Einleitung
Die Senkung der Exazerbationsrate ist bei der COPD ein klinisch bedeutsames Therapieziel,
das die Prognose der Erkrankung maßgeblich beeinflusst. [1]
Verschiedene medikamentöse Interventionen mit inhalativen Anticholinergika und fixen
Kombinationen aus langwirksamen Beta-Sympathomimetika und Steroiden sowie die orale
Gabe von Roflumilast konnten Reduktionen der jährlichen Exazerbationen um ca. 20 %
erzielen [2]
[3]
[4]
[5]. Dabei führt nur ca. jede 8. Exazerbation zu einer Krankenhauseinweisung. Wenn es
im Rahmen einer COPD zu einer Hospitalisation aufgrund einer Infektexazerbation kommt,
ist dies mit einer deutlichen Verschlechterung der Prognose verbunden. Soler-Cataluna
et al. [6] zeigten, dass nach 5 Jahren nur noch 20 % der COPD-Patienten lebten, wenn diese
mehr als 2 stationäre Aufnahmen pro Jahr erfahren hatten.
Die erhöhte Rate an Exazerbationen scheint verschiedene Ursachen zu haben, unter anderem
die Schwere der neutrophilen Entzündung, die Besiedelung mit gramnegativen Keimen,
das Auftreten von Bronchiektasen und die Verschlechterung der bronchialen Reinigung
durch die zunehmende Immobilität [7]
[8].
Insbesondere die bakterielle Kolonisation der unteren Atemwege spielt eine bedeutsame
Rolle und geht mit einer erhöhten Entzündungsaktivität einher [9]. Die Rate von Exazerbationen wird erhöht, der jährliche FEV1-Abfall beschleunigt [10]. Möglicherweise führen virale und bakterielle Infekte zu einer Epithelzerstörung,
die dann im Verlauf durch die Reduktion protektiver Faktoren (reduzierte mukoziliäre
Clearance, verminderte Sekretion, Neutralisierung der Immunglobuline, reduzierte Phagozytenaktivität)
den Übergang der Kolonisation in eine akute Exazerbation zur Folge haben können [11].
Daher stellten wir die Hypothese auf, dass durch die regelmäßige Inhalation eines
Aminoglykosids dieser Prozess gehemmt bzw. verzögert wird. Die Inhalation von Tobramycin
erreicht eine 25- bis 100-fach höhere Medikamentenkonzentration im Sputum im Vergleich
zur intravenösen Gabe bei kaum messbaren Serumspiegeln [12]. Unterstellt wurde, dass die erhöhte Hospitalisationsrate hauptsächlich durch eine
bakterielle Kolonisationsrate im stabilen Intervall bedingt war, auch wenn zum Studieneinschluss
nach in der Regel durchgeführter Pseudomonas-wirksamer Antibiose kein Keimnachweis
vorlag. Untersucht wurden dabei schwerkranke COPD-Patienten mit schlechter Prognose
und hohem Ressourcenverbrauch, gekennzeichnet durch eine Hospitalisationsrate von
mindestens 2 pro Jahr. Diese Patientengruppe scheidet häufig aus den o. g. Studien
aus, sodass hier keine validen Daten vorliegen.
Verglichen wurde, ob die dauerhafte Inhalation von Tobramycin über 12 Monate im Unterschied
zu Placebo als „add on“ zur Standardtherapie zu einer Veränderung der Zahl exazerbationsbedingter
Krankenhauseinweisungen führt.
Methode
Im Parallelgruppendesign wurde eine prospektive, multizentrische, doppelblinde, placebokontrollierte
„add on“-Phase-III-Studie durchgeführt.
Die Teilnehmer wurden in einem 1:1-Verhältnis randomisiert, entweder der Verum-Gruppe
(Inhalation von Tobramycin 2× täglich 1 Ampulle Gernebcin® 80 mg (Firma Infectopharm, Heppenheim) verdünnt in 2,5 ml physiologischer NaCl-Lösung)
oder der Placebo-Gruppe (2× täglich 4,5 ml physiologische NaCl-Lösung) zugeordnet.
Die Randomisierungsliste wurde mit der aktuellen Version der Randomisierungssoftware
RANDOM der Ecron Acunova GmbH erstellt
Die Inhalation erfolgte mit dem Verneblersystem Pariboy SX/Pari LC Sprint mit Kontrolle
des Inspirationsflusses und, soweit toleriert, vorgegebenem Widerstand in der Ausatemphase
(PIF-Control und PEP-System, Fa. Pari GmbH, München). Die geplante Behandlungsdauer
betrug 12 Monate.
