Einleitung
Die Wiederherstellung der Barrierefunktion der Haut nach einer Verletzung ist von
grundlegender Bedeutung für jeden Organismus und stellt das primäre Ziel der Geweberegeneration
und Wundheilung dar. Für den Heilungsprozess verwendet die Natur Mechanismen, wie
sie prinzipiell auch bei anderen Prozessen, z. B. der embryonalen Entwicklung, Entzündung,
Fibrose, aber auch bei Tumorwachstum und Metastasierung beobachtet werden. Diesen
Prozessen gemeinsam ist die stringente, zeitlich und räumlich aufeinander abgestimmte
Kontrolle des Zellwachstums und -differenzierung durch ein komplexes Netzwerk zahlreicher
löslicher Zytokine und Matrixmoleküle. Fehlsteuerungen dieser Wechselwirkungen können
zu Defiziten im Heilungsprozess (chronische Wunden), persistierender Entzündung, Fibrose
oder auch Tumorwachstum führen.
In den letzten Jahren hat eine intensivierte Grundlagenforschung zur Aufklärung von
zellulären und molekularen Mechanismen epidermaler und dermaler Reparaturprozesse
geführt [1]
[2]. Mit der Identifizierung von Wachstumsfaktoren, die essenzielle Zellfunktionen im
Wundheilungsverlauf regulieren, schien ein Durchbruch in der Therapie chronischer
Wundheilungsstörungen erreicht. In tierexperimentellen Untersuchungen wurde sehr erfolgreich
belegt, dass die topische Applikation rekombinanter Wachstumsfaktoren den gestörten
Wundheilungsprozess normalisiert [3]. Obwohl die molekularen und zellulären Grundlagen gestörter Zell-Zell- und Zell-Matrixinteraktionen
in der Wunde wenig verstanden waren, führten die erfolgreichen experimentellen Untersuchungen
rasch zum klinischen Einsatz rekombinanter Wachstumsmediatoren (Brown 1989, erster
klinischer Einsatz eines rekombinanten Wachstumsfaktors in der kutanen Wundheilung).
Das unzureichende Verständnis der gestörten molekularen und zellulären Vorgänge im
Kontext eines „feindlichen Mikromilieus“ der chronischen Wunde hat letztlich zum Versagen
moderner Therapieansätze mit rekombinanten Wachstumsfaktoren und zur Enttäuschung
seitens der Industrie, der Patienten und klinisch tätiger Ärzte geführt. Diese Enttäuschung
ist vermutlich nicht gerechtfertigt. Zwischenzeitlich liegen neue Berichte von anderen
und unserer Arbeitsgruppe vor, die zeigen, dass eine bessere molekulare Charakterisierung
des chronischen Wundmilieus nicht nur den rekombinanten Wachstumsfaktoren in modifizierter
Anwendung eine ungleich bessere therapeutische Chance bietet, sondern vermutlich zu
neuen kausalen, in die Pathophysiologie der chronischen Wunde eingreifenden, innovativen
Therapieansätzen führt.
Die Ausbildung eines gefäßreichen, hyperpermeablen Granulationsgewebes ist eine der
Grundvoraussetzungen für einen geweberekonstruierenden Heilungsprozess. Morphologische
und funktionelle Untersuchungen am Ulcus cruris venosum geben Hinweis darauf, dass
die Endothelzellfunktion und letztlich die Ausbildung eines gefäßreichen Granulationsgewebes
gestört sind [4]
[5]. Die Mechanismen der verzögerten Wundheilung, insbesondere der Kapillarrarifizierung
im Wundbereich, sind bisher in ihren molekularen Grundlagen nicht verstanden. Auf
der Grundlage dieser Beobachtungen formulierten wir die Hypothese, dass die verminderte
Ausbildung eines gefäßreichen Granulationsgewebes im Ulcus cruris venosum mit einer
eingeschränkten Aktivität des vaskulären Endothelzellfaktors (VEGF-A), auch bekannt
als vaskulärer Permeabilitätsfaktor (vascular permeability factor, VPF), einhergeht.
