Einleitung
Heutiger Standard in der Rekonstruktion von langstreckigen Kontinuitätsdefekten des
Unterkiefers und, wenn auch nicht ausschließlich, in der Rekonstruktion des
knöchernen Oberkiefers ist die Versorgung mit mikrochirurgisch revaskularisierten
Transplantaten [6 ], [8 ], [23 ]. Mikrochirurgisch revaskularisierte knöcherne
Transplantate zeichnen sich durch hohe Formkonstanz aus, können sowohl primär als
Sofortrekonstruktion im Rahmen der Tumorresektion als auch bei sekundären
(Spät-)Rekonstruktionen zum Einsatz gebracht werden und heilen auch im bestrahlten
Lager sicher ein. Die gängigen Transplantate, die als Knochentransplantat mit den
versorgenden Gefäßen in einem sparsamen Muskelmantel oder als osteomyokutane bzw.
osteoseptokutane Transplantate mit zusätzlicher Hautinsel gehoben werden, sind
Fibula, Beckenkamm [20 ], [21 ]
und lateraler Skapularand.
Eigenschaften und Anwendungsbereiche des mikrochirurgischen
Beckenkammtransplantats
Eigenschaften und Anwendungsbereiche des mikrochirurgischen
Beckenkammtransplantats
Zu den unbestrittenen Vorteilen des Beckenkammtransplantats gehört sein
exzellentes Knochenangebot.
Es bietet bspw. für den Unterkieferkörperbereich ein hervorragendes, gut
modellierbares Knochenvolumen, mit dem sich gleichzeitig die Kinn- und
Untergesichtskontur wie auch ein ergiebiges Lager für die Insertion dentaler
Implantate herstellen lässt. Der Hautlappen der osteomyokutanen Variante, also des
kombinierten Knochen-Weichgewebe-Transplantats, ist allerdings schon bei mäßig
adipösen Patienten wulstig und gegenüber dem Knochenanteil des Transplantats nicht
frei positionierbar. Aufgrund seiner mangelnden Flexibilität ist er für den
intraoralen Schleimhautersatz, speziell im Mundboden, nicht verwendbar [14 ]. Relativ gut kann man ihn hingegen für den Ersatz der
äußeren Haut nutzen, da er sich gerade wegen seiner Dicke gut für den Ersatz der
Untergesichtsregion modellieren lässt.
Während sich das osteoseptokutane Fibulatransplantat aufgrund seiner einfachen
Anatomie, der geringen Hebemorbidität und der dünnen und flexiblen Hautinsel zu
einem Standard für die kombiniert knöchern-weichgewebige Primärrekonstruktion des
typischen Mundboden-Unterkiefer-Defekts nach Resektion von Mundschleimhautkarzinomen
entwickelt hat [7 ], [8 ], [9 ], [18 ], eignet sich das
Beckenkammtransplantat eher für Situationen, in denen kein Ersatz der Schleimhaut
oder nur im Bereich der Kieferkammschleimhaut erforderlich ist, wie z. B. primäre
Unterkieferrekonstruktionen bei reinen Knochentumoren, sekundäre
Unterkieferrekonstruktionen und für Oberkieferrekonstruktionen.
Das mikrochirurgische Beckenkammtransplantat eignet sich vor allem für primäre
Rekonstruktionen bei reinen Knochentumoren im Unterkieferkörperbereich, für
sekundäre Unterkieferrekonstruktionen und für Oberkieferrekonstruktionen.
Das Beckenkammtransplantat ist neben der osteomyokutanen Skapula ein Transplantat
der
zweiten Wahl, wenn aus Gründen der Gefäßanatomie bzw. bei Gefäßsklerosen ein
Fibulatransplantat nicht gehoben werden kann, was in etwa 10–20 % der Patienten der
Fall ist [10 ]. Gegenüber der Skapula hat es den Vorteil,
dass die Hebung keiner intraoperativen Umlagerung bedarf und im Two-Team Approach
möglich ist.
