Phil Newman et al. haben untersucht, wie verlässlich man mit klinischen Tests ein
sich ankündigendes mediales Schienbeinkanten-Stress-Syndrom erkennen kann. Aufgrund
ihrer Studie fanden sie den "Shin Palpation Test” auf den lokalen Druckschmerz und
die Untersuchung auf ein vorhandenes Ödem als aufschlussreich bereits bevor die ersten
Symptome auftreten.
Br J Sports Med 2012; epub: doi.10.1136/bjsports-2012–090409
Die australische Studie basiert auf Daten, die bei Voruntersuchungen und späteren
Behandlungen in einer militärischen Trainingseinrichtung erhoben wurden. Diese Personengruppe
eignet sich sehr gut, da ihre Ausbildung sowohl Langstreckenläufe und Märsche (auch
mit schwerem Marschgepäck) als auch das Training und Wettbewerbe anderer Sportarten
umfasst. Dabei sind die unteren Gliedmaßen oft einer starken Belastung auf unterschiedlichen
Untergründen und in unterschiedlichem Schuhwerk ausgesetzt.
Im Rahmen der medizinischen Voruntersuchungen führten Physiotherapeuten an 384 australischen
Offiziers-Kadetten ein Screening des Bewegungsapparats durch. Dabei handelte es sich
um 96 Frauen und 288 Männern im Alter zwischen 17 und 19 Jahren. Die Teilnehmer unterzogen
sich sowohl einem Palpationstest "Shin Palpation Test" (Palpation der unteren 2 Drittel
der Tibia einschließlich der posteromedialen Kante und der assoziierten Muskulatur)
als auch einem Ödem-Tests an den Schienbeinen. Der Shin-Palpation-Test war positiv,
wenn der Physiotherapeut mit der Kraft, die er aufwenden würde, um einen nassen Schwamm
auszudrücken, Schmerz beim Teilnehmer evozierte. Auf diese Weise sollten bereits vorliegende
pathologische Veränderungen aufgedeckt werden, die jedoch noch ohne Symptomatik waren.
Während des Palpationstests gaben 20 % einen Schmerz an einem oder beiden Schienbeinen
zu Protokoll. Ein Ödem an einem oder beiden Beinen fanden die Physiotherapeuten bei
3 % der Teilnehmer. Für ebenfalls 3 % der Fälle lieferten beide Tests ein positives
Ergebnis. Diese Befunde verglichen die Autoren mit den 693 Verletzungen, über die
in den darauffolgenden 16 Monaten wurde. Bei insgesamt 15 % der Studienteilnehmer
wurde das mediale Tibikanten-Stress-Syndrom (MTSS) diagnostiziert. Die durchschnittliche
Zeit zwischen den Tests und des Auftretens der Symptomatik betrug 147,3 Tage (Range
0–490 Tage).
Laut aktueller Literatur sind bis zu 35 % der laufenden Sportler in ihrer Karriere
von einem medialen Tibiakantensynsdrom (MTSS) betroffen. In dieser Studie entwickelten
46 % der beschwerdefreien Teilnehmer mit positivem "Shin Palpation Test" und 91 %
derjenigen mit einem positiven Ödem-Test später ein mediales Tibiakantensyndrom. Der
Palpationstest, der auf Druckschmerz zielt, scheint bei Frauen etwas weniger spezifisch
zu sein als bei Männern. (©36clicks / fotolia.de)
Testergebnisse sind signifikante Prädiktoren
Testergebnisse sind signifikante Prädiktoren
Zwar wurden auch einige Kadetten, die später ein MTSS entwickelten, durch die Tests
"übersehen". Aber sowohl die Palpation als auch der Test auf ein Ödem erwiesen sich
als signifikante Prädiktoren. So zeigten Personen mit einem positiven Palpationstest
eine 4,6-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit, in den folgenden 16 Monate ein MTSS zu entwickeln
(95 % KI, 2,5–8,5, p < 0,001). Die Vorhersagekraft war bei Männern deutlich höher
als bei Frauen (Wahrscheinlichkeit 2,69 vs. 5,57-fach erhöht). Gleiches galt für den
Ödem-Test. Hier lag die Wahrscheinlichkeit der positiv getesteten Teilnehmer, innerhalb
des Beobachtungszeitraums ein MTSS zu entwickeln, 76,1mal über dem der negativ getesteten
Kadetten (95 %-KI, 9,6–602,7, p < 0,001). Alle bis auf einer von 11, die ein Ödem
hatten, entwickelten im Beobachtungszeitraum auch ein MTSS.
Erhöhtes Risiko für Frauen
Erhöhtes Risiko für Frauen
Führte man die Analyse für Frauen und Männer getrennt durch, stellte sich heraus,
dass Frauen fast 3-mal so häufig ein MTSS entwickelten wie Männer. Das weibliche Geschlecht
stellte sich als unabhängiger Risikofaktor heraus (OR = 2,97, 95 % KI 1,65–5,31, p
< 0,001).
Beide klinischen Tests und die Erkenntnisse über das erhöhte Risiko für Frauen können
gute Aufschlüsse darüber geben, welche bisher asymptomatischen Personen ein erhöhtes
Risiko für die Entwicklung eines medialen Schienbeinkantensyndroms haben. Vor allem
der Nachweis eines Ödems war sehr spezifisch für die Entwicklung des Syndroms. Anhand
regelmäßig durchgeführter Tests kann die Belastung während des Trainings ggf. modifiziert
werden, um die später auftretenden Beschwerden zu verringern.