Via medici 2012; 17(05): 24-26
DOI: 10.1055/s-0032-1331272
einblicke
© Georg Thieme Verlag Stuttgart - New York

Tipps zum Überleben im Schichtdienst – Jetlag am Krankenbett

Björn Wuttig

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Publication Date:
16 November 2012 (online)

 

Der Arztberuf ist kein „Nine-to-Five-Job“. Mitunter hat man es mit Arbeitszeiten zu tun, die jedem gesunden Rhythmusgefühl zuwiderlaufen. Schutzlos ausgeliefert ist man dieser Mühle aber keineswegs. Es gibt vieles, was man tun kann, um die Arbeit nach Mitternacht noch einigermaßen bioverträglich zu gestalten.


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Ein Kreiskrankenhaus, irgendwo in Deutschland, 2.34 Uhr. In einem Dienstzimmer piept das Telefon und reißt eine junge Internistin aus dem Schlaf. Die Notaufnahme meldet sich: „Wir haben hier einmal Ausschluss Infarkt, zwei Mal C2[*] und einmal Durchfall seit einer Woche.“ Diese kryptischen Angaben reichen: Die Ärztin weiß, dass sie weitere Schlafversuche vergessen kann. Ihre Bilanz der letzten acht Stunden: Sie hat insgesamt vier „Alkoholleichen“ versorgt. Einen Fall musste sie mit akutem Abdomen in die Chirurgie überweisen. Dazu kamen viele Kleinigkeiten wie Venülen legen, Schmerzmittel verschreiben und „mal kurz nach einem Patienten sehen“. Den Rest hat sie verdrängt. Es ist ihre vierte Nachtschicht in Folge. Doch für Müdigkeit bleibt ihr keine Zeit.

Arbeiten gegen die innere Uhr

Schichtdienste sind im Krankenhaus ein notwendiges Übel. Auch in anderen Berufen, z. B. bei der Feuerwehr, in Pflegeheimen oder bei der Polizei, gehört das „Schichten“ zum Alltag dazu. Welche gesundheitlichen Konsequenzen diese Belastung hat – bei oft mäßiger finanzieller Honorierung –, wird vom Normalbürger kaum registriert: „Wir Menschen sind für den Schichtdienst und die Arbeit in der Nacht einfach nicht geschaffen“, erklärt Jürgen Zulley, Schlafforscher und außerplanmäßiger Professor für Biologische Psychologie an der Uni Regensburg. „Wir haben uns in unserer Entwicklung an den Tages- und Nachtrhythmus angepasst. Der Mensch ist daran gewöhnt, tagsüber aktiv zu sein und nachts dem Körper die verdiente Ruhe zu gönnen. Bei Schichtarbeit muss der Körper aber gegen diese innere Uhr agieren.“

Für die Taktung des Tag-Nacht-Rhythmus sind Hormone zuständig – besonders das Melatonin. Verschwindet abends die Sonne hinterm Horizont, antwortet unser Körper, indem er Melatonin freisetzt, was uns schläfrig macht. Wer Nachtdienst schiebt, arbeitet gegen diesen Impuls. Austricksen könnte man den Körper, wenn man den Tag künstlich mit sehr hellem Licht verlängern würde[**]. Dafür ist die übliche Beleuchtung in der Klinik aber einfach nicht hell genug. Deshalb steigt der Melatoninspiegel auch bei nachtaktiven Klinikärzten. Die Folge ist ein Chaos im chronobiologischen System, weil die stressbedingte Aktivität mit dem Schlafimpuls konkurriert.

TIPPS FÜR DEN NACHTDIENST

Versuchen Sie während des Nachtdienstes nicht zu schlafen, sondern erledigen Sie bei hellem Licht möglichst leichte Tätigkeiten!

Schlafen Sie zu Hause nach dem Nachtdienst in einem dunklen, kühlen und ruhigen Raum!

Erzwingen Sie nach einem aufreibenden Nachtdienst nicht den Schlaf. Versuchen Sie sich zu entspannen. Der Schlaf kommt dann von ganz allein.

Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung und versuchen Sie eine Mahlzeit pro Tag zusammen mit Ihrem Partner/Ihrer Familie einzunehmen.

Mitarbeiter, die keine Probleme haben, Nachtschichten zu leisten oder das sogar gerne tun, sollten unbedingt häufiger für Dienste eingeplant werden.

