Während unterschiedliche monoklonale Antikörper (mAk) in Indikationen wie der
Rheumatologie oder Onkologie langjährig etabliert sind, sind in der Therapie der
Multiplen Sklerose (MS) aktuell nur zwei mAk zugelassen (Natalizumab, Tysabri®;
Alemtuzumab, Lemtrada®; Stand September 2013). Gemessen an der Erwartung,
hoch-spezifische, zielgerichtete Medikamente mit entsprechend geringen
Nebenwirkungen zu erhalten, ist die bisherige Entwicklung von mAk für die
verlaufsmodifizierende Therapie der MS mit teils gravierenden Rückschlägen und
Einschränkungen behaftet gewesen. So führte der experimentell gut begründete, in der
Rheumatologie erfolgreiche Ansatz einer TNF-alpha-Blockade (mit mAk oder
Rezeptor-Fusionsprotein) überraschend zu einer Verschlechterung der Erkrankung bei
MS-Patienten [1]. Mittlerweile sind demyelinisierende
ZNS-Erkrankungen als Gegenanzeigen bzw. mögliche Nebenwirkungen einer
anti-TNF-alpha-Therapie gut bekannt. Dennoch bieten erst aktuellere Ergebnisse
bezüglich MS-assoziierter genetischer TNF-Rezeptor-Varianten (TNFR1SF1A) mit
Expression einer löslichen, TNF-alpha blockierenden TNFR1-Isoform eine plausible
biologische Erklärung für die Verschlechterung einer Multiplen Sklerose unter
anti-TNF-alpha-Therapie [2].
Auch initial erfolgreiche Entwicklungsprogramme sind von Rückschlägen nicht verschont
geblieben. So war die Zeitspanne zwischen der Identifizierung des VLA-4 (very late
antigen 4, α4/β1-Integrin Dimer) als relevantes leukozytäres Adhäsionsmolekül im
Rahmen der Leukozytenmigration über die Blut-Hirnschranke bis zur Zulassung des
humanisierten anti-α4 mAk Natalizumab relativ kurz. Um so überraschender war kurz
nach Zulassung des Natalizumab (Tysabri®) das Bekanntwerden einer bis dahin in der
Immuntherapie der MS unbekannten opportunistischen Infektion, der progressiven
multifokalen Leukenzephalopathie (PML) [3]. Bei weltweit
mittlerweile knapp 400 aufgetretenen PML-Fällen (Stand September 2013) und einer
Letalität von ca. 20 % beruhen bisherige Strategien zur Risikostratifizierung auf
epidemiologischen Daten einerseits sowie dem spezifischen viralen
Antikörper-Serostatus andererseits [4]. So ist das
PML-Risiko für Patienten, die länger als 24 Monate mit Natalizumab behandelt werden,
eine immunsuppressive Vortherapie erhalten haben sowie Antikörper gegen das
verursachende JC-Polyoma-Virus aufweisen, bedeutsam erhöht (ca. 1 : 90) [5]. Diese Daten sind angesichts der bestehenden bzw. zur
Zulassung anstehenden MS-Therapeutika bezüglich der Weiterentwicklung von
Therapiealgorithmen (z. B. Reihenfolge, Zeitpunkt des Einsatzes) hoch relevant.
Während die Pathogenese der PML unter Natalizumab weiterhin ungeklärt ist, deuten
PML-Fälle auch unter anderen therapeutischen mAk wie z. B. Efalizumab (anti CD11a,
Psoriasis) und Rituximab (anti CD20, rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus
erythematodes) [6] auf einen profunden Eingriff in
immunbiologische Netzwerke trotz des jeweils vermuteten spezifischen Wirkmechanismus
hin. Potentiell funktionell relevante, aber unzureichend verstandene Aspekte
beinhalten hierbei die Funktion bzw. die zelluläre Expression des Zielantigens, die
Antigen-Antikörper-Interaktion (bindend, inhibierend, signalauslösend), Antikörper
Effektor Funktion (Zytotoxizität, Phagozytose) sowie die Gewebepenetration (u. a.
über die Blut-Hirnschranke).