Bei der Transplantation werden in der Regel die vorderen zwei Drittel des Verlaufs
der Crista iliaca von der Spina iliaca anterior superior (SIAS) bis zum
Scheitelpunkt der Darmbeinschaufel, ggf. auch darüber hinaus nach dorsal gehoben.
Die Gefäßversorgung erfolgt über die A. und V. circumflexa ilium profunda
(ACIP/VCIP), die auf der Innenseite der Beckenschaufel in der Übergangszone zwischen
dem Ansatz der Bauchdeckenmuskulatur und dem M. iliacus verlaufen ([Abb. 1 ],[3 a ]). Von den
Circumflexagefäßen gehen Äste in die genannten Muskelpartien ab, und ziehen darüber
mittelbar in die Knochenanteile der Crista iliaca ([Abb. 2 ]). Die Präparation des Gefäßstiels erfolgt bis zum Abgang der
Circumflexagefäße aus der A. und V. iliaca externa, wodurch man einen in der Regel
nicht mehr als 6 cm langen Gefäßstiel erhält. Der kurze Gefäßstiel kann in Hinblick
auf die sekundäre Rekonstruktion die Verwendung von Gefäßtransplantaten erfordern.
Die Gefäße sind relativ fein, haben aber einen gut anastomosierbaren Durchmesser von
ca. 1,5–3 mm [19 ]. Zwar gibt es Varianten des Verlaufs
der A. und V. circumflexa ilium profunda [5 ], sie sind
jedoch insgesamt so konstant vorhanden, dass vor geplanter Hebung eine
Gefäßdarstellung nicht notwendig ist.
Abb. 1 Anatomie der Entnahmeregion.
Abb. 2 a und b Schematische Darstellungen der Hebung und der
Konfiguration des bikortikalen Beckenkammtransplantats in konventioneller
Vorgehensweise ohne Erhalt der SIAS (a ), monokortikale Hebungsvriante mit
Erhalt der SIAS (b ).
Abb. 3 a bis c Darstellung des Gefäßstiels in der Leiste bei der
Hebung, Abgang der ACIP aus der A. iliaca externa (a ), Präparation der
Hautinsel des osteomyokutanen Transplantats (b ), Beispiel eines
bikortikalen Knochentransplantats für den Ersatz der Kinnregion (c ).
Transplantatvarianten
Je nach Indikationsbereich und Bedarf kann das Beckenkammtransplantat in
unterschiedlicher Konfiguration als rein knöchernes, knöchern-muskuläres oder
osteomyokutanes Transplantat gehoben werden:
Knöchernes Transplantat
Indikation für das rein knöcherne Transplantat ist die Versorgung von
Unterkieferdefekten bei vorhandenem Weichgewebelager, z. B.
Sofortrekonstruktionen des Unterkiefers bei der Resektion von Knochentumoren,
oder sekundäre Spätrekonstruktionen, nachdem die weichgewebige Rekonstruktion
bereits im Primäreingriff erfolgt ist. Dabei wird eine kleine Muskelmanschette
vom Ansatz der Bauchwandmuskulatur und des M. iliacus mitgehoben, in der die
Circumflexagefäße verlaufen ([Abb. 2 a ]). Der
Bauchwandmuskelstreifen kann sparsam entnommen werden, ohne die Vaskularisation
zu gefährden ([Abb. 3 c ]). Unter diesen Bedingungen
und der eines subtilen Verschluss der Entnahmeregion liegt die Donormorbidität
im ähnlichen Rahmen wie bei einer freien Beckenkammspanentnahme. Langfristige
Beschwerden sind bei Erhalt des N. cutaneus femoris lateralis (NCFL) und der
SIAS, ggf. teilschichtiger Entnahme („inner split cortex“-Modifikation ,
s. u.) gering.
