Einleitung
Definition
Bei einer Knieluxation besteht ein kompletter Verlust der Gelenkflächen zwischen dem
Femur und
der Tibia. Dadurch resultiert eine multiligamentäre Knieverletzung.
Epidemiologie
Knieluxationen sind seltene, zumeist komplexe Verletzungen. Ursächlich sind meist
Hochrasanztraumen.
Aber auch bei Sportverletzungen oder einem Sturz kann es zu einer Knieluxation kommen.
Betroffen
sind häufig jüngere, männliche Patienten. In 5–17 % der Fälle liegt eine offene Verletzung
vor. Bei
14–44 % mehrfach verletzter Patienten kann eine Knieluxation vorhanden sein. In der
überwiegenden
Zahl der Fälle (40 %) kommt es zu einer vorderen Luxation durch Überstreckung des
Kniegelenks.
Hintere Luxationen kommen zu 33 %, mediale in 4 %, laterale in 18 % vor.
Klassifikation
Kennedy hatte bereits 1963 eine Klassifikation vorgeschlagen basierend nach der Luxationsrichtung
der
Tibia zum Femur. Schenck nahm eine Einteilung nach den anatomischen Strukturen der
verletzten Bänder
vor. Diese Klassifikation wird heutzutage mit Modifikationen von Wascher und Stannard
am häufigsten
angewendet ([Tab. 1]). Die aufsteigende römische Zahlenfolge beschreibt
die zunehmende Verletzungsschwere. Bei einer KD-I-Verletzung (KD = knee dislocation)
liegt eine
Ruptur eines Kreuzbands mit einer Seitenbandruptur vor. Bei einer KD-II-Verletzung
sind beide
Kreuzbänder gerissen. Eine KD-V-Verletzung stellt die schwerste Verletzungsform dar
mit Ruptur
beider Kreuzbänder, Seitenbänder und einer Gelenkfraktur. Wenn zusätzlich eine Gefäß-
oder
Nervenverletzung vorhanden ist wird der Buchstabe C (Gefäß) oder N (Nerv) dem Schweregrad
angefügt.
Tab. 1 Klassifikation Knieluxation nach Schenck mit Modifikationen von
Wascher und Stannard. Wenn zusätzlich eine Gefäß- oder Nervenverletzung vorliegt wird
der Buchstabe C (Gefäß) oder N (Nerv) dem Schweregrad angefügt.
Kniedislokation (Schweregrad)
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Beschreibung
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KD-I
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isolierte Kreuzbandruptur (VKB oder HKB) kombiniert mit einer
Seitenbandruptur
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KD-II
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Ruptur beider Kreuzbänder
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KD-III M
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Ruptur beider Kreuzbänder, Ruptur med. Seitenband
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KD-III L
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Ruptur beider Kreuzbänder, Ruptur lat. Seitenband/posterolat. Bandstrukturen
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KD-IV
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Ruptur beider Kreuzbänder, Ruptur med., lat. Seitenband/posterolat.
Bandstrukturen
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KD-V.1
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isolierte Kreuzbandruptur kombiniert mit Seitenbandruptur und Gelenkfraktur
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KD-V.2
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Ruptur beider Kreuzbänder kombiniert mit Gelenkfraktur
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KD-V.3 M
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Ruptur beider Kreuzbänder, med. Seitenbandruptur und Gelenkfraktur
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KD-V.3L
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Ruptur beider Kreuzbänder, Ruptur lat. Seitenband/posterolat. Bandstruktur,
Gelenkfraktur
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KD-V.4
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Ruptur beider Kreuzbänder, Ruptur med., lat. Seitenband/posterolat. Bandstr.,
Gelenkfraktur
|
Vielfach sind bei der Knieluxation posterolaterale Bandstrukturen betroffen. Levy
hat dafür ein
Klassifikationssystem aufgestellt, das nicht nur die verletzte Bandstruktur, sondern
auch deren
genaue Lokalisation beschreibt ([Tab. 2]).
Tab. 2 Klassifikation posterolaterale Bandstruktur nach Levy.
