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DOI: 10.1055/s-0033-1343598
„Sägen kann auch ein Schreiner“
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Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
04. April 2013 (online)
Orthopäden und Unfallchirurgen gelten als die Handwerker in der Medizin. Nur ein Klischee? Drei „Knochenklempner“ berichten.
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Der Perser ist schuld. Bis zu diesem Abend waren die Wege zwischen Schlafzimmer, Küche, Bad und Stube für Irmgard Körber[*] kein Problem - jedenfalls nicht mithilfe des Rollators. Doch nun läuft sie Gefahr, dieses Stück Freiheit zu verlieren. Denn als sich die 87-Jährige zur Tagesschau-Zeit zum Fernseher aufmacht, bleibt sie mit ihrer Gehhilfe an der Teppichkante hängen. Sie stolpert, stürzt auf die Hüfte und kann sich vor Schmerzen nicht mehr rühren. Über den Hausnotruf alarmiert sie den Rettungsdienst.
In der Notaufnahme des Robert-Bosch-Krankenhauses empfängt sie Dr. Beate Kunze. Seit über einem Jahr arbeitet die junge Ärztin in der Unfallchirurgie in Stuttgart. Zuvor war sie bereits vier Jahre Assistenzärztin in der orthopädischen Klinik der Uni Tübingen. Für Dr. Kunze ist schnell klar, dass Frau Körber einen Oberschenkelhalsbruch hat. „In solchen Fällen die richtige Diagnose zu stellen, ist meist nicht das Problem“, erklärt die 32-Jährige. „Kniffliger ist, zu entscheiden, welche OP für den Patienten die richtige ist.“ Hierfür ist ausschlaggebend, wie mobil die Patienten vor dem Sturz noch waren. Denn diesen Zustand gilt es wiederherzustellen. Da sich Frau Körber in ihrer Wohnung und im Garten mit Rollator noch frei bewegen konnte, entscheidet Dr. Kunze sich für eine Totalendoprothese, bei der der Operateur sowohl Oberschenkelhals, -kopf und Gelenkpfanne ersetzt. Wäre die alte Dame bereits vor dem Sturz bettlägerig gewesen, so hätte sich die Ärztin für die weniger belastbare Duokopfprothese entschieden. Da Patienten dabei keine neue Hüftpfanne bekommen, ist das Verfahren schonender. Dauernde starke Belastungen sind damit jedoch nicht zu empfehlen. Nachdem die Röntgenbilder den Verdacht bestätigen und die Patientin aufgeklärt ist, operieren Dr. Kunze und ihr Oberarzt noch am Abend das gebrochene Bein.
Am übernächsten Tag hat Dr. Kunze Frühdienst. Hierzu erscheint sie um 7.15 Uhr auf Station. Zuerst schaut sie auf die Stationstafel. Dort steht, welche Patienten in der Nacht gekommen sind, welche heute in den OP müssen und welche sie im Laufe des Tages entlassen kann. Dann bespricht sie sich kurz mit den Pflegenden. Um 7.45 Uhr steht die Morgenbesprechung an: Chef-, Ober- und Assistenzärzte sprechen anhand der Röntgenbilder alle Patienten des vergangenen Tages noch einmal durch. „Interpretiert der Chefarzt ein Bild anders, kann es sein, dass wir einen Patienten erneut einbestellen und Behandlungsalternativen besprechen“, erklärt die Ärztin. Je nachdem, ob ein Assistent auf Station, in der Notaufnahme, in der Ambulanz oder eben im OP eingesetzt ist, verrichten die Unfallchirurgen in spe ab 8.15 Uhr dann ihr jeweiliges Tagewerk. Auf der Station macht Beate Kunze zunächst Visite. Sie besucht jeden Patienten, wechselt Verbände und führt Gespräche mit den Angehörigen.