Muskel-Knochen-Transplantat
Für den zusätzlichen Ersatz intraoraler Schleimhaut, insbesondere der
Kieferkammschleimhaut, eignet sich gut ein Muskelstreifen des M. obliquus
internus in der Kombination mit Spalthauttransplantaten [22 ], Der Muskellappen kann an der Crista iliaca gestielt um den
knöchernen Transplantatanteil geschlagen werden, was aber nur bei geringer
vertikaler Höhe des Knochentransplantats gut möglich ist. Besser wird der 1.
aszendierende Ast der ACIP, der etwa 1,5 cm medial der SIAS in den M. obliquus
internus zieht ([Abb. 1 ]), als versorgendes Gefäß
erhalten. Dann lässt sich der Muskellappen partiell oder vollständig von der
Ansatzstelle lösen, bis hin zur Freipräparation als separat am 1. aszendierenden
Gefäßast gefäßgestielter Lappen [16 ] ([Abb. 6 c ]). Dadurch kann der Muskellappen zum
Schleimhautersatz in der Defektregion der Mundhöhle frei positioniert werden.
Nach beginnender Granulation wird er mit einem gemeshten Spalthauttransplantat
abgedeckt. Allerdings kommt es bei diesen Muskellappen wegen der mangelnden
Robustheit der Schleimhaut-Muskelnaht gelegentlich zu Dehiszenzen mit
freiliegendem Knochen [1 ], die aber unter
konsequenter Nachbehandlung immer ausheilen. Es bildet sich ein relativ festes
Lager, das sich gut zum Ersatz der fixierten Gingiva über dem Alveolarfortsatz
und für den Durchtritt dentaler Implantate eignet ([Abb. 6 d ], [Abb. 7 a ]). Günstigenfalls ist
keine weitere Vestibulumplastik erforderlich. Für den Ersatz größerer Anteile
des Mundbodens ist die Flexibilität dieser Muskelschürze bzw. Insellappens nicht
ausreichend, sodass für derartige Indikationen auf andere Lappenplastiken
zurückgegriffen werden sollte.
Abb. 4 a bis g Sekundäre Unterkieferrekonstruktion nach
Unterkieferteilresektion bei Osteoradionekrose mit monokortikalem
Transplantat. Fibulatransplantat bei dem Patienten aufgrund Gefäßsituation
am Bein nicht möglich. (a ) Unterkieferdefekt mit erhaltenem N.
alveolaris inferiors (Pfeile), (b ) Hebung und Osteotomie des
monokortikalen Transplantats, Gefäßstiel angeschlungen, Pfeil: NCFL,
(c ) monokortikales Transplantat mit ausreichender Dicke für
spätere Implantation, (d ) Fixation des monokortikalen Transplantats
im Defekt mit Rekonstruktionsplatte, (e ) postoperatives
Orthopantomogramm, (f ) 3d-Rekonstruktion von CT-Datensatz 4 Monate
nach einer Unterkieferrekonstruktion mit monokortikalem Transplantat zeigt
eine Knochenstärke, die der des ortständigen Unterkiefers entspricht,
(g ) Erhalt der Beckenkontur nach monokortikaler
Transplantatentnahme und Erhalt der SIAS.
Abb. 5 a bis h Unterkieferrekonstruktion mit einem
osteomyokutanen Beckenkammtransplantat bei high-grade Osteosarkom,
30-jährige Patientin. Tumorausdehnung intraspongiös vom Kieferwinkel rechts
bis Eckzahnregion links mit großem Weichgewebsanteil (siehe Pfeile im MRT)
(a ). Unterkieferresektat mit großem Weichgewebe- und Hautanteil
(b ), entsprechender OP-Situs (c ). Postoperative Situation
1 Jahr nach OP und Chemotherapie nach COSS-Schema (d , e ).
Implantation und prothetische Versorgung (Dr. H.-U. Klapper, Universität
Leipzig) (f , g ). Situation fast 10 Jahre später en face. Der
Hautlappen ist durch lokale Haut ersetzt worden, allerdings ist auch ein
Konturrückgang im Kinnbereich zu verzeichnen, der nochmals einer Korrektur
bedarf (h ).