Klassifikation
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Beschreibung
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PLC = posterolaterale Ecke; PFL = popliteofibulares Band; FCL = laterales
Seitenband
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Typ I
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isolierte Bandruptur PLC mit Ruptur FCL, Popliteussehne oder PFL
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Typ II a
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kombinierte Bandruptur von PLC mit distaler Verletzung des FCL und M. biceps
femoris, mit entweder knöchernem Ausriss oder Fraktur des Fibulaköpfchens
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Typ II b
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kombinierte Bandruptur von PLC mit Verletzung des FCL und der Popliteussehne am
Femur proximal
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Typ III a
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Bandruptur PLC mit Kombination FCL (proximal, distal oder mittig), Popliteussehne
(proximal, mittig oder muskulotendinös), M. biceps femoris (distal,
muskulotendinös), posterolat. Kapsel, Tractus iliotibialis
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Typ III b
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wie Typ III a mit Ruptur eines oder beider Kreuzbänder
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Hauptteil
Klinische Untersuchung
Da eine Knieluxation häufig Folge eines Hochrasanztraumas ist, muss das initiale Patientenmanagement,
v. a. bei Mehrfachverletzungen, nach den ATLS-Kriterien durchgeführt werden. Die Inzidenz
einer
Knieluxation wird vielfach unterschätzt, da bei Eintreffen im Krankenhaus die Luxation
bereits
spontan reponiert sein kann.
Ein ausgeprägtes Hämatom, eine unklare Schwellung des Kniegelenks, ein Genu recurvatum
bei der
klinischen Untersuchung sind Hinweise für das Vorliegen einer möglichen stattgehabten
Knieluxation. Eine vergleichende Untersuchung des unverletzten Kniegelenks ist essenziell.
Nerven-, Gefäßverletzung
Nerven- und Gefäßverletzungen zählen zu den häufigsten Begleitverletzungen einer Knieluxation.
Die
Inzidenz von Verletzungen des N. peronaeus wird zwischen 14–25 % angegeben (Niall).
Bei Verletzungen
des hinteren Kreuzbands und der posterolateralen Bandstrukturen kann ein Schaden des
N. peronaeus in
bis zu 45 % der Fälle vorliegen. In 50 % der Fälle kann es im Verlauf zu einer Besserung
der
neurologischen Symptomatik kommen. Eine Nerventransplantation oder Sehnentransfers
sollten erst dann
in Betracht gezogen werden, wenn es nach einem halben Jahr nicht zu einer Besserung
der Symptomatik
gekommen ist.
Eine Gefäßverletzung muss frühzeitig erkannt und behandelt werden
Die kritische Zeit der Revaskularisierung nach arterieller Gefäßverletzung beträgt
6–8 Stunden.
Begleitende Gefäßverletzungen sind zwischen 7,5 und 14 % beschrieben worden (Boisrenoult).
Der
Gefäßstatus muss regelmäßig erfasst und dokumentiert werden (alle 4–6 Stunden/d).
Eine alleinige
Palpation des Pulses der A. dorsalis pedis oder der A. tibialis posterior ist dabei
nicht
ausreichend. Routinemäßig sollte der ABPI (Ankle Brachial Pressure Index) bestimmt werden. Es
handelt sich um eine nicht invasive Methode. Mittels Doppler-Untersuchung werden der
arterielle
Druck in Höhe des Sprunggelenks der verletzten Seite und der arterielle Druck in Höhe
des
Ellenbogengelenks derselben Seite gemessen. Der Wert vom Sprunggelenk wird durch den
Wert am
Ellenbogen dividiert. Ein ABI > 0,90 wird als normal angesehen. Mills hat in seiner
Studie
herausgefunden, dass bei ABI-Werten < 0,90 häufig eine Gefäßverletzung vorliegt und
gefäßchirurgische Eingriffe notwendig sind. Deshalb wird empfohlen, bei einem ABI-Wert
< 0,9 eine
weitere Diagnostik durchzuführen. Die Angiografie stellt die Standarduntersuchung
bei einer
Gefäßverletzung dar. Zunehmend findet als Alternative die CT-Angiografie Anwendung,
die weniger
invasiv ist, eine geringere Strahlenbelastung verursacht und eine hohe Sensitivität
und Spezifität
hat. Werden Gefäßverletzungen zu spät erkannt, kann dies möglicherweise zur Folge
haben, dass die
betroffene Extremität amputiert werden muss. Die Evaluation des Nerven- und Gefäßstatus
ist bei
einem mehrfach verletzten Patienten, der intubiert und beatmet ist, schwer möglich.
