Essen und Trinken bedeuten Lebensqualität: sich mit Freunden in der Pizzeria treffen
oder auf einer Feier mit seinem Gegenüber anstoßen. Doch zunächst stellt dieser wichtige
Bestandteil des Lebens ein menschliches Grundbedürfnis dar, das überall in der Gesellschaft
gestillt werden kann. Bei Menschen mit neurologischen Defiziten wie Handlungsunfähigkeiten,
Hemiparesen, Ataxien oder Aphasien ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie an einer
Schluckstörung leiden. Tatsächlich tritt sie bei circa zwei Dritteln aller Schlaganfallbetroffenen
auf. Darum hat das Esstraining im Arbeitsalltag von Ergotherapeuten des Fachbereiches
Neurologie einen festen Platz eingenommen. Mit einem soliden Grund- und Fachwissen
über Schluckanatomie und Essbegleitung ist es in der Regel eine gute Interventionsmöglichkeit.
Ohne den Blick über den ergotherapeutischen Tellerrand in Richtung Logopädie zu werfen,
geht es jedoch nicht.
Ergotherapie nur bei mittelschwerer Dysphagie
Ergotherapie nur bei mittelschwerer Dysphagie
Ein Schluck-und Esstraining ist dann indiziert, wenn der Klient wach und motiviert
ist, er Essen zum Therapiezeitpunkt als wichtig und somit als sein Ziel erachtet.
Wichtige Voraussetzungen sind, dass er husten, räuspern und ausreichend gut schlucken
kann. Das heißt, seine Schluckschutzreflexe müssen vorhanden sein, damit er im Falle
eines Verschluckens nicht in lebensbedrohliche Atemnot gerät. Er muss immer in der
Lage sein, mittels eines kräftigen Hustenstoßes Nahrung und Flüssigkeit aus den Atemwegen
befördern zu können. Das Schlucken sollte so weit funktionieren, dass er ausreichend
oral Speisen aufnehmen kann. Das heißt, für ein Training in der Ergotherapie darf
höchstens eine leichte oder mittelschwere Schluckstörung vorliegen.
Ein Beispiel: Herr Bauer ist 70 Jahre alt und erlitt vor zwei Tagen einen Schlaganfall
- einen Mediateilinfarkt der linken Hirnhemisphäre. Er zeigt mehrere neurologische
Defizite wie einen Neglekt zur rechten Seite, eine Hemiparese, Sensibilitätsstörungen
der rechten Körperhälfte sowie eine Fazialisparese rechts. Herr Bauer hat eine mittelgradige
Schluckstörung und eine Broca-Aphasie. Er wirkt in alltäglichen Handlungen leicht
apraktisch, zum Beispiel wenn er den Teelöffel mit der falschen Seite zum Mund führt
oder an einem leeren Glas zu trinken ansetzt. Bei ihm ist ein Schluck-und Esstraining
indiziert. Damit verfolgt man in der Regel gleich mehrere Ziele. Beim Schlucktraining
stehen beispielsweise das beschwerdefreie Essen und Trinken sowie eine Verbesserung
der Fazialisparese im Vordergrund. Das Esstraining fördert hingegen vorrangig die
Selbstständigkeit sowie die Wahrnehmung. Zudem setzt der Klient dabei die betroffene
obere Extremität im Alltag ein und übt zielgerichtete Bewegungen. Die jeweils angestrebte
Teilhabe in der Gesellschaft spielt ebenfalls eine große Rolle.
Interdisziplinär arbeiten
Interdisziplinär arbeiten
Spricht alles für ein Schluck- und Esstraining, stehen interdisziplinäre Absprachen
auf dem Plan. Mit der behandelnden Logopädin kann man Fragen zum Schluckvorgang oder
zur Aspirationsgefahr klären sowie sich über die Inhalte der Therapie austauschen.
Erhält der Klient auch Physiotherapie, bietet sich beispielsweise eine interdisziplinäre
Behandlung für das Erlangen einer physiologischen Sitzhaltung und Rumpfstabilität
mit integriertem Schluck- und Esstraining an. Denn wer im Liegen trinkt und isst,
läuft Gefahr, sich zu verschlucken.
