Am 16. Januar 1964 führen Charles T. Dotter und sein Schüler Melvin P. Judkins die
1. minimal-invasive Behandlung einer Gefäßverengung durch und begründen damit die
interventionelle Radiologie. Diese 1. perkutane transluminale Angioplastie (PTA) einer
femoralen arteriellen Stenose markiert dabei eine neue Ära in der Behandlung von peripheren
arteriosklerotischen Läsionen. Sie bildete gleichsam die Grundlage für alle weiteren
perkutanen Interventionen sowohl der peripheren als auch der koronaren Arterien.
Charles Dotter (1920–1985)
Charles Dotter (1920–1985)
Charles Dotter wurde am 14. Juni 1920 in Boston, Massachusetts, USA geboren. Er erhielt
1941 einen Bachelor of Arts von der Duke University und studierte anschließend Medizin
an der Cornell University, Ithaca, New York. Im Alter von 30 Jahren wurde er Mitglied
der Fakultät an der Cornell Medical School. Zwei Jahre später erhielt Dotter einen
Ruf zum Professor und Direktor des Instituts für Radiologie an der Medical School
der Oregon Health & Science University, Portland, Oregon. In seiner über 32-jährigen
Dienstzeit in Oregon entwickelte Dotter mit der interventionellen Radiologie eine
vollkommen neue medizinische Fachdisziplin. In seinen über 300 Publikationen zu unterschiedlichen
medizinischen Themen unterstrich er dabei den Nimbus eines Universalgelehrten. Privat
interessierte er sich für die Fliegerei, das Bergsteigen, klassische Musik, Malerei
und Fotografie. Für seine Arbeit wurde Dotter mit zahlreichen Auszeichnungen und Ehrenmitgliedschaften
ausgezeichnet. Er erhielt die Goldmedaillen des American College of Radiology, der
Radiological Society of North America, der Chicago Medical Society and der Chicago
Radiological Society. Im Jahr 1978 wurde er von der Redaktion des Year Book of Medical
Publishers für den Nobelpreis in Medizin vorgeschlagen. Dotter war eine extravagante
Persönlichkeit. Aufgrund seiner teilweise radikalen Ideen und seiner Vorliebe für
öffentliche Selbstdarstellungen erhielt er von seinen Kollegen den Spitznamen „Crazy
Charlie“. Charles Dotter starb im Alter von 64 Jahren am 1. Februar 1985 in Portland
an Krebs. Fünf Jahre nach seinem Tod wurde zu seinen Ehren an der Oregon Health &
Science University das Dotter Interventional Institute gegründet.
Abb. 1 Charles T. Dotter (1920-1985) (Mit freundlicher Genehmigung des Dotter Interventional
Institute, Oregon Health & Science University, Medical School)
Abb. 2 Das Oregon Triumvirat: Charles Dotter, Jan Bastecky und Josef Rösch (Mit freundlicher
Genehmigung Dotter Interventional Institute, Oregon Health & Science University, Medical
School)
Der 1. Fall einer perkutanen transluminalen Angioplastie
Der 1. Fall einer perkutanen transluminalen Angioplastie
Nachdem Dotter 1963 bei einer Aortografie einer Nierenarterienstenose bei einem Patienten
versehentlich die Rekanalisierung einer blockierten rechten Beckenarterie mit Erfolg
durchführte, erkannte er sofort die hiermit einhergehenden neunen therapeutischen
Möglichkeiten. Auf der Jahrestagung der Purkinje-Gesellschafft in Prag stellte er
am 10. Juni 1963 seine neuen Ideen über „Gefäßkatheter und Angiographie-Techniken
der Zukunft“ vor. Am 16. Januar 1964 wagte er sich dann gemeinsam mit seinem Schüler
Melvin P. Judkins (1922–1985) bei einer 83 Jahre alten Patientin die 1. PTA durchzuführen.
Seine Patientin Laura Shaw wurde ins University of Oregon Hospital mit einem schmerzhaften
linken Fuß eingeliefert. Ein nichtheilender Ulkus, ein fortgeschrittenes Gangrän und
der generell schlechte Allgemeinzustand der Patientin kontraindizierten eine rekonstruktive
Chirurgie. Der schlechte Befund einer Run-off-Angiografie bestätigte die Empfehlung
der Amputation, die aber von der Patientin abgelehnt wurde. Dotter erkannte nach diagnostischer
Angiografie eine kurze segmentale Stenose der Arteria femoralis superficialis. Ein
Befund, der ihm in idealer Weise die Möglichkeit gab, sein Methode der perkutanen
Dilatation zu testen. Zur Weitung der Stenose benutzte er ein koaxiales Kathetersystem
bestehend aus sich verjüngenden 8 und 12 French-Teflonkathetern. Die Dilatation gelang
und nach wenigen Minuten war der Fuß warm und hyperämisch. Die Schmerzen verschwanden
nach einer Woche. Follow-up Angiogramme und Druckmessungen 4 Wochen nach der Angioplastie
zeigten ein weit geöffnetes Gefäß mit guter distaler Perfusion. Das Gangrän heilte.