Ein weiteres Beispiel für eine hohe therapeutische Effektivität in Verbindung mit
zuvor nicht antizipierten Nebenwirkungen stellt der humanisierte anti-CD52
IgG1-Antikörper Alemtuzumab dar. Initial für die Behandlung der chronisch
lymphatischen Leukämie vom B-Zell Typ zugelassen, wurde dieses Medikament auf
experimenteller Basis schon frühzeitig bei Autoimmunerkrankungen inkl. der MS
angewandt. Das Glykoprotein CD52 wird dabei breit auf verschiedenen Immunzellen
exprimiert, so dass das Alemtuzumab zu einer vermutlich großteils
Komplement-vermittelten Depletion entsprechender Zielzellen (T-/B-Lymphozyten,
NK-Zellen, dendritische Zellen, Monozyten/Makrophagen) führt. Aufgrund der
unterschiedlichen Kinetik der Repopulation von Immunzellen ist das Repertoire nach
der Alemtuzumab-Therapie deutlich verändert, was einerseits die hohe Effektivität
bei hochaktiver MS erklären könnte, daneben aber auch eine Ursache der beobachteten
Nebenwirkungen darstellen könnte. So sind teils schwerwiegende
Autoantikörper-vermittelte Nebenwirkungen wie autoimmune Schilddrüsenerkrankungen,
Immunthrombozytopenien (ITP), sowie autoimmune Basalmembranerkrankungen (Goodpasture
Syndrom) im Rahmen des klinischen Entwicklungsprogrammes aufgetreten [7]. Während bezüglich der individuellen
Nutzen-Risikoabwägung hohe Anforderungen an die Indikationsstellung, Durchführung
und das Monitoring der Alemtuzumab-Therapie zu stellen sind, umfasst die Zulassung
eine breitere Gruppe aktiver MS-Verläufe (Stand September 2013, Lemtrada®). Eine
solchermaßen frühzeitige, aggressive Immuntherapie hat deutliche Implikationen
bezüglich gegenwärtiger Therapiealgorithmen.
Ein weiteres Zielmolekül stellt das CD20-Antigen auf der Oberfläche von Zellen der
B-Zellreihe dar, welches aber nicht auf Antikörper-sezernierenden Plasmazellen
exprimiert ist. Der chimärisierte anti-CD20 mAk Rituximab wurde ursprünglich für die
Therapie des B-Zelllymphoms entwickelt, ist mittlerweile aber beispielsweise auch
für die Behandlung der rheumatoiden Arthritis zugelassen. Nach Phase I–II-Studien
in
der MS sowie auch bei der Neuromyelitis optica sind individuelle Heilversuche („off
lable use“) mit dieser Substanz auch in Deutschland verbreitet. Demhingegen
fokussieren sich die klinisch fortgeschrittenen Entwicklungsprogramme aber auf
humanisierte anti-CD20 Antikörper (Ocrelizumab, Ofatumumab).
Auch der sich gegenwärtig im fortgeschrittenen klinischen Entwicklungsprogramm
befindliche Antikörper Daclizumab ist bereits aus anderen Indikationen
(Transplantationsmedizin) bekannt. Dieser humanisierte IgG1-Antikörper blockiert
CD25, welches das IL2-bindende Epitop der Alpha-Kette des IL2-Rezeptors darstellt.
Während die initiale Rationale in der Entwicklung ein inhibierender Einfluss auf die
Proliferation von Effektor-T-Zellen war, umfasst der Wirkmechanismus aber pleiotrope
Effekte, wie eine Expansion potentiell regulatorischer Zellen (CD56bright
natürliche Killerzellen). Daneben hat die Untersuchung weiterer potentieller
Wirkmechanismen des Daclizumab vertiefte Einblicke in die frühe T-Zellaktivierung
durch dendritische Zellen erbracht. Somit stellt auch das Daclizumab ein gutes
Beispiel dafür dar, dass der letztlich immunologisch dominierende Effekt einer
zunächst spezifischen Antikörper-Blockade nicht gut vorhersagbar ist.
Zusammengefasst zeigen mAk mit hochspezifischen und teils deutlich divergierenden
Zielstrukturen erstaunlich robuste klinische Effekte in der Therapie der Multiplen
Sklerose. Dies mag zumindest teilweise in den profunden Eingriffen in breitere
immunbiologische Netzwerke durch die unterschiedlichen Substanzen begründet sein.
Dies beinhaltet aber auch die Möglichkeit auch aus dem Tiermodell nicht
vorhersagbarer Nebenwirkungen. Die Komplexität pleiotroper Interaktionen wird
vermutlich in den nächsten Jahren noch steigen, da über derzeitige mAk mit
immunologischen Zielstrukturen weitere, potentiell in der Remyelinisierung
beteiligte Mechanismen in den Blickpunkt des Interesses rücken (z. B. Blockade von
LINGO-1, leucine-rich repeat and Ig domain containing NOGO receptor interacting
protein-1) [8].