Zur 18. Jahrestagung der European Hematological Association (EHA) wurden Daten präsentiert,
die entscheidende Entwicklungen bei der Chronisch-Myeloischen Leukämie (CML) dokumentieren.
Dabei standen insbesondere Studien mit Nilotinib (Tasigna®) im Fokus, die zeigen, dass das frühere und tiefere Ansprechen unter dieser Substanz
die Chancen auf eine therapiefreie Remission verbessert. So konnten die 4-Jahres-Daten
der ENESTnd-Studie (Evaluating Nilotinib Efficacy and Safety in Clinical Trials-Newly
Diagnosed Pts) belegen, dass der Zweitgenerations-Tyrosinkinaseinhibitor (TKI) Nilotinib
im randomisierten Vergleich zum alten Standard Imatinib in der Erstlinientherapie
der CML in chronischer Phase höhere Raten an schnelleren und tiefen molekularen Remissionen
erzielt und gleichzeitig bei mehr Patienten eine Progression der Erkrankung verhindert
[
1
]. Doch auch zunächst 2 Jahre oder länger mit Imatinib behandelte Patienten profitieren
von Nilotinib: Wie die Ergebnisse der 24-Monats-Daten der ENESTcmr-Studie zeigen,
erreichen sie nach der Therapieumstellung ein signifikant tieferes molekulares Ansprechen
[
2
].
"Das Fehlen eines frühzeitigen molekularen Ansprechens innerhalb der ersten drei Monate
führt zu einem gesteigerten Risiko an Behandlungsfehlern und Krankheitsprogression",
erläuterte Prof. Richard Clark, Liverpool. Wird das 10 % BCR-ABL-Level nach 3 Monaten
nicht erreicht, so kommt es nach 18 Monaten zu einem um 21 % erhöhten Risiko für ein
Therapieversagen bzw. um ein um 8 % gesteigertes Progressionsrisiko [
3
]. Mit einem Tyrosinkinasehemmer der zweiten Generation wie Nilotinib ist die Chance
aber wesentlich höher, dass dieses 10 %-Level erreicht wird und frühzeitig komplette
zytogenetische (BCR-ABL ≤ 1 %) und gute molekulare Remissionen (BCR-ABL ≤ 0,1 %, MMR)
eintreten. Damit wird auch die Chance auf das Überleben verbessert: Eine aktuelle
Analyse der deutschen CML-IV-Studie zeigt, dass allein schon das Erreichen einer MR4,5 d. h. von BCR-ABL-Konzentrationen im peripheren Blut von höchstens 0,0032 % nach
dem internationalen Standard, mit einem langfristigen Überlebensvorteil verbunden
ist [
4
]. Die tiefen molekularen Remissionen um 4,5 Logstufen gelten demnach als neuer Prädiktor
für die langfristige Prognose von Patienten mit CML [
4
].
CML: Unter Nilotinib häufiger tiefere Remissionen
Den Beweis, dass unter Nilotinib dieser Prädiktor besser erreicht werden kann, lieferte
das aktuell von Prof. Andreas Hochhaus, Jena, vorgestellte 4-Jahres-Update der ENESTnd-Studie.
Diese Phase-III-Studie untersucht im randomisierten Vergleich 2 Dosierungen von Nilotinib
(400 mg und 300 mg BID) und Imatinib (400 mg/QD) und rekrutierte 846 Patienten in
217 Zentren in 35 Ländern (Abb. [
1
]). Primärer Endpunkt war ein gutes molekulares Ansprechen ("major molecular response",
BCR-ABL ≤ 0,1 %, MMR). Bei den Patienten, die nun mindestens 4 Jahre in der Studie
waren, zeigten sich auch nach diesem Untersuchungszeitraum höhere Raten an schnelleren
und tieferen molekularen Remissionen unter Nilotinib als unter Imatinib. Gleichzeitig
wurde durch den Zweitgenerations-TKI bei mehr Patienten eine Progression der Erkrankung
verhindert. Die Überlegenheit von Nilotinib gilt für die Raten an schnelleren und
tieferen molekularen Remissionen (BCR-ABL-Levels ≤ 0,1 % = MMR; 0,01 % = MR4 bzw.
0,0032 % = MR4,5). Die Differenz von Nilotinib im Vergleich zu Imatinib nahm im Verlauf der Zeit sogar
noch deutlich zu [
1
]:
Abb. 1 Studiendesign der ENESTnd-Studie.
-
MR4: Differenz nach einem Jahr 14 %, Differenz nach 4 Jahren 24 %
-
MR4,5: Differenz nach einem Jahr 10 %, Differenz nach 4 Jahren 17 %.
Damit erreichten Patienten unter Nilotinib 1,74 mal häufiger eine MR4,5, die als wichtiges Auswahlkriterium zum Absetzen der Therapie gilt (Tab. [
1
]).
Tab. 1 4-Jahres Update der ENESTnd-Studie.
Keine Progression bei Patienten mit tiefer molekularer Remission
Mit Nilotinib haben Patienten, die nach 3 Monaten BCR-ABL-Level von höchstens 10 %
erreichen, nicht nur bessere Chancen auf eine komplette zytogenetische (BCR-ABL ≤
1 %) und eine gute molekulare Remission (BCR-ABL ≤ 0,1 %, MMR), sondern auch auf ein
besseres und progressionsfreies Gesamtüberleben: In der ENESTnd-Studie zeigten nach
3 Monaten 91 % der Patienten unter Nilotinib BCR-ABL-Level von weniger als 10 %, unter
Imatinib waren es nur 67 %. Patienten, die früh eine solche gute molekulare Remission
erreichten, erzielten aber auch häufiger eine Reduktion der BCR-ABL-Titer um 4,5 log-Stufen
(MR4,5) [
1
].
