Aktuelle Urol 2013; 44(03): 167-170
DOI: 10.1055/s-0033-1348104
Referiert und kommentiert
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Harninkontinenz – Konventionelle und operative Therapie: neue EAU-Leitlinien

Lucas MG. Morriston Hospital, Swansea / UK et al.
Eur Urol 2012;
62: 1118-1142
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
27. Mai 2013 (online)

 
 

Die European Association of Urology (EAU) hat im März 2012 von einem EAU-Expertengremium überarbeitete Leitlinien zur Harninkontinenz herausgebracht, die auf den Leitlinien von 2009 basieren. Um die Verbreitung der Leitlinien zu fördern, entschlossen sich Malcom G. Lucas, Morriston Hospital, Swansea / UK, und Kollegen eine Kurzversion der Leitlinien zu veröffentlichen. Ihren Fokus legten sie auf die Beurteilungskriterien, Diagnose und die konservative und operative Therapie.
Eur Urol 2012; 62: 1118–1142

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Ist eine Operation immer die beste Wahl bei Harninkontinenz? Nein, sind sich die Experten einig. Eine operative Therapie sollte erst in Betracht gezogen werden, nachdem die konservative Behandlung versagt hat. (© Fotolia / Zsolt Nyulaszi)

Ziel einer Leitlinie ist es, die individuelle ärztliche Entscheidungs- und Therapiefreiheit zu unterstützen und als eine Art "Richtschnur" zu dienen. Sie ist im Gegensatz zu Richtlinien nicht bindend und muss an den Einzelfall angepasst werden.

In die Leitlinie zur Harninkontinenz gingen sowohl Frauen und Männer mit Belastungsinkontinenz als auch mit Dranginkontinenz ein. Letztere wird ausgelöst durch eine Überaktivität des Musculus detrusor vesicae.

Die Verfasser der Leitlinie unterschieden bei den Frauen 2 Arten der Belastungsinkontinenz:

  • Eine unkomplizierte Inkontinenz war dadurch definiert, dass die Frauen keine früheren Inkontinenz-Operationen und keine neurologischen Symptome des unteren Harntrakts hatten sowie keine weitere Schwangerschaft in Betracht zogen.

  • Bei einer komplizierten Inkontinenz griffen diese Kriterien nicht.

Beurteilung und Diagnose

Um die Krankheitsgeschichte der Inkontinenz zu erfassen, empfehlen die Autoren der Leitlinie folgende Punkte abzufragen:

  • Art der Inkontinenz,

  • Zeitpunkt des Auftretens und Schweregrad,

  • assoziierte Symptome des Harntrakts,

  • Geburten und gynäkologische Vorgeschichte (bei Frauen),

  • relevante Komorbiditäten (inkl. kognitive Beeinträchtigungen) und

  • medikamentöse Behandlung (allgemein und Inkontinenz-assoziiert).

Standarduntersuchung zu Beginn der Behandlung ist die Urinanalyse. Miktionstagebücher über eine Dauer von 3–7 Tagen haben sich bewährt, um das mittlere Harnvolumen und die tägliche sowie nächtliche Miktionsfrequenz zu quantifizieren. Zusätzlich empfehlen die Verfasser, das Restharnvolumen mittels Ultraschall zu bestimmen. Außerdem muss ggf. eine symptomatische Infektion des Urogenitaltrakts behandelt werden, da diese die Symptome einer Harninkontinenz verschlimmert. Es gibt allerdings bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Urogenitalinfektion Inkontinenz verursacht oder dass deren Behandlung die Inkontinenz heilt. Die routinemäßige Bildgebung des oberen oder unteren Harntrakts wird bei Frauen mit einer unkomplizierten Belastungsinkontinenz dagegen nicht empfohlen.


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Nicht operative Therapie

Die Autoren der Leitlinie durchsuchten die Datenbanken "Medline", "Embase" und "Cochrane Library" ausschließlich nach englischen Publikationen und identifizierten 3243 Abstracts. Diese begutachteten 2 Ausschussmitglieder unabhängig voneinander und wählten die relevanten Studien aus – insgesamt 403. Auf Basis dieser Auswertung formulierten sie die Empfehlungen der neuen Leitlinie.


