? Welche Bedeutung haben nosokomiale Infektionen für Patienten und Behandler?
Prof. Dr. Petra Gastmeier: Eine nosokomiale Infektion verkompliziert in der Regel die Behandlung. Der Patient
muss länger im Krankenhaus bleiben. Eventuell sind zusätzliche Maßnahmen wie Operationen
oder andere Behandlungen, wie z. B. eine zusätzliche Antibiotika-Gabe, notwendig.
Insgesamt steigen dadurch natürlich auch die Kosten. Das schlimmste Risiko für den
Patienten ist jedoch, dass er an einer nosokomialen Infektion versterben kann.
? Was sind aus Ihrer Sicht die größten Risikofaktoren für nosokomiale Infektionen?
Gastmeier: Die meisten Krankenhaus-Infektionen kommen dadurch zustande, dass die Patienten
fakultativ pathogene Erreger mitbringen, z. B. auf der Haut oder im Darm. Wenn dann
im Krankenhaus invasive Maßnahmen wie Harnweg- oder Gefäßkatheter zum Einsatz kommen,
können Erreger in andere Körperkompartimente eindringen. Ist der Patient dann auch
noch geschwächt, kann er schnell eine Infektion bekommen.
Zentrale Venenkatheter, Intubation und Harnwegkatheter sollten also nur nach sehr
strenger Indikationsstellung eingesetzt werden. Außerdem muss der Umgang mit diesen
Devices optimiert und trainiert werden. Das kann man nicht nur in der Vorlesung oder
aus einem Buch lernen, das muss man üben.
Weiterer Risikofaktor: Antibiotika
Bei bestimmten Infektionskrankheiten, wie z. B. MRSA und Clostridium difficile, spielt
auch der Einsatz von Antibiotika als Risikofaktor eine Rolle. Für die Zunahme von
Clostridium-difficile-Infektionen sind zum Beispiel besonders Breitspektrum-Antibiotika,
zum Beispiel Drittgenerations-Cephalosporine verantwortlich, die häufig als perioperative
Prophylaxe gegeben werden. In vielen Krankenhäusern werden Antibiotika noch 2–3 Tage
postoperativ gegeben, obwohl es dafür keine Evidenz gibt.
Im Rahmen der nationalen Prävalenz-Studie haben wir festgestellt, dass der Anteil
der Antibiotika- Anwendungen, die prophylaktisch verordnet werden, ungefähr 35 % aller
Antibiotika-Anwendungen im Krankenhaus beträgt. Ungefähr die Hälfte davon umfasst
die perioperative Prophylaxe, die über den OP-Tag hinaus geht. Man könnte also relativ
leicht schätzungsweise 15 % der Antibiotika-Anwendungen im Krankenhaus einsparen und
damit weniger Selektionsdruck für Clostridien und multiresistente Erreger schaffen.
? Wie könnte man ein solches Vorgehen durchsetzen?
Gastmeier: Ich glaube, da gibt es eine psychologische Barriere. Viele Chirurgen denken, ihre
Patienten vor Infektionen zu schützen, indem sie ihnen noch 2 oder 3 Tage postoperativ
ein Antibiotikum geben. Manchmal wird auch vergessen, das Antibiotikum abzusetzen.
Sinnvoll wäre dann ein Reminder-System, das den Arzt fragt, ob die Antibiotika-Einnahme
noch nötig ist. In dem Fall müsste er sich ganz bewusst für die Verabreichung entscheiden.
In einigen Ländern wird ein solches System bereits genutzt.
? MRSA-Infektionen sind in aller Munde. Welchen Stellenwert haben im Vergleich dazu
aus Ihrer Sicht Clostridium-difficile-Infektionen (CDI)? Gibt es aktuelle Zahlen bezüglich
der CDI-Verbreitung für Deutschland?
Gastmeier: Seit der letzten nationalen Prävalenzstudie 1994 ist die CDI-Inzidenz, die damals
kaum eine Rolle spielte, deutlich angestiegen. Laut unserer aktuellen Erhebung liegt
die Inzidenzdichte, also die Anzahl der Fälle pro 1000 Patiententagen, aktuell bei
0,74, in absoluten Zahlen also bei ungefähr 50 000 bis 60 000 Fällen pro Jahr in Deutschland.
Damit liegen CDI inzwischen an vierter Stelle der Häufigkeit der nosokomialen Infektionen.
MRSA ist ein viel geringeres Problem als CDI
Viele Menschen haben große Angst vor MRSA, dabei ist das MRSA-Problem insgesamt ein
viel geringeres als das Problem der Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö (CDAD).
Aktuelle Daten von CDAD-KISS (Clostridium-difficile-assoziierte-Diarrhö-Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System)
zeigen eine CDAD-Inzidenz von 0,51 im Jahr 2010, während die MRSA-Inzidenz bei 0,98
lag. Bei diesem Wert sind allerdings alle Patienten berücksichtigt, die kolonisiert
sind, infiziert ist davon weniger als ein Drittel. Es gibt demnach eindeutig mehr
Infektionen mit Clostridium difficile als mit MRSA. Bei MRSA weiß man inzwischen auch,
dass ungefähr 90 % der infizierten Patienten schon bei Aufnahme den Erreger haben.
Bei der Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö ist der Anteil der nosokomialen
Infektionen deutlich höher. Insgesamt ist daher – gerade aus nosokomialer Sicht –
ganz eindeutig CDAD ein wesentlich größeres Problem als MRSA.