Eine Fallzahl von 80 Patienten wurde kalkuliert. Unterstellt wurde aufgrund einer
retrospektiven Patientenanalyse aus dem Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft, dass die
Zahl der Hospitalisationen um 30 % in einem Jahr gegenüber Placebo gesenkt werden
könnte. Weiterhin wurde eine Standardabweichung von 1 angenommen. Sechs Zentren nahmen
an der Rekrutierung der Patienten teil, von allen Studienpatienten lag eine schriftliche
Einverständniserklärung vor.
Die Studie wurde von der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Westfälischen
Wilhelms-Universität Münster genehmigt.
Studienteilnehmer
Im Zeitraum von Februar 2009 bis September 2010 wurden 44 Patienten mit schwerer bis
sehr schwerer COPD (Stadium III bis IV nach GOLD) mit einem FEV1 ≤ 50 % Sollwert und einem FEV1/FVC < 70 % eingeschlossen. Das Studienende des letzten Patienten war Juni 2011. Die
Patienten waren zwischen 40 und 79 Jahre alt und seit mindestens 6 Monaten Nichtraucher.
Die Dauertherapie der COPD musste in den letzten 4 Wochen vor Einschluss mindestens
2 der folgenden 3 Therapeutika enthalten: Tiotropiumbromid, inhalatives Steroid, langwirksames
Beta-Sympathomimetikum. Die Patienten waren in den letzten 12 Monaten vor Studienbeginn
mindestens 2-mal wegen ihrer Grunderkrankung hospitalisiert (die Hospitalisation zum
Zeitpunkt des Studieneinschlusses wurde dabei mit eingerechnet).
Ausschlusskriterien
Wesentliche Ausschlusskriterien waren eine Antibiotika-Inhalation innerhalb der letzten
6 Monate oder die Inhalation von Gernebcin in der Vergangenheit. Weiterhin führten
eine Sauerstofflangzeittherapie oder eine nicht invasive Beatmung, die in den letzten
3 Monaten vor Studienbeginn begonnen wurde, zum Ausschluss, da dies die Exazerbationsrate
beeinflusst hätte. Eine systemische Kortikosteroid-Dauertherapie über 20 mg Prednisolonäquivalent
führte ebenso zum Ausschluss wie der Nachweis einer Niereninsuffizienz mit einem Kreatininwert
über 2 mg/dl.
Ablauf des Studieneinschlusses
Während des stationären Aufenthaltes, spätestens jedoch 3 Tage vor der geplanten Entlassung,
erfolgte der Einschluss der Patienten nach Prüfung der Ein- und Ausschlusskriterien.
Während der stationären Routinebehandlung wurde die übliche, begleitende Inhalation
von Kochsalzlösung mit einem „Übungs-Pariboy“ durchgeführt. Damit wurde sichergestellt,
dass die Inhalation mit einem Vernebler toleriert wurde. Gleichzeitig wurde die für
die Inhalation benötigte Zeit dokumentiert, da diese als Grundlage für die Compliance-Kontrolle
benötigt wurde. Am Morgen des letzten Tages vor der Entlassung wurde neben der Erfassung
der Lungenfunktionsparameter, der Laborwerte und der 6-Minuten-Gehstrecke eine Inhalation
der patientenspezifischen Prüfmedikation durchgeführt. Diese erfolgte frühestens zwei
Stunden nach der morgendlichen Inhalation eines kurz- oder langwirksamen Betamimetikums.
Im unmittelbaren Anschluss an die Inhalation mit der Prüfmedikation wurde eine Spirometrie
durchgeführt. Falls es zu einem Abfall von mehr als 20 % des Ausgangs-FEV1 kam, wurde der Patient aus der Studie ausgeschlossen. Eine Stunde nach der Probeinhalation
der Prüfmedikation erfolgte eine weitere Blutentnahme zur Bestimmung des Tobramycin-Serumspiegels.
Falls der Patient am Entlassungstag Sputum generieren konnte, wurde dies in das jeweilige
lokale Labor gesendet und bei positivem bakteriologischen Befund zur Resistenzbestimmung
an das Referenzlabor Dr. M. Kresken (Antiinfectives Intelligence GmbH, 53359 Rheinbach)
weitergeleitet.