Die Kollegen von der Pflege kann man durch das Training entlasten. Denn mit einem
durchdachten Kostaufbau ist der Klient nicht auf I nfusionen und künstliche Ernährung
angewiesen. Bezieht man die Pflegekräfte in die Therapie ein, lässt sich ein zeitlich
geschickt geplantes Ess- und Schlucktraining gut in ein Lagerungsschema integrieren,
da der Klient dafür eine sitzende Position einnehmen muss. Die Mundpflege kann wahlweise
vor und/oder nach dem Training stattfinden. Davor dient sie dazu, den Mund zu stimulieren
und auf die Therapie vorzubereiten. Danach verhindert sie das Verbleiben von Speiseresten
im Mundinnenraum. Denn auch noch lange nach der Mahlzeit können sich die Klienten
an Speiseresten verschlucken, zum Beispiel bei einem Lagewechsel. Die Mundpflege beugt
außerdem Zahnfleischentzündungen vor, die entstehen können, wenn Klienten mit einer
Zungenmotorik- bzw. Wahrnehmungsstörung verbleibende Speisereste nicht selbstständig
entfernen können.
Ein weiterer interdisziplinärer Partner ist der zuständige Arzt. Ergotherapeuten können
ihm gegenüber eine beratende Rolle einnehmen, da viele von ihm verordnete Medikamente
Mundtrockenheit oder Schleimbildung zur Folge haben. Dabei interessiert ihn vor allem,
ob der Klient eigenständig oder mit Unterstützung zu ausreichend Nahrung kommen kann
oder ob er medizinisch eingreifen muss. In solch einem Fall bekäme der Klient Infusionen
oder eine nasogastrale Sonde. Ist eine ausreichende orale Ernährung nicht abzusehen,
folgt meist die künstliche Ernährung über eine perkutane endoskopische Gastrostomie
(PEG).
Geht es um Absprachen, steht der Klient an erster Stelle. Denn nur durch Transparenz
kann er seine Autonomie wahren. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit mit den Angehörigen.
Da sie ihr betroffenes Familienmitglied zu Hause unterstützen, tragen sie Verantwortung.
Und wenn sie sich durch ein beratendes Gespräch in ihrer Sache sicher und gestärkt
fühlen, schlägt sich das positiv auf das Erreichen der Therapieziele des Klienten
nieder.
Die Schluckdiagnostik voranstellen
Die Schluckdiagnostik voranstellen
Bevor ein Klient mit der Diagnose „Schluckstörung nach Schlaganfall“ ein Schluck-
und Esstraining erhält, durchläuft er verschiedene Voruntersuchungen. Klassischerweise
haben Logopäden die besten Kenntnisse dafür. Ebenso wie Linguisten erlernen sie die
Schluckdiagnostik und die Behandlung bereits in Ausbildung und Studium. Doch auch
Ergotherapeuten mit Fortbildungen zum Thema Dysphagie sowie geschultes Pflegepersonal
auf Spezialstationen wie einer Stroke Unit sind in der Lage, eine aussagekräftige
Schluckdiagnostik durchzuführen.
Konzentriert sich die Untersucherin beispielsweise zunächst auf das, was sie sieht
und hört, kann sie bereits den weiteren Schluckversuch grob einschätzen. Schafft sie
es kaum oder nicht, den Klienten zu erwecken, und hört sie eine brodelnde, gurgelnde
Atmung oder Stimme, muss sie von einer Aspiration des Speichels ausgehen. Dann ist
der Klient nicht in der Lage, den eigenen Speichel zu schlucken. Speichel und Schleim
befinden sich in den Atemwegen bzw. bereits in der Lunge. Ein Schluck- und Esstraining
ist somit ausgeschlossen.
Hat der Klient eine Fazialisparese, verliert er häufig Speichel und Nahrung über den
hängenden Mundwinkel, bzw. es sammeln sich - meist von ihm unbemerkt - Speisereste
in der schlaffen Wangentasche. Kommt eine Sensibilitätsstörung im Gesichts- und Mundbereich
hinzu, sollte man den Klienten bei der Nahrungsaufnahme beaufsichtigen, da nicht wahrgenommene
Speisereste zum Verschlucken führen können. Ist bei einer Fazialisparese auch die
Zungenmotorik beeinträchtigt, können unterschiedliche Risiken aufeinanderfolgen. Denn:
Der Mensch benutzt die Zunge sowohl zum Kauen als auch zum Schlucken flüssiger Konsistenzen.
