Einführung
Die Durchführung und die Befundung einer radiologischen Untersuchungsleistung sind
Aufgaben des Radiologen. Für die Ordnungsgemäßheit dieser einheitlichen Leistung ist
der Radiologe verantwortlich. Der behandelnde Arzt darf sich daher auf die Ordnungsgemäßheit
der radiologischen Leistung in der Regel verlassen.
Das OLG München hat in einem Urteil vom 22.08.2013 (Az.: 1 U 204/12) in Bezug auf
MRT-Leistungen entschieden, dass der behandelnde Orthopäde sich auf den schriftlichen
Befund des Radiologen zu einer von diesem gefertigten MRT-Aufnahme verlassen darf
und den Befund (hier: Teilabriss der Quadrizepssehne) nur dann hinterfragen und in
geeigneter Weise verifizieren lassen muss, wenn sich dieser mit den von ihm erhobenen
klinischen Befunden nicht oder nur erheblich eingeschränkt vereinbaren lässt.
Sachverhalt
Ein 56-jähriger Patient war in seiner Wohnung gestürzt und hatte sich am Knie verletzt.
In einer orthopädischen Praxis, wurde er von einem angestellten Orthopäden untersucht
und geröntgt. Zusätzlich empfahl der Orthopäde die Durchführung einer MRT-Untersuchung.
Diese Untersuchung lies der Patient bei einem Facharzt für diagnostische Radiologie
durchführen, der in seiner schriftlichen Beurteilung ausführte: „Distension und Anriss
des medialen Kollateralbandes, sowie der Quadrizepssehne“. Diese Beurteilung und die
MRT-Aufnahmen nahm der Patient wieder mit in die orthopädische Praxis.
Unstreitig wäre vorliegend, entgegen der Beurteilung des Radiologen, bei fachgerechter
Beurteilung der MRT-Aufnahme ein Komplettabriss der Quadrizepssehne zu erkennen gewesen,
der zwingend operativ zu behandeln war. In der orthopädischen Praxis verließ sich
jedoch der Praxisinhaber auf die Beurteilung des Radiologen ohne sich die MRT-Ausdrucke
anzusehen. Es folgte eine konservative Behandlung. Erst bei einer aus anderen Gründen
gefertigten weiteren MRT-Untersuchung, als der Kläger schon nicht mehr Patient der
orthopädischen Praxis war, wurde nun der Komplettabriss sichtbar.
Durch das Sachverständigengutachten im Berufungsverfahren vor dem OLG München wurde
das Vorliegen des Komplettabrisses bestätigt. Der klagende Patient vertrat die Auffassung,
dass der Orthopäde sich nicht auf den Befund des Radiologen hätte verlassen dürfen.
Der Orthopäde sei verpflichtet gewesen, die mitgebrachten MRT-Aufnahmen selbst zu
betrachten und eine Befundauswertung vorzunehmen. Dann hätte er nämlich erkannt, dass
ein Komplettabriss vorgelegen hätte, der einer unverzüglichen Operation bedurfte.
Durch diesen Fehler habe der Patient nun ein schadhaftes Knie.
Gericht sieht Verantwortung beim Radiologen
Gericht sieht Verantwortung beim Radiologen
Das Gericht wies die Klage des Patienten gegen den Orthopäden ab. Es begründete dies
damit, dass sich der Orthopäde auf den schriftlichen Befund des Radiologen verlassen
durfte. Daher musste er dem Patienten nicht zu einer Operation raten.
Dieses Ergebnis begründete das OLG München damit, dass es mittlerweile eine „Vielzahl
von Spezialisierungen in Form der diversen Facharztrichtungen“ gebe. Ein Arzt könne
schon lange nicht mehr „das gesamte medizinische Wissen überblicken, geschweige denn
beherrschen und anwenden.“ Im Rahmen dieser Arbeitsteilung, müsse sich ein Arzt auf
die Feststellungen und Befunde eines Spezialisten, zu dem er überwiesen habe, verlassen
können. Dies entspricht auch der ständigen BGH-Rechtsprechung.
Das Gericht sieht die Grundsätze des arbeitsteiligen Handelns im Arzthaftungsrecht
ausdrücklich im Verhältnis von Orthopäden und Radiologen gegeben. Der Orthopäde könne
und dürfe sich im Sinne der horizontalen ärztlichen Arbeitsteilung auf die Arbeitsergebnisse
anderer Ärzte (hier des Radiologen) aus deren Facharztgebiet verlassen. Die Entscheidungskompetenz
des behandelnden Facharztes über die einzuschlagende Therapie liegt vielmehr gerade
in der Natur der Arbeitsteilung zwischen diagnostischer Radiologie und dem Fachgebiet,
in das der vom Radiologen festgestellte Befund fällt.