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Konservative Therapie

Die Autoren empfehlen, von allen Patienten zu Beginn der Behandlung die medikamentöse Vorgeschichte zu erfassen. Es gibt Hinweise darauf, dass bestimmte Medikationen die Inkontinenz verschlechtern oder sogar verursachen können, bspw. α-Blocker zur Therapie der Hypertension oder Wirkstoffe, die das Zentralnervensystem beeinflussen. Eine 12-monatige Östrogenersatztherapie verdoppelt zudem die Prävalenz einer Harninkontinenz bei vorher kontinenten Frauen.

Als Schutzsystem haben sich Vorlage-Pads bewährt. Männer mit kleinem Restharnvolumen können alternativ Kondomkatheter verwenden. Von Penisklemmen raten die Autoren ab.


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Lebensstil

Ob die regelmäßige Bewegung eine Inkontinenz beeinflussen kann, ist bisher unklar. Obwohl bei moderater Bewegung Inkontinenz bei Frauen im mittleren oder höheren Alter seltener auftritt, ist nicht bewiesen, dass Bewegung eine bereits etablierte Inkontinenz bei Frauen verbessert. Die Hinweise, dass eine geänderte Flüssigkeitsaufnahme die Symptome einer Inkontinenz und damit die Lebensqualität verbessert, sind widersprüchlich. Patienten mit einer überaktiven Blase profitierten, wenn sie ihre Flüssigkeitsaufnahme um 25 % reduzierten – aber nicht solche mit einer Inkontinenz. Es ist auch unklar, ob Raucher eher eine Inkontinenz entwickeln. Ein reduzierter Koffeinkonsum verbessert zwar die Miktionsfrequenz, nicht aber die Inkontinenz.

Leitlinie zur Inkontinenz

Die Volltextversion der Leitlinie sowie eine vollständige Liste der Referenzen ist verfügbar unter www.uroweb.org (‣ Guidelines, Urinary Incontinence).


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Verhaltenstraining und physikalische Therapie

Blasentraining wird häufig als First-Line-Therapie bei Erwachsenen mit Dranginkontinenz oder einer Mischform aus Drang- und Belastungsinkontinenz eingesetzt. Es gibt Hinweise darauf, dass ein Blasentraining unter Anleitung besser wirkt als kein Training – sowohl bei Frauen mit Dranginkontinenz als auch einer Mischform aus Belastungs- und Dranginkontinenz. Wird das Training eingestellt, verschwindet dieser Effekt allerdings. Ein mindestens 3-monatiges Beckenbodentraining hingegen behebt oder verbessert eine Inkontinenz häufiger im Vergleich zu keiner Behandlung. Das Trainingsprogramm sollte möglichst intensiv durchgeführt werden. Auch bei kontinenten Frauen kann es in der ersten Schwangerschaft helfen, eine postnatale Inkontinenz zu vermeiden.

Die Datenlage zur elektrischen oder magnetischen Stimulation zur Verbesserung der Inkontinenz ist widersprüchlich. Die perkutane Tibial-Nerv-Stimulation verbesserte teilweise die Dranginkontinenz bei Frauen, die von einer antimuskarinischen Medikation nicht profitiert hatten. Sie war Tolterodin jedoch nicht überlegen.


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Medikamentöse Therapie

Anticholinergika haben bei der Therapie der überaktiven Blase eine zentrale Bedeutung. Antimuskarinika bspw. sind eine frühe Behandlungsoption bei Erwachsenen mit Dranginkontinenz. Mehr als 50 % der Patienten brechen jedoch eine Behandlung innerhalb der ersten 3 Monate ab aufgrund von Wirkversagen, Nebenwirkungen und Kosten. Bei Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen sollte auf den Einsatz von Oxybutynin verzichtet werden.