Bei klinischem
Verdacht muss aber schnellstmöglich eine weitere Diagnostik erfolgen. Nicandri hat
einen Algorithmus
für die Evaluation von Gefäßverletzungen aufgestellt ([Abb. 1]).
Abb. 1 Algorithmus zur Feststellung von Gefäßverletzungen nach Knieluxation.
Der Schweregrad eines geschlossenen oder offenen Weichteilschadens sollte ebenfalls
dokumentiert und
ein Kompartmentsyndrom ausgeschlossen werden. Die Stabilität der Kreuzbänder und Seitenbänder
sollte, wenn möglich, durch standardisierte Tests überprüft werden.
Röntgen, CT, NMR
Nach klinischer Untersuchung müssen Röntgenaufnahmen des Kniegelenks in 2 Ebenen angefertigt
werden.
Laterale Kantenabrisse am Tibiaplateau medial oder lateral am Tibiakopf können Hinweise
für das
Vorhandensein einer Knieluxation sein ([Abb. 2]). Zu empfehlen ist auch
eine Stabilitätsuntersuchung beider Kniegelenke unter Bildwandler. Ist im Röntgenbild
eine
intraartikuläre Fraktur sichtbar, soll eine Computertomografie ([Abb. 3])
durchgeführt werden. Wenn an den Röntgenaufnahmen keine Fraktur sichtbar ist, aber
klinisch der
Verdacht einer Knieluxation vorliegt, sollte frühestmöglich eine weitere Diagnostik
mittels
Kernspintomografie erfolgen ([Abb. 4]).
Abb. 2 a und b a Röntgen Knie a.–p. Vermehrte laterale Aufklappbarkeit als
Hinweis für eine stattgehabte Knieluxation. Fremdkörper (Handbremse). b Klinisches Bild
Fremdkörper.
Abb. 3 a und b a Röntgen Kniegelenk links. Tibiakopffraktur und hohe
Fibulafraktur als Hinweis für eine stattgehabte Knieluxation. b Korrespondierende
CT-Aufnahme frontal, Kniegelenk links.
Abb. 4 a und b NMR Kniegelenk links.
Vor einer geplanten operativen Therapie muss eine genaue Analyse der rupturierten
Strukturen erfolgen
und eine operative Strategie festgelegt werden.
Therapie
Die erfolgreiche Therapie der Knieluxation setzt eingehende Kenntnisse bei der Anatomie,
Biomechanik,
Funktion und Behandlung von Frakturen und Weichteilverletzungen voraus. Die Therapie
erfordert immer
ein individuelles Vorgehen. Verschiedene Faktoren müssen bei der Behandlung mit in
Betracht gezogen
werden. Dazu zählen patientenspezifische, verletzungsspezifische und chirurgische
Faktoren.
Patientenspezifische Faktoren sind das Alter, der präoperative Aktivitätslevel, Komorbiditäten,
Motivation und Erwartungen. Bei den verletzungsspezifischen Faktoren ist von Bedeutung,
ob es sich
um eine akute oder chronische Verletzung handelt, ob ein Hochrasanz- oder Niedrigrasanztrauma
vorliegt und ob es begleitende Meniskus- oder Knorpelschäden gibt. Knöcherne Ausrisse
oder
intraligamentäre Rupturen haben ein unterschiedliches Heilungspotenzial und sind genauso
zu
berücksichtigen wie das Ausmaß von präoperativ vorhandenen Fehlstellungen. Inwieweit
offene oder
arthroskopische Techniken angewendet werden, welches Transplantat verwendet wird,
wie das
postoperative Rehabilitationsprotokoll ist und welche Erfahrung bei der operativen
Behandlung
vorhanden ist, wird zu den chirurgischen Faktoren gezählt.