Ernährungsplan für den Nachtdienst

Abendessen (ca. 1–2 Stunden vor Schichtbeginn): leichte Mahlzeit

1. Nachtmahlzeit (ca. Mitternacht): warme Mahlzeit, leichte Kost, Kaffee ist in Ordnung

2. Nachtmahlzeit (ca. 2–3 Stunden vor Schichtende): Zwischenmahlzeit, leichte Kost (Obst, Gemüse, Müsli, Joghurt) und keine anregenden Getränke mehr

Frühstück (nach der Schicht): wie gewohnt, jedoch ohne Kaffee oder Schwarztee

Linktipps

Weitere Tipps zum Thema finden Sie in der Broschüre „Besser leben mit Schichtarbeit“ vom BKK-Bundesverband unter: www.bit.ly/QSqTOi

Beunruhigende Fakten zu der Frage, ob Schichtarbeit die Krebsgefahr erhöht, liefert die Studie „Schichtarbeit und Krebs“. Download unter: www.aerzteblatt.de/pdf.asp?id=78410

Die Gesetzeslage laut Arbeitszeitgesetz (ArbZG): www.gesetze-im-internet.de/arbzg/index.html


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Die Folgen nächtlichen Raubbaus

Dieser Mismatch bleibt nicht ohne Folgen: Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen liegt bei Schichtarbeitern mit 21% drei Mal so hoch wie bei der Normalbevölkerung. 80% der Schichtarbeiter leiden unter Verdauungsstörungen oder Magengeschwüren. Diese sind oft die direkte Reaktion auf den Schichtdienst-Stress. Aber auch das unregelmäßige, gehetzte Essen kann ein Grund sein. Zudem leiden neun von zehn Nachtarbeitern an Schlafstörungen. Viele sind chronisch müde, nervös und reizbar. Auch Depressionen sind bei den „Schichtlern“ häufiger festzustellen.

Auch abseits der Gesundheitsbelastung führt Schichtarbeit zu Problemen: Nachtdienst schränkt die Lebensqualität ein. Privatleben und Freizeitgestaltung leiden massiv. Dienste an Wochenenden und Feiertagen stellen das soziale Umfeld zusätzlich auf die Probe. Und nicht zuletzt ist das Ganze auch unter Sicherheitsaspekten problematisch: „Nachts gehen wir in eine Art Standby-Modus“, erläutert Prof. Zulley. „Die Leistungsfähigkeit geht rapide nach unten.“ Dieses Tief macht sich besonders zwischen 2.00 und 5.00 Uhr bemerkbar. „Entsprechend treten zwischen drei und vier Uhr statistisch die meisten Fehler auf“, so Prof. Zulley.


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Nickerchen: Besser erst nach Dienstschluss!

Ein Patentrezept, wie man trotzdem hundert Prozent Leistung bringen kann, gibt es nicht. Es hilft aber auf jeden Fall, wenn die Arbeitsräume und Gänge möglichst hell mit über 2.000 Lux beleuchtet sind. Das senkt nicht nur die Unfallgefahr, sondern es hält – über den supprimierten Melatoninspiegel – die Mitarbeiter länger wach und aktiv. Hinsichtlich der Pausen sollte man sich am Aktivitätszyklus des Körpers orientieren. Dieser dauert nämlich etwa eineinhalb Stunden. Diese Zeit sollte man konzentriert nutzen und danach zehn Minuten pausieren. Für Ärzte ist es naturgemäß schwierig, diese Regel zu befolgen. Geplante Arbeitszyklen lassen sich in einem Bereitschaftsdienst in einer Klinik nur schwer umsetzen. Und auch wenn es längere Zeit ruhig ist, wartet man unterbewusst doch schon wieder auf den nächsten Patienten. Kommt dieser, müssen Körper und Gehirn blitzschnell „von Null auf Hundert hochfahren“. Hat man sich gerade zu einem Nickerchen im Dienstzimmer hingelegt, ist das eine kaum zu erfüllende Herausforderung. Oft dauert es Minuten, bis der Mediziner dann am Krankenbett wieder voll da ist. Bevor man sich dem Patienten widmet, sollte man deshalb kurz innehalten und sich erst einmal sammeln. Dann atmet man tief durch, entspannt sich einige Sekunden und wendet sich erst dann dem Patienten zu. Das ist effektiver, als im Halbschlaf sofort zu ihm zu rennen und einen Fehler zu begehen.

