Der Internationale Hebammenverband (ICM) und der Internationale Verband für Gynäkologie
und Geburtshilfe
(FIGO) engagieren sich seit Langem gemeinsam für die Wahrung des grundlegenden Menschenrechts
von Frauen
auf Gesundheit; zur Reduzierung der weltweiten Inzidenz von Müttersterblichkeit und
Morbidität und unter
Nutzung von evidenzbasierten Interventionen zur Erreichung dieses Ziels.
Diese Erklärung spiegelt die neueste (2012) Evidenzbasis hinsichtlich der Nutzung
von Misoprostol zur
Behandlung von Blutungen nach der Entbindung (PPH) in ressourcenarmen Gebieten wider,
wo intravenöses
Oxytocin, der sogenannte goldene Standard für die Behandlung von PPH, nicht erhältlich
ist.
Hintergrund
Blutungen nach der Entbindung sind die häufigste Ursache für Müttersterblichkeit und
Morbidität, aber die
meisten Fälle von PPH können bei nahezu allen Umständen, unter denen Frauen entbinden,
wirksam verhütet
und behandelt werden.
Die Investition in verbesserte Geburtshilfe und Hebammenleistungen bleibt von entscheidender
Bedeutung
für die Reduzierung von Müttersterblichkeit und Morbidität. Um den Bedürfnissen der
Bevölkerungsgruppen,
die der größten Unterversorgung ausgesetzt sind, gerecht zu werden, muss der Zugang
zu lebensrettenden
Maßnahmen in Gemeinden priorisiert werden.
Aktives Management der 3. Wehenphase kann durch die Verabreichung eines Uterotonikums
den Blutverlust
verringern und die Inzidenz von PPH reduzieren. Trotzdem kommt es bei 6–16 % der Frauen,
die eine
uterotonische Prophylaxe erhalten [1], dennoch zu Blutungen nach der
Entbindung, die sofortige Maßnahmen erfordern.
Wenn PPH dort auftritt, wo die Verwendung von 40 IU i.v. Oxytocin, dem sogenannten
goldenen Standard für
die Behandlung von PPH, nicht möglich ist (z. B. mangelt es an ausgebildeten Geburtshelfern
oder
Kühlung), kann 800 µg sublinguales Misoprostol, ein sicheres und wirksames Medikament
mit wenigen
Gegenanzeigen oder Nebenwirkungen, gegeben werden, um den Blutverlust unter Kontrolle
zu bringen.
FIGO und ICM haben sich selbst verpflichtet, verstärkten Zugang zu Misoprostol für
die Behandlung von
Blutungen nach der Entbindung Realität werden zu lassen, insbesondere in ressourcenarmen
Gebieten, wo
i.v. Oxytocin weitgehend nicht erhältlich oder nicht möglich ist ([Tab. 1]).
Tab. 1 Empfehlungen für die Behandlung von PPH, wenn 40 IU intravenöses Oxytocin
nicht sofort erhältlich ist [2].
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Dosierung
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Einzeldosis von Misoprostol 800 µg sublingual ist angezeigt für Behandlung von
PPH, wenn 40 IU i.v. Infusion Oxytocin nicht sofort erhältlich ist (unabhängig von
den prophylaktischen Maßnahmen).
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Behandlungsverlauf
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Sobald PPH diagnostiziert wurde, muss das Medikament sofort verabreicht werden.
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wiederholte oder aufeinander folgende Dosen
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Da die bekannten Nebenwirkungen von Misoprostol offenbar von der Dosis abhängig sind,
können wiederholte oder aufeinander folgende Dosen von Misoprostol die
Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Nebenwirkungen erhöhen. Falls Oxytocin
bereits für die Behandlung von PPH gegeben wird, gibt es Hinweise darauf, dass der
zusätzliche (gleichzeitige) Gebrauch von Misoprostol keinen zusätzlichen Nutzen
hat. Es gibt nur unzureichende Informationen über die Wirkung von 2 oder
mehreren aufeinander folgenden Dosen von Misoprostol für die Behandlung von PPH.
Aufgrund der fehlenden Informationen werden wiederholte Dosen von Misoprostol für
die Behandlung von PPH nicht empfohlen. Andere Behandlungsmöglichkeiten, wie
bimanueller Druck oder aortaler Druck, sollten erwogen werden, wenn sich eine Dosis
als nicht wirksam erwiesen hat.
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Gegenanzeigen
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Allergieanamnese gegen Misoprostol oder andere Prostaglandine
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Vorsichtsmaßnahmen
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Vorsicht wird empfohlen in Fällen, wo die Frau eventuell bereits Misoprostol
als Prophylaxe zur Vorbeugung gegen PPH erhalten hat, falls eine erste Dosis
von Misoprostol mit Pyrexie oder ausgeprägtem Schüttelfrost in Zusammenhang
gebracht wurde.
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Nach der Gabe von Uterotonika sollte die Notwendigkeit anderer Schritte zum
Aufhören der Blutung erkundet werden, und andere Ursachen für PPH als
uterine Atonie sollten berücksichtigt werden.
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Kleine Mengen von Misoprostol oder seines aktiven Metaboliten können in
Muttermilch vorkommen, aber es gibt keine Berichte über negative Wirkungen
auf das Stillen von Säuglingen.
