Herr Dr. Veit, zu welchem Ergebnis kommt Ihr Gutachten? Ist die Wirksamkeit von P4P
erwiesen?
Dr. Christof Veit: Das Gutachten zeigt, dass eine leistungsorientierte Vergütung grundsätzlich
möglich ist, dass man hierbei aber sorgfältig vorgehen muss. Die primäre Motivation
der Ärzte und Pfleger lässt sich nicht ersetzen, doch ist es möglich, gute Qualität
besser zu honorieren und das System für diejenigen, die sich Qualitätsstandards verweigern,
unattraktiv zu machen. Dass finanzielle Anreize mächtig und wirksam sind, zeigen Erfahrungen
aus Modellprojekten, die wir in dem Gutachten zusammengetragen haben. Ein zweifelsfreier
Nachweis über wissenschaftliche Evidenz der unterschiedlichen P4P-Modelle in Gänze
steht allerdings noch aus. Die Studien sind methodisch und sachlich sehr anspruchsvoll.
Was genau verstehen Sie unter P4P? Gibt es unterschiedliche Definitionen?
Veit: P4P steht für eine Anpassung der Leistungsvergütung an die erbrachte Qualität,
genauer an die Ergebnisqualität der Versorgung. Das ist neu. Es geht darum, ob die
Patienten nach der Behandlung den Gesundheitszustand erlangt haben, den sie tatsächlich
erreichen konnten, wenn man beispielsweise ihr Alter und Vorerkrankungen oder ihre
Compliance berücksichtigt. Eine gute Versorgung soll besser bezahlt werden als eine
schlechte. Dies kann auf 3 Wegen geschehen: 1) Die Vergütungstöpfe werden aufgestockt,
damit steht zusätzliches Geld für die Honorierung zur Verfügung. 2) Es erfolgt eine
Umverteilung von „schlecht“ nach „gut“, was für einzelne Häuser und Praxen mit finanziellen
Einbußen verbunden ist. 3) Das Sharing-Modell basiert darauf, dass eine hohe Versorgungsqualität
effizient ist und Folgekosten einspart. Diese „Gewinne“ können dann zwischen Leistungserbringern
und Kostenträgern aufgeteilt werden.
Wie lässt sich die Qualität messen?
Veit: Versorgungsqualität zu messen, ist ein schwieriges Unterfangen, da Behandlungsergebnisse
verschiedenen Einflüssen unterliegen. Dennoch stehen wir nicht am Anfang. Es gibt
bereits zahlreiche Indikatoren, die genutzt werden können. Der Gesetzgeber schreibt
nach § 137 SGB V die externe Qualitätssicherung für Krankenhäuser vor. Mittlerweile
liegen 430 Indikatoren zu 30 Leistungsbereichen vor. Ein Indikator ist mehr als eine
Kennziffer, da die Qualitätssicherer zusätzlich auf Basis der vorhandenen Studienlage
prüfen, ob der Wert innerhalb eines Referenzbereichs liegt oder schlechter ist. Die
Ergebnisse werden den Krankenhäusern zurückgespiegelt. Weitere Daten resultieren aus
den Abrechnungsverfahren mit den Krankenkassen nach § 21 KHEntG. Sie enthalten Diagnosen
nach ICD und Prozeduren nach OPS sowie Hinweise auf Eingriffe wegen Komplikationen.
Portale wie Qualitätskliniken.de werten auch diese Daten sowie Daten zur Patientensicherheit
und Zufriedenheit unter Qualitätsaspekten aus, um Krankenhäuser umfassender vergleichen
zu können. Ferner gibt es die Hygiene- und Infektionsstatistiken.
In welchen Fällen bewähren sich leistungs- oder erfolgsorientierte Vergütungsanreize?
Veit: Wenn neue medizinische Standards bekannt sind und die Leitlinien entsprechend
aktualisiert wurden, lässt sich in Benchmarking-Projekten prüfen, welche Krankenhäuser
und Praxen diese bereits berücksichtigen. Diejenigen, die sich schneller umstellen,
sollen auch besser bezahlt werden. Andererseits sollten Krankenhäuser, die beispielsweise
zu wenig Prophylaxe betreiben oder bei der Physiotherapie sparen, eine geringere Finanzierung
erhalten. Über P4P lässt sich auch zusätzlicher Versorgungsaufwand abbilden, sofern
erwiesen ist, dass dadurch tatsächlich bessere Ergebnisse erzielt werden. Dies kann
bei Leistungen für die Patientensicherheit oder die Frührehabilitation der Fall sein.