? Was sind die Risiken einer CDI? Wie beurteilen Sie den Schweregrad der Verläufe?
Gastmeier: Das Problem ist, dass die Patienten durch die mit einer CDI einhergehenden Durchfälle
extrem geschwächt werden und sich dadurch die Heilung hinauszögert. Zusätzliche Therapien
sind notwendig. Zudem treten eventuell immer wiederkehrende Infektionen (Rezidive)
auf, sodass sich die Erkrankung über einen langen Zeitraum hinziehen kann. Im schlimmsten
Fall wird eine Kolon-Operation notwendig. Letztendlich kann eine CDI auch zum Tode
führen.
? Haben Sie aktuelle Daten bezüglich der Rezidivhäufigkeit und Letalitätsrate von
CDI?
Gastmeier: Wir gehen aktuell von 20 % der Patienten aus, die ein Rezidiv erleiden. Die Gesamtletalität
lag in der ECDIS-Studie (European Clostridium difficile infection study) bei 22 %
[
1
]. Bei diesen Todesfällen sind aber auch solche dabei, die aufgrund anderer Erkrankungen
sterben, und die zusätzlich am Ende ihres Lebens eine Clostridium-difficile-Infektion
hatten. In den Studienprotokollen wurde daher differenziert zwischen Todesfällen aufgrund
einer Clostridien-Infektion, unter Beteiligung einer CDI und ganz anderen Todesursachen.
In 2 % der Fälle war die Infektion direkt verantwortlich für den Tod, in 7 % hat sie
dazu beigetragen.
? Welche Defizite sehen Sie im Umgang mit CDI?
Gastmeier:Ein großes Problem sehe ich in der Diagnostik. Die meisten Krankenhäuser führen nur
einen Toxin-Test durch und legen keine Kultur an. Eine weitere Testung ist dann nicht
mehr möglich, sodass wir nicht wissen, welche Stämme beteiligt waren. In einem Ausbruchsfall
wäre es aber sehr wichtig zu wissen, ob alle Patienten denselben Erregerstamm tragen,
um zwischen übertragenen Infektionen oder Selektion zu unterscheiden. Wenn in einem
Krankenhaus eine besonders hohe Inzidenz der Infektionen auftritt, fragt man sich
natürlich, woran das liegen könnte – daran, dass mehr Antibiotika verwendet werden
oder an der Patienten-Zusammensetzung, oder daran, dass es ein hygienisches Problem
gibt und die Erreger von einem Patienten zum anderen übertragen werden.
Man geht davon aus, dass zwischen 50 und 66 % der Fälle gar nicht diagnostiziert werden,
weil der Stuhl nicht untersucht wird. In Spanien gibt es dazu eine aktuelle Studie.
Dort wurde bei jedem Durchfall-Patienten der Stuhl untersucht. Das Ergebnis wurde
später, wenn die Stuhluntersuchungsergebnisse vorlagen, mit dem Eintrag in den Patientenakten
verglichen. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Fälle waren vorher nicht identifiziert
worden. In Deutschland scheint mir die Diagnostik-Rate ein bisschen besser zu sein.
Das zeigt auch die ECDIS-Studie, in der die CDI-Inzidenz in Deutschland im Vergleich
zu anderen Ländern eher hoch ist. Da der Antibiotika-Verbrauch in Deutschland eher
im unteren Bereich liegt, gehe ich davon aus, dass die Ursache der vergleichsweise
hohen Inzidenz in der besseren Diagnostik liegt. Dennoch würde ich davon ausgehen,
dass auch in Deutschland ungefähr 50 % der CDI-Fälle nicht erkannt werden.
Kaum noch Lehrstühle für Krankenhaushygiene
Insgesamt gibt es in der Krankenhaushygiene auch das Problem, dass es kaum noch Lehrstühle
für die Ausbildung gibt. Früher hatte jede Universität ein Hygiene-Institut. Nachdem
jedoch viele Lehrstuhlinhaber pensioniert wurden, wurde eine Reihe von Lehrstühlen
nicht wieder besetzt. Laut neuem Infektionsschutzgesetz müssen aber Krankenhäuser
ab einer bestimmten Bettenzahl einen festangestellten Krankenhaus-Hygieniker haben.
Da es aber kaum noch Krankenhaushygieniker gibt, wird es dauern, bis dieses Gesetz
vollständig umgesetzt werden kann.
Um Hygienevorschriften einzuhalten sind außerdem praktische Übungen in Arbeitsabläufen
notwendig. Viele Ärzte und Mitarbeiter in der Pflege sind sich nicht bewusst, welche
Tätigkeiten risikoreich sind. Wenn sie zum Beispiel mit Sekreten zu tun hatten, wird
eine Hände-Desinfektion gemacht, um sich selbst zu schützen. Wenn sie aber nur ein
Infusionssystem anfassen, weil es nicht richtig tropft, desinfizieren sie ihre Hände
nicht. Für den Patienten kann es dann problematisch werden, wenn z. B. an der Steckverbindung
manipuliert wird und der Arzt oder Pfleger vorher etwas anderes angefasst hat. Das
Pflegepersonal lernt das in Handlungsabläufen. So wird z. B. während des Harnwegkatheterlegens
an verschiedenen Stellen immer wieder auf die Hände-Desinfektion hingewiesen. Ärzten
wird das nur akademisch beigebracht.
Frau Prof. Gastmeier haben Sie vielen Dank für das Interview.
Dieser Text entstand mit freundlicher Unterstützung der Astellas Pharma GmbH.