Der selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin kann in einer typischen Dosierung von 80 mg pro Tag eine Belastungsinkontinenz oder Mischform aus Belastungs- und Dranginkontinenz bei Frauen und Männern verbessern, ist aber nicht in der Lage, diese zu beheben. Die Dosis von Duloxetin sollte aufgrund der möglichen Nebenwirkungen langsam gesteigert werden.

Eine intravaginale Östrogentherapie ist eine gute Therapieoption für alle Formen der Inkontinenz bei postmenopausalen Frauen. Desmopressin reduziert die Inkontinenz innerhalb der ersten 4 Stunden nach Einnahme, jedoch nicht darüber hinaus.


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Operative Therapie

Eine operative Therapie wird gewöhnlich nur in Betracht gezogen, nachdem die konservative oder medikamentöse Therapie versagt hat. Die Verfasser der Leitlinie durchsuchten die Datenbanken "Medline", "Embase" und "Cochrane Library" ausschließlich nach englischen Publikationen und identifizierten 2191 Abstracts. Diese begutachteten 2 Ausschussmitglieder unabhängig voneinander und wählten die relevanten Studien aus (insgesamt 230) und formulierten darauf basierend ihre Empfehlungen.


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Unkomplizierte Belastungsinkontinenz bei Frauen

Systematische Reviews haben gezeigt, dass die offene Kolposuspension und die autologen spannungsfreien Schlingen ähnlich effektiv sind zur minimalinvasiven Therapie der Belastungsinkontinenz bei Frauen. Die Wirksamkeit der Kolposuspension verschlechterte sich im Laufe von 5 Jahren und das Risiko eines urogenitalen Prolaps war höher als bei anderen Operationen. Eine Schlingeneinlage birgt ein höheres Risiko operativer Komplikationen als die offene Kolposuspension, insbesondere in Form von Blasenentleerungsstörungen oder postoperativen Harnwegsinfektionen. Die laparoskopische Kolposuspension ist ähnlich effektiv und hat das gleiche Risiko in Bezug auf Blasenentleerungsstörungen. Das Risiko für andere Komplikationen war geringer und der durchschnittliche postoperative Krankenhausaufenthalt kürzer.

Retropubische midurethrale Schlingen (TVT = Tension-free Vaginal Tape und TOT = Transobturator Tape) gelten heute als Standard in der operativen Inkontinenztherapie, da die Komplikationsraten deutlich niedriger sind bei vergleichbaren Erfolgsraten. Die häufigsten Komplikationen bei TVT-Schlingen sind Hämatome im kleinen Becken, Blasenperforation sowie Blasenentleerungsprobleme bis hin zum notwendigen Katheter nach der Operation. Bei TOT-Schlingen zählen Bandarrosionen, Harnwegsinfekte, Reoperation und Schmerzen in der Leiste als häufigste Komplikationen. Die sog. Single Incision Slings als wenig invasive Form der midurethralen Schlingen sind mittlerweile ebenfalls sehr erfolgversprechend. Von der Applikation periurethraler Füllstoffe zur dauerhaften Therapie der Belastungsinkontinenz rät die Leitlinie dagegen ab.


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Komplizierte Belastungsinkontinenz bei Frauen

Die offene Kolposuspension und die autologen spannungsfreien Schlingen haben sich auch bei Frauen mit rezidivierender Inkontinenz nach einer vorderen Scheidenplastik bewährt. Möglichkeiten der operativen Therapie von Patientinnen mit dauerhafter oder rezidivierender Inkontinenz sind midurethrale Schlingen, spannungsfreie Schlingen oder eine Kolposuspension. Die Wahl der Operationsmethode hängt dabei stark von der vorherigen Operation, dem Patienten, der Präferenz des Operateurs und der lokalen Ausstattung ab.