Abb. 6 a bis g Oberkieferrekonstruktion mit bikortikalem,
knöchern-muskulären Beckenkammtransplantat. (a ) Defekt des
Oberkiefers einschließlich Hartgaumen nach Resektion eines
Chondrosarkomrezidivs, lediglich Tuberregion beidseits noch vorhanden (im
Spiegel fotografiert), (b ) en face Foto der Patientin. Der Defekt ist
mit einer Obturatorprothese versorgt. Verziehung der Nasenflügelansätze
durch fehlende knöcherne Unterlage im Bereich der Apertura prirformis,
(c ) gehobenes knöchern-muskuläres bikortikales
Beckenkammtransplantat mit separat am 1. aszendierenden Ast gestielten
Muskellappen, (d ) rekonstruierter Oberkiefer nach Implantation,
Spalthauttransplantation und Vestibulumplastik. Der vordere,
implantattragende Anteil entspricht dem Beckenkammtransplantat nach
Abdeckung mit dem Muskellappen und Spalthauttransplantaten. (e )
Sagittale volumentomographische Ansicht der Oberkieferrekosntruktion,
(f ) prothetische Versorgung (Dr. H.-U. Klapper, Poliklinik für
Prothetik, Universitätsmedizin Leipzig), und (g ) äußerer Aspekt ein
Jahr nach Abschluss der Versorgung mit deutlicher Verbesserung der
Nasenflügelansatzregion allein durch Rekonstruktion einer knöchernen
Unterlage der Nasenbasis.
Abb. 7 a bis c Bildung eines festen Schleimhautlagers durch den
M. internus Muskellappen in Verbindung mit Spalthautdeckung. Ergebnis nach
einem halbes Jahr gut ausgeformtem Alveolarkamm und fester
Schleimhautabdeckung (a ), festsitzende implantatgetragene
prothetische Versorgung nach Unterkieferrekonstruktion aufgrund eine
benignen Tumors (Prothetische Versorgung: Dr. H. U. Klapper, Poliklinik für
Prothetik, Universität Leipzig) (b , c ).
Indikationen für das Muskel-Knochen-Transplantat sind der Ersatz von Unter- oder
Oberkiefer zusammen mit der befestigten Gingiva ([Abb. 6 ]). Bei der Versorgung von Oberkieferdefekten sollte der
Muskellappen eingeplant werden, da das Knochentransplantat eine weichgewebige
Bedeckung nach oral und, je nach Defektkonfiguration, auch nach nasal erfordert.
Längerfristige postoperative Beschwerden sind gering, wenn der Streifen des M.
obliquus nicht in größerer Breite als 2 Querfinger vom Ansatz an der Crista
iliaca entnommen wird und der M. obliquus externus mitsamt seiner Aponeurose
erhalten bleibt. Dann ist eine Refixation des M. obliquus internus an einer
verbliebenen Knochenkante der Crista iliaca noch ohne große Spannung möglich,
genauso wie der Primärverschluss der Externus-Schicht mit Fixation am Labium
externum der Crista iliaca.
Osteomyokutanes Transplantat
Der Hautlappen wird über eine Zone medial der Crista und oberhalb der SIAS
zentriert, weil hier die Perforatorgefäße durch die Aponeurose des M. obliquus
externus nach subkutan ziehen und die Versorgung sicherstellen [17 ], [20 ] ([Abb. 3 b ]). Die Durchblutung des Hautlappens gilt als
mäßig sicher, Nekrosen werden in der Literatur als nicht selten beschrieben
[14 ]. Die korrekte Positionierung des Hautlappens
ist v. a. bei adipösen Patienten schwierig, ggf. können mittels Doppler die
Perforatoren identifiziert werden [17 ]. Auch das
Vorhandensein eines dominanten Perforators kann durchblutungsbedingte Verluste
des Hautlappens nicht zuverlässig vermeiden [14 ]. Die
postoperative venöse Stauung kann auch durch Verschiebungen des Hautlappens in
Bezug auf den knöchernen Transplantatanteil bei Einnähung und postoperative
Schwellung des Lappens verursacht werden. Es muss deshalb rechtzeitig daran
gedacht werden, den Lappen partiell zu lösen und die exponierte subkutane
Gewebsfläche mit einem temporären Hautersatzmaterial (z. B. Epigard)
spannungsfrei abzudecken. Nach Abschwellung kann der Wundverschluss sukzessive
herbeigeführt werden. Mit diesem Vorgehen lassen sich Hautlappenverluste
minimieren. Von einigen Autoren wird auch die Einbeziehung des superfiziellen
Gefäßsystems der Leiste, insbesondere der venöse Anschluss der V. circumflexa
ilium superficialis zur venösen Drainage des Hautlappens empfohlen [10 ].