Operieren ist nicht alles
Geht es für einen Patienten bald nach Hause, muss sie ein Auge daraufhaben, dass er daheim, in der Reha oder im Pflegeheim weiter gut betreut wird. Denn die meisten Patienten gehören zu den älteren Semestern. „Daher sehen wir oft klassische Sturzverletzungen wie Frakturen des Femurs und Radius oder der Wirbelsäule“, erzählt die Jungchirurgin. „Andererseits gehören aber auch Verletzungen wie Sprunggelenks- und Oberarmfrakturen sowie Luxationen, die eher bei jüngeren Patienten vorkommen, zu unserem täglich Brot.“ Hat die Ärztin Dienst in der Notaufnahme, muss sie vor allem Patienten mit Schnitt- und Kopfplatzwunden sowie Gehirnerschütterungen versorgen. Im nahen Schockraum kümmert sie sich als Teil des interdisziplinären Traumateams um polytraumatisierte Unfallopfer. In Spezialambulanzen betreuen Dr. Kunze und ihre Kollegen zudem Patienten mit chronischen Beschwerden - z. B. Freizeitsportler mit Kniebeschwerden, bei denen eine Arthroskopie durchgeführt werden muss.
Doch die Assistentin muss nicht nur lernen, wie man ein Skalpell schwingt, einen Knochenmeißel hält oder Trokare in Gelenke einführt:
„Das Operieren ist nur das eine“, erklärt Beate Kunze. „Wir müssen auch konservative Therapieverfahren wie das Gipsen oder die Reposition von luxierten Extremitäten beherrschen.“ Auch im Umgang mit radiologischen Verfahren muss sie fit sein: Die Assistenten ordnen Röntgen-, CT- und MRT-Untersuchungen nicht nur an - häufig müssen sie die Apparate auch selbst bedienen. „Um intraoperativ die Position von Schrauben oder Platten zu überprüfen, benutzen wir häufig Bildwandler“, erklärt Dr. Kunze. Bis zur Facharztprüfung muss zudem jeder Assistent lernen, mittels Ultraschall das Innere von Gelenken wie Schulter, Knie oder Hüfte zu erkunden.
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Seit 2005: gemeinsamer Facharzt
Doch bei aller Technik steht in diesem Fach die körperliche Untersuchung immer an erster Stelle. Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier, Chefarzt der orthopädischen Klinik und Poliklinik der Uni Rostock, ist sich sicher, dass eine gründliche Untersuchung so manches MRT ersetzen kann: „Nehmen Sie die Schulter. Hier können Sie sehr differenziert untersuchen, welche Sehne defekt ist oder ob die Rotatorenmanschette betroffen ist.“ Zwar brauche ein junger Arzt handwerkliches Geschick, um ein guter Chirurg zu werden - zunächst sei dies aber zweitrangig. „Mein früherer Chef pflegte immer zu sagen: Sägen kann auch ein Schreiner. Vielmehr kommt es zunächst darauf an, die Diagnose richtig zu stellen.“ Für Prof. Mittelmeier gilt dies sowohl für die Unfallchirurgie als auch für die Orthopädie. Seit 2005 sind die Fächer in einem gemeinsamen Facharzt vereint. In seiner Funktion als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie ist der Rostocker vom neuen Facharzt überzeugt: „Die Assistenten bekommen so das breite Spektrum beider Fächer vermittelt. Als Facharzt können sie sich dann spezialisieren.“ Mögliche Bereiche sind neben der speziellen Orthopädie und der Unfallchirurgie die Handchirurgie, die orthopädische Rheumatologie und die Kinderorthopädie.
Auf dem Weg dorthin gilt es zunächst einmal, die sechsjährige Weiterbildung zu meistern. Diese schließt die zweijährige Basisweiterbildung Chirurgie, den Common Trunk, mit ein. „Zu dieser Grundausbildung gehören jeweils sechs Monate Intensivstation sowie Notaufnahme“, erklärt Kunze. „Gerade die Intensivzeit ist häufig ein Problem, da auch Assistenten anderer Bereiche sie benötigen.“ Eine weitere Herausforderung ist, in den sechs Weiterbildungsjahren die im Logbuch geforderten Operationen zu absolvieren. Je nach OP-Palette der Klinik kann es hier zu Engpässen kommen - z.B. bei den Endoprothesen.