Bei selektiven Versorgungsverträgen sind qualitätsbezogene Vergütungsstrukturen bereits
üblich. Die Vertragspartner greifen entweder auf vorhandene Indikatoren zurück oder
entwickeln eigene, die stärker auf den Vertragsinhalt zugeschnitten sind. In unserem
Gutachten sind einige beschrieben, zum Beispiel enthalten die IV-Verträge zu Kopfschmerzen
und Rückenschmerzen P4P-Elemente, die als Ergebnisparameter die Wiedererlangung der
Arbeitsfähigkeit messen.
Wo sehen Sie Grenzen finanzieller Anreize zur Qualitätssicherung?
Veit: Die primäre Motivation der helfenden Berufe lässt sich durch Geld nicht herstellen.
Mit den finanziellen Anreizen für höchste Qualität können die Kliniken aber dafür
Sorge tragen, dass die Rahmenbedingungen der Arbeit so gestaltet sind, dass die Ärztinnen
und Schwestern, Ärzte und Pfleger gute Qualität in der Versorgung erbringen können,
sodass sie motiviert bleiben. Wenn wir die Qualität bewerten, dürfen wir in der Bewertung
nur das zugrunde legen, was mit den Instrumenten tatsächlich zuverlässig gemessen
und ggf. einrichtungsübergreifend verglichen werden kann. Hier müssen wir noch einige
Entwicklungsarbeit in gute Qualitätsmessinstrumente stecken.
Qualitätssicherung strebt an, allen Patienten eine gute und sichere Behandlung zu
ermöglichen. Ist dies überhaupt realistisch?
Veit: Eine 100 %ige Sicherheit ist nicht realistisch, menschliche Irrtümer wird es
immer geben können. Die Geschichte der Medizin zeigt aber, dass Verfahren und Techniken
immer sicherer geworden sind. Und wir arbeiten daran, uns kontinuierlich weiter zu
verbessern.
Wie erkennen Patienten schlechte Versorgungsqualität?
Veit: Patienten erleben Komplikationen nach einer Operation oder konservativen Therapie
oft schmerzhaft am eigenen Körper, zum Beispiel bei Wundinfektionen. Im Vorfeld die
Güte der Versorgung zu erkennen ist schwierig. Patienten sollten darauf vertrauen
können, dass alle Krankenhäuser eine gleich gute Behandlungsqualität auf ihrem Gebiet
bieten. Wir wissen aber, dass es Unterschiede gibt. Das zeigt u.a. die externe Qualitätssicherung.
Die Informationen sind in den Qualitätsberichten, die öffentlich gemacht werden müssen,
prinzipiell enthalten. Sie sind aber schwer verständlich und werden weder von den
zuweisenden Ärzten noch von den Patienten bisher ausführlich genutzt. Bei der Informationstransparenz
besteht noch Verbesserungsbedarf. Internetportale wie http://www.qualitaetskliniken.de und http://www.weisse-liste.de sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
Was zeichnet Krankenhäuser mit einer hohen Qualität aus? Was machen sie anders als
andere Häuser?
Veit: Zu dieser Frage laufen gerade spannende Forschungsprojekte. Es zeichnet sich
ab, dass Häuser, die in den Benchmarks gut abschneiden, selbstkritischer mit ihren
Ergebnissen umgehen und fortlaufend nach weiteren Verbesserungspotenzialen suchen.
Außerdem gilt Qualitätssicherung dort als eine Gemeinschaftsaufgabe, um die man sich
im Team kümmert. Bei Fehlern geht es nicht um eine individuelle Schuldzuweisung, sondern
um gemeinsames Lernen und den Erfahrungsaustauch, sodass ähnliche Fehler künftig vermieden
werden können. Hohe Qualität spiegelt sich in der Krankenhauskultur und Organisation
wider. Die Häuser schaffen Rahmenbedingungen, die es ermöglichen, dass die Beschäftigten
ihre besten Qualitäten zum Einsatz bringen.
Herr Dr. Veit, vielen Dank für das Gespräch!