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Belastungsinkontinenz bei Männern

Die nicht neurogene Inkontinenz bei Männern tritt meist infolge einer Prostatektomie auf. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Füllmaterialien eine Prostatektomie- assoziierte Inkontinenz vollständig therapieren, auch wenn sie bei einer leichten Inkontinenz temporär die Lebensqualität verbessern können. Suburethrale Schlingen empfehlen sich v. a. bei Männern mit einer persistierenden Prostatektomie-assoziierten Inkontinenz (> 6 Mon.) sowie artifizielle Sphinker bei mäßiger bis schwerwiegender Inkontinenz, wenn die Patienten nicht auf eine konservative Therapie angesprochen haben.


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Operative Therapie bei überaktivem Detrusor

Die intravesikale Injektion von Botulinumtoxin-A in die Blasenwand wird zunehmend häufiger zur Therapie der Belastungsinkontinenz bei Frauen genutzt, die nicht auf eine konventionelle Therapie angesprochen haben. Zu den Komplikationen gehören u. a. ein erhöhtes Restharnvolumen, das eine intermittierende Selbstkatheterisierung erforderlich machen kann, sowie Harnwegsinfektionen. Es gibt bisher keine Daten zu möglichen Langzeitnebenwirkungen.

Nach Möglichkeit kann Patienten mit Belastungsinkontinenz eine Neuromodulation des Sakralnervs angeboten werden, bevor der behandelnde Arzt eine Blasenaugmentation oder Harnableitung in Betracht zieht. Eine Blasenaugmentation sollte nur bei Patienten mit überaktivem Detrusor durchgeführt werden, bei denen eine Botulinumtoxin-Injektion versagt hat und die Möglichkeiten einer Neuromodulation diskutiert wurden. Die Harnableitung ist nur bei Patienten zu empfehlen, bei denen weniger invasive Therapien versagt haben und die bereit sind, ein Stoma zu akzeptieren. Sowohl die Blasenaugmentation als auch die Harnableitung erfordern eine lebenslanges Follow-up. Eine Detrusor-Myektomie ist keine Option bei Harninkontinenz.

Fazit

Erst nachdem die konservative Therapie bei Harninkontinenz versagt hat, dürfen operative Therapien in Betracht gezogen werden. Angesichts der vielfältigen operativen Möglichkeiten müssem diese immer bestmöglich verglichen und die Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen werden. Die neuen Leitlinien zur Harninkontinenz tragen dazu bei, dem Arzt eine Hilfestellung an die Hand zu geben, mit der er die für den Patienten individuell effektivste und sicherste Therapie auswählen kann.

pta

Kommentar

Forschung im Bereich der Harninkontinenz weiter intensivieren

Harninkontinenz ist eine weit verbreitete Erkrankung, von der allein in Deutschland schätzungsweise 6–8 Millionen Menschen betroffen sind. Da gerade in den letzten Jahren einige neue Therapieoptionen zur medikamentösen und operativen Behandlung eingeführt wurden, war es sinnvoll, eine neue Leitlinie der EAU zum Thema "Urinary Incontinence" zu erstellen – auch wenn erst 2009 die letzte EAULeitlinie zu diesem Thema veröffentlicht wurde. Neu an der aktuellen Leitlinie ist, dass sie auf einen unabhängigen systematischen Review der aktuellen Literatur, die selbständig von dem EAU-Leitlinien-Gremium durchgeführt wurde, basiert. Bei den EAU-Leitlinien zuvor handelte es sich nur um eine Zusammenfassung des "International Consultation on Incontinence".

Der jetzt veröffentlichten Leitlinie liegt die Literatur bis Juli 2010 zugrunde, nur für Botulinumtoxin wurde nochmal neuere Literatur bewertet. Selbstverständlich ist es nie möglich, dass die aktuellen Leitlinien auf dem allerletzten Stand der Literatur basieren, allerdings muss dies auch immer bei der Beurteilung der Leitlinien beachtet werden. V. a. im Bereich der operativen Verfahren wurden nach Juli 2010 diverse Studien veröffentlicht, zum einen mit Daten zu neueren Verfahren aber auch Daten zu älteren Verfahren mit längerem Follow-up, die daher keine Beachtung finden. Aber auch die β-3-Agonisten, die erst vor wenigen Monaten die Zulassung zur Therapie der überaktiven Blase bekommen haben, werden nicht berücksichtigt. Insgesamt ist es der EAU-Leitlinienkommision aber als großer Verdienst anzurechnen eine eigene europäische Leitlinie erstellt zu haben. Um die Verbreitung dieser neuen Leitlinie "Urinary Incontinence" – ein Werk mit 104 Seiten – soweit wie möglich voranzutreiben, wurden 2 Publikationen im Journal of European Urology mit der Zusammenfassung der diagnostischen und nicht operativen Empfehlungen bzw. mit der Zusammenfassung der operativen Empfehlungen veröffentlicht.