Einerseits verschiebt er mit der Zunge die Nahrung zwischen den Zahnreihen. Andererseits
verschließt die Zunge während des Kauens den Rachenbereich, um ein Verschlucken zu
verhindern. Den Bolus, also den zu schluckenden Speisebrei, bereitet sie in der sogenannten
Zungenschüssel oder Zungenschale vor. Und während des Trinkens gibt sie die Schluckmenge
an und verschließt den Rachenraum zwischen jedem Schluck.
Während der Schluckuntersuchung testet man die Schutzreflexe Räuspern, Husten und
Würgen und prüft deren Effektivität. Es kann sein, dass der Klient willkürlich räuspern
und husten kann, jedoch damit wegen der fehlenden Sensibilität im Rachen- und Kehlkopfbereich
das Aspirieren nicht verhindert. Möglich ist auch das Gegenteil: Der Klient müsste
kräftig räuspern und husten und nimmt ein Verschlucken ganz deutlich wahr, doch der
Hustenstoß reicht nicht aus, um die aspirierte Nahrung aus den Atemwegen zu befördern.
Beides ist fatal und hat in den meisten Fällen eine Aspirationspneumonie zur Folge.
Solch eine schwere Lungenentzündung - von verschluckter Nahrung ausgelöst - kann unter
Umständen bei geschwächten, meist älteren Menschen zum Tode führen.
Bei Erstickungsgefahr kommt der Würgereflex zum Einsatz. Für das Schlucken an sich
spielt er eher eine kleine Rolle. Doch versperrt ein nicht ausreichend gekautes Nahrungsstück
den Atemweg, bewirkt ein kräftiges Husten nichts. Tiefes Luftholen vor dem Husten
ist in diesem Fall nicht mehr möglich. Durch den Hustversuch wird das zu schwere Nahrungsstück
nur noch tiefer in die Luftröhre gezogen. Dann würgt man und setzt alle Muskeln und
Kräfte in Bewegung, um jegliche aufgenommene Nahrung aus dem Körper zu schleudern.
Der Würgereflex ist also ein „Notfallreflex“ und für den Körper sehr wichtig.
Wie der Schluckakt funktioniert
Wie der Schluckakt funktioniert
Zur Schluckdiagnostik gehört eine gründliche Mundinspektion. Hier testet die Ergotherapeutin
verschiedene Regionen im Mund auf ihre Sensibilität und untersucht den Rachenbereich
auf Paresen - soweit dieser einsichtig ist. Erkennt sie eine Gaumensegelparese (Gaumensegel
= Velum) oder ein schiefes Zäpfchen (Uvula), so deuten diese auf eine weitläufige
Lähmung der Rachenmuskulatur hin. Allerdings ist nur mit einer vollständig intakten
Rachen- und Kehlkopfmuskulatur gewährleistet, dass autonom ablaufende Schutzmechanismen
die Luftröhre während des Schluckens schützen.
Der Schluckakt findet teils willkürlich, teils ohne Einflussnahme statt. Der Nahrungsweg
vom Mund bis in den Magen dauert nur etwa sechs bis 22 Sekunden. Dabei sind 56 Muskelpaare
und sechs Hirnnerven beteiligt. Um einen besseren Überblick über den Schluckablauf
zu behalten, unterteilt man ihn in verschiedene Phasen. Unter die Vorphase, Stimulationsphase
oder präorale Phase fallen alle Handlungen und Wahrnehmungen, welche stattfinden,
bevor die Nahrung den Mund berührt. Diese Phase ist aus ergotherapeutischer Sicht
gut zu steuern, sodass hier das komplette Esstraining mit der Zubereitung und dem
Einbezug aller Sinne stattfindet. Der Mensch bereitet seinen Körper auf das Essen
vor, es wird mehr Speichel produziert, und er entscheidet nach genauer Betrachtung
der Nahrung, wie weit er den Mund öffnen muss und welche Funktion die Zunge übernimmt.
Beim gesunden Menschen laufen hier unbewusste Überlegungen und Entscheidungen ab.