Bedeutung der Zusatzweiterbildung „Magnetresonanztherapie – fachgebunden“
Bedeutung der Zusatzweiterbildung „Magnetresonanztherapie – fachgebunden“
Ein Facharzt für Radiologe verfüge im Gegensatz zu einem Facharzt für Orthopädie auch
über die Kompetenz, Befunde im Bereich der MRT zu erstellen. Diese mangelnde Kompetenz
des Orthopäden sieht das OLG München aus zwei Gründen als gegeben an. Zum einen sei
das MRT noch kein flächendeckend eingesetztes Verfahren gewesen, als dem beklagten
Orthopäden seine Facharztbezeichnung verliehen worden sei.
Insbesondere aber zeige die Weiterbildungsordnung, dass sich ein Orthopäde in diesem
Bereich auch nicht fortzubilden brauche. Diese Fortbildung sei nur im Falle einer
zweijährigen Zusatzweiterbildung „Magnetresonanztherapie – fachgebunden“ gegeben.
Nur mit dieser Ausbildung könne der Orthopäde die Befundung von MRT-Bildern abrechnen.
Tätigkeiten aus einem anderen Fachgebiet, die nicht vergütet werden dürfen, könnten
jedoch von einem Facharzt nicht verlangt werden.
Das Gericht stellt fest, dass zwar eine Vielzahl jüngerer Fachärzte für sich in Anspruch
nehmen würde, MRT-Aufnahmen, jedenfalls auf ihrem Spezialgebiet, auch ohne zertifizierte
Zusatzqualifikation kompetent auswerten zu können. Dies ändere jedoch nichts daran,
dass das ärztliche Berufsrecht eine derartige Fertigkeit dem Facharzt für Orthopädie
nach wie vor nicht abverlange. Im Übrigen vertrage sich der Anspruch von Nichtradiologen,
MRT-Aufnahmen letztlich auf facharzt- oder facharztnahem Niveau auswerten zu können,
nicht so ohne weiteres damit, dass der Facharzt für radiologische Diagnostik rechtlich
und tatsächlich institutionalisiert ist.
Damit weist das Gericht die fachliche Kompetenz zur Durchführung und Befundung von
MRT-Leistungen primär dem Fachgebiet der Radiologie zu, so dass dem Radiologen auch
die Hauptverantwortung für die vollständige und qualitätsgesicherte Erbringung dieser
Leistungen zufällt. Nur für den Fall, dass der Orthopäde selbst über die Zusatzweiterbildung
„Magnetresonanztherapie – fachgebunden“ verfügt, ist dieser auch fachlich in der Lage
diese Leistung zu erbringen.
Damit erlangt die Zusatzweiterbildung im Bereich der MRT eine zentrale Bedeutung für
die Fachgebiete, die diese Methode im Rahmen ihrer Facharztausbildung nicht erlernt
haben. MRT-Leistungen gehören damit weiterhin grundsätzlich nicht zum Facharztstandard
der nichtradiologischen Fachrichtungen. Nach § 630a BGB hat die Behandlung jedoch
„nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen
Standards zu erfolgen“. Führt ein Facharzt für Orthopädie mithin eine MRT-Untersuchung
durch, ohne über die erforderliche Zusatzweiterbildung zu verfügen, trägt er gemäß
§ 630h Abs. 4 BGB zunächst die Beweislast dafür, dass er „für die von ihm vorgenommene
Behandlung befähigt“ war. Dieser Nachweis ist einem Facharzt jedoch regelmäßig nur
durch die entsprechende Facharztbezeichnung, eine Zusatzweiterbildung oder eine dokumentierte
langjährige qualifizierte Tätigkeit auf dem betreffenden Gebiet möglich. Gelingt dem
Orthopäden der Nachweis der ausreichenden Qualifikation auf dem Gebiet des MRT nicht,
so wird nach § 630h Abs. 4 BGB „vermutet, dass die mangelnde Befähigung für den Eintritt
der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit ursächlich war.“ Es tritt
in diesem Fall eine Beweislastumkehr zu Lasten des Orthopäden, die zur Folge hat,
dass nicht der Patient den Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Schaden
beweisen muss, sondern vermutet wird, dass die mangelnde Befähigung des Arztes Grund
für den Schaden war.
Allerdings bleibt zu bemerken, dass die Ausführungen des Arzthaftungssenats des OLG
München zur mangelnden Abrechnungsfähigkeit von MRT-Leistungen ohne die Zusatzbezeichnung
Magnetresonanztomografie in der Praxis häufig nicht beachtet werden, da die privaten
Krankenversicherungen diesem Grundsatz nur wenig Rechnung tragen, denn Abrechnungen
von MRT-Untersuchungen durch Orthopäden und andere Facharztgruppen, wie Kardiologen
werden kaum daraufhin untersucht, ob der betreffende Orthopäde oder Kardiologe über
die Zusatzweiterbildung verfügt.