Konservative Therapie wird kritisch beleuchtet und bewertet

Die erste Publikation ist unterteilt in Leitlinien zu Diagnostik sowie konservativer Therapie, wobei nicht nur alle hierbei relevanten Punkte diskutiert werden, sondern auch sonst weniger beachtete Punkte wie Vorlagen- und Kondomurinalversorgung, Obstipation und Restharnuntersuchung. Darüber hinaus haben Komorbiditäten wie Diabetes mellitus und Komedikationen mit potenziell negativen Einfluss auf die Kontinenz Beachtung gefunden. Auch die sog. Lifestyle-Veränderungen – die allgemein gerne empfohlen werden – werden kritisch beleuchtet und bewertet. Bei der medikamentösen Therapie werden nicht nur die Anticholinergika als Substanzgruppe beurteilt, sondern auch untereinander – soweit dies möglich ist – sowie gegen Placebo. Auch auf den Einsatz bei älteren Menschen mit kognitiven Einschränkungen wird gesondert eingegangen. Bei der Darstellung von Duloxetin zur Therapie bei Frau und Mann wurde erfreulicherweise auf die Tatsache hingewiesen, dass Duloxetin eine bestehende Belastungsinkontinenz nur verbessern, aber nicht heilen kann. Es wurde aber leider unterlassen darauf hinzuweisen, dass Duloxetin nicht für den Einsatz bei Männern zugelassen ist. Somit kann Duloxetin in Deutschland Männern nur Off-Label verordnet werden. Auch hätte erwähnt werden sollen, dass eine Medikation mit Duloxetin nicht abrupt abgesetzt, sondern ausgeschlichen werden sollte und der urologische Einsatz bei depressiven Patienten oder Patienten mit Angststörungen sehr zurückhaltend und nur unter strenger Kontrolle erfolgen sollte. Erfreulich sind dagegen die klaren Aussagen zur vaginalen Östrogenisierung, v.a. da dieser Punkt gerne von uns Urologen vernachlässigt wird.

Die Publikation zur operativen Therapie der Harninkontinenz wurde in 3 Hauptpunkte unterteilt:

  • Operative Interventionen bei der Frau mit den Unterpunkten
    - unkomplizierte Belastungsinkontinenz,
    - komplizierte Belastungsinkontinenz und
    - Mischinkontinenz,

  • Operative Therapie beim Mann und

  • Operative Interventionen bei Detrusorüberaktivität.

Klare Empfehlungen zur operativen Therapie bei Belastungsinkontinenz

Im Bereich der weiblichen Harninkontinenz erfolgt die dezidierte Betrachtung aller aktuell zur Verfügung stehenden chirurgischen Optionen inkl.

  • Bulking Agents,

  • ProAct-Ballons und

  • nachjustierbarer Schlingen.

Darüber hinaus werden klare Empfehlungen zur operativen Therapie bei unkomplizierter und komplizierter Belastungsinkontinenz inklusive Hinweise zur Patientenaufklärung gegeben und auch das Thema operative Behandlung der Mischinkontinenz wird beleuchtet. Kritisch ist anzumerken, dass die Auseinandersetzung mit dem artifizellen Sphinkter bei der Behandlung einer komplizierten Belastungsinkontinenz relativ oberflächlich ausfällt. Darüber hinaus sind auch hier nach Juli 2010 wichtige Publikationen erfolgt, die leider keine Berücksichtigung finden.