VEGF-A ist ein für das Gefäßwachstum essenzieller und seit seiner Identifizierung
durch Senger und Ferrara meistuntersuchter Angiogenesemediator [6]
[7]
[8]. VEGF-A stellt ein zentrales Molekül in der Regulation von Vaskulogenese (Neubildung
von Gefäßen) und Angiogenese (Aussprossung von Gefäßen aus bereits bestehenden Gefäßen)
dar [9]. Neben VEGF-A sind weitere Wachstumsfaktoren beschrieben worden, die untereinander
eine hohe strukturelle und funktionelle Homologie aufweisen und als Familie der VEGF-Moleküle
mit VEGF-B, VEGF-C, VEGF-D, VEGF-E und plazentarem Wachstumsfaktor (PIGF) bezeichnet
werden [10]
[11]. VEGF-A ist ein homodimeres Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von 35 – 45 kDa.
Bisher wurden in humanen Zellen mindestens sechs verschiedene Isoformen identifiziert
(VEGF121, 145, 165, 183, 189, 206), die durch alternatives Spleißen der mRNA aus einem
einzelnen Gen hervorgehen. In den meisten humanen Geweben liegt die Expression der
Isoformen VEGF121 und VEGF165 vor. Dabei scheint VEGF165 die größere biologische Relevanz
und Aktivität zu haben. Ein wesentlicher biochemischer und letztlich funktioneller
Unterschied der Isoformen besteht in ihrer Bindungseigenschaft an extrazelluläre Matrixmoleküle
und ihre unterschiedliche Affinität zu den VEGF-Rezeptoren VEGFR-1 (Flt-1), VEGFR-2
(Flk-1/KDR) und Neuropilin-1 [12]. Diese Eigenschaften werden insbesondere durch die Heparinbindungsdomäne, die in
Exon 6 und 7 kodiert wird, bestimmt [13].
Ergebnisse und Diskussion
Um die Rolle von VEGF-A in der kutanen Wundheilung herauszuarbeiten, untersuchten
wir zunächst die Expression von VEGF-A und seiner Rezeptoren mittels immunhistochemischer
Färbungen, In-situ-Hybridisierung und semiquantitativen RT-PCR-Analysen in heilenden
und nicht heilenden humanen Wunden. Die Untersuchungen zeigten, dass sowohl in heilenden
wie auch in nicht heilenden Wunden die Expression von VEGF-A sowie seiner Rezeptoren
induziert ist [14]. Diese Beobachtungen veranlassten uns, die Stabilität von VEGF-A-Protein im Wundmilieu
zu analysieren. Zu diesem Zweck wurde rekombinantes humanes VEGF165-Protein in Wundsekret
humaner heilender und nicht heilender Wunden über einen definierten Zeitraum inkubiert
und die Integrität von VEGF165-Protein mittels Western-Blot-Analyse dargestellt. Hier
zeigte sich, dass VEGF165 im Milieu der chronischen Wunde im Gegensatz zur heilenden
Wunde proteolytisch abgebaut wird [14]. Um herauszuarbeiten, welche Proteasen im Milieu der nicht heilenden Wunden an der
Degradation von VEGF165-Protein beteiligt sind, wurden umfassende Proteinaseinhibitoranalysen
durchgeführt. Zusammenfassend legen diese Untersuchungen nahe, dass Plasmin eine der
Serinproteinasen darstellt, die an der Degradation von VEGF165 im Milieu nicht heilender
Wunden maßgeblich beteiligt ist. Die Spaltung von VEGF165 durch Plasmin konnte durch
eine amino-terminale Sequenzierung und MALDI-TOF-Analyse der VEGF-Spaltprodukte nach
Plasmindegradation bestätigt werden [14]. Mittels dieser Techniken konnte die am weitesten N-terminal gelegene Plasminschnittstelle
zwischen Arginin110 und Alanin111 identifiziert werden. Die Spaltung resultiert somit
in den Verlust der Heparinbindungsdomäne von VEGF165. Weiterführende Untersuchungen