Der Prüfarzt erhielt nach Bestimmung des Tobramycinspiegels einen schriftlichen, anonymisierten
Bericht, der auswies, ob der Tobramycinspiegel über oder unter dem Grenzwert von 2 µg/ml
(Talspiegel der iv-Therapie) lag. Für den Fall, dass der erlaubte Grenzwert überschritten
wurde, erfolgte der Studienausschluss des Patienten.
Nach 4 Wochen wurde der Kompressor des Verneblers per Post ausgetauscht und die Betriebsstundenzahl
des eingebauten Zählers ausgelesen. Bei einem Wert von weniger als 50 % des individuell
aus den Probeinhalationszeiten berechneten Sollwertes wurde der Patient von der weiteren
Teilnahme ausgeschlossen.
3, 6 und 9 Monate nach Einschluss setzte sich der Prüfarzt mit dem Patienten telefonisch
in Verbindung. Erfragt wurden anhand eines Interviewbogens subjektives Befinden, evtl.
Exazerbationen, Hospitalisationen, ungeplante Arztbesuche und unerwünschte Ereignisse.
Schließlich füllten die Teilnehmer täglich einen Fragebogen zu Symptomen, ungeplanten
Arztbesuchen und einer Änderung der Medikation aus. Diese wurden monatlich dem Prüfarzt
zugesandt.
Bei Studieneinschluss und bei jeder stationären Aufnahme wegen einer Exazerbation
der COPD wurde versucht, Sputum zu gewinnen und eine mikrobiologische Untersuchung
zu veranlassen. Falls die stationäre Aufnahme nicht im Prüfzentrum erfolgte, war der
Patient angehalten, eine Kontaktaufnahme der betreuenden Klinik mit dem Prüfzentrum
herzustellen.
Nach 12 Monaten erfolgte eine ambulante Abschlussuntersuchung (im Intervall, d. h.
außerhalb einer Exazerbation). Erfasst wurde die Zahl der im Prüfzeitraum erfolgten
Hospitalisationen, darüber hinaus wurden Laboruntersuchungen, Lungenfunktion und die
6-Minuten-Gehstrecke erfasst.
Zielkriterien
Primäre Zielgröße war die Häufigkeit der Hospitalisationen im Jahr der Studie infolge
einer Exazerbation der COPD (normiert auf ein Jahr at risk).
Sekundäre Zielparameter waren Lungenfunktionsparameter (insbesondere FEV1, RV/TLC in % und intrathorakales Gasvolumen) sowie die 6-Minuten-Gehstrecke. Weiter
ausgewertet wurden die Keimbestimmung im Sputum zu Beginn und im Verlauf der Studie.
Statistik
Für die Auswertung wurde die SAS Software (statistical analysis system von SAS Institute
Incorporation (CARY NC)) in der Version 9.1 verwendet. Auswertepopulation waren alle
Patienten, die mindestens einmal Prüfmedikation erhielten (inklusive der Probeinhalation
der Prüfmedikation (safety-evaluable-population – SE-Population). Die Intention-to-treat-Population
ITT 0 beinhaltete alle randomisierten Patienten, die die Probeinhalation der Prüfmedikation
tolerierten und für die Daten zum primären Zielparameter vorhanden waren. Die Intention-to-treat-Population
ITT 1 beinhaltete alle Patienten der ITT-0-Population, die mindestens 28 Tage Prüfmedikation
inhaliert hatten. Zur per-Protokollauswertung (PP-Population) gehörten alle Patienten
der ITT-1-Population, die keine relevanten Protokollverletzungen aufwiesen (z. B.
Beobachtungsdauer von weniger als 11 Monaten, orale oder intravenöse Antibiotikatherapie
über mehr als ein Drittel der Beobachtungsdauer, schlechte Compliance).
Verwendet wurde für verbundene Stichproben der Wilcoxon-Rangsummen-Test. Alle statistischen
Tests wurden zweiseitig durchgeführt mit einem Signifikanzniveau α = 0.05.
