen
über die Wirksamkeit der Intervention machen zu können. Diese Aussage hätte die physiopraxis-Redaktion
dazu bringen müssen, entweder genauer auf die Schwächen dieser Studie hinzuweisen,
oder die Ergebnisse dieser Studie erst gar nicht zu berichten. Denn dieser Satz allein
stellt die gesamten Studienergebnisse infrage.
Mir geht es nicht darum die wissenschaftliche Arbeit anderer zu entwerten. Vielmehr
möchte ich darauf aufmerksam machen, dass den Lesern wissenschaftlicher Ergebnisse
nicht der Eindruck entstehen darf, dass man den publizierten Ergebnissen - wenn sie
auch verkürzt und konzentriert serviert werden sollen - nicht trauen kann und dass
damit Zweifel am Nutzen der Akademisierung und der praktischen wissenschaftlichen
Arbeit genährt werden. Dann hätte man anstatt die Therapiewissenschaften zu fördern,
diesem wünschenswerten Prozess einen Bärendienst erwiesen.
Deshalb möchte ich dringend dafür plädieren, wissenschaftliche Ergebnisse so aufzubereiten,
dass sie einerseits in ihren Kernaussagen nachvollziehbar sind, aber andererseits
nicht so verkürzt dargestellt werden, dass falsche Schlussfolgerungen gezogen werden
könnten. Außerdem könnten Therapiezeitschriften hin und wieder mehr Platz für interessante,
diskussionswürdige Studien einräumen, um die Einzelheiten, wie z.B. wesentliche Studien-Limitation
anzusprechen und diesbezüglich die Aussagekraft der Ergebnisse zu interpretieren.
Auch letzteres kann insbesondere für diejenigen Interesssant sein, die sich mit Therapiewissenschaften
beschäftigen (wollen). So kann man lernen, was man vielleicht anders machen könnte,
sowohl bei der praktischen Forschungsarbeit als auch bei der Publikation und Interpretation
wissenschaftlicher Ergebnisse. Die hier angesprochene Studie von Hayes und Kollegen
(2011) wäre ein gelungenes Beispiel für eine fiktive Diskussion im Sinne eines „schriftlichen
Journal Clubs“, in dem wissenschaftsinteressierte Autoren die Stärken und Schwächen
von therapeutischen Studien beleuchten könnten.
Heiko J. Jahn, BSc PT, Europ. MSc PH, wiss. Mitarbeiter an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften
an der Universität Bielefeld
Anmerkung der Redaktion
Lieber Heiko,
Du sprichst ein wichtiges Thema an. Die Rubrik „Internationale Studienergebnisse“
zeigt nur, worüber in der Physiotherapie geforscht wird. Sie kann das Lesen eines
Volltextes nicht ersetzen. Auf Stärken und Schwächen einer Studie geht die Rubrik
„Wissenschaft kommentiert“ ausführlicher ein. Dennoch werden wir künftig auf mehr
Klarheit achten.
Zum physiopraxis.Refresher „Faserriss der Harmstrings“
, pp 4/12
Unpräzise Terminologie
Ich finde die physiopraxis.Refresher sehr gut und sinnvoll. In dem Refresher zum Thema
„Faserriss der Hamstrings“ sprechen die Autoren korrekterweise von der Beteiligung
des ISG und der LWS. Beim Springing Test bzw. Federtest fehlt mir die genaue Terminologie
der MT oder eine ausführlichere Erklärung. Ein Schmerzvorkommen bei diesem Test kann
unterschiedliche Ursachen haben: je nach genauer Beschreibung der Symptomatik und
Begleitsymptomatiken beispielsweise Beweglichkeitseinschränkungen oder mangelnde Stabilisierung.
Von einer „generellen“ Instabilität durch einen einzigen hierfür nicht besonders aussagekräftigen
Test auszugehen, halte ich nicht für sehr evident.
Zudem frage ich mich, ob es denn sinnvoll ist, eine „instabile LWS L4-5“ zu mobilisieren?
Ich halte eher Stabilisieren für wichtig. Würde dort stehen, dass benachbarte hypomobile
Segmente mobilisiert würden, könnte ich zustimmen. Oder wenn mittels anteriorerposteriorer
Mobilisation ein propriozeptiver Input erzeugt würde, die Schmerzen verringert (Gate
Control System, Senkung der algetischen Reizung des WDR-Neurons).
Ansonsten ein sehr lehrreicher Refresher.
Mit freundlichen Grüßen Jonas Tschopp, Physiotherapeut aus Basel