Ergotherapeuten können am wirkungsvollsten intervenieren, indem sie hinsichtlich individueller
Kostanpassung und Hilfsmittel beraten. Die präorale Phase entscheidet über den reibungslosen
Ablauf der anschließenden oralen Phase (auch Kau- und Transportphase genannt). Sie
beginnt, wenn sich die Nahrung im Mund befindet, und endet kurz vor dem Schluck.
Die Nahrung auf den Weg bringen
Die Nahrung auf den Weg bringen
Möchte man beispielsweise einen Apfel essen, muss man den Mund weit öffnen und kräftig
zubeißen, um an das gewünschte Stück zu gelangen. Zudem muss man mit Fruchtsaft rechnen,
den die Zunge während des Kauens zusätzlich im Mundraum auffangen muss. Außerdem will
der Bolus vorbereitet sein. Die Lippen und Wangen müssen sich wegen der starken Bewegung
und der Nahrungsmenge fester anspannen, damit kein Fruchtsaft aus dem Mund austritt
oder sich die Nahrung in die Wangentaschen setzt. Erst wenn der zerkaute, portionierte
Bolus in der Zungenschüssel liegt und ihn die Zunge bewusst und steuerbar nach hinten
Richtung Rachenraum schiebt, wird der Schluck ausgelöst bzw. getriggert. Sobald der
Bolus die Rachenrückwand berührt, läuft der Schluck autonom und reflektorisch ohne
Einflussnahme durch Steuerung der Medulla oblongata und der Pons ab. Dies ist die
pharyngeale Phase (Pharynx = Rachen). Verschiedene Mechanismen setzen nun nacheinander
ein: Der weiche Gaumen schließt den Nasenrachenraum ab, damit keine Nahrung in die
Nase gelangt (Abb. 2). Der Larynx (Kehlkopf) hebt sich, wobei die Epiglottis (Kehlkopfdeckel) nach unten/
hinten über die große offene Trachea (Luftröhre) klappt und dem Bolus den Weg Richtung
Ösophagus (Speiseröhre) bahnt. Gleichzeitig schließen sich die Stimmlippen und die
im Kehlkopfbereich liegenden Taschenfalten als zusätzlicher Aspirationsschutz. Während
des Schluckens wird somit nicht geatmet - die ösophageale Phase setzt ein. Nun öffnet
sich der obere Muskulus ösophagussphinkter (Schließmuskel der Speiseröhre), damit
der Bolus in die Speiseröhre gelangt.
Abb. 1 Für Ergotherapeuten, die ein Schluck- und Esstraining durchführen, sind diese Utensilien
unerlässlich: Mundhygienestäbchen, Stethoskop, Untersuchungslampe, Holzspatel, Eisstäbchen
& Co. Und was auch nicht fehlen darf: Götterspeise oder Wackelpudding. Sie sind auf
Wasserbasis und aufgrund ihrer Konsistenz hervorragend geeignet.
(Foto: N. Seitz)
Abb. 2 Wer weiß, wie ein Schluck funktioniert und welchen Weg Flüssigkeit und Nahrung nehmen,
ist für das Esstraining gewappnet.
(Abb. aus Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus. LernAtlas der Anatomie.
Kopf, Hals und Neuroanatomie. Illustration von K. Wesker. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme;
2009.)
Beim Training: sich Zeit nehmen und Störfaktoren minimieren
Beim Training: sich Zeit nehmen und Störfaktoren minimieren
Zu Beginn des Trainings nimmt der Klient eine physiologische Sitzhaltung ein. Seine
Beine stehen fest auf dem Boden und der Oberkörper ist leicht nach vorne geneigt -
wie an einem Esstisch. Ein Schluck- und Esstraining sitzend im Bett durchzuführen,
wäre alltagsfremd und bei nach hinten gelehntem Oberkörper für das Schlucken unvorteilhaft.
Für den Einstieg bietet sich die Mundstimulation zur Förderung der Wahrnehmung an.
Zeit sollte keine Rolle spielen. Unter Druck kann man bei einem Menschen mit Schluckbeschwerden
keinen Erfolg erzielen. Zudem erfordert das Training vom Klienten je nach Schwere
der Dysphagie viel Konzentration. Daher sollte man alle Störfaktoren wie Radio und
Personen im Raum minimieren. Ermüdet der Klient, beendet man das Training, auch wenn
der Teller noch nicht leer ist.
