Die kardiovaskuläre Mortalität von chronisch nierenkranken Patienten ist unverändert
hoch. Auf einem wissenschaftlichen Symposium der Firma Abbott anlässlich des Kongresses
der "European Renal Association – European Dialysis and Transplant Association" (ERA-EDTA)
in Paris wurde die klinische Bedeutung der VDR-Aktivierung (VDR: Vitamin-D-Rezeptor)
auf das kardiorenale Syndrom erläutert und diskutiert, wie eine Outcomeverbesserung
zu erreichen ist.
sHPT-Prävention und -Therapie
sHPT-Prävention und -Therapie
Der sekundäre Hyperparathyreoidismus (sHPT), eine häufige Begleiterscheinung der chronischen
Nierenerkrankung (CKD), ist mit einer erhöhten Mortalität assoziiert. José Manuel
Valdivielso, Lleida (Spanien), sprach über aktuelle Erkenntnisse zur komplexen, multifaktoriellen
sHPT-Pathophysiologie, aus denen neue therapeutische Einsichten gewonnen wurden: So
kommt dem FGF-23 bei der Entstehung der systemischen Störung des Mineral- und Knochenstoffwechsels
eine Triggerfunktion zu: Es steigt initial als Antwort auf die verminderte renale
Phosphatclearance an, lange bevor sich das Serumphosphat und Parathormon (PTH) messbar
erhöhen. Denn FGF-23 induziert eine Phosphaturie, sodass die positive Phosphatbilanz
des Organismus eine Zeit lang kompensiert wird. Darüber hinaus hemmt es die renale
Vitamin-D-Aktivierung [
1
], [
2
], [
3
]. Der daraus resultierende Calcitriolmangel führt zur anfänglichen Erniedrigung des
Serumkalziums, erst daraufhin beginnt das PTH im Verlauf zu steigen. Therapeutisch
sowie auch im Hinblick auf die sHPT-Prophylaxe kommt daher der Phosphatkontrolle ein
hoher Stellenwert zu.
Weitere gängige sHPT-Therapieoptionen sind die Gabe von klassischen Vitamin-D-Präparaten,
wie natives 25-Hydroxy-Vitamin D oder aktive Formen (1,25-OHD/Calcitriol und Alfacalcidol)
oder von Nebenschilddrüsenantagonisten, zu denen der selektive VDR-Aktivator Paricalcitol
sowie das Calcimimetikum Cinacalcet zählen. Im Verlauf von 20 Dialysejahren benötigt
aber immer noch die Hälfte der Patienten eine PTx (Parathyreoidektomie) als ultima
ratio [
4
], was zeigt, wie unzureichend die Differenzialtherapie derzeit ist. Bei einem schlecht
kontrollierten sHPT wird aus einer diffusen Hyperplasie der Nebenschilddrüse zunehmend
ein nodulärer und somit ein autonomer, therapieresistenter Prozess. Die frühzeitige
therapeutische Intervention ist daher wichtig.
Differenzialtherapie mit Blick auf die individuelle Kalziumhomöostase
Differenzialtherapie mit Blick auf die individuelle Kalziumhomöostase
David Goldsmith, London (UK), sprach in Paris über die Optimierung der sHPT-Therapie.
Wie er ausführte, unterscheidet sich der Wirkmechanismus der beiden Nebenschilddrüsenantagonisten
deutlich: Während Calcimimetika innerhalb von Minuten an der Zelloberfläche am Calciumsensing-Rezeptor
(CaR) angreifen und die PTH-Sekretion hemmen, wirkt Paricalcitol intrazellulär über
Tage bis Wochen via VDR-Aktivierung auf die PTH-Genexpression und hemmt die PTH-Synthese.
Unter einer Cinacalcettherapie fallen auch Serum-Kalzium- und Serum-Phosphat-Spiegel
ab, während sie unter Paricalcitol meist konstant bleiben.