belegten, dass diese Domäne wesentlich an der Regulation der VEGF165-Aktivität beteiligt
ist [15]. Zu diesen zählen die Interaktion mit extrazellulären Matrixmolekülen, die Affinität
zu VEGF-Rezeptoren, die Interaktion mit pro- und anti-angiogenen Mediatoren. Unsere
Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass die mitogene VEGF165-Aktivität durch die Plasmindegradation
signifikant reduziert ist. Diese Untersuchungen weisen zum einen darauf hin, dass
die fördernde Wirkung von VEGF165 auf die Zellproliferation durch eine plasminkatalysierte
Spaltung reguliert werden kann. Ferner dienen diese Untersuchungen Struktur-Funktions-Analysen
des VEGF-Moleküls, da sie zeigen, dass die proliferative Wirksamkeit von VEGF165 durch
die Carboxyl-terminale Sequenz, die im wesentlichen durch Exon 7 kodiert ist, reguliert
wird. Letztlich unterstützen diese Ergebnisse unsere Arbeitshypothese, dass eine eingeschränkte
Gefäßausbildung im Ulcus cruris venosum mit einer verminderten VEGF-Aktivität assoziiert
ist.
In einem Folgeprojekt, in dem die Bedeutung der Plasminspaltung von VEGF165 für die
Wundheilung herausgearbeitet wurde, ist es uns gelungen, durch einen zielgerichteten
Mutageneseansatz eine plasminresistente VEGF165-Mutante zu generieren [16]. Alanin an der Position 111 wurde durch ein Prolin ersetzt. Da die Mutation an einer
für die biologische Aktivität des VEGF165-Moleküls kritischen Stelle durchgeführt
wurde, war zu befürchten, dass eine veränderte Proteinstruktur in diesem Bereich die
Aktivität von VEGF165 negativ beeinflusst. Insbesondere die Aminosäure Prolin wirkt
als starker α-Helix-Brecher und kann die Konformation des Proteins beeinflussen. Es
war daher in besonderem Maße positiv überraschend, dass die generierte VEGF165-Mutante
sowohl gegenüber Plasmin und im Sekret chronischer humaner Wunden stabil war und zugleich
noch eine dem Wildtypprotein entsprechende Aktivität zeigte. Darüber hinaus war die
molekulare Modifikation eines Schlüsselmediators der Wundheilung, die zu einer erhöhten
Stabilität und Aktivität im proteasereichen Mikromilieu der chronischen Wunde resultiert,
seinerzeit innovativ und bisher einzigartig in diesem Kontext. Es stellte sich nun
die Frage, ob sich die plasminresistente VEGF165-Mutante auch in der In-vivo-Situation
durch gesteigerte angiogenetische Eigenschaften auszeichnet und somit für die Behandlung
chronischer Wundheilungsstörungen therapeutisch nutzbar ist.
Untersuchungen unserer Arbeitsgruppe konnten die Bedeutung von VEGF165 als Modulator
der Wundangiogenese in einem Mausmodell mit einer gestörten Wundheilung (db/db-Maus) aufzeigen [15]. In diesem Modell ist der verzögerte Wundschluss, vergleichbar zur Humansituation,
durch eine Reduzierung der Angiogenese, verminderte VEGF165-Aktivität und erhöhte
Plasminaktivität gekennzeichnet. Unsere Untersuchungen zeigen, dass in db/db-Mäusen die lokale Verabreichung der plasminresistenten VEGF165-Mutante die Angiogenese
während der Wundheilung stimuliert und letztlich zu einem beschleunigten Wundschluss
führt. Darüber hinaus sind die Gefäßstrukturen der mit der VEGF165-Mutante behandelten
Wunden gegenüber den mit Wildtypprotein behandelten Wunden signifikant verändert.