Die Patientin lebte für weitere zweieinhalb Jahre ohne eine signifikante Ischämie
und starb an einer koronaren Herzerkrankung.
Abb. 3 Laura Shaws linker Fuß vor und nach Dilatation (Mit freundlicher Genehmigung Dotter
Interventional Institute, Oregon Health & Science University, Medical School)
Ein voller Erfolg für Charles Dotter und sein Team. Während man jedoch in den USA
dem neuen Verfahren eher noch mit Skepsis begegnete sprachen die europäischen Radiologen
in Anlehnung an „das Röntgen“ bereits begeistert vom „Dottering“ der Patienten. Dotter
folgte unbeirrbar seinem Weg, beruflich wie auch privat. Gleich 2-mal erkrankte er
am Hodgkin-Lymphom und musste er sich wegen verengter Herzkranzgefäße einer Bypass-Operation
unterziehen. Dies konnte ihn aber nicht davon abhalten, alle Viertausender Berge Nordamerikas
zu besteigen. Nach erfolgreicher 1. Strahlentherapie belohnte er sich mit der Besteigung
des Matterhorns.
Weitere Entwicklungen
In den USA wurden außerhalb von Dotters Klinik in den 1970er Jahren nur wenige Angioplastien
durchgeführt. Anders war die Situation in Europa. Bis 1977 konnten rund 1.800 Fälle
aus 10–12 Instituten dokumentiert werden, davon stammten lediglich 322 Fälle aus Dotters
Klinik. In Deutschland wurden Dotters Ideen vor allem von Eberhard Zeitler (1930–2011)
aufgegriffen und weiterentwickelt. Als Chefarzt an die Aggertalklinik für Gefäßkrankheiten
der LVA in Engelskirchen bei Köln widmete er sich seit 1967 dem Schwerpunkt der Diagnostik
und Behandlung von Gefäßerkrankungen. Nach einem Besuch bei Dotter in Portland führte
Zeitler die 1. PTA Deutschlands 1968 in Engelskirchen durch. 1977 organisierte Zeitler
das 1. Internationale Angioplastie-Symposium mit nicht mehr als 40 Teilnehmern in
Nürnberg. Es ist seinem besonderen Engagement zu verdanken, dass sich die neue Methode
Zug um Zug in der gesamten radiologischen Fachwelt etablierte.
Eberhard Zeitler und Charles Dotter diskutieren 1975 Angioplastie-Techniken bei einem
Symposium in Köln. (Archiv Deutsches Röntgen-Museum)
Am Institut für kardiovaskuläre Diagnostik der Charité in Berlin wurde das neue Verfahren
durch Werner Porstmann (1921–1982) ebenfalls sehr früh angewandt. 1973 entwickelte
Porstmann den 1. Ballonkatheter (Korsett-Katheter), der sich allerdings wegen einer
erhöhten Thrombogenität nicht durchsetzen konnte. Erst die Einführung neuer Ballondilatationskatheter
durch den gebürtigen Dresdener Radiologen Andreas Grüntzig (1939–1985) trug zur weiteren
Entwicklung der Dotter-Methode bei. Am 16. September 1977 führte Grüntzig erstmals
eine erfolgreiche Ballondilatation zur Aufdehnung verengter Herzkranzgefäße (PTCA)
in Zürich durch.
Nach der Dilatation von Nierenarterienstenosen durch den Berner Radiologen Felix Mahler
und der im Januar 1988 erfolgreich durchgeführten 1. Implantation eines von Julio
Palmaz entwickelten Stents an einem Patienten mit Leberzirrhose und portaler Hypertension
in der Radiologie des UKL in Freiburg, hat die interventionelle Angioplastie einen
vollkommen neuen Stellenwert erhalten.
Ausblick
Dotters große Hoffnung, dass seine Methode der Kathetertherapie in vielen Fällen die
chirurgische Therapie ersetzten könnte, hat sich in den letzten 2 Dekaden voll und
ganz erfüllt. Innere Medizin, Kardiologie, Herz-Thorax-Chirurgie, Radiologie, Gastroenterologie
, Nephrologie, Neurologie, Neurochirurgie und die gynäkologischen Chirurgie vertrauen
auf die von ihm entwickelten interventionellen Techniken.
Dr. Uwe Busch, Deutsches Röntgen-Museum, Remscheid