Ergebnisse
44 Patienten wurden in die Studie eingeschlossen. 41 Patienten inhalierten mindestens
eine Dosis der Prüfmedikation ([Tab. 1]). Neun Patienten schieden bis zum Zeitpunkt der Klinikentlassung aus. [Tab. 2] zeigt die Ursachen für diese hohe „drop-out“-Rate. Die biometrischen Daten und die
Lungenfunktionsparameter der verbleibenden 32 Patienten (ITT 0) zeigt [Tab. 3]. Zur Auswertung in der ITT-1-Population, die für die Primäranalyse herangezogen
wurde, gelangten 30 Patienten, in die per-Protokoll-Gruppe (PP) 20 Patienten ([Tab. 1]). In [Tab. 4] sind die Gründe für weitere Abbrüche im Zeitraum von 4 Wochen nach Studienbeginn
(ITT 1) bis Studienende (PP) aufgeführt.
Tab. 1
Fallzahlen der unterschiedlichen Auswerte-Populationen.
|
Verum
|
Placebo
|
|
Safety (n)
|
18
|
23
|
|
ITT 0 (n)
|
11
|
21
|
|
ITT 1 (n)
|
9
|
21
|
|
PP (n)
|
6
|
14
|
Tab. 2
Abbruchgründe zwischen Studieneinschluss (Safety) und Entlassung aus der stationären
Behandlung (ITT 0).
|
Verum
|
Placebo
|
|
Verletzung Einschlusskriterien
|
1
|
0
|
|
unerwünschte Ereignisse (Luftnot)
|
2
|
2
|
|
Rücknahme des Einverständnisses
|
2
|
0
|
|
Obstruktion nach Probeinhalation
|
2
|
0
|
Tab. 3
Biometrische und Lungenfunktionsparameter (ITT 0).
|
Verum
|
Placebo
|
|
N
|
11
|
21
|
|
Alter (J)
|
65,5 ± 4,7
|
63,9 ± 9,4
|
|
BMI (kg/m2)
|
23,7 ± 4,8
|
24,0 ± 5,0
|
|
Geschlecht (%w)
|
45
|
33
|
|
FEV1 (%Soll)
|
41,6 ± 7.0
|
33,5 ± 10.3
|
|
ITGV (%Soll)
|
148 ± 28.6
|
174,4 ± 55,6
|
|
RV/TLC (%Soll)
|
128,4 ± 42,7
|
166,4 ± 43,0
|
|
6 MWD (m)
|
398 ± 194
|
356 ± 174
|
FEV1: forciertes expiratorisches Volumen in einer Sekunde; ITGV: intrathorakales Gasvolumen;
RV/TLC: Residualvolumen in Prozent der totalen Lungenkapazität.
Tab. 4
Patienten mit Protokollverletzungen nach mindestens 4-wöchiger Studienteilnahme bis
zum Studienende.
|
Verum
|
Placebo
|
|
Beobachtungsdauer unter 180 Tagen
|
2
|
4
|
|
Compliance unter 80 % der Prüfmedikation
|
1
|
3
|
|
Summe
|
3
|
7
|
Die Zahl der Hospitalisationen im Jahr vor Studieneinschluss war in beiden Gruppen
vergleichbar (Verum 2,8 ± 0,5; Placebo 3,0 ± 1,4). Sowohl in der ITT-1- als auch der
PP-Population kam es nicht zu einer signifikanten Veränderung der Hospitalisationsrate
([Tab. 5]). Allerdings war die Verteilung der Hospitalisationen vor Studieneinschluss in den
beiden Gruppen etwas heterogen (in der Placebogruppe finden sich sowohl mehr leichtere
Fälle als auch die 2 Patienten mit den höchsten Hospitalisationsraten, 5 und 9), was
sich auch in der tendenziell höheren Hospitalisationsrate der Verumgruppe in der PP-Population
widerspiegelt ([Tab. 6]).
Tab. 5
Zahl der Hospitalisationen vor und während der Studie.
|
Verum
|
Placebo
|
|
Hospitalisation im Jahr vor Studieneinschluss (n)
|
2,8 ± 0,5
|
3,0 ± 1,4
|
|
ITT 1 (n)
|
4,3 ± 2,6
|
2,5 ± 1,9
|
|
PP (n)
|
3,5 ± 2,7
|
2,3 ± 2,2
|
Tab. 6
Häufigkeitsverteilung der Hospitalisationen in den letzten 12 Monaten vor Studienbeginn
(ITT1 Population).