Definitiv ist das osteomykutane Beckenkammtransplantat die Hebevariante mit
der höchsten Entnahmemorbidität.
Das hängt v. a. damit zusammen, dass eine Mitnahme der M.-externus-Schicht und
der Externusaponeurose in der Perforatorenregion unumgänglich ist und dadurch
der Bauchdeckenverschluss weniger spannungsfrei gelingt. Er sollte deshalb nur
besonderen Indikationen vorbehalten bleiben. Bei adipösen Patienten versuchen
wir ihn ganz zu vermeiden. Sehr gut lassen sich mit ihm
Unterkieferkontinuitätsdefekte mit breiter kutaner Fistelung bzw. durchgehende
Untergesichtsdefekte (Haut, Knochen Schleimhaut) versorgen [2 ], da hier ein größeres Weichgewebevolumen benötigt wird ([Abb. 5 ]). In dieser Indikation ist das osteomyokutane
Beckenkammtransplantat der osteoseptokutanen Fibula hinsichtlich des
rekonstruktiven Ergebnisses deutlich überlegen.
Entnahmemorbidität
Als wesentlicher Nachteil des mikrochirurgischen Beckenkammtransplantats gilt die
Entnahmemorbidität.
Zu den bekannten Problemen nach der Entnahme gehören postoperative Gehbeschwerden
und
Schmerzen, die durchaus längerfristig andauern und verbleiben können [24 ], nach einer retrospektiven Studie über einen Zeitraum
von 10 Jahren bei etwa einem Drittel der Patienten [3 ].
Weiterhin sind ästhetisch störende Asymmetrien durch die Entnahme der Crista iliaca
und der SIAS zu erwähnen. Zu den selteneren Komplikationen gehören Hernien,
Frakturen im Bereich der Beckenschaufel oder entlastungsbedürftige Hämatome [24 ].
Einen erheblichen ursächlichen Anteil an den langfristigen Beschwerden hat die
Mitnahme von Anteilen der Bauchwandmuskulatur und folgende Narbenbildung, weshalb
auch die Entnahmemorbidität bei osteomyokutanen Transplantaten größer ist als bei
reinen Knochentransplantaten. Der Verlust von Bauchwandmuskulatur und ein
insuffizienter Ansatz an der Crista iliaca kann zu muskuloskelettalen Imbalancen mit
Einfluss auf die Rückenmuskulatur führen [11 ]. Die
unmittelbar postoperativen Beschwerden werden dadurch verstärkt, dass bei der
klassischen Entnahmeprozedur der Ansatz des M. glutaeus medius auf der Außenfläche
des Os ilium gelöst wird. Einen weiteren Beitrag leistet die Verletzung oder
Durchtrennung von Nerven, speziell des NCFL, der knapp unterhalb der SIAS über der
Crista iliaca nach außen tritt und den lateralen Oberschenkelbereich sensibel
versorgt, aber auch der Hautäste des 12. Thorakalnervs, wenn die Entnahme nach
dorsal ausgedehnt wird. Was die Knochenentnahme anbelangt, ist v. a. die Entfernung
der SIAS für die Entstehung postoperativer Beschwerden relevant. Konturstörungen
wurden in einer retrospektiven Untersuchung nach 31 Entnahmen von den Patienten als
häufigste Beschwerde angegeben und korrelierten mit der Entnahme der SIAS. Der
statistische Zusammenhang zwischen Verlust des Hüftprofils und der Dauer der
Gehbeschwerden (über 60 Tage) war in retrospektiven Untersuchungen hochsignifikant
[24 ].