Die prospektive, randomisierte, kontrollierte IMPACT-SHPT-Studie [
5
] verglich die Effektivität der PTH-Kontrolle bei HD-Patienten unter Therapie mit
Paricalcitol (i. v. oder oral) vs. Cinacalcet in Kombination mit geringen Dosen von
aktivem Vitamin D. Diese zeigte, dass unter Paricalcitol in der Evaluierungsphase
viel seltener Hyperkalzämien (7,7 % im i. v. Stratum) auftreten als unter Cinacalcet
Hypokalzämien zu beobachten waren (46,9 % im i. v. Stratum). Goldsmith hob auch hervor,
dass sich in dieser Studie der selektive VDR-Aktivator Paricalcitol als effektiver
in der PTH-Kontrolle erwies: Den primären Endpunkt, nämlich das Erreichen eines mittleren
PTH-Wertes zwischen 150 und 300 pg/ml im Behandlungszeitraum Woche 21–28, erreichten
im i. v. Stratum signifikant mehr Patienten aus der Paricalcitolgruppe als aus der
Cinacalcetgruppe (57,7 % vs. 32,7 %, p = 0,016) (Abb. [
1
]).
Abb. 1 Primäre Wirksamkeitsanalyse: Anteil der Studienteilnehmer mit einem mittleren
iPTHWert zwischen 150 und 300 pg/ml während der Evaluationsphase (Woche 21–28).
* Paricalcitol (Zemplar®) zzgl. Cinacalcet bei Hyperkalzämie (i. v. Stratum n = 3/52,
orales Stratum n = 5/57). Wurden die 8 Patienten, die aufgrund einer Hyperkalzämie
zusätzlich Cinacalcet erhielten, von der Analyse ausgeschlossen, lag der Anteil an
Patienten, die unter Paricalcitol den iPTH-Zielbereich erreichten, im i. v. Stratum
bei 59,2 % (p = 0,015) und im oralen Stratum bei 53,8 % (p = 0,331).
Wie Goldsmith ausführte, bewährt sich in den CKD-Stadien 3–4 der Einsatz von Cholecalciferol
(nativem Vitamin D) und Calcitriol, da 80 % dieser Patienten einen 25-(OH)-Vitamin-D-Mangel
aufweisen. Der Ausgleich der Vitamin-D-Defizienz könnte nach heutigem Wissensstand
auch anderen Erkrankungen (kardiovaskuläre Ereignisse, Malignome) entgegenwirken.
Beim kritischen Anstieg der Serum-Kalzium-Werte unter Therapie mit aktivem Vitamin
D sollte dann aber auf Paricalcitol umgestellt werden, da der selektive VDR-Aktivator
die Kalziumhomöostase deutlich weniger beeinflusst. Calcimimetika sind für die Prädialysestadien
hingegen nicht zugelassen und fallen daher als Therapiealternative aus.
Im CKD-Stadium 5D erscheint aber bei persistierendem sHPT eine Differenzialtherapie
mit Nebenschilddrüsenantagonisten sinnvoll. Goldsmith empfahl, entsprechend den individuellen
Laborparametern, das (tendenziell) hyper- bzw. hypokalzämische Potenzial von Paricalcitol
und Cinacalcet zu nutzen und bei Bedarf beide Substanzen auch synergistisch einzusetzen.
Aufgrund wichtiger pleiotroper Effekte auf Herz und Niere sollte die selektive VDR-Aktivierung
aber immer eine Säule der sHPT-Therapie sein.
Kardiale Effekte der selektiven VDR-Aktivierung
Kardiale Effekte der selektiven VDR-Aktivierung
Denn wie Ravi Thadhani, Boston (USA), erörterte, nimmt die VDR-Aktivierung auch einen
positiven Einfluss auf kardiale Erkrankungen. CKD-Patienten haben häufig kardiale
Begleiterkrankungen, wie beispielsweise eine linksventrikuläre Hypertrophie (LVH)
und eine diastolische Dysfunktion, was wiederum mit einer erhöhten kardiovaskulären
Mortalität assoziiert ist.