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Wirkungen und Nebenwirkungen
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Anhaltende oder ernsthafte Wirkungen und Nebenwirkungen sind selten. Die
häufigsten bekannten Nebenwirkungen, die mit Misoprostol in Verbindung gebracht
werden, sind:
Fieber/Schüttelfrost: Schüttelfrost, Frösteln und/oder
Fieber werden mit dem Gebrauch von Misoprostol in Verbindung gebracht. Über
Schüttelfrost wurde bei 37–47 % von Frauen nach der Verabreichung von 800 µg
sublingualem Misoprostol berichtet, über Fieber bei 22–44 % und Hyperpyrexie
(> 40 °C) bei 1–14 %. Diese Nebenwirkungen sind vorübergehend und nicht
lebensbedrohlich und können durch den Gebrauch von Antipyretika und Abkühlen des
Körpers behandelt werden.
Wirkungen auf Magen und Darm: Übelkeit tritt
bei 10–15 % der Frauen auf, denen 800 µg sublinguales Misoprostol verabreicht wurde,
und Erbrechen bei etwa 5 %. Beides sollte sich innerhalb von 2 bis 6 Stunden gelegt
haben. Ein Antiemetikum kann nach Bedarf verabreicht werden, aber im Allgemeinen
muss nichts außer dem Beruhigen der Frau und ihrer Familie unternommen
werden. Diarrhö kann ebenfalls bei etwa 1 % der Frauen vorkommen, aber sollte
sich innerhalb eines Tages gelegt haben.
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Nutzen von Misoprostol für die Behandlung von Blutungen nach der Entbindung in ressourcenarmen
Gebieten
Sicher, effektiv, leicht zu verabreichen, vorübergehende Nebenwirkungen, kosteneffizient,
gut
erhältlich und stabil bei Zimmertemperatur.
Bietet eine sichere und effektive Option für die Behandlung von PPH, wo i.v. Oxytocin
derzeit nicht
erhältlich und/oder möglich ist.
Aufruf zum Handeln
Als zwei führende internationale Vereinigungen von Fachkräften im Gesundheitswesen
nehmen ICM und FIGO
eine Schlüsselrolle ein, dafür zu sorgen, dass für Frauen Misoprostol erhältlich ist,
insbesondere für
Frauen, die besonders gefährdet sind hinsichtlich Sterblichkeit und Mortalität während
der Geburt
aufgrund eines Mangels an ausgebildeten Geburtshelfern und eines mangelnden Zugangs
zu Oxytocin.
Daher werden nationale Geburtshilfe- und Hebammenverbände, insbesondere in Ländern,
in denen der
allgemeine Zugang zu Oxytocin unzuverlässig ist, aufgefordert, die folgenden wichtigen
Maßnahmen zu
ergreifen:
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Befürworten der Aufnahme dieser internationalen Empfehlungen für den Einsatz von Misoprostol
in
ressourcenarmen Gebieten zur Behandlung von PPH in die nationalen klinischen Richtlinien
und
somit Verbesserung der Gesundheitsleistungen und Ansätze für Mütter.
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Ergänzung der nationalen Richtlinien durch die Organisation von interaktiven Bildungs-
und
Fortbildungsprogrammen für Fachkräfte im Gesundheitswesen unter Verwendung von Simulationen
von
PPH-Behandlungen, wo möglich. Die Programme sollten Schulungen zur Physiologie der
3. Wehenphase
und zum Management von PPH mit beinhalten, basierend auf visuellen Einschätzungen
des
Blutverlusts und klinischen Symptomen.
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Erbringer von Gesundheitsleistungen in den Stand versetzen, die Physiologie normaler
Wehen und
der Geburt zu verstehen und zusätzliche lebensrettende Maßnahmen wie bimanuellen Druck
auf den
Uterus und aortalen Druck, falls die Blutungen nach der Gabe von Uterotonika andauern,
durchführen zu können [3].
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Zusammenarbeit mit den wichtigsten Beteiligten für den Einsatz, für die erhöhte Verfügbarkeit,
Bezahlbarkeit und Zugänglichkeit von qualifizierter Pflege und wesentlichen lebensrettenden
Stoffen, einschließlich Uterotonika, für alle Frauen bei der Geburt.
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Förderung eines Ansatzes der Aufgabenteilung zur Verbesserung lebensrettender Pflege
sowie
Herausforderung rechtlicher und politischer Barrieren, die den Zugang zu solcher Pflege
begrenzen, durch Sicherstellung von entsprechend im Bereich Geburtshilfe qualifizierten
Arbeitskräften, die befähigt sind, Uterotonika zu verabreichen, und partnerschaftliche
Zusammenarbeit mit anderen Fachkräften im Gesundheitswesen innerhalb des Bereichs
Geburtshilfe.
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Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Sensibilisierung der
Gemeinschaften
hinsichtlich der Bedeutung des Zugangs zu vorgeburtlicher Betreuung und ausgebildeten
Geburtshelfern bei allen Geburten [4].
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Einsatz für eine höhere Anzahl von Hebammen und für die Mobilisierung von Ressourcen
zur
Identifizierung und Umsetzung innovativer Strategien, damit die Geburt sicherer für
Frauen ist,
insbesondere der Frauen, die am stärksten unterversorgt sind.