Die Radiologie ist als Querschnittsfach in besonderem Maße darauf angewiesen, sich
ständig wechselnden Rahmenbedingungen anzupassen, die für eine optimale Kooperation
mit anderen medizinischen Fachgebieten notwendig sind.
Andererseits resultieren aus der Zusammenarbeit mit behandelnden Fachärzten anderer
Fachrichtungen für den Radiologen häufig arzthaftungsrechtliche Risiken. Im Rahmen
der Tätigkeit von Ärzten auf partnerschaftlicher Gleichordnung und Weisungsfreiheit
haben die beteiligten Ärzte nach den Grundsätzen der horizontalen Arbeitsteilung u. U.
auch für die Fehler des jeweils anderen Arztes haftungsrechtlich einzustehen. Denkbar
ist auch, dass durch einen mangelnden Informationsaustausch zwischen den beteiligten
Ärzten der Haftungstatbestand erst zustande kommt. Für Koordinationsmängel haften
danach alle Beteiligten (BGH, Urt. v. 26.01.1999, Az.: VI ZR 376/97; Steffen / Dressler,
Arzthaftungsrecht 1999, 105.). In diesem Fall ist eine Exkulpationsmöglichkeit für
keinen der beteiligten Ärzte gegeben. Diese haften nach den Grundsätzen des arbeitsteiligen
Handelns gemeinsam auch für Diagnosefehler. Insbesondere kann sich keiner der beiden
Ärzte damit entlasten, auf die ordnungsgemäße ärztliche Tätigkeit durch den Anderen
vertraut zu haben – kein sog. „Hase-und-Igel-Spiel“ im Arzthaftungsprozess (OLG Koblenz,
Urt. v. 20.07.2006, Az.: 5 U 47/06 = GesR 2006, 519.).
Die Haftungsgrundsätze der horizontalen Arbeitsteilung in der Radiologie waren bereits
in der Vergangenheit mehrfach Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen (zur Kontrollpflicht
des Orthopäden von schriftlichen Befunden des Radiologen, vgl. Wigge / Frigger, Fortschr
Röntgenstr 7/2014, S. 719 f., zur Einstufung eines unterlassenen Mammografie-Screenings
als Behandlungsfehler, vgl. Wigge / Frigger, Fortschr Röntgenstr 11/2013, S. 1108
ff.)
Diese für Radiologen haftungsträchtige „Schnittstellenproblematik“ war auch Streitgegenstand
in 2 aktuellen obergerichtlichen Entscheidungen. In beiden Entscheidungen haben die
Gerichte im Ergebnis eine Haftung der beteiligten Ärzte abgelehnt und die Klagen abgewiesen.
Gleichwohl haben die Richter aus der Perspektive des Radiologen wichtige Feststellungen
getroffen.
Diagnostik des Mammakarzinoms
Diagnostik des Mammakarzinoms
Gegenstand eines Urteils des Oberlandesgerichts Köln vom 06.08.2014 (Az.: 5 U 101/13)
war die Klage einer Lehrerin gegen ihren Gynäkologen. Dieser veranlasste im Jahr 1997,
da die Klägerin Angst vor einer Krebserkrankung äußerte, eine Mammografie, die jedoch
ohne Befund blieb. Im Jahr 1998 fiel dem Gynäkologen jedoch erstmals beim Abtasten
der Brust ein erbsengroßer Knoten in der linken Axilla auf. Diesen ordnete er als
entzündeten Lymphknoten ein und zeichnete diesen Befund auch bei folgenden Untersuchungen
in den Jahren 1999 und 2000 auf. In den Jahren 2000 und 2005 wurden bei der Klägerin
Mammografien durchgeführt, bei denen jedoch keine Auffälligkeiten ersichtlich wurden.
Im Jahr 2008 stellte der Beklagte einen 1,5 cm großen, derb verschieblichen Knoten
in der linken Axilla fest. Noch am selben Tag wurde eine Mammografie in einer radiologischen
Praxis durchgeführt, die den Befund eines haselnussgroßen Karzinoms in der vorderen
Axillarfalte links und 2 in der Axilla hinter dem Karzinom befindliche kleine rundliche
Verdichtungen, die als Lymphknoten eingestuft wurden, zum Ergebnis hatte. Nur wenige
Tage später wurde in einer Universitätsklinik ein auffälliger Tastbefund im Bereich
der vorderen Axillarlinie festgestellt. Eine Stanzbiopsie ergab ein invasiv duktales
Mammakarzinom des Gradings G2 bis G3. Nach einer brusterhaltenden Operation und der
Entfernung zweier Sentinel-Lymphknoten erfolgten adjuvante Chemotherapie, Strahlentherapie
und Hormonbehandlung.
Gegenstand des Gerichtsverfahrens war die Behauptung der Klägerin, dass der Befund
aus dem Jahr 1998 identisch mit demjenigen des Jahres 2007 gewesen sei. Durch die
falsche bzw. verzögerte Diagnose und Therapie habe sie schlechtere Heilungschancen
gehabt. Der beklagte Gynäkologe entgegnete diesem Vorwurf, dass die Befunde nicht
identisch gewesen seien und die Befunderhebung ausgereicht habe. In 1. Instanz folgte
das Landgericht Köln (Urt. v. 17. Juli 2013, Az.: 25 O 379/10) dabei der Argumentation
des Beklagten und wies die Klage ab. Grund dafür war, dass der vom Gericht bestellte
Sachverständige feststellte, dass sich das Mammakarzinom nicht in der linken Axilla,
sondern in der vorderen Axillarlinie befunden habe. Daher sei die Identität der Befunde
nicht bewiesen, und es könne damit auch nicht angenommen werden, dass eine frühere
Biopsie oder Entfernung des Knotens in der Axilla die Entwicklung des Karzinoms hätte
verhindern müssen. Auch sei der beklagte Gynäkologe nicht verpflichtet gewesen, den
Hinweis auf einen abklärungsbedürftigen Befund der linken Axilla in die Überweisung
zur Mammografie aufzunehmen. Dies liege darin begründet, dass nach den Ausführungen
des Sachverständigen bei jeder Mammografie nach geltendem europäischen Standard ohnehin
die vordere Axillarlinie sowie die Axilla erfasst werden. Auf diesen europäischen