Daraus lässt sich schließen, dass der Verlust der SIAS und die Ablösung von
Leistenband und Ursprüngen des M. sartorius und des M. tensor fasciae lata einen
erheblichen kausalen Anteil an der Hebemorbidität, insbesondere bez. der
Gehstörungen, haben.
Hebevarianten zur Minderung der Entnahmemorbidität
Eine Reduktion der Entnahmemorbidität ist durch eine teilschichtige,
monokortikale Entnahme (Belassung der Tabula externa mit Erhalt des Labium
externum der Crista iliaca und der SIAS sowie konsequenter Schonung des NCFL
möglich. Bei Beachtung weiterer Punkte, insbesondere hinsichtlich des Handling
der Bauchmuskulatur, ist die Entnahme des Beckenkammtransplantats nicht
beschwerdereicher als die anderer Knochentransplantate.
„Split inner cortex“ und Erhalt der SIAS
Shenaq hat 1995 erstmals eine teilschichtige, monokortikale Entnahme des
mikrochirurgischen Beckenkammtransplantats beschrieben. Bei der
monokortikalen Entnahme wird nur der innere Cortex zusammen mit dem
Spongiosablock entnommen und die Tabula externa belassen ([Abb. 2 b ], [Abb. 4 a, c ]). Dadurch kann der Ansatz für die
Bauchwandmuskulatur wiederhergestellt werden. Es resultiert ein schmäleres
Transplantat, dessen Dicke aber für die meisten Zwecke völlig ausreichend
ist ([Abb. 4 f ]). Bei dieser Entnahmetechnik wird
die Muskulatur auf der Außenseite der Beckenschaufel (M. glutaeus medius
einschließlich Glutaeusfaszie) gar nicht erst abgelöst, was die unmittelbar
postoperativen Beschwerden deutlich mindert. Die Entnahme erfolgt
kastenförmig von der Innenseite her, kombiniert mit gerader und
abgewinkelter oszillierender Säge und Osteotomen. Etwas schwer abzuschätzen
ist die Osteotomie entlang des inneren Aspekts der Außenkortikalis der
Beckenschaufel. Bei Beckenschaufeln mit breiter Crista iliaca, aber
deutlicher Verjüngung zur Schaufelfläche hin, sind Perforationen unter
Mitnahme der Außenkortikalis möglich. Diese stellen kein Problem dar,
solange eine kräftige Außenkante der Crista iliaca („Labium externum“)
knöchern fest verbleibt. Wenn die Außenkortikalis intakt bleibt, ist der
Erhalt der Spina iliaca anterior unproblematisch und es besteht keine
Abrissgefahr. Für Unterkieferrekonstruktionen genügt die Knochenstärke eines
solchen teilschichtigen Knochentransplantats volkommen, im eigenen
Patientengut war das Knochenangebot für die dentale Implantation immer
ausreichend und keine späteren Augmentationen erforderlich, was auch von
anderen Autoren bestätigt wird [12 ]. Lücken zum
ortsständigen Knochen und zwischen den Segmenten können mit zusätzlich
entnommenen freien Spongiosachips ausgefüllt werden, die in Kontakt zu dem
durchbluteten Knochentransplantat gut einheilen. Die Verwendung der
monokortikalen Transplantate zur Rekonstruktion des Unterkiefers erfordert
zwingend die Stabilisierung durch ausreichend dimensionierte
Rekonstruktionsplatten, die auch im Sinne eines „hybriden“ Implantats
belassen werden kann ([Abb. 4 d ], [Abb. 5 d ]). Je nach Defektkonfiguration sind 2,0-
oder 2,5-mm-Platten ausreichend, die die Aufgabe haben, die Lastüberbrückung
bis zu knöchernen Konsolidierung zu gewährleisten.
Für Oberkieferrekonstruktionen kann eine vollschichtige bikortikale
Entnahme vorteilhafter sein, da der Volumenbedarf bei
Maxillektomiedefekten erheblich ist.