Diverse kardiale Parameter weisen eine Abhängigkeit zur VDR-Aktivierung auf. So konnten
beispielsweise im Tiermodell durch die VDR-Aktivierung die LVH, die diastolische Funktion
sowie die endotheliale Relaxation verbessert werden [
6
], [
7
]. Eine Metaanalyse von 18 Studien zeigte eine signifikante inverse Assoziation zwischen
der 25-Hydroxyvitamin-D-Konzentration und der Hypertonie [
8
]. Eine weitere Studie [
9
] ergab, dass 1,25-OHD bei Typ-2-Diabetikern die atheroskleroseassoziierte Bildung
von Schaumzellen bzw. die Cholesterinaufnahme in Makrophagen hemmt. Im Tiermodell
konnte bei salzsensitiven, hypertonen Ratten gezeigt werden, dass unter Paricalcitol
der linksventrikuläre enddiastolische Druck (LVEDP) signifikant sinkt [
10
].
Die jüngst veröffentlichte multinationale, doppelblind randomisierte PRIMO-Studie
[
11
] untersuchte bei 227 CKD-Patienten (Stadium 3–4) über 48 Wochen den Effekt einer
VDR-Aktivierung mit Paricalcitol (2 μg/d) im Vergleich zu Placebo auf verschiedene
kardiale Parameter und Biomarker: Das PTH sank in der Verumgruppe nach 4 Wochen in
den Normalbereich. Am Ende der 48 Wochen gab es gegenüber der Placebogruppe jedoch
keine signifikanten Unterschiede bei der LVH und den dopplersonografischen diastolischen
Funktionsmessungen. Wie Thadhani ausführte, ist dieses Ergebnis der relativ kurzen
Beobachtungsdauer geschuldet, denn für kardiale Biomarker zeigten sich sehr wohl signifikante
Unterschiede.
So fiel der Anstieg des BNP ("B-type natriuretic peptide") unter Paricalcitol deutlich
geringer aus (+ 16 % unter Paricalcitol vs. + 50 % unter Placebo) und der linksatriale
Volumenindex nahm signifikant ab. In der Paricalcitolgruppe gab es eine einzige Hospitalisierung
aus kardiovaskulärer Ursache, in der Placebogruppe waren es hingegen 8 (p = 0,03).
Das alles deute auf einen geringeren kardialen "Stresspegel" unter Paricalcitol hin.
Andere Studien hatten bereits gezeigt, dass ein größeres linksatriales Volumen nicht
nur häufiger mit Vorhofflimmern, sondern auch mit einem erhöhten Infarkt-, Apoplex-
und Mortalitätsrisiko assoziiert ist [
12
], [
13
], [
14
]. Bei CKD-Patienten ist das linksatriale Volumen zudem invers mit der Höhe der GFR
und dem Überleben assoziiert [
15
], wie Thadhani ausführte. Die komplexen Zusammenhänge dieser kardialen Funktionen
mit der VDR-Aktivierung bzw. -Unteraktivierung sind nun Gegenstand laufender Studien.
Antiproteinurische und antihypertensive Effekte der VDR-Aktivierung
Antiproteinurische und antihypertensive Effekte der VDR-Aktivierung
Dass die Albuminurie ein Verlaufsprädiktor bei CKD-Patienten ist, führte Hiddo Lambers
Heerspink, Groningen (Niederlande), aus. Die Albuminurie nimmt direkten Einfluss auf
die renale und kardiale Morbidität [
16
], [
17
]. So gilt: Je stärker die Albuminurie, desto rascher der GFR-Verlust. Diese Beziehung
ist linear und es gilt auch für die antiproteinurische Therapie: Eine Reduktion der
Albuminurie um jeweils 50 % senkte das ESRD-Risiko ebenfalls um 50 % [
18
]. Das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse zeigte die gleiche lineare Abhängigkeit
von der Albuminurie [
19
].