|
Hospitalisationen im Jahr vor Studieneinschluss (n)
|
Placebo (n)
|
(%)
|
Verum (n)
|
(%)
|
|
2
|
11
|
52
|
3
|
33
|
|
3
|
5
|
24
|
5
|
56
|
|
4
|
3
|
14
|
1
|
11
|
|
5
|
1
|
5
|
0
|
0
|
|
9
|
1
|
5
|
0
|
0
|
Die sekundären Endpunkte (FEV1, RV/TLC, ITGV, 6 MWD) zeigten ebenfalls keine signifikanten Abweichungen zwischen
den Gruppen ([Tab. 7]). Die Patienten in der Placebo-Gruppe wiesen jedoch tendenziell ein etwas höheres
Ausmaß an Obstruktion und eine stärkere Überblähung in den Lungenfunktionsparametern
(z. B. RV/TLC) auf, was für eine im Mittel etwas schwerere Erkrankung der Placebo-Patienten
spricht.
Tab. 7
Ergebnisse der sekundären Zielparameter.
|
Verum
|
Placebo
|
Verum
|
Placebo
|
|
ITT 1
|
ITT 1
|
PP
|
PP
|
|
FEV1 (%Soll)
|
30,9 ± 9,4
|
31,8 ± 8,7
|
30,4 ± 10,1
|
32,5 ± 8,8
|
|
ITGV (%Soll)
|
165,6 ± 29,1
|
182,2 ± 34,0
|
182,2 ± 34,0
|
174,4 ± 55,6
|
|
RV/TLC (%Soll)
|
176,3 ± 22,8
|
170,7 ± 39,0
|
179,2 ± 23,5
|
166,0 ± 37,2
|
|
6 MWD (m)
|
272 ± 86
|
301 ± 181
|
259 ± 86
|
281 ± 174
|
ITGV = intrathorakales Gasvolumen, RV/TLC = Verhältnis des Residualvolumens zur totalen
Lungenkapazität, 6 MWD = 6-Minuten-Gehstrecke.
Während der Studie verstarben 5 Patienten, davon 2 in der Verum- und 3 in der Placebo-Gruppe.
2 Patienten verstarben in der Woche nach Studienende, jeweils ein Patient in jeder
Gruppe. Bei keinem der Todesfälle wurde ein Kausalzusammenhang mit der Studienmedikation
dokumentiert.
Der Anteil der Patienten mit Bronchiektasen war gering (Verum 27 %, Placebo 10 %).
Kein Patient in der Verum-Gruppe wies nach der Probeinhalation einen erhöhten Tobramycin-Serumspiegel
auf.
Keimnachweis:
In der ITT-1-Population konnte bei 7 der 9 Verum-Patienten ein Sputum gewonnen werden.
In 4 Fällen konnten Keime nachgewiesen werden, davon einmal Pseudomonas aeruginosa.
In der Placebo-Gruppe gelang der Keimnachweis bei 11 von 13 Patienten (gesamt 21 Pat.),
davon zweimal Pseudomonas aeruginosa. Der häufigste Keim in beiden Gruppen war Hämophilus
influenzae (5 Fälle).
In der Placebo-Gruppe fanden sich im Verlauf Resistenzen gegen Tobramycin für Streptokokkus
pneumoniae (1) und Streptokokkus oralis (2). Bei jedem der 4 Patienten der Verum-Gruppe
fanden sich opportunistische Keime (3-mal Streptokokkus oralis, einmal Enterokokkus
faecalis), die jeweils gegen Tobramycin resistent waren (MHK 32 mg/l).
Verträglichkeit:
Unerwünschte Ereignisse traten bei 30 von 41 Patienten auf (Erkrankungen der Atemwege,
des Gastrointestinaltraktes und Herzerkrankungen). Diese waren in beiden Behandlungsgruppen
gleich häufig. Insgesamt wurde die Studienmedikation bei 6 Patienten in der Tobramycingruppe
und bei 4 Patienten in der Placebogruppe aufgrund von unerwünschten Ereignissen abgesetzt.
Schwere unerwünschte Ereignisse wurden in 23 Fällen dokumentiert (Tobramycin 27,8 %,
Placebo 39,1 %). Ein Zusammenhang mit der Studienmedikation wurde in keinem Fall hergestellt.
