Hintergrund: Die kausale Therapie des ischämischen Schlaganfalls besteht in der
Beseitigung des gefäßverschließenden Thrombus. Aktuell stellt die intravenöse Thrombolyse
mit
rekombinantem Plasminogenaktivator (rt-PA) die einzige zugelassene Option dar. So
können aber nur
weniger als 10% der Schlaganfallpatienten behandelt werden, da ein strikter Zeitraum
von inzwischen
maximal 4,5 Stunden nach Auftreten der Symptome gilt. Außerdem existieren eine Reihe
von
Kontraindikationen, die eine systemische Lyse verbieten. Selbst wenn die Lyse möglich
ist, wird der
Thrombus nur in etwa 40% der Fälle aufgelöst. Aufgrund dieser Limitationen hat die
interventionelle
Therapie des akuten Schlaganfalls in letzter Zeit deutlich zugenommen. Mittels Katheter
wird dabei
eine mechanische Thrombolyse, eine Thrombusaspiration, eine selektive arterielle Lyse
oder eine
Stent-gestützte Rekanalisation des verschlossenen Gefäßes durchgeführt. Die Evidenz
dieser Techniken
ist bislang ungeklärt. Im New England Journal of Medicine wurden jetzt gleich drei
randomisierte
Studien zur aktuellen Therapie des ischämischen Schlaganfalls publiziert: – Ciccone et al.
verglichen die intravenöse Lyse mit einer primären endovaskulären Therapiestrategie.
– Die
zweite Studie von Broderick et al. untersuchte, ob eine sekundäre endovaskuläre Therapie nach
primärer Lyse besser ist als Lyse allein. – Kidwell et al. gingen schließlich der Frage nach,
ob durch bestimmte Bildgebungsverfahren die Patienten identifiziert werden können,
die von einer
Embolektomie profitieren, wenn keine Lyse mehr durchgeführt werden kann.
Methoden: In die Studie von Ciccone et al. wurden 362 Patienten mit akutem
ischämischen Schlaganfall aufgenommen, deren Symptome nicht länger als 4,5 h bestanden.
Sie wurden
randomisiert zu einer endovaskulären Therapiestrategie oder intravenöser Lyse. Die
endovaskuläre
Strategie konnte aus einer selektiven intraarteriellen Lyse bestehen, einer Thrombusaspiration,
einer mechanischen Zerkleinerung oder einer Kombination aller drei Verfahren. Primärer
Endpunkt war
das Überleben ohne Behinderungen nach 3 Monaten. Broderick et al. untersuchten einen weiteren
Aspekt: Sie randomisierten 656 Schlaganfall-Patienten, die nach maximal 3 Stunden
systemisch lysiert
worden waren, zu einer sekundären endovaskulären Therapie oder keiner weiteren Therapie.
Primärer
Endpunkt war auch hier das Überleben nach 90 Tagen ohne wesentliche Behinderung (Rankin-Score
<2). Die Patienten, deren Symptome schon 8 h bestanden und für die daher eine Lyse
keine
Therapieoption mehr darstellte, wurden schließlich von Kidwell et al. untersucht. Sie wurden
mit CT oder MRT daraufhin untersucht, ob das Infarktareal eine Penumbra zeigte, also
Hirngewebe,
welches geschädigt, aber noch nicht untergegangen war. In Abhängigkeit eines solchen
Gebiets wurden
die Patienten zu einer mechanischen Embolektomie oder einer konservativen Standard-Therapie
randomisiert. Endpunkt war auch in dieser Studie das Überleben ohne Einschränkungen
nach 90
Tagen.
Ergebnisse: Bei Ciccone et al. wurden je 181 Patienten endovaskulär oder mit
systemischer Lyse behandelt. Die Lyse begann im Mittel 2,75 h nach Symtombeginn, die
Intervention
eine Stunde später (p<0,001). Nach 3 Monaten überlebten in der Interventionsgruppe
30,4% ohne
Einschränkungen und in der Lyse-Gruppe 34,8% (adjustierte Odds Ratio 0,71; 95%-Konfidenzintervall
[KI] 0,44–1,14). Dieser Unterschied war statistisch nicht signifikant (p=0,16). Ebenso
gab es keinen
Unterschied bei tödlichen oder nicht-tödlichen Hirnblutungen als Komplikation der
Therapie oder
anderen schweren unerwünschten Wirkungen. Die Broderick-Studie, die eine sekundäre
Intervention nach Lyse untersuchte, wurde nach 656 Patienten vorzeitig durch das Sicherheitskomitee
gestoppt, da sich kein positives Ergebnis zeigte: 40,8% der Patienten erreichten den
primären
Endpunkt nach sekundärer endovaskulärer Therapie und 38,7% der Patienten nach systemischer
Thrombolyse alleine (absolute adjustierte Differenz 1,5 Prozentpunkte, 95%-KI -6,1
bis 9,1). Auch
die Mortalität war in beiden Gruppen mit 19,1% (Intervention) bzw. 21,6% (nur Lyse)
gleich (p=0,52),
ebenso die Rate an symptomatischen Hirnblutungen (6,2%/5,9%, p=0,83). In die Studie
von Kidwell
et al. wurden 118 Patienten aufgenommen. 58% hatten eine Penumbra, die als günstig für eine
Rekanalisierung angesehen wurde. Bei 67% der Embolektomie-Gruppe konnte das Infarktareal
revaskularisiert werden. 21% waren nach 90 Tagen verstorben. Symptomatiche Hirnblutungen
traten bei
4% auf. Nach 90 Tagen gab es zwischen den beiden Behandlungsstrategien keinen Unterschied
im
primären Endpunkt. Die Embolektomie war der Standard-Therapie nicht überlegen, unabhängig
davon, ob
eine Penumbra vorlag oder nicht. Es lag keine Interaktion zwischen dem neuroradiologischen
Bildergebnis und der daraufhin zugeteilten Behandlung vor (p=0,14).
Folgerung: Die interventionelle Therapie des akuten ischämischen Insults ist der aktuell
etablierten systemischen Thrombolyse nicht überlegen. Dabei spielt es keine Rolle,
ob primär
interventionell therapiert wird, ob die Intervention nach rascher Lyse durchgeführt
wird oder ob 8 h
nach Symptombeginn interventionell rekanalisiert wird. Auch neuroradiologische Verfahren
können
nicht die Patienten identifizieren, die von einer Intervention profitieren werden.
N Engl J Med 2013; 368: 893–903, 904–913, 914–923
Dr. Christoph Feldmann, Köln