Bevor die Therapeutin am bzw. im Mundraum des Klienten arbeitet, fordert sie ihn zu
einem Speichelschluck auf und kontrolliert den Schluck. Hierbei legt sie ihren Zeige-
und Mittelfinger auf den Kehlkopf des Klienten, um die Kehlkopfhebung von eineinhalb
bis zwei Zentimetern zu tasten (Abb. 3). Ist diese eindeutig spürbar, erfolgt ein Schluck. Um einen vorzeitigen Eintritt
von Speichel in den Rachenraum zu vermeiden, hält sie den Klienten dazu an, seinen
Kopf leicht nach vorn unten zu beugen. So kann er leichter und kontrollierter schlucken.
Abb. 3 Bevor das Training startet, kontrolliert die Ergotherapeutin, ob der Klient ausreichend
gut schlucken kann. Dabei fühlt sie, ob sich der Kehlkopf richtig bewegt.
(Foto: K. Weber)
Bei der Mundhygiene vor dem Essen bestreicht oder betupft die Therapeutin seine Lippen
und den Mundinnenraum mit Stäbchen, Watteträgern oder der Zahnbürste mit einem anregenden
Geschmack (Zitrone, Pfefferminz). Den Druck kann sie variieren, ebenso die Geschwindigkeit,
bzw. sie leitet den Klienten zur selbstständigen Handlung an. Hier achtet sie immer
auf eindeutige Reize und setzt kaltes oder warmes Wasser sparsam ein.
Unterstützt die Therapeutin den Klienten bei seiner Handlung an Hand und Arm, achtet
sie auf Schulter- und Ellenbogengelenk sowie auf eine physiologische Armbewegung (Abb. 4-6). Denn: Bei der Nahrungsaufnahme ist nicht nur die Hand im Einsatz, sondern auch
der Rumpf. Je nach Muskelaktivität des Klienten erfordert die richtige Handführung
und die Unterstützung bei physiologischen Griffen viel Geschick und Übung. Die Therapeutin
unterstützt bzw. simuliert die Führung des Bestecks so natürlich wie möglich, um die
richtigen Hirnareale zu aktivieren. Der Hilfsmitteleinsatz von speziellen Bechern
oder Besteck dient beim Schluck- und Esstraining ausschließlich der Kompensation der
Defizite und kann somit die Reorganisation des Gehirns auch negativ beeinflussen.
Das heißt, bei einem frisch erlittenen Schlaganfall steht das Wiedererlangen verlorener
Fähigkeiten im Vordergrund und nicht deren Kompensation. Die ersten Tage und Wochen
nach dem Ereignis beinhalten das meiste Potenzial zur Wiederherstellung der betroffenen
Funktionen. Der Klient soll sich nicht an eine Behinderung gewöhnen.
Abb. 4 Beim Schluck- und Esstraining kommt auch die betroffene Körperseite zum Einsatz.
Hier führt die Therapeutin Hand und Arm des Klienten zur Tasse.
(Foto: K. Weber)
Abb. 5 Zeit und eine ruhige Umgebung gehören zum Training unbedingt dazu. Das Essen und
Trinken ist für Klienten mit Dysphagie anstrengend geworden und erfordert Konzentration.
(Foto: K. Weber)
Abb. 6 Natürlich soll die Armbewegung beim Essen sein. Die Ergotherapeutin unterstützt die
Aktivität und stimuliert damit die geschädigte Hirnregion.
(Foto: K. Weber)
Gefahren erkennen und vorbeugen
Gefahren erkennen und vorbeugen
Führt man ein Schluck- und Esstraining durch, muss man jederzeit auf versteckte Anzeichen
für Beschwerden achten. Bestimmte Speisen und Getränke, welche Brösel, Fasern oder
Kohlensäure enthalten, gilt es zu vermeiden. Sie stellen für den Schluckvorgang eine
Herausforderung dar. Denn: Brösel muss man zunächst stark einspeicheln, Fasern bleiben
oft in Falten und Taschen des Kehlkopfbereichs hängen und erfordern häufiges Nachschlucken.