Bei der operativen Behandlung der männlichen Belastungsinkontinenz wird zwischen Bulking Agents, fixen männlichen Schlingen, adjustierbaren Schlingen und kompressiven Systemen unterschieden. Bedauerlich ist auch hier, dass Publikationen nach Juli 2010 nicht berücksichtigt wurden, da seitdem einige wesentliche Veröffentlichen erfolgten. Auch findet das Thema adjustierbare Schlingen nur eine sehr oberflächliche Betrachtung und das Argus-System wird nicht nur den adjustierbaren Systemen, sondern fälschlicherweise auch den fixen Schlingen zugeordnet. In der abschließenden Empfehlung wird dann nur auf die fixen Schlingen eingegangen. Nur in der Langversion der Leitlinie finden sich auch Empfehlungen zu den adjustierbaren Systemen. Auch in den Empfehlungen zur operativen Therapie beim Mann werden wieder wichtige Hinweise für die Patientenaufklärung gegeben.

Das 3. Kapitel beschäftigt sich mit der operativen Behandlung der Detrusorüberaktivität. Dabei wird auf die Injektion von Botulinumtoxin, die sakrale Neuromodulation sowie Augmentation bzw. Harnableitung eingegangen. Seit Januar 2013 ist Onabotulinumtoxin in einer Dosierung von 100 IE für die Behandlung der idiopathischen überaktiven Blase zugelassen. Daher finden sich zu diesem Thema Empfehlungen, die bereits schon wieder überholt sind. Ein zeitnahes Update der aktuellen Leitlinien wäre hier sinnvoll.

V.a. die klaren Empfehlungen zur Aufklärung bezüglich Komplikationen und Erfolgsraten einzelner operativer Methoden und die Empfehlung, dass einige Methoden nur im Rahmen von Forschungsprogrammen angewendet werden sollten, sollten unbedingt im Alltag Beachtung finden und umgesetzt werden. Dies könnte auch im Rahmen von juristischen Auseinandersetzungen von enormer Bedeutung sein.

Übersichtliche Entscheidungsbäume zur Therapie der Harninkontinenz

In beiden Publikationen im Journal of European Urology sind sehr klare und übersichtliche Entscheidungsbäume zur Therapie der Harninkontinenz zu finden, die im praktischen Alltag hilfreich sind. Auch dies macht diese Leitlinien sehr alltagsauglich. Erfreulich ist auch, dass nicht nur alle Empfehlungen knapp in Tabellen mit entsprechendem Empfehlungsrad zusammengefasst wurden, sondern auch die Tabellen aufgeteilt in Themenschwerpunkte, sodass unkompliziert und schnell ein Überblick über das jeweilige Thema gewonnen werden kann.

Datenlage teilweise dürftig – mehr evidenzbasierte Forschung nötig

Insgesamt zeigen die aktuellen Leitlinien zum Thema Harninkontinenz, dass u. a. im Bereich der Diagnostik und konservativen Therapie die Evidenzlage teilweise erstaunlich dürftig ist und vieles, das wir jeden Tag empfehlen, oftmals mehr "eminenzbasiert" und nur wenig evidenzbasiert ist. Das Thema Harninkontinenz ist aufgrund der demografischen Entwicklung und immer weiter steigender Ansprüche auf ein "gesundes Altern" ein Bereich in der Urologie, der in den nächsten Jahrzehnten immer weiter an Interesse gewinnen wird. Allein dies sollte ein Ansporn sein, unsere Forschungstätigkeit weiter zu intensivieren und somit die zum Teil schlechte Evidenzlage zu verbessern.

PD Dr. Ricarda M. Bauer, München


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PD Dr. Ricarda Bauer


ist Oberärztin an der Urologischen Klinik und Poliklinik, Klinikum der Universität München-Großhadern

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Ist eine Operation immer die beste Wahl bei Harninkontinenz? Nein, sind sich die Experten einig. Eine operative Therapie sollte erst in Betracht gezogen werden, nachdem die konservative Behandlung versagt hat. (© Fotolia / Zsolt Nyulaszi)