Die verschiedenartige Krankheitssymptomatik, die unterschiedlichen Verlaufsformen
und
Ansprechweisen auf Therapien lassen die Multiple Sklerose (MS) als eine sehr
heterogene Erkrankung erscheinen. Dennoch weisen die Läsionen des
Zentralnervensystems (ZNS) zumindest in der Frühphase der Erkrankung sehr ähnliche
pathologische Veränderungen auf. Die MS-Plaques sind nämlich durch eine Ansammlung
von T-Zellen und Monozyten/Makrophagen gekennzeichnet, die regelmäßig um
postkapilläre Venolen herum gruppiert sind. Bislang konnte keine infektiöse oder
toxische Ursache gefunden werden. Daher geht man davon aus, dass die MS durch einen
Autoimmunprozess ausgelöst wird, nämlich durch T-Zellen, die fälschlicherweise gegen
das eigene Hirngewebe gerichtet sind. Dieses Krankheitsszenario wird durch
tierexperimentelle Befunde gestützt. Immunisierung mit Hirneiweißen induziert in
Tieren eine autoimmune Entzündung des ZNS, die experimentelle
Autoimmunenzephalomyelitis (EAE). Diese geht mit starken Lähmungserscheinungen
einher und ähnelt in der Zusammensetzung der entzündlichen ZNS-Läsionen der MS. Der
Beweis, dass T-Zellen die entscheidenden Auslöser dieser Autoimmunentzündung sind,
konnte im Tiermodell zweifelsfrei erbracht werden: Die Erkrankung kann durch
Übertragung Hirnantigen-spezifischer T-Zellen auf gesunde Tiere ausgelöst werden.
Das Gehirngewebe ist durch die Bluthirnschranke von schädlichen Einflüssen aus der
Peripherie abgeschottet. Immunzellen und -faktoren sind daher im gesunden
Nervengewebe selten anzutreffen. Was befähigt nun Hirnantigen-spezifische T-Zellen
dazu, in das Gehirn einzudringen und eine zerstörerische Entzündung anzufachen?
Dieser Frage gehen wir in dem EAE-Modell der Lewisratte nach. Dabei werden die
krankmachenden Myelin-reaktiven T-Zellen durch Einbringen eines Fluoreszenzmarkers
sichtbar gemacht und durch 2-intravitale Photonenmikroskopie im lebenden Organismus
direkt verfolgt. Dieser methodische Ansatz ermöglichte es uns, die Wanderungswege
und Funktionszustände der T-Zellen im Verlauf der Erkrankung zu charakterisieren.
Es
zeigte sich, dass die T-Zellen in der obligatorischen Prodromalphase der Erkrankung
einer bestimmten Wanderungsroute durch den Körper folgen, bevor sie in ihr
Zielgewebe, das ZNS, eindringen. Diese Tour führt die T-Zellen durch die Lunge,
mediastinale Lymphknoten und die Milz. Auf ihrem Weg durchlaufen die Zellen eine
grundlegende Umprogrammierung, die für die Wanderungseigenschaften der Zellen von
wesentlicher Bedeutung ist. So werden Membranmoleküle, z. B. Integrine und
Chemokinrezeptoren, die für das Durchdringen der Bluthirnschranke wichtig sind, in
den Zellen hochreguliert. Unsere augenblickliche Arbeit ist darauf fokussiert, die
Funktionsweise dieser Faktoren für die einzelnen Wanderungsschritte an der
Bluthirnschranke zu verstehen und damit auch mögliche therapeutische Ziele für die
Behandlung der MS zu identifizieren.