Druckman M, Harber P, Liu Y et al.
Country factors associated with the risk of hospitalization and aeromedical evacuation
among expatriate workers.
J Occup Environ Med 2012;
54: 1118-25
In der Septemberausgabe 2012 des amerikanischen Journals für Arbeits- und Umweltmedizin
beschreiben Druckman und Kollegen eine Studie, die aus den Falldaten von weltweit
27 Assistance Centren von International SOS, einem international operierenden Anbieter
assistancemedizinischer Dienstleistungen, erstellt wurden.
Thema: Die Studie untersucht das Risiko von beruflich Auslandsentsendeten, sogenannten Expatriates,
während der Dauer ihres Auslandsaufenthalts aufgrund medizinischer Gründe eine Krankenhauseinweisung
zu erfahren oder evakuiert zu werden in Abhängigkeit vom medizinischen Risikoprofil
des Reiselands. Aus den Daten werden Rückschlüsse auf die Fürsorgepflicht von Unternehmen
gezogen, die Mitarbeiter dienstlich in medizinische Risikoländer entsenden.
Projekt: Über den Zeitraum von 2009–2011 wurden die Daten von 94 651 betroffenen Personen
(at risk population) hinsichtlich der Häufigkeit von Krankenhauseinweisung und Evakuierung
mittels Flugambulanz oder Linienflug untersucht. Der Anzahl von 94 651 Reisen Geschäftsreisender
und Auslandsentsendeter (Expats) sowie deren Angehörigen wurde die Anzahl von 17 828
Krankenhauseinweisungen und 5725 medizinischen Luftevakuierungen aus Reiseländern
mit unterschiedlichem medizinischen Risiko gegenübergestellt.
Für die medizinische Risikoeinschätzung wurden die Kriterien von 2 Ratingsystemen,
International Human Development Index (HDI) und Provider Country Medical Risk Rating
(CRM), zugrunde gelegt: Beide nehmen eine 4-stufige Gliederung für ein Land vor, so
wird zum Beispiel bei CRM das medizinische Risiko eine Landes in niedrig, moderat,
hoch oder extrem eingestuft.
Ergebnisse: Die Studie zeigt anhand großer Fallzahlen sehr deutlich, dass sowohl die Wahrscheinlichkeit
von Krankenhauseinweisungen als auch die von medizinisch induzierten Luftevakuierungen
stark abhängig ist vom medizinischen Risikoprofil eines Landes, welches damit auch
das individuelle Reiserisiko eines Geschäftsreisenden nachhaltig bestimmen dürfte.
Ebenfalls steigt mit dem Länderrisiko die Wahrscheinlichkeit, dass einer Krankenhauseinweisung
eine medizinische Evakuierung folgt. Bei der höchsten Länderkategorie bestand gegenüber
der niedrigsten Länderkategorie ein 46-fach erhöhtes Risiko für die beiden Parameter.
Fazit: Die Autoren weisen mit der Studie sehr eindrucksvoll nach, dass in Ländern, die von
etablierten Ratingsystemen als medizinisch riskant eingestuft werden, ein deutlich
erhöhtes Risiko aufwendiger und kostenintensiver medizinischer Behandlungen besteht.
Da es sich um beruflich Reisende in der Risikopopulation handelte, schließen die Autoren
aus den Daten, dass Unternehmen, die Mitarbeiter beruflich auf Reisen in riskante
Länder entsenden, gut beraten sind, entsprechende prophylaktische Maßnahmen im Unternehmen
zu implementieren, um solche medizinischen Reiserisiken frühzeitig zu erfassen und
minimieren zu können.
Länder mit hohem medizinischem Risikoprofil beinhalten für Reisende ein hohes gesundheitliches
Risiko, zum Beispiel Unfälle oder auch Infektionskrankheiten [
1
], und damit verbunden mehr medizinische Interventionen wie Krankenhauseinweisungen
und Evakuierungen. Diese Erkenntnisse der Untersuchung überraschen kaum einen Reisemediziner,
dennoch fehlten bisher harte Daten aus großen Studien, so wie viele reisemedizinische
Erkenntnisse und Empfehlungen immer noch niedrige Evidenzgrade aufweisen. Hier aufgrund
einer Untersuchung an einer Risikopopulation von über 90 000 beruflich Reisenden mehr
Evidenz zu erbringen, ist eindeutig ein Verdienst der Autoren.
Interessant ist darüber hinaus auch, dass die Studie in einem amerikanischen Journal
für Arbeitsmedizin publiziert wurde. Die Autoren weisen hiermit schon darauf hin,
für wen diese Ergebnisse relevant sein werden: Betriebsärzte und ihre Arbeitgeber,
nämlich Unternehmen, welche Mitarbeiter beruflich ins Ausland entsenden. Sorgfältige
Vorabuntersuchungen reduzieren das Risiko [
2
].
Die Ergebnisse der Studie können im Rahmen der Fürsorgepflicht von Arbeitgebern nicht
wichtig genug genommen werden. Ein Unternehmen, das seine Mitarbeiter in Länder mit
hohem oder extremem medizinischen Risikoprofil entsendet, muss die Reise medizinisch
vorbereiten, die Mitarbeiter früh medizinisch beraten lassen und vor Ort alles tun,
um medizinische Betreuung gewährleisten zu können [
3
]. Viele Unternehmen delegieren diese Aufgabe vernünftigerweise an professionelle
medizinische Assistanceanbieter.
Aber auch die finanziellen Auswirkungen der Ergebnisse der Studie werden für Firmen
interessant sein. Fast jede Krankenhauseinweisung und sicherlich jede medizinische
Evakuierung bedeutet eine längere oder gar definitive Unterbrechung der Arbeit des
Reisenden, welche eine Unterbrechung des jeweiligen Auslandsprojekts zur Folge hat.
Die vereinbarte Dienstleistung kann nicht oder zumindest nur verzögert erbracht werden.
Die Ausfallkosten dieser Geschäftsunterbrechung dürften für viele Unternehmen relevanter
und höher sein, als die außerdem entstehenden Kosten für Behandlung des Mitarbeiters
und die Evakuierung. Eine sorgfältige, präventive medizinische Reisevorbereitung und
Betreuung während der Reise kann Unternehmen nur empfohlen werden.