Die Weitergabe traumatisierender Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg
Die Diplomarbeit
Julia von Dall‘Armi ist durch die Verdrängungen der Großeltern nicht mit deren Erfahrungen
aus der Nazizeit in Kontakt gekommen. Weder in der Familie noch im Geschichtsunterricht
bot sich ihr Raum für die Auseinandersetzung mit der eigenen Betroffenheit, nur die
Fakten wurden gelehrt. In der therapeutischen Arbeit wurde ihr durch Erzählungen von
Patienten klar, dass viele Zusammenhänge in den Tiefen der Vergangenheit versteckt
liegen.
Um diese Zusammenhänge zu verstehen, ging Julia von Dall‘Armi in ihrer Diplomarbeit
der Frage nach, wie es sein kann, dass selbst noch junge Generationen in Bezug auf
den Nationalsozialismus von Gefühlen wie Scham und Schuld betroffen sind. In ihrer
Literaturrecherche konzentrierte sie sich auf psychologische Erklärungsmodelle. Dabei
beleuchtete sie insbesondere die Täterrolle wie die von Massenmördern, Mitläufern
oder passiven Zuschauern. Sie fand heraus, dass sich der dynamische Kreislauf zwischen
Täter und Opfer, also das wechselseitige Spannungsverhältnis, das durch die Vermeidung
der inneren Auseinandersetzung mit den Geschehnissen entsteht, in den nachfolgenden
Generationen fortsetzt.
→ v. Dall‘Armi Freiin v. Massenbach J. Die Weitergabe traumatisierender Erfahrungen
am Beispiel des Zweiten Weltkrieges. Diplomarbeit an der Fachhochschule Ottersberg;
2011
Ergebnisse
Julia von Dall‘Armi fand heraus, dass ...
-
> die Täter in der Regel bis heute unter vernichtenden Gewissensschamgefühlen und
nicht anerkannter realer Schuld leiden.
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> alle Mitglieder einer Täterfamilie durch „Loyalität“ miteinander verbunden sind
und die Nachkommen beeinflussen. Dadurch verfestigen sich destruktive Muster, was
die persönliche Entwicklung der Kinder enorm einschränken kann. Das kann beispielsweise
dazu führen, dass ein Kind, das sich stark mit dem traumatisierten Elternteil identifiziert,
in einen Identitätskonflikt gerät.
-
> ein widersprüchlicher Umgang der Großeltern mit der Nazizeit die Verarbeitung der
Geschehnisse bei den nachfolgenden Generationen behindert. Sie verleugnen zum Beispiel,
bagatellisieren, trauern um den Führer oder erwähnen positive Aspekte der NS-Zeit.
Dem liegt eine Vermeidung der innerlichen Auseinandersetzung und somit des verantwortlichen
Handelns zugrunde.
Fazit
Resümierend hält Julia von Dall‘Armi fest, ...
-
> dass es für den Einzelnen unumgänglich ist, sich die schwerwiegende Vergangenheit
mit ihrer Bedeutung und Konsequenz bewusst zu machen, um die Geschehnisse wirklich
verarbeiten zu können.
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> dass es durch eine bewusste Auseinandersetzung mit den Tätern, Opfern und deren
komplexer Verstrickungen gelingen kann, sich von den Belastungen der familiären Vergangenheit
zu befreien und den Kreislauf zu durchbrechen. Das heißt, Befreiung ist möglich, wenn
man sich den Geschehnissen der Vergangenheit stellt.
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> dass ein verantwortlicher Umgang das Annehmen der Geschichte bedeutet. Im Kleinen
ist das eine bewusste Haltung zu sich selbst und zu seinen eigenen Erfahrungen. Besonders
wichtig ist das in der Rolle als Therapeutin und in der Arbeit mit Patienten.
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> dass therapeutische Angebote auf dem Weg der Auf- und Verarbeitung unterstützen
können: die Traumatherapie aus systemtheoretischer Sicht, die Familienaufstellung
oder andere Methoden der systemischen Aufstellungsarbeit sowie körperorientierte Therapieansätze
und die Psychotherapie. Die Kunsttherapie kann den kreativen Ausdruck seelischen Erlebens
begleiten.