physiopraxis 2013; 11(01): 52
DOI: 10.1055/s-0033-1333605
physiospektrum
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Sind Rollstuhltische freiheitsentziehend?

Philipp Groteloh

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Publication Date:
11 January 2013 (online)

 

Dr. Philipp Groteloh

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Dr. Philipp Groteloh ist seit 2007 Rechtsanwalt und seit 2012 Fachanwalt für Verwaltungsrecht.

Die Rechtsfrage

» In unserer Klinik läuft ein Zertifizierungsverfahren. Nun sollen wir prüfen, ob Rollstuhltische eine freiheitsentziehende Maßnahme sind. Falls ja, müssen wir eine Einverständniserklärung einholen, wenn wir den hemiplegischen Arm eines mobilen Patienten lagern? Fixiert man Patienten dann auch schon, wenn man die Rollstuhlbremsen schließt? «

Sonja Wastl, Therapeutin aus Elzach

Die Antwort unseres Experten

Zu Ihrer ersten Frage: Man nutzt den Begriff „freiheitsentziehende Maßnahmen“ bei der Betreuung von Personen, die ihre eigenen Angelegenheiten nicht oder nicht mehr in vollem Umfang selbst regeln können. Bei der Frage der strafrechtlich relevanten Freiheitsberaubung kommt es darauf an, bei wem und zu welchem Zweck man eine bestimmte Maßnahme vornimmt.

Unproblematisch ist das Anbringen von Therapietischen an Rollstühlen, wenn es im Einvernehmen mit dem Patienten geschieht. Das setzt aber voraus, dass dieser einen entsprechenden Willen fassen und auch äußern kann. Zudem muss er in der Lage sein, sich bemerkbar zu machen, wenn der Therapietisch entfernt werden soll. Ob der Therapietisch fest am Rollstuhl montiert ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle.

Ist ein Patient mobil und kann sich auch ohne Rollstuhl fortbewegen, hindert ihn der Therapietisch daran. Hat dieser Patient dem Therapietisch nicht zugestimmt und kann sich weder bemerkbar machen noch den Tisch selbst entfernen, dann läge eine Freiheitsberaubung vor. Im anderen Fall: Ist ein Patient immobil und kann nicht selbstständig aufstehen, dann schränkt ihn der Tisch nicht ein und es läge auch keine Freiheitsberaubung vor.

Maßgeblich sind daher immer die Fähigkeiten eines Patienten sowie dessen Einwilligung. „Freiheitsentziehende“ Maßnahmen ohne Einwilligung und Hindernisse, die der Patient selbst nicht überwinden kann, bedürfen regelmäßig der gerichtlichen Anordnung. Gleiches gilt auch für das Anziehen der Rollstuhlbremsen. Hat der Patient eingewilligt oder ist er in der Lage, die Bremsen selbst zu lösen, gibt es keine Probleme. Hat er jedoch nicht eingewilligt und ist nicht in der Lage, die Bremsen selbst zu lösen, obwohl er sich ansonsten selbst mit dem Rollstuhl fortbewegen könnte, dann kann auch das bloße Anziehen der Bremsen den Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllen. Maßgeblich ist die Freiheitsberaubung also immer aus Sicht der Person, die das Hindernis selbst nicht überwinden kann. Kritisch wird es immer dann, wenn Patienten keinen klaren Willen äußern können und in potenziellen Fortbewegungsmöglichkeiten beschränkt werden. Ob dann eine freiheitsentziehende Maßnahme vorliegt oder nicht, kann lediglich patienten- und situationsabhängig beantwortet werden. Rückversichern könnte sich der Therapeut in solchen Fällen beim gesetzlichen Vertreter oder Betreuer des Patienten.

→ Wirft auch Ihr Berufsalltag rechtliche Fragen auf? Dann schreiben Sie an Simone.Gritsch@thieme.de.


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