Die Argumente für die räumliche Isolierung stationärer Patienten mit Methicillin-resistentem
Staphylococcus aureus (MRSA) verlieren zunehmend an Überzeugungskraft. In den 1990er-Jahren
stellten MRSA-Infektionen eine Herausforderung dar, weil zu ihrer Therapie oft nur
noch Vancomycin und Teicoplanin zur Verfügung standen. Mit der Zulassung neuer Antibiotika
hat sich diese Situation seit der Jahrtausendwende jedoch deutlich entschärft.
Das bei Ausbrüchen erprobte Konzept des aktiven Erreger-Screenings und der Isolierung
positiv getesteter Patienten (Screening- und Isolierungs-Konzept) wurde seit den 1990er-Jahren
in Deutschland [1] und anderswo als Maßnahme auch gegen die endemische Verbreitung von MRSA empfohlen. Einige Studien schienen den Erfolg des Screening-
und Isolierungs-Konzepts zu belegen. Hierbei handelte es sich jedoch durchweg um Studien
von niedriger Beweiskraft, insbesondere um monozentrische, nicht randomisierte, „Vorher-nachher-“
Beobachtungsstudien. Eine multizentrische Interventionsstudie [2] schien dann 2011 einen deutlichen Beleg für die Effektivität des Screening- und
Isolierungs-Konzepts zu liefern; eine unabhängige Datenauswertung zeigte anschließend
jedoch, dass nur ein sehr kleiner Anteil des in dieser Studie berichteten Erfolgs
diesem Konzept zuzuschreiben war [3].
Kürzlich publizierten Huang et al. die Ergebnisse einer multizentrischen, Cluster-randomisierten
Studie [4], in der die Effektivität des Screening- und Isolierungs-Konzepts mit und ohne Dekolonisationsmaßnahmen
bei erwachsenen Intensivpatienten von 43 Krankenhäusern überprüft wurde. Das Konzept
erwies sich jedoch auch hier als ineffektiv. Gezielte Dekolonisationsmaßnahmen nur
bei MRSA-positiven Patienten, insbesondere aber allgemeine Dekolonisationsmaßnahmen bei allen Patienten (ohne zusätzliche Screening- und Isolierungsmaßnahmen) führten dagegen
zu einer deutlichen Verminderung klinischer MRSA-Nachweise und des Nachweises anderer
Erreger in Blutkulturen.
Kommentiert wird diese Studie in einem Editorial von Michael B. Edmond und Richard
P. Wenzel [5]. Bemerkenswert ist dieses Editorial nicht nur, weil das Screening- und Isolierungs-Konzept
darin als „abgeschlossener Fall“ bezeichnet wird sondern auch, weil es sich bei Wenzel
um den Doyen der US-amerikanischen Krankenhaushygiene handelt.
Edmond und Wenzel unterscheiden 2 grundlegend verschiedene Präventionsstrategien,
die „vertikale“ und die „horizontale“:
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Als typisches Beispiel für die vertikale Präventionsstrategie wird das Screening- und Isolierungs-Konzept bezeichnet. Die Strategie dient der Verminderung
von Infektions- und Kolonisationsfällen durch spezifische Erreger, beinhaltet oft
ein mikrobiologisches Erreger-Screening und zeichnet sich durch hohe Kosten und hohen
Ressourcen-Verbrauch aus [6]. Vertikalen Konzepten liegt das bei Ausbrüchen bewährte Prinzip der Ausschließlichkeit
zugrunde: Ein bestimmter Erreger tritt vor allen anderen Erregern in den Vordergrund
und wird mit besonderen Maßnahmen bekämpft.
-
Horizontale Präventionsstrategien werden dagegen auf die gesamte zu schützende Population angewendet und richten sich
gegen alle Erreger, die mit einem bestimmten Mechanismus übertragen werden. Die horizontale
Vorgehensweise entspricht mehr den Interessen des Patienten, der nicht nur vor einer
Infektion (z. B. durch MRSA) sondern vor allen Infektionen geschützt sein möchte. Zu den horizontalen Präventionsmaßnahmen zählen
z. B. die Händehygiene, alle anderen Elemente der Standard- oder Basishygiene [7] sowie Interventionsbündel [8]. Obwohl Edmond und Wenzel das Konzept allgemeiner Dekolonisationsmaßnahmen wegen
der damit einhergehenden Resistenzrisiken kritisch betrachten, interpretieren sie
die Ergebnisse der Studie von Huang et al. [4] als Beleg für den Erfolg des horizontalen Präventionsprinzips.
Angesichts des ungenügenden Effektivitätsnachweises fordern Edmond und Wenzel in ihrem
Editorial die Aufgabe des Screening- und Isolierungs-Konzepts zur Bekämpfung der endemischen
Verbreitung von MRSA und verweisen dabei auf die negativen Folgen dieser Maßnahme
für die betroffenen Patienten [9]. Sie kritisieren die Übertragung des Konzepts auch auf andere multiresistente Erreger
und betonen die Bedeutung horizontaler Interventionsmaßnahmen, um nicht nur gegen
die Problemkeime von heute, sondern auch gegen die von morgen vorzugehen.
Die Diskussion um „vertikale“ und „horizontale“ Maßnahmen zur Verhinderung der MRSA-Verbreitung
ist in Deutschland nicht neu, wenn auch mit anderer Begrifflichkeit. So publizierten
Kappstein et al. vor 4 Jahren eine monozentrische, beobachtende Verlaufsstudie [10], aus deren Ergebnissen sie schlussfolgern, dass zur Prävention der MRSA-Verbreitung
im Krankenhaus die („horizontale“) Standardhygiene dem („vertikalen“) Screening- und
Isolierungs-Konzept mindestens ebenbürtig ist. Eine unvoreingenommene wissenschaftliche
Debatte war damals nicht möglich, ist heute aber angesichts der teuren und vielerorts
an ihre Grenzen stoßenden Isolierungsstrategie nötiger denn je.
Im Rahmen der Ausbruchsbekämpfung spielt das Screening- und Isolierungs-Konzept nach
wie vor eine zentrale Rolle. Für die meist vorherrschenden endemischen Verhältnisse spricht die aktuelle Studienlage inzwischen jedoch gegen einen nennenswerten präventiven Effekt dieses Konzepts. In einer aktuellen evidenzbasierten
Leitlinie könnte es daher bestenfalls noch mit der Kategorie III versehen werden („keine
Empfehlung, ungeklärte Frage“).