Der Schaum der Kohlensäure lenkt von der schnell in den Rachen fließenden Flüssigkeit
ab. Das heißt, man muss schnell schlucken, obwohl Schaum im Mund und Rachen zurückbleibt.
Kurzatmigkeit und eine belegte, raue, heisere Stimme deuten auf eine Penetration hin.
Dann ist Nahrung unter den Kehlkopfdeckel gerutscht und auf den Stimmlippen liegen
geblieben. Räuspert oder hustet jetzt der Klient nicht adäquat, aspiriert er mit dem
nächsten tieferen Atemzug. Außerdem muss er vor jedem neuen Bissen oder Löffel den
Mund leerschlucken. Ein Löffel ist dabei nicht gleichbedeutend mit einem Schluck.
Je nachdem, welche Kost man zu sich nimmt, muss man häufiger schlucken, um den Mund
komplett leer zu bekommen. Damit sich der Klient beim Essen auf eine Konsistenz konzentrieren
kann, sollte die Therapeutin darauf achten, Essen und Trinken zeitlich voneinander
zu trennen. Mischkonsistenzen wie Suppen und feste Beilagen sollte sie vermeiden.
Verschluckt sich der Klient doch einmal, bewahren Sie Ruhe. Neigen Sie den Oberkörper
des Klienten nach vorne und lassen Sie ihn laut und ausreichend husten, räuspern und
nachschlucken. Das Klopfen auf den Rücken ist nicht sinnvoll. Die Manipulation und
die eventuell zeitlich falsch gesetzte Vibration lenken den Klienten ab und lockern
im schlimmsten Fall die aspirierte Nahrung, wenn er gerade einatmet. Verschluckt sich
der Klient so stark, dass er in Atemnot gerät, bricht man das Schluck- und Esstraining
sofort ab und räumt den Mund aus. Das kann man jedoch vorab durch genaue Beobachtung
und die richtige Kostwahl vermeiden.
Der Abschluss eines Schluck- und Esstrainings ist das Säubern des Mundinnenraums von
Essensresten. Nun sollte der Klient noch etwa 15 bis 20 Minuten nach der Therapie
sitzen bleiben, um die Gefahr des Reflux zu minimieren. Vor allem ältere Klienten
haben häufig Sodbrennen und einen insuffizienten Magenpförtner. Fließt Nahrung und
Magensaft durch die Speiseröhre zurück, besteht im schlimmsten Fall die Gefahr der
Aspiration des Magensaftes. Dies hätte fatale Folgen: Eine Aspirationspneumonie wäre
kaum zu verhindern.
Vorsicht mit Flüssigkeiten
Vorsicht mit Flüssigkeiten
Achten Sie einfach mal bei sich selbst darauf, wie Sie essen, trinken und schlucken.
Welche Nahrungskonsistenz lässt sich am einfachsten schlucken? Breikost schließt beispielsweise
das Kauen aus und fließt nicht schnell. Das heißt, bei einer breiigen Konsistenz lässt
es sich am leichtesten und gefahrlosesten schlucken. Weiche Kost - dazu zählen alle
Nahrungsmittel, welche man am Gaumen zu Brei zerdrücken kann wie Kartoffeln und Bananen
- lässt sich vor dem Schlucken im Mundraum leicht vorbereiten und birgt keine große
Gefahr, solange man kauen kann.
Die gefährlichste Konsistenz für Klienten mit Dysphagie ist die Flüssigkeit. Verschlucken
sie sich, darf man sie auf keinen Fall zum Nachtrinken auffordern. Flüssigkeiten fließen
bei falscher Kopfhaltung sehr schnell und bei verlangsamtem Schlucken ungebremst in
den Rachen und werden am häufigsten von allen Konsistenzen aspiriert. Hier hilft ein
Andickungsmittel auf Maisstärkebasis. Man rührt das Pulver in das Getränk und erzeugt
die jeweils gewünschte Konsistenz wie bei einem Shake oder Sirup. Der Klient hat somit
mehr Zeit, die Flüssigkeit im Mund auf den Schluck vorzubereiten. Das verhindert ein
Verschlucken leicht und effektiv.
Mit diesem kleinen Ausschnitt an Fachwissen für das Schluck-und Esstraining sind Sie
nun für Ihre nächste alltags- und klientenorientierte Therapieeinheit gewappnet.