Laut Weltgesundheitsorganisation sind Antibiotikaresistenz und nosokomiale Infektionen
eines der größten Gesundheitsprobleme weltweit. In den 27 EU Mitglieds-Ländern Europas
geht man von 4 Millionen Patienten aus, die jährlich eine nosokomiale Infektion erleiden
mit etwa 37 000 dadurch bedingten Todesfällen.
Der britische Physiker Lord Kelvin stellte fest: „Wenn man messen kann, worüber man spricht und es in Zahlen ausdrücken kann, dann
weiß man etwas darüber. Wenn man es nicht in Zahlen ausdrücken kann, dann ist das
Wissen dürftig und unzureichend.“
Oder einfach ausgedrückt: Wir brauchen Zahlen und Fakten, um vernünftig über eine
Sache sprechen zu können. Unser gefühltes Wissen über Dinge reicht nicht aus, um Probleme
zu erkennen und nachfolgend Lösungsansätze zu finden.
Auf diesem Grundprinzip der modernen Wissenschaft fußt auch das Prinzip der Surveillance – egal,
ob es sich um Surveillance von nosokomialen Infektion, Antibiotikaeinsatz oder von
multiresistenten Erregern handelt. Gerade im Zusammenhang mit Infektionen sind Daten
zur Epidemiologie ein substantielles Werkzeug zur Prävention. Die Surveillance liefert
die dafür unabdingbar benötigten Daten für einzelne Bereiche, Einrichtungen und Krankenhäuser.
Der Begriff Surveillance meint dabei allerdings sehr viel mehr als die bloße Registrierung
von Ereignissen. Unter dem Begriff werden das Erheben, aber auch die Bewertung und
das Übermitteln der Erkenntnisse an die Vor-Ort-Tätigen verstanden. Den Hygienemitarbeitern
wird ebenso wie dem anderen medizinischen Personal damit die Möglichkeit gegeben,
den Erfolg ihrer Präventionsbemühungen beurteilen zu können und gegebenenfalls die
Bemühungen zu intensivieren oder neue Präventionsstrategien zu etablieren.
Allgemein ist das Problem bei der Prävention, dass der Erfolg üblicherweise nicht
direkt sichtbar ist: eine nicht erlittene Erkrankung zeigt sich nicht unmittelbar.
Dadurch wird der Sinn teilweise aufwendiger Präventionsmaßnahmen im klinischen Alltag
häufig in Frage gestellt oder auch bewusst oder unbewusst deren Umsetzungsgrad reduziert.
Die Surveillance spielt gerade hierbei eine entscheidende Rolle, da sie nicht nur
über die reine Sammlung von Daten funktioniert. Die Erhebung auf den Stationen bzw.
in den Einrichtungen bringt das Problem nosokomialer Infektionen in das Bewusstsein
der Mitarbeiter. Die Kommunikation zwischen Hygiene, Pflege und Ärzten wird gefördert
und auf eine belastbare Basis gestellt. Aber noch vor allem anderen wird durch die
Surveillance hygienisches Handeln mit nosokomialen Infektionen sichtbar und nachvollziehbar
in Verbindung gebracht.
International ist die Surveillance als Grundvoraussetzung aller Präventionsstrategien
längst anerkannt. Am 27. und 28. November 2012 tagte das ECDC (Europäisches Center
for Disease Control and Prevention) in Berlin, mit dem Ziel, Surveillance europaweit
zu standardisieren, weiter zu optimieren und auszudehnen.
Die renommierten CDC in den USA bzw. das ECDC in Europa, sowie in Deutschland das
RKI erachten die Surveillance als allgemein akzeptierte und unabdingbare Methode,
um nosokomiale Infektionen zu reduzieren. Der Gesetzgeber hat dies bereits vor Jahren
erkannt und im Infektionsschutzgesetz aus dem Jahr 2001 die Durchführung einer Surveillance
in allen Krankenhäusern in Deutschland verpflichtend festgelegt.
Deutschland nimmt dabei europaweit und international eine viel beachtete Vorreiterrolle
ein. Das vom Nationalen Referenzzentrum für die Surveillance von nosokomialen Infektionen
betriebene Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS) ist weltweit das zweitgrößte
Surveillance-System nach dem US-amerikanischen System.
Mehr als 1000 Krankenhäuser beteiligen sich freiwillig daran und liefern nach einheitlicher
Methodik und individuell in unterschiedlichem Umfang Daten zur Häufigkeit von nosokomialen
Infektionen in Risikobereichen, zu Antibiotikaverbräuchen, resistenten Erregern und
Händedesinfektionsmittelverbräuchen. Damit wird es von der Mehrheit der deutschen
Krankenhäuser als wichtiges Instrument der Qualitätssicherung genutzt und geschätzt.
Inzwischen beteiligen sich auch aus anderen Ländern Europas Einrichtungen an KISS
und die Methodik des KISS bildete das Vorbild beim Aufbau anderer internationaler
Systeme. Eine Analyse des KISS wie auch anderer Surveillance-Systeme haben mehrfach
den Nachweis erbracht, dass durch die Surveillance und das Lernen aus Surveillance-Daten
Infektionsraten positiv zu beeinflussen sind.
Aber natürlich braucht sorgsame Surveillance wie alle medizinischen Maßnahmen auch
Zeit und erfordert Aufwand. Dass diese Investitionen in die gesetzlich geforderte
Etablierung einer Surveillance – und KISS hat hierzu maßgeblich beigetragen – in Deutschland
sinnvoll investiert ist, lässt sich nicht nur an den in Peer-review-Journals veröffentlichten
Reduktionserfolgen bei Analyse der Infektionsraten während der Beteiligung am KISS
erkennen. Der Erfolg zeigt sich auch daran, dass die nosokomialen Infektionen in Deutschland
in den letzten 17 Jahren entgegen anderslautender Darstellungen in der Laienpresse
nicht angestiegen sind. Zur Erinnerung: die erste repräsentative Erhebung vor 17 Jahren
(NIDEP I) zeigte, dass bei 3,5 % aller Patienten eine Krankenhausinfektion zum Untersuchungszeitraum
festzustellen war und diese Zahl ist aktuell in der repräsentativen Punktprävalenzstudie
aus 2011 etwa gleich geblieben. Dies trotz der enormen und zunehmend invasiven Fortschritte
in der Medizin, dem auch im Krankenhaus festzustellenden demografischen Wandel bei
gleichzeitiger Reduktion/ Rationalisierung von personellen Ressourcen und einer zunehmenden
Verkürzung der Aufenthaltsdauer, sowie einer überproportionalen Anwesenheit von Risiko-
und nosokomial infizierten Patienten – was bei Prävalenzerhebungen eher zu einer Überschätzung
führt.
Die neuen Daten der Punktprävalenzstudie aus 2011 unterstreichen den Erfolg, der nur
durch die Zusammenarbeit von engagierten Klinkern und Hygienefachpersonal möglich
war und ist. Surveillance kostet nicht nur Zeit, sie macht auch Erfolg sichtbar!