Sehr geehrte Damen und Herren,
Egas Moniz war eine schillernde Persönlichkeit mit vielfältigen Talenten, die u. a.
als Politiker und Arzt die öffentliche Aufmerksamkeit suchte. Seinen Geburtsnamen
legte er ab und benannte sich nach
dem portugiesischen Edelmann und Freiheitskämpfer Egas Monis (1080–1146). Als Erfinder
der zerebralen Arteriografie verdient Egas Moniz hohe Anerkennung, denn zahlreiche
Patienten haben nach der Weiterentwicklung der Methode davon profitiert. Von seinen
eigenen Patienten darf das allerdings bezweifelt werden, denn die Indikationsstellung
betraf häufig Krankheitsbilder, die damals noch nicht sinnvoll therapierbar waren
(z. B. Gefäßmalformationen), die bereits mit anderen Methoden diagnostiziert worden
waren (z. B. ein großer Hypophysentumor) oder bei denen kein pathologischer Gefäßbefund
zu erwarten war (z. B. postenzephalitischer Parkinsonismus). Im Vordergrund stand
also das wissenschaftliche Interesse, was angesichts der damals noch sehr hohen Letalität
der Methode zumindest aus heutiger Sicht ethisch bedenklich ist. Die Pionierzeit der
zerebralen Arteriografie gehört daher aus der Sicht der betroffenen Patienten eher
zu den dunklen Kapiteln der Medizingeschichte.
Dies gilt umso mehr für die „Psychochirurgie“, die Egas Moniz 1949 immerhin den Nobelpreis
einbrachte. Der damalige Enthusiasmus für die präfrontale Leukotomie ist angesichts
fehlender Psychopharmaka und katastrophaler Zustände in überfüllten „Irrenanstalten“
zwar verständlich, doch selbst damalige wissenschaftliche Standards wurden von Moniz
nicht beachtet. Ohne systematischen Vergleich zwischen prä- und postoperativem Befund
und ohne Langzeitbeobachtung postulierte er in seiner ersten Behandlungsserie eine
Heilungsrate von 35% (7 von 20). Die präfrontale Leukotomie (später modifiziert und
als Lobotomie bezeichnet) wurde danach an weit über 10 000 „Geisteskranken“ ausgeführt,
wobei u. a. Schizophrenie, Depression, Homosexualität und Anorexia nervosa zu den
Indikationen zählten. Selbst hyperaktive und anderweitig verhaltensauffällige Kinder
und Jugendliche wurden operiert (u. a. Rosemary Kennedy, die Schwester von John F.
Kennedy, die durch den Eingriff zum Pflegefall wurde). In größeren Serien betrug die
„Heilungsrate“ 25%, die unmittelbare Letalität 5–10%. Bei der Propagierung seiner
Methoden und der Bekämpfung zeitgenössischer Kritiker oder vermeintlicher Konkurrenten
offenbarten sich nicht nur Eitelkeit und Nationalismus, sondern auch offener Antisemitismus
[2].
Natürlich darf man das Werk von Egas Moniz nicht an heutigen ethischen und
wissenschaftlichen Standards messen, doch eine gänzlich kritiklose Darstellung wäre
ebenso wenig gerechtfertigt.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. med. Michael Strotzer
Radiologe und Neuroradiologe
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Uwe Busch. Egas Moniz (1874–1955). Fortschr Röntgenstr 2014; 186: 715-717
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Rainer Fortner. Egas Moniz (1874–1955)- Leben und Werk unter Berücksichtigung der
Leukotomie und ihrer ethischen Implikationen. lnaugural-Dissertation, Medizinische
Fakultät der Universität zu Würzburg (Juni 2003)