Nachdem in einer Metaanalyse [
20
] und in einer kleineren Beobachtungsstudie [
21
] aufgefallen war, dass unter Paricalcitol die Albuminurie signifikant gegenüber Placebo
zurückging – und zwar unabhängig von einer ACEI- oder ARB-Therapie, wurde die VITAL-Studie
initiiert [
22
]. Diese untersuchte, ob die Therapie mit dem VDR-Aktivator Paricalcitol bei Typ-2-Diabetikern
mit Nephropathie die Albuminurie reduziert. In dieser multinationalen, placebokontrollierten,
doppelblinden Studie wurden 281 Diabetiker mit einer eGFR von 39–42 ml/min/1,73 m2 eingeschlossen (Alter 64–65 Jahre). Sie erhielten bereits alle eine ACEI- oder ARB-Therapie,
wurden 1:1:1 randomisiert und bekamen dann zusätzlich zur RAAS-Blockade für 24 Wochen
entweder Placebo, 1 μg/d Paricalcitol oder 2 μg/d Paricalcitol. Im Ergebnis betrug
die Änderung der UACR ("urinary albumin-to-creatinine ratio") zum Ausgangsbefund –
3 % in der Placebogruppe, – 16 % in der kombinierten Paricalcitolgruppe, wobei statistische
Signifikanz nur in der 2-μg-Gruppe erreicht wurde (mit – 20 %), nicht aber in der
1-μg-Gruppe (mit – 14 %). Der antiproteinurische Effekt hatte somit eine deutliche
Dosisabhängigkeit. Nur unter der höheren Paricalcitoldosis kam es zur anhaltenden,
signifikanten UACR-Reduktion zwischen – 18 % und – 28 % über die gesamte Studiendauer
(p = 0,014 vs. Placebo). Nach Absetzen von Paricalcitol endete dieser Effekt. In der
2-μg-Gruppe sank während der Therapiedauer auch der systolische Blutdruck (zusätzlich
zur ACEI-/ARB-Therapie).
Eine Erklärung für die antiproteinurische und antihypertensive Wirkung von Paricalcitol
könnte die Hemmung der Plasmareninaktivität darstellen, wie Lambers Heerspink ausführte.
Bei Patienten mit essenzieller Hypertonie besteht eine schon lange bekannte inverse
Beziehung zwischen der Plasmareninaktivität und dem 1,25-OHD-Spiegel [
23
]. In einem Diabetes-Maus-Modell konnte mit der Kombinationsbehandlung von Losartan
und Paricalcitol die Entstehung einer diabetischen Albuminurie verhindert werden,
mit den einzelnen Substanzen dagegen nicht [
24
]. Sowohl die Renin-mRNA-Spiegel als auch die Angiotensin-II-Spiegel waren unter der
Kombination gegenüber den Einzelsubstanzen signifikant niedriger. Der VDR-Aktivator
Paricalcitol reduzierte die Albuminurie somit additiv zur ACEI/ARB-Therapie.
Effektive PTH-Kontrolle und positive Beeinflussung kardialer und renaler Parameter
Effektive PTH-Kontrolle und positive Beeinflussung kardialer und renaler Parameter
Zusammenfassend ermöglicht Paricalcitol nicht nur eine effektive und sichere PTH-Kontrolle,
sondern kann zudem kardiale und renale Parameter positiv beeinflussen. Aufgrund dieser
Eigenschaften könnte es das Outcome von CKD-Patienten mit sHPT nachhaltig verbessern.
Dr. Martina Berthold, Weimar
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Abbott GmbH & Co. KG, Ludwigshafen.
Die Beitragsinhalte stammen vom 49. ERA-EDTA-Kongress 2012, Paris, und wurden im Auftrag
der Abbott GmbH & Co. KG, Ludwigshafen, von Frau Dr. Berthold (Medizinerin) zusammengestellt.