Weiterhin erlitten in den beiden Nilotinib-Gruppen insgesamt nur 9 Patienten in diesem
langen Zeitraum einen CML-assoziierten Tod, hingegen verstarben 13 Patienten unter
Imatinib. Ebenso zeigten signifikant weniger Patienten unter dem Zweitgenerationstherapeutikum
eine Progression in Richtung akzelerierter Phase oder Blastenkrise bzw. Tod: Während
nur 9 bzw. 6 Patienten unter Nilotinib progredient wurden, betraf dies unter Imatinib
19 Patienten. Bemerkenswert ist ebenfalls der Fakt, dass kein Patient, der eine MR4,5 erzielt hatte, eine Progression der Erkrankung erlitt. Dies unterstreicht noch einmal,
dass dadurch die Überlebenschance der Patienten erhöht werden kann.
Neue, unerwartete unerwünschte Wirkungen wurden in keiner Gruppe verzeichnet, so Hochhaus.
Insgesamt waren beide Medikamente gut verträglich [
1
].
Wechsel auf Nilotinib erhöht Heilungschancen
Aufgrund des schnelleren und tieferen Ansprechens sollten die Patienten möglichst
von Beginn der Therapie an auf Nilotinib eingestellt werden, betonte Prof. Tim Hughes,
Adelaide, Australien. Denn nur eine anhaltende sehr tiefe molekulare Remission könnte
auch nach Absetzen der Therapie langfristig beibehalten werden. Die in Stockholm vorgestellten
2-Jahres-Ergebnisse der ENESTcmr-Studie (cmr = complete molecular response) zeigen
nun, dass Patienten, die unter Imatinib keine tiefe molekulare Remission aufwiesen,
durch einen Wechsel auf Nilotinib ihre Chancen erhöhen. Die 207 Patienten dieser Untersuchung
wiesen nach 2 Jahren Imatinib zwar eine komplette zytogenetische Remission auf, jedoch
war bei ihnen noch bcr-abl nachweisbar. Nachdem die Patienten entweder weiter auf
Imatinib (400 mg QD) oder Nilotinib (400 mg/BID) randomisiert worden waren, hatten
nach 2 Jahren signifikant mehr Patienten unter Nilotinib BCR-ABL-Freiheit erreicht:
22,1 % vs. 8,7 % (p = 0,0087). Das heißt, in 2 auf- einander folgenden Proben war
kein bcr-abl mehr gefunden worden. Diese tieferen molekularen Remissionen, die mit
Nilotinib häufiger erreicht werden als mit Imatinib, könnten damit mehr Patienten
ermöglichen, an Absetzstudien teilzunehmen [
2
].
Cervantes ergänzte, dass im Rahmen dieser Studie nur sehr wenig Patienten die Therapie
abgesetzt hätten. Dies würde seiner Einschätzung nach nicht nur mit der guten Effektivität
zusammenhängen, sondern auch mit der Tatsache, dass beide Substanzen sich als gut
verträglich erwiesen hätten und nach einem Jahr kaum noch Nebenwirkungen zu verzeichnen
waren. Der Hämatologe sagte abschließend: "Ich würde Nilotinib als die beste Therapieoption
in der Firstline-Therapie empfehlen, da die Patienten von einem früheren und tieferen
Ansprechen mit einem besseren Langzeitergebnis profitieren" [
2
].
Absetzstudien laufen an
Einig waren sich die Experten in Stockholm dahingehend, dass das tiefe und frühe Ansprechen
als wesentlicher Prädiktor eines der wichtigsten Therapieziele sein müsste. So empfehlen
auch die gerade aktualisierten ELN-Empfehlungen ein regelmäßiges molekulares Monitoring.
Monatlich und später alle 6 bzw. 12 Wochen sollte das Blut mittels quantitativer Real-Time
Polymerase-Kettenreaktion (RT-PCR) untersucht werden [
5
] (Tab. [
2
]). Prof. Delphine Rea, Paris, betonte: "Wie insbesondere die Ergebnisse aus den Nilotinib-Studien
zeigen, ist das Ziel der Heilung mittlerweile nicht mehr weit entfernt". Derzeit läuft
eine neue Generation von Studien an, in denen bei Patienten mit CML, die unter TKI
mindestens 2 Jahre lang in einer tiefen molekularen Remission waren, die Medikation
kontrolliert abgesetzt wird. Die Hoffnung dabei ist, dass ungefähr die Hälfte der
Patienten auch ohne Therapie langfristig krankheitsfrei bleibt. Diejenigen, bei denen
die BCR-ABL-Konzentrationen wieder ansteigen, scheinen auf die erneute Gabe der Tyrosinkinaseinhibitoren
wieder genauso anzusprechen wie vorher, erläuterte Rea [
4
], [
5
].
Tab. 2 Aktuelle ELN-Empfehlungen zur CML-Therapie (2013) [
5
].
Bettina Reich, Hamburg
Quelle: Novartis Satellitensymposium, Poster und Vorträge vom 18. Jahreskongress der
EHA im Juni 2013 in Stockholm.
Der Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von Novartis Pharma GmbH, Nürnberg.