Um solche Situationen gar nicht entstehen zu lassen, empfiehlt Prof. Zulley, während der Nachtschicht einfach überhaupt nicht zu schlafen. „Stattdessen sollten in Entspannungsphasen weniger anstrengende Tätigkeiten durch- geführt werden.“ Statt sich hinzulegen, können Entlassbriefe geschrieben oder Journals gelesen werden. Dabei sollte der Raum hell sein, damit keine Müdigkeit aufkommt.

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Abb.: Wer sich trotz potenziell stressigem Nachtdienst im Dienstzimmer schlafen legt, sollte sich vorsehen: Direkt nach dem Aufstehen ist man dann wie gerädert und besonders anfällig, falsche Entscheidungen zu treffen. Experten empfehlen deshalb: Am besten gar nicht erst hinlegen!

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Motto: Eulen an die Front!

Am effektivsten ist natürlich, das Übel an der Wurzel zu packen. Sprich: Der Arbeitgeber muss die Jobs so einrichten, dass Dienste zum einen auf ein Minimum beschränkt werden und zum anderen so organisiert sind, dass die Gesundheit der Mitarbeiter und Patienten nicht leidet. Diesbezüglich hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Wer sich vor 15 Jahren nachts ein Bein brach und in die Klinik eingeliefert wurde, musste damit rechnen, dass er von einem Chirurgen versorgt wurde, der in seinem 30-Stunden-Dienst schon seit 20 Stunden fast durchgehend operiert hatte. Die Vorgabe der EU-Kommission, die durchschnittliche Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden zu begrenzen, hat solchen Auswüchsen ein Ende bereitet. In der EU-Richtlinie wurde zudem festgelegt, dass sowohl aktive als auch nicht aktive Bereitschaft als Arbeitszeit zu rechnen ist. Damit ist klar, dass ein die Anwesenheit am Arbeitsort erfordernder Bereitschaftsdienst nicht zur Ruhezeit zählt, sondern Arbeitszeit ist.

Neben dieser rechtlichen Seite sollte ein Arbeitgeber bei der Dienstplanung auch arbeitsmedizinische Aspekte beachten. Aus Expertensicht sieht das optimale Schichtmodell so aus: Zuerst macht man zwei, maximal drei Frühdienste, dann folgen zwei bis drei Spätdienste und dann zwei bis drei Nachtdienste. Dann folgen drei Tage Pause und das Ganze geht wieder von vorne los. „Diese schnell und vorwärts rotierenden Schichten entsprechen eher dem biologischen Rhythmus, und die Zeit der Fehlanpassung wird verkürzt“, erkärt Prof. Zulley. Deshalb wird dieses Modell vom Organismus gut akzeptiert. Ob es auch familienkompatibel ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber auch diesbezüglich gibt es Maßnahmen, die Belastungen reduzieren können: Wenn Frühdienste nicht vor 7 Uhr beginnen und Spätdienste nicht nach 23 Uhr enden, kann der Schichtende eine relativ normale Tagesstruktur durchhalten.

Weitere Entlastung kann bringen, wenn die Klinik den Mitarbeitern die Dienstplangestaltung selbst überlässt – im Rahmen klarer Absprachen, versteht sich. Denn es ist ja keineswegs so, dass Nachtdienste allen Mitarbeitern gleich schwer fallen. „Wer sich freiwillig zur Nachtarbeit meldet, hat weniger Probleme“, erklärt Prof. Zulley. Deshalb sollten Ärzte, die gerne in der Nacht arbeiten, im Dienstplan auch öfter dafür eingeplant werden. Und nicht zuletzt: Arbeitgeber sollten darauf achten, dass Mitarbeiter nicht länger als fünf oder sechs Jahre für Nachtdienste eingespannt werden. Sonst erhöht sich massiv das Krankheitsrisiko. Gleiches gilt für Mitarbeiter über fünfzig. Sie sollten keine Nachtarbeit leisten.


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Speisekarte der Nacht

Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen gibt es auch einige konkrete Verhaltensregeln, die einem das „Schichtleben“ erleichtern. Das beginnt mit der Ernährung: Viele Mitarbeiter im Gesundheitswesen wissen zwar, wie man sich gesund und ausgewogen ernährt, und geben Patienten gute Tipps. Sie selbst ignorieren diese Empfehlungen aber komplett. Da wird nachts quasi nichts als Kaffee getrunken. Und zum Frühstück gibt’s die kalte Pizza, die die letzte Rettungswagenbesatzung übrig gelassen hat. Dabei sollte die Ernährung eher leicht und bekömmlich sein, weil der Verdauungstrakt ja eigentlich Nachtruhe hat. „Gegen Kaffee ist prinzipiell nichts einzuwenden“, meint Jürgen Zulley. „Man sollte sich aber davor hüten, sich damit durch die Nacht zu pushen!“ Ernährungsexperten empfehlen für die Phase ab drei Uhr eher Mineralwasser, Fruchtsaftschorlen oder Kräutertees. Energydrinks mit hohem Zucker- und Koffeinanteil halten zwar wach, hindern dafür aber am Einschlafen am Morgen.