Haftungsrechtliche Anforderungen an den Radiologen
Haftungsrechtliche Anforderungen an den Radiologen
Diese Stärkung der fachlichen Kompetenz des Radiologen durch das OLG bringt es andererseits
jedoch mit sich, dass dieser auch die fachlichen und qualitativen Anforderungen an
die Erbringung von MRT-Leistungen im Einzelfall erfüllen muss. Das bedeutet, dass
er sich nicht darauf verlassen darf, dass die überweisenden Fachärzte mögliche Fehldiagnosen
korrigieren werden. Vielmehr muss er die größtmögliche Sorgfalt bei der Durchführung
der Befundung an den Tag legen. Der Orthopäde muss den schriftlichen radiologischen
Befund nur dann hinterfragen und in geeigneter Weise verifizieren lassen, wenn sich
dieser mit den von ihm erhobenen klinischen Befunden nicht oder nur erheblich eingeschränkt
vereinbaren lässt.
Das OLG weist in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hin, dass es gesicherter
obergerichtlicher Rechtsprechung entspreche, dass, wenn Ärzte verschiedener Fachrichtungen
an der Behandlung eines Patienten beteiligt sind, zwischen diesen Ärzten der Vertrauensgrundsatz
gilt, d. h. jeder beteiligte Arzt kann und darf, wenn keine aussagekräftigen gegenteiligen
Umstände zu Tage treten, ohne Kontrollmaßnahmen davon ausgehen, dass der Kollege des
anderen Fachgebiets seine Aufgaben mit der notwendigen Sorgfalt erfüllt.
Insofern sollte aus haftungsrechtlichen Gesichtspunkten darauf geachtet werden, dass
radiologische Untersuchungen, die von einem Radiologen durchgeführt werden, auch von
diesem oder einem der nachgeordneten (d. h. weisungsunterworfenen) Ärzte persönlich
befundet werden. Das bedeutet, dass die Erbringung radiologischer Leistungen grundsätzlich
nur im Rahmen einer sog. vertikalen Arbeitsteilung zulässig ist, die auf einem Hierarchieverhältnis
im ärztlichen Bereich, aber auch im Bereich des nachgeordneten Hilfspersonals beruht.
Die Verantwortung für die ordnungsgemäße Erbringung der gesamten radiologischen Leistung
liegt hier bei dem weisungsberechtigten Arzt (in der Regel der niedergelassene Arzt
oder der Chefarzt im Krankenhaus), der eine Überprüfung der Leistungen der nachgeordneten
Ärzte und des Hilfspersonals vorzunehmen hat.
Ausblick
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass der Patient nun seine Ansprüche gegen
den Radiologen geltend machen wird. Gegenstand dieses Rechtsstreits dürfte insbesondere
die Frage sein, ob in der Falschbefundung ein grober Behandlungsfehler des Radiologen
liegt, der nach § 630 h Abs. 5 BGB eine Beweislastumkehr auslöst. Da es sich um einen
Fehler im Bereich der Diagnostik handelt, kommt es dabei entscheidend darauf an, ob
die – letztlich zwar fehlerhafte – Diagnose noch vertretbar war. Allein das Vorliegen
einer solchen objektiv unrichtigen Diagnose führt nach der Rechtsprechung nicht zu
der Annahme eines Behandlungsfehlers in Form eines Befundauswertungsfehlers, weil
dem Radiologen ein eigener Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum in der Diagnostik
zugestanden wird. Trotz des Einsatzes technischer Hilfsmittel können Diagnosen eben
nicht immer eindeutig gestellt werden. Solange Röntgenbilder durchaus nachvollziehbar
gedeutet werden, die Diagnose also nicht völlig abwegig, sondern vertretbar ist und
der Krankheitsverlauf keine Besonderheiten aufweist, die Kontrollbefunde indizieren,
so liegt kein Behandlungsfehler vor.
Nur bei unvertretbarer Auswertung des Bildmaterials durch den Radiologen liegt ein
Behandlungsfehler vor. Wenn die Diagnose des Radiologen unvertretbar war, kommt es
zudem darauf an, ob ein einfacher oder ein grober Befundauswertungsfehler vorliegt.
Bei ausschließlicher Unvertretbarkeit liegt ein „einfacher“ Diagnosefehler vor. Sollte
jedoch die Interpretation des Bildes nicht nur unvertretbar sein, sondern darüber
hinaus eine unverständliche Fehlleistung darstellen, welche einem Arzt für Radiologie
schlechterdings nicht unterlaufen darf und einen Verstoß gegen gesicherte medizinische
Erkenntnisse offenkundig werden lässt, so liegt ein grober Befundauswertungsfehler
mit der Konsequenz der oben beschriebenen Beweislastumkehr vor (vgl. hierzu Fortschr
Röntgenstr 10/2007, S. 1086 ff.).
Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Lic. iur. can. Urs Fabian Frigger
Rechtsanwalt
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