Diskussion
Die vorgelegte randomisierte und doppelblinde Studie zeigte, dass durch die regelmäßige
Inhalation von Tobramycin über 12 Monate im Vergleich mit Placebo bei Patienten mit
schwerer COPD keine Senkung der exazerbationsbedingten Krankenhauseinweisungen erzielt
wurde. Die sekundären Zielparameter Lungenfunktion und 6-Minuten-Gehstrecke ergaben
ebenfalls keine Überlegenheit der Tobramycin-Gruppe. Es handelt sich hier um die erste
Studie in der Literatur, die sich dieser Fragestellung widmet.
Die Aussagekraft der Studie ist eingeschränkt, da zum einen die geplante Patientenzahl
von 80 nicht erreicht wurde, zum anderen die Zahl der vorzeitigen Studienabbrüche
mit 24 von 44 Patienten sehr hoch war. Hauptgrund war nur in 2 Fällen eine durch Tobramycin
ausgelöste Bronchialobstruktion. In je 2 Fällen in der Tobramycin- und in der Placebogruppe
führte die Vernebler-Inhalation zu Luftnot. In der Mehrzahl der Fälle waren die Abbrüche
durch Tod oder die Schwere der Erkrankung bedingt, die die Patienten in der Einhaltung
des Studienprotokolls behinderte ([Tab. 2] und [Tab. 4]). Auch die Rekrutierung der Studienteilnehmer wurde durch die Schwere der Grunderkrankung
maßgeblich beeinflusst.
Die dauerhafte Gabe von Antibiotika ist Gegenstand aktueller Diskussionen in der Therapie
der COPD. Für die Inhalation, insbesondere von Tobramycin, liegen umfangreiche positive
Erfahrungen in der Therapie der zystischen Fibrose [13]
[14] vor.
Studien zur Inhalation von Antibiotika bei COPD existieren hingegen bisher nicht [15]. Dagegen sind inzwischen verschiedene Untersuchungen zur Antibiotika-Inhalation
mit Tobramycin und Ciprofloxacin bei non-CF Bronchiektasen [16]
[17]
[18]
[19] publiziert worden.
Murray et al. [20] führten in einem solchen Kollektiv von 65 Patienten eine 12-monatige Studie durch,
in der kontinuierlich 160 mg Gentamicin per Vernebler gegen Placebo geprüft wurde.
Zielparameter waren die Reduktion der Keimzahl im Sputum sowie die Sputummenge, sekundäre
Kriterien waren u. a. die Exazerbationsrate und Lungenfunktionsparameter. Die Gentamicin-Inhalation
konnte die Keimzahl im Verlauf signifikant reduzieren, die Eradikation von Pseudomonas
gelang in 31 % der Fälle, und die Exazerbationsrate sank signifikant. Resistenzen
wurden nicht beobachtet. Die Wirksamkeit ließ in der dreimonatigen therapiefreien
Nachbeobachtungsperiode nach.
Die Abbruchrate war bei vergleichbarem Studienprotokoll deutlich geringer als in unserer
Studie, je drei in jeder Gruppe sowie zwei Todesfälle. Möglicherweise sind die Patienten
mit non-CF Bronchiektasen gesünder und weisen eine geringere Komorbidität auf. Der
FEV1 % Sollwert betrug in der zitierten Studie 73 % (Gentamicin) und 63 % (Placebo).
Einschlusskriterium in der Murray-Studie war der mindestens dreimalige Keimnachweis
im stabilen Intervall in den letzten 12 Monaten.
In unserer Untersuchung war dies nicht gefordert. Dies war auch der Praktikabilität
und den Kosten geschuldet. Wenn der Keimnachweis im stabilen Intervall geführt worden
wäre, hätten sich die Patienten nochmals im Prüfzentrum vorstellen müssen, und der
Studieneinschluss wäre unter ambulanten Bedingungen erfolgt. Aufgrund der Schwere
der Grunderkrankung hätten mehr Patienten wegen des Aufwandes die Studienteilnahme
abgelehnt. Daher wählten wir die Hospitalisationsrate als Hauptkriterium und führten
den Studieneinschluss mit Ende eines Krankenhausaufenthaltes durch.
Albert et al. [21] untersuchten den Einfluss der dauerhaften Einnahme von 250 mg Azithromycin auf die
Senkung der Exazerbationsrate bei 1142 Patienten mit COPD und schwerer Obstruktion
(FEV1 %Soll 39 bzw. 40). Eingeschlossen wurden auch Patienten mit einer Sauerstoff-Langzeittherapie,
weitere Kriterien waren eine Notfallbehandlung oder eine Hospitalisation im Vorjahr.