Erhalt des N. cutaneus femoris lateralis (NCFL)
Bei Schädigungen des NCFL resultiert ein Sensibilitätsverlust an der
Außenfläche des Oberschenkels, der dadurch gemildert wird, dass sich hier
auch die Versorgungsgebiete benachbarter Projektionsgebiete überlappen. Im
Einzelfall kann eine NCFL-Läsion aber auch störend und Ursache
neuropathischer Schmerzen sein. Der Nerv verläuft von dorsal auf der
Innenfläche des M. iliacus und zieht, meist unterhalb des Gefäßstiels
verlaufend, knapp vor oder unterhalb der SIAS nach außen zur Haut des
Oberschenkels. Auf seinem Passageweg unterhalb der SIAS (und damit unterhalb
des Leistenbands) läuft er in derbem Bindegewebe und ist dort schwer zu
identifizieren. Wenn er hier allerdings lokalisiert ist, kann er nach
proximal verfolgt und freigelegt werden, sodass er bei der Osteotomie vom
Entnahmebereich weggehalten werden kann. Selten verläuft er auch oberhalb
der Gefäßebene oder zwischen Vene und Arterie. Dann muss er durchtrennt und
koaptiert werden.
Technik des Entnahmedefektverschlusses
Der korrekte Verschluss der Entnahmeregion ist beim Beckenkammtransplantat
deutlich aufwendiger als bei den anderen Knochentransplantaten, aber
wesentlich für die Vermeidung postoperativer Beschwerden [4 ]. Bei der klassischen Technik mit vollschichtiger
Entnahme werden der Absetzungsrand des M. transversus abdominis mit dem
M. iliacus und die Absetzungen von M. obliquus externus und internus durch
den Knochendefekt mit der Glutaealmuskulatur vernäht. Nach monokortikaler
Entnahme mit Erhalt der Außenkortikalis werden die Muskeln an der knöchernen
Außenkante fixiert, sodass die ursprüngliche äußere Kontur erhalten bleibt.
Dabei ist eine intakte Externusaponeurose als Zugentlastung für den
Internusstumpf wichtig, sie wird mit kräftigen Nähten an der Fascia glutaea
fixiert. Bei zu umfangreicher Entnahme der Muskulatur, insbesondere bei
Hebung von osteomyokutanen Transplantaten, gelingt die Refixation allerdings
nicht oder nur schwer. Bei osteomyokutanen Transplantaten ergeben sich
deshalb auch keine Vorteile für die monokortikale Entnahme (s.
Untersuchungsergebnisse weiter unten).
Nachuntersuchung zur Entnahmemorbidität
Die Entnahmemorbidität wurde in einer eigenen Patientenkohorte untersucht, die
1998 bis 2004 in der Phase der Umstellung von bikortikaler auf monokortikale
DCIA-Entnahmen operiert wurde. In dieser Phase wurde anfangs die Außenkortikalis
noch dargestellt und der M. glutaeus medius noch abgelöst. Die Spina iliaca
wurde immer erhalten, der NCFL dargestellt und erhalten. In 2 Fällen zog er
durch den Gefäßstiel und musste durchtrennt werden, mit anschließender Koaption.
Die Patienten wurden unter Verwendung des Larson-Score (IOWA Hip-Score) [10 ] nachuntersucht, wobei in den Gruppen monokortikale
und bikortikale sowie rein knöcherne bzw. knöchern-muskuläre und osteomyokutane
Hebung unterschieden wurden. Erwartungsgemäß schnitten osteomyokutane
Transplantate im Schnitt mit einem Durchschnitts-Score von 84 deutlich
schlechter ab als knöcherne Transplantate mit 92,5. Bei den knöchernen
Transplantaten zeigten die monokortikalen Entnahmen mit einem durchschnittlichen
Larson-Score von 94 deutlich geringere Beschwerden als Patienten mit
bikortikalen Entnahmen mit 87,5. Bei vollständiger Belassung der äußeren
Kortikalis (allerdings seinerzeit nur 4 Patienten) lag der Larson Score bei 99,
d. h. sie waren praktisch unbeeinträchtigt. Bei osteomyokutanen Transplantaten
war es umgekehrt, d. h. bikortikale Entnahmen schnitten mit durchschnittlich 92
Larson-Punkten besser ab als monokortikale Entnahmen mit 84 Punkten. Bei
osteomyokutanen Transplantaten bringt die monokortikale Hebung somit keinen
Vorteil, weil die Morbidität durch die vergleichsweise umfangreichere Entnahme
der Bauchwandmuskulatur, namentlich des M. obliquus externus bestimmt wird.