Geht man nach dem Nachtdienst nach Hause, muss man dem Körper das geben, wonach es ihn schon seit Stunden verlangt: einen ungestörten Tagesschlaf von etwa sechs bis höchstens acht Stunden. Schlafmittel sollten ebenso wie Alkohol zum Einschlafen gemieden werden. Zwar lassen sie einen rasch einschlafen, die Schlafqualität ist aber reduziert. Prof. Zulley empfiehlt dabei, den Schlaf auf zwei Etappen aufzuteilen: zuerst von 8 bis 12 Uhr und dann vor der Schicht von 16 bis 18 Uhr noch mal. Dazwischen sollte eine aktive Freizeitgestaltung auf dem Plan stehen: Freunde treffen oder Sport treiben. Und ganz wichtig: Nach der letzten Nacht muss man gucken, dass man wieder in den normalen Tagesablauf reinkommt. Man lässt die zweite Schlafetappe einfach weg – und geht raus unter Menschen.

Damit beginnt eine kritische Phase: Während des Nachtdienstes verstimmt und gereizt zu sein, nehmen viele hin. „Oft wirkt die depressive und angespannte Stimmung aber auch in die freien Tage“, erläutert Zulley. Das reduziert die Qualität der Erholung, und das Privatleben leidet. Hier ist hilfreich, sich einen strukturierten Tages- und Wochenplan zu machen, der einem die Teilhabe am normalen Leben „vorschreibt“ und vermeidet, dass man sich hängen lässt. Und die wichtigste Voraussetzung für jede Art von Schichtarbeit: Lebenspartner und Freunde müssen für den Wechseldienst Verständnis aufbringen. Kann man dieses Einvernehmen nicht herstellen, muss man am Status quo etwas ändern. Wer möchte schon auf seine Freunde verzichten? Deswegen sollte man im Zweifel einen Jobwechsel vorziehen, bevor Beziehungen und man selbst am Schichtleben zerbrechen..

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Abb.: Ein Kaffee zwischendurch ist im Nachtdienst völlig in Ordnung. Wer sich aber nur noch mit Koffein vor dem Sekundenschlaf am Krankenbett retten kann, macht etwas grundsätzlich falsch. Achtung: Verlorener Nachtschlaf muss am folgenden Tag immer 1:1 nachgeholt werden.

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Björn Wuttig

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Björn Wuttig ist freier Fachjournalist. Als nebenberuflicher Rettungsassistent und Krankenpfleger ist er mit den speziellen Belastungen durch Schichtarbeit bestens vertraut. Kontakt: info@wuttigmedia.de

Note

* C2: Mediziner-Slang für den Konsum von Alkohol (C2H5OH). „C2-Fälle“ sind stark alkoholisierte Patienten.


** Besonders effektiv lässt sich die Melatonin-Ausschüttung mit blauem Licht (ca. 460 nm Wellenlänge) hemmen. Wer abends gerne mit dem Smart- phone herumspielt oder auf einem Tablet liest, kennt den Effekt. Die Touchscreens dieser Geräte sondern Licht mit hohem Blauanteil ab und wirken deswegen wie Muntermacher (mehr Infos: S. 6).




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Abb.: Wer sich trotz potenziell stressigem Nachtdienst im Dienstzimmer schlafen legt, sollte sich vorsehen: Direkt nach dem Aufstehen ist man dann wie gerädert und besonders anfällig, falsche Entscheidungen zu treffen. Experten empfehlen deshalb: Am besten gar nicht erst hinlegen!
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Abb.: Ein Kaffee zwischendurch ist im Nachtdienst völlig in Ordnung. Wer sich aber nur noch mit Koffein vor dem Sekundenschlaf am Krankenbett retten kann, macht etwas grundsätzlich falsch. Achtung: Verlorener Nachtschlaf muss am folgenden Tag immer 1:1 nachgeholt werden.