Die Zahl der Probanden, bei denen eine Sputumanalyse erfolgen konnte, war zu gering,
sodass dafür Nasopharynx-Abstriche durchgeführt wurden. Die Adhärenz mit der Studienmedikation
betrug ca. 67 % in beiden Gruppen. Die Todesfallrate betrug 3 % bzw. 4 % in beiden
Gruppen, die Zahl der Abbrüche 32 (Azithromycin) und 28 (Placebo). Die Dauergabe von
Azithromycin senkte die Exazerbationsrate im Vergleich zu Placebo um 27 %, die absolute
Reduktion betrug 37 % in der Azithromycin-Gruppe und 16 % in der Placebo-Gruppe. Die
Zahl der Krankenhauseinweisungen wurde im Vergleich zu Placebo nicht gesenkt (0,34
zu 0,49 Einweisungen pro Patientenjahr). Die Zahl der Kulturen mit einer Resistenz
gegenüber Makroliden betrug 52 % (Azithromycin) und 57 % (Placebo) und stieg im Studienverlauf.
Als Nebenwirkung wurde eine Abnahme des Hörvermögens beobachtet.
Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass der Effekt der Makrolide weniger antibakteriell
als antiinflammatorisch sein dürfte. Eine weitere Studie zu COPD und Dauergabe von
Erythromycin bei 109 Patienten von Seemungal et al. senkte die Exazerbationsrate um
35 % im Vergleich zu Placebo. Hier wurde im Gegensatz zur Arbeit von Murray diskutiert,
dass der antimikrobielle Effekt überwiegen würde bei fehlender Änderung der inflammatorischen
Marker im Verlauf eines Jahres [22].
Limitationen:
Die Studienhypothese, dass eine bakterielle Kolonisation die Zahl der Krankenhauseinweisungen
durch Exazerbationen erhöht, konnte nicht bestätigt werden. Eine strengere Fassung
der Einschlusskriterien wäre sinnvoll gewesen. In der vorliegenden Studie war der
Nachweis der Kolonisation im stabilen Intervall nicht gefordert, wie dies bei der
Untersuchung von Murray der Fall war [20]. Dies hätte eine weitere Reduktion der Patientenzahlen bei ohnehin schwieriger Rekrutierung
zur Folge gehabt. Dazu wäre der Einschluss in den ambulanten Bereich verschoben worden
mit dann erschwerter Logistik. Weiter wäre zu diskutieren, nur Patienten mit wenig
ausgeprägten Bronchiektasen („Minor-Bronchiektasen“) aufzunehmen. So konnte Patel
et al. [23] einen Zusammenhang zwischen mäßig ausgeprägten Bronchiektasen der Unterlappen, bakterieller
Kolonisation und der Zahl schwerer Exazerbationen zeigen. In der vorliegenden Untersuchung
mit einer retrospektiven Analyse der CT-Befunde lag der Anteil der Patienten mit Bronchiektasen
bei 27 % (Verum) bzw. 10 % (Placebo).
Zusammenfassend führte die Inhalation von Tobramycin bei schwerer COPD nicht zur Senkung
der Anzahl an Krankenhauseinweisungen. Der fehlende Effekt ist mitbedingt durch die
hohe Ausfallrate der Patienten insbesondere kurz nach Studienbeginn. Hauptgrund war
die Schwere der Grunderkrankung, die die Studienadhärenz beeinflusste und nicht die
Nebenwirkungen der Tobramycin-Inhalation. Der Nachweis einer bakteriellen Kolonisation
im stabilen Intervall der COPD und von Bronchiektasen sollten bei zukünftigen Studienplanungen
zu den Einschlusskriterien gehören. Nach Einschätzung der Autoren sollte die Häufigkeit
der Inhalation auf einmal täglich reduziert werden unter Verwendung möglichst effizienter
Inhalationssysteme. Ob eine „on-off“-Verabreichung im monatlichen Wechsel wie bei
der zystischen Fibrose vorteilhaft wäre, kann hier nicht beantwortet werden.
Die Problematik der Senkung der Exazerbationsrate bei dieser kleinen, aber schwer
kranken Patientengruppe mit schlechter Prognose sollte dennoch Gegenstand weiterer
Forschung sein.