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Nur bedingt „familientauglich“
Auch sonst verlangt einem diese Weiterbildung einiges ab. „Man braucht auf jeden Fall Ausdauer“, ist sich Beate Kunze sicher. „Gerade die 24h-Dienste können ziemlich kräftezehrend sein.“ Und da man eine OP nicht auf die Minute genau planen könne, seien im Tagdienst ein bis zwei Überstunden die Regel. Auch körperlich sei das Fach anstrengend. „Ist man etwas zierlicher, kann einem die Hüft-TEP eines adipösen Patienten schon mal seine Grenzen aufzeigen“, so Dr. Kunze. Auch das Siegel „familientauglich“ kann die Assistentin dem Fach nur bedingt geben. Zwar hat sie selbst während der Weiterbildung ihre Tochter bekommen. „Da man während der Schwangerschaft nicht operieren darf, kommt man aber mit der Weiterbildung nicht voran“, erläutert sie. Zudem gebe es kaum Teilzeitstellen und gute Kinderbetreuung.
Auf der anderen Seite: Hat man den Facharzt erst einmal in der Tasche, hat man in diesem Fach viele Optionen: Man kann weiter an der Klinik seine OP-Leidenschaft ausleben und seine Fertigkeiten weiter verfeinern. Man kann sich aber auch im konservativen Spektrum des Faches eine familientaugliche Nische suchen. Wenn man sich z. B. in einem Spezialgebiet mit ein paar fähigen Mitstreitern niederlässt, darf man getrost für die folgenden Jahrzehnte mit einer ziemlich ausgewogenen „Work-Life-Balance“ rechnen.
Laut Bundesärztekammer (BÄK) arbeiten in Deutschland 5.247 Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie, 1.584 hiervon ambulant und 3.504 stationär. Bei der BÄK sind noch 6.519 „Nur- Orthopäden“ registriert, von denen die allermeisten ambulant arbeiten (4.659). Chirurgen mit dem Schwerpunkt Unfallchirurgie zählt die Statistik noch 2.849, die überwiegend stationär tätig sind (1.696). Zudem werden noch ca. 95 Chirurgen im Teilgebiet Unfallchirurgie aufgeführt. Insgesamt gibt es nur 1.509 Fachärztinnen im Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie [BÄK, 2011].
Dr. Beate Kunze: Das Interessante an diesem Fach ist die Vielseitigkeit. Gerade in der Notaufnahme bleibt es immer spannend, man weiß nie, wer als Nächstes mit dem Rettungswagen kommt. Zudem sind die Kollegen sehr nett. Sie sind unkompliziert, haben ein gutes Fachwissen und stets einen Plan im Hinterkopf. Das gefällt mir. Denn häufig ist die Arbeit nicht planbar, da muss man spontan und flexibel sein.
Prof. Dr. W. Mittelmeier: In unserem Fach ist alles drin: große Eingriffe, kleine Schnittwunden, Spritzen, Manualtherapie, Orthesenbehandlung sowie Umgang mit Arzneimitteln wie den Biologika. Zudem ist das Patientenspektrum riesig: Wir behandeln vom Kleinstkind bis zum Senior alle Altersgruppen. Für mich ist besonders die gute Kombination zwischen Theorie und Praxis, also zwischen Denken und Handarbeit, das Attraktive.
Dr. Jörg Panzert: Dieser Facharzt lohnt sich vor allem, weil man so viel damit „anstellen“ kann: Sie können sich z. B. auf die Sportmedizin spezialisieren und Olympiaarzt werden. Oder Sie kümmern sich um rheumatologische Erkrankungen und bleiben konservativer Orthopäde. Da die Assistenten heute vornehmlich unfallchirurgisch ausgebildet werden, werden gerade in diesem Bereich in Zukunft junge Kollegen gebraucht.
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Dr. Panzert ist niedergelassener Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Ein ausführliches Interview mit ihm lesen Sie unter: www.bit.ly/Xn7bSa
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Note
* Name geändert