Die Dichte der sich neu ausgebildeten Gefäße war signifikant erhöht und die Gefäßstrukturen
zeigten eine erhöhte Stabilität. Die erhöhte Gefäßstabilität war durch eine reduzierte
Endothelzellapoptose und gesteigerte Rekrutierung perivaskulärer Zellen charakterisiert.
Diese vaskulären Veränderungen waren mit einer erhöhten Stabilität des mutierten Proteins
assoziiert, die auf eine erhöhte und verlängerte VEGF165-Aktivität im Wundgewebe schließen
lässt. Die tierexperimentellen Studien unterstützen somit die von uns im Humanmodell
gewonnenen Erkenntnisse über die Bedeutung des Aktivitätsverlustes von VEGF in der
Pathogenese der gestörten Wundheilung. Darüber hinaus unterstreichen sie das therapeutische
Potenzial der plasminresistenten VEGF165-Mutante bei chronischen Wundheilungsstörungen.
In den vergangenen Jahren wurde von unterschiedlichen Arbeitsgruppen die Bedeutung
der extrazellulären Matrix für die Ausbildung eines funktionellen Gefäßsystems herausgearbeitet
[17]. Durch diese Arbeiten wurde ebenfalls die wesentliche Funktion der Interaktion zwischen
Komponenten der extrazellulären Matrix und Wachstumsfaktoren, insbesondere VEGF-A,
für das Gefäßwachstum deutlich. In den vergangen Jahren befassten wir uns zusätzlich
mit der Entwicklung neuer molekularer Technologien, welche die Wirksamkeit von VEGF
im Kontext mit der extrazellulären Matrix optimieren. In Zusammenarbeit mit Jeffrey
Hubbel (EPFL Lausanne) haben wir ein Verfahren entwickelt, um neue Gewebeersatzmaterialien
(z. B. Fibrin) mit VEGF-Protein zu bestücken, um somit die Gefäßbildung zu fördern.
Zu diesem Zweck wurden VEGF-Mutanten mit neuen biologischen Funktionen (z. B. Matrixbindung,
Integrinbindung) generiert. In In-vitro- und In-vivo-Modellen der Angiogenese und
Gewebereparatur wurden die funktionellen Eigenschaften der Moleküle charakterisiert
[18]. Diese Projekte verfolgen langfristig das Ziel, eine biologisch aktive Matrix für
den Gewebeersatz zu schaffen.
Seit der Entdeckung von VEGF-A wurden bisher 6 weitere Proteine mit struktureller
und funktioneller Homologie identifiziert, die als Familie der VEGF-Proteine zusammengefasst
werden. Die biologischen Eigenschaften und die Regulation dieser unterschiedlichen
Moleküle sind bisher nur ansatzweise verstanden. Auf der Grundlage der Erkenntnisse
über VEGF-A beschäftigten wir uns auch mit der Frage, ob die Regulationsmechanismen
von VEGF-A (z. B. Proteasensensitivität, Funktion der Heparinbindungsdomäne) generelle
Prinzipien für die Regulation der Aktivität der Proteine der VEGF-Familie darstellen.
Hier konnten wir in einer aktuellen Arbeit zeigen, dass auch der plazentare Wachstumsfaktor
(PlGF) durch Plasmin-vermittelte Proteolyse der C-terminalen, heparinbindenden Domäne
reguliert wird [19].
Zusammenfassend verdeutlichen die vorliegenden Untersuchungen, dass der von der Arbeitsgruppe
gewählte Ansatz, der neben In-vitro-Analysen und experimentellen Tiermodellen auch
die Humansituation einbezieht, sehr wertvoll für das Verständnis der Physiologie des
Wundprozesses und die Identifizierung klinisch relevanter Pathomechanismen ist. Die
vorliegenden Arbeiten tragen zur Aufklärung von Mechanismen bei, die einen physiologischen
Wundschluss verhindern. Darüber hinaus bieten die Erkenntnisse neue Ansätze zur Entwicklung
rationaler Therapien.