Über alle Entnahmevarianten zeigte sich eine Besserung des Scores im zeitlichen
Verlauf nach der Operation: Bei einer Gruppe prospektiv untersuchter Patienten
lag der Score vor Entnahme bei 95,2. Nach Entnahme veränderte sich der Score von
zunächst durchschnittlich 84,2 nach 3 Wochen auf 88,3 nach 6 Monaten, um sich
dann sukzessive auf 93,4 nach 3 Jahren zu verbessern. An transplantatbezogenen
Komplikationen trat in dieser Gruppe eine Fraktur einer zu schwachen Spange der
Crista iliaca auf, die osteosynthetisch fixiert wurde. Seit dem weiter oben
skizzierten Vorgehen (monokortikale Entnahme bei Knochen und
Knochen-Muskel-Transplantaten, z. T. bikortikale Entnahme bei osteomyokutanen
Transplantaten, immer Erhalt der SIAS und des NCFL) traten an Komplikationen
eine Abrissfraktur der SIAS bei einem Patienten mit Osteoporose auf, die
osteosynthetisch versorgt wurde, sowie eine Nachblutung mit Hämatombildung.
Ansonsten traten keine entnahmebedingten Komplikationen auf (72
Transplantate).
Diskussion und Schlussfolgerungen
Diskussion und Schlussfolgerungen
Die Schonung der SIAS und der Erhalt der äußeren Kortikalis erbringen eine deutliche
Reduktion der Entnahmemorbidität bei Hebung knöcherner mikrochirurgischer
Beckenkammtransplantate und bei der Kombination mit M.-obliquus-internus-Lappen. Bei
osteomyokutanen Transplantaten hingegen, bei denen die Entnahmemorbidität sowieso
größer ist, erbringt der Kortikaliserhalt vermutlich keine Vorteile, wohl aber der
Erhalt der SIAS.
Nachteil der „split inner cortex“-Variante mit Erhalt der SIAS ist das diffizilere
Vorgehen in einer komplexen Anatomie und der im Vergleich zu anderen
Knochentransplantaten aufwendige Defektverschluss. Eine deutlich schlechtere
Übersicht besteht bei adipösen Patienten, bei denen die Indikation zum
Beckenkammtransplantat immer mit Zurückhaltung gesehen werden sollte. Die
gelegentlich ins Feld geführte höhere Gefahr von Blutungen oder Nachblutungen aus
den naturgemäß großflächigen Spongiosaflächen monokortikaler Transplantate kann
nicht bestätigt werden, Blutungen nach Transplantation und Anastomose sind nicht
übermäßig und stehen, sobald sie mit einem Weichteilmantel bedeckt werden.
Das osteomyokutane Beckenkammtransplantat findet seinen Einsatz v. a. zur
Rekonstruktion von durchgehenden intra-extraoralen Defekten unter Einschluss des
Kiefergewebes im Untergesichtsbereich, für die es nach Auffassung des Autors das
beste Transplantat darstellt, das in dem Fall die etwas höhere, aber vertretbare
Entnahmemorbidität rechtfertigt.
Im Oberkiefer bietet es ein hervorragendes Knochenlager und ist einfach einsetzbar.
Zwar reicht die Stiellänge an die Temporalgefäße, jedoch ist die Verwendung von
Gefäßtransplantaten einfacher und sicherer unter Berücksichtigung der diffizileren
Darstellung der Temporalisgefäße letztlich sicherer und schneller.