Konservative Therapie
Da Knieluxationen selten sind, gibt es kaum allgemein gültige Behandlungsempfehlungen.
Anhand der
Literatur hat sich aber schon gezeigt, dass eine konservative Therapie im Vergleich
zur
operativen Therapie zu schlechteren Ergebnissen führt. Deshalb sollte sie nur mehr
in
Ausnahmefällen durchgeführt werden. Sie ist bei mehrfach verletzten Patienten, Patienten
mit
schweren Kopfverletzungen, älteren Patienten, Patienten mit internistischen Nebenerkrankungen
und Patienten mit geringer Compliance in Erwägung zu ziehen.
Operative Therapie
Indikationen für eine notfallmäßige operative Versorgung sind eine offene Knieluxation,
eine
nicht reponierbare Luxation, Gefäßverletzungen und ein Kompartmentsyndrom.
Besteht eine offene Luxation, muss die Wunde ausgiebig debridiert werden. Eine Gefäßverletzung
wird entweder nach Darstellung des Risses direkt End zu End genäht oder durch ein
Interponat
versorgt. Nach Versorgung der Gefäßverletzung sollte eine prophylaktische Kompartment-Spaltung
durchgeführt werden. Bei Vorliegen eines großen offenen Weichteilschadens ist ggf.
die Anlage
eines Vakuumverbands notwendig. Bei der notfallmäßigen Versorgung sollte zur Stabilisierung
des
Kniegelenks ein Fixateur externe angebracht werden. Wenn möglich sollten die Schanz-Schrauben
dabei mindestens 10 cm oberhalb und unterhalb der Gelenklinie eingebracht werden,
um nicht mit
einem geplanten Bohrkanal bei der endgültigen Versorgung zu interferieren. Als Alternative
kann
eine dorsale Gipsschiene angelegt werden. Um eine posteriore Subluxation der Tibia
zu
verhindern, sollte das Kniegelenk in ca. 20° Beugung immobilisiert werden. Wenn es
nach einer
Reposition zu einer Redislokation kommt, sollte ebenfalls ein Fixateur angebracht
werden.
Bei der operativen Versorgung einer Knieluxation gibt es unterschiedliche Meinungen
bez. des
optimalen Operationszeitpunkts, der primären Naht der rupturierten Bandstrukturen
oder Ersatz
der Bandstrukturen, des geeigneten Transplantats, der operativen Technik und der
Nachbehandlung.
Operationszeitpunkt
Wenn eine frühzeitige operative Versorgung möglich ist, sollte diese innerhalb der
ersten 3
Wochen nach dem Unfall erfolgen. Bis zu diesem Zeitraum nimmt man an, dass verletzte
Strukturen
anatomisch gut identifizierbar sind und v. a. die Seitenbänder noch genäht werden
können.
Empfohlen wird die frühzeitige Versorgung, wenn neben den verletzten Bandstrukturen
ein
dislozierter Meniskusriss vorliegt, der eine Beweglichkeit verhindert. Ein operativ
zu
versorgender Kantenabriss am Tibiaplateau oder eine dislozierte Fraktur des Fibulaköpfchens
sollten ebenfalls frühzeitig operiert werden. Ergebnisse in der Literatur zeigen bessere
Ergebnisse nach frühzeitiger Versorgung im Vergleich zu „verspäteter“ Versorgung.
Eine
eindeutige Evidenz liegt aber nicht vor. Wenn aber eine ausgeprägte Weichteilverletzung
oder
Schwellung vorliegt, eine Gefäßrekonstruktion erfolgte, Frakturen osteosynthetisch
stabilisiert
wurden oder mehrere Verletzungen vorliegen, können die verletzten Bandstrukturen meistens
erst
nach Wochen operativ versorgt werden.
OP-Technik
Vor dem operativen Eingriff muss eine operative Strategie festgelegt werden.
Es ist zu empfehlen, in Narkose die Bandstabilität unter Bildwandlerkontrolle zu
untersuchen.
Gegebenenfalls muss danach das operative Vorgehen modifiziert werden. Bei der operativen
Versorgung sollten prinzipiell die Strukturen, welche die Instabilität verursachen,
anatomiegerecht und so isometrisch wie möglich rekonstruiert werden. Die verletzten
Bandstrukturen werden meistens über verschiedene Zugänge dargestellt und versorgt.
In der
operativen Versorgung einer Knieluxation haben minimalinvasive Zugänge keine große
Bedeutung.
Die Zugänge sollten aber schon so geplant werden, dass notwendige spätere Eingriffe
über
denselben Zugang durchgeführt werden können. Zur Therapie von Kreuzbandverletzungen
kann auch
eine frühzeitige arthroskopische Rekonstruktion in Erwägung gezogen werden. Diese
sollte
frühestens eine Woche nach dem initialen Trauma erfolgen, damit der Flüssigkeitsaustritt
während
der Arthroskopie in die umgebenden Weichteile minimiert wird.
Die spontane Heilung von Rupturen des medialen Seitenbands ist bekannt. Mediale Bandstrukturen
müssen genäht oder refixiert werden, wenn diese grob zerrissen, knöchern ausgerissen
sind oder
eine sog. Stener-Läsion vorliegt. Bei der Stener-Läsion ist der distale Anteil des
medialen
Seitenbands über den Pes anserinus umgeschlagen. Dadurch kann es nicht zu einer Heilung
des
Bandes kommen. Knöcherne Ausrisse müssen refixiert werden. Bei chronischer vermehrter
medialer
Aufklappbarkeit ist eine Ersatzplastik mit autologem Sehnengewebe durchzuführen.
Intensiv wird heutzutage diskutiert, ob v. a. die lateralen Bandstrukturen genäht
oder ersetzt
werden sollen. Die ligamentären Strukturen der Knieaußenseite zeigen eine hohe
Retraktionsneigung, was zur ungünstigen spontanen Heilung im Vergleich zur medialen
Seite führt.
Daher wird eine primäre operative Versorgung der lateralen Bandverletzungen empfohlen.
Nach
Studienlage zeigt aber die Naht der posterolateralen Bandstrukturen eine höhere Versagensrate
im
Vergleich zum Ersatz. Für die Ersatzplastik werden meistens autologe ortsständige
Sehnentransplantate von der verletzten Seite oder von der unverletzten Gegenseite
verwendet. Zum
Ersatz der Bandstrukturen werden häufig die Semitendinosus- und Gracilissehne genommen.
Es sind
verschiedenste operative Techniken beschrieben worden. Sehr häufig werden die sog.
Larsen- oder
La-Prade-Technik angewendet. Bei der Technik nach Larsen wird das laterale Seitenband
mit einer
autologen Sehne rekonstruiert. In der Technik nach La Prade wird zusätzlich die Popliteussehne
ersetzt.
Bezüglich der Versorgung der Kreuzbandrupturen gibt es auch noch keine allgemeingültigen
Empfehlungen. Von manchen Autoren wird ein 2-zeitiges Vorgehen empfohlen. Dabei erfolgt
zunächst
die Rekonstruktion des hinteren Kreuzbands und der Seitenbänder. Erst im weiteren
Verlauf wird
das vordere Kreuzband ersetzt. Es ist aber durchaus möglich, beide Kreuzbänder im
Rahmen eines
operativen Eingriffs zu versorgen. Knöcherne Ausrisse werden entweder mit Schrauben
oder Fäden
transossär refixiert. Eine direkte Naht der Kreuzbandstümpfe ist kaum möglich, da
zumeist die
Bänder vollständig zerrissen sind.
Aufgrund der Verletzungsschwere ist häufig mit Komplikationen zu rechnen. Allgemeine
Komplikationen sind u. a. Wundheilungsstörungen, Infektionen, Thrombosen, Embolien,
Blutungen,
neurologische Probleme, Schmerzen etc. Die Hauptprobleme nach operativer Versorgung
sind die
Ausbildung einer Bewegungseinschränkung im Sinne einer Arthrofibrose und das Versagen
der Naht
oder des Bandersatzes. Bei einer Vielzahl der Fälle entwickelt sich im Verlauf eine
posttraumatische Arthrose. Die Komplexizität der Verletzung macht es schwierig, eine
langfristige Prognose abzugeben.
Nachbehandlung
Die Rehabilitation ist ein wichtiger Aspekt in der Behandlung der Knieluxation. Die
Schwierigkeit
liegt u. a. daran, eine Balance zwischen einer Immobilisation, um die Heilung zu fördern,
und
frühzeitiger Mobilisation, um die Einsteifung zu verhindern, zu haben. Die Rehabilitation
muss
die Art der Verletzung und deren operative Versorgung berücksichtigen. Frühzeitige,
intensive
krankengymnastische Übungsbehandlungen sollen vermieden werden. Die Hauptziele sind
eine volle
Streckung zu erlangen, die Quadrizepsfunktion zu maximieren und der „Schutz“ der operierten
Strukturen. Bei Rekonstruktion des hinteren Kreuzbands darf das Kniegelenk nicht hyperextendiert
werden und Übungen in offener Kette sollen vermieden werden. Das Tragen eines Kniebraces
mit
Bewegungslimitierung wird von vielen Autoren empfohlen. Der Patient soll das operierte
Kniegelenk für 6 Wochen teilbelasten. Danach soll eine Belastungssteigerung und Zunahme
des
Bewegungsausmaßes erfolgen.
Ergebnisse
Da eine Knieluxation eine seltene Verletzung darstellt, gibt es nur wenige Ergebnisse.
Engebretsen et al. haben 85 Patienten nach einer Knieluxation (Schenck II–IV) nachuntersucht.
Nach durchschnittlich 2 Jahren Nachuntersuchung hatten die meisten Patienten ein gutes
klinisches Ergebnis. Bei mehr als zwei Dritteln der Patienten wurden Zeichen einer
Kniearthrose
festgestellt. Die Kniefunktion war bei Patienten nach einem Hochrasanztrauma schlechter
im
Vergleich zum Niedrigrasanztrauma. Der Operationszeitpunkt spielte keine Rolle.
Mook et al. haben in ihrer Übersichtsarbeit den operativen Zeitpunkt und die postoperative
Nachbehandlung nach akuter, späterer oder 2-zeitiger Versorgung untersucht. Eingeschlossen
waren
Verletzungen vom Typ KD III M, KD III L und KD IV. Die akute operative Versorgung
führt zu einer
vermehrten vorderen Instabilität. Des Weiteren besteht nach akuter Versorgung eine
Beugungseinschränkung im Vergleich zu späterer Versorgung. Eine Immobilisierung nach
akuter
Versorgung führt im Verlauf zu einer erhöhten hinteren Instabilität und Varus- sowie
Valguslaxizität. Dies bekräftigt, dass eine frühe Mobilisierung mit ein Faktor für
die
Stabilität ist. Nach seinen Ergebnissen resultierte eine mehrzeitige Versorgung im
besten
subjektiven Outcome.
Die Ergebnisse sind immer mit Einschränkungen zu betrachten. Aufgrund geringer Patientenzahlen,
heterogenem Verletzungsmuster, verschiedener operativer Techniken, inkonsistenten
Rehabilitationsprotokollen, nicht geeigneter Kniescores, die das Ergebnis nach Versorgung
einer
Knieluxation gut erfassen, fehlender Kontrollgruppen oder Langzeitergebnissen sind
allgemein
gültige Behandlungsempfehlungen kaum zu geben. Dadurch sind evidenzbasierte Empfehlungen
nicht
möglich.
Knieluxationen stellen ein schwieriges klinisches Problem dar. Da noch eine Vielzahl
von
Unklarheiten bestehen, sind prospektive Multicenterstudien notwendig. Von der AGA
Trauma ist
derzeit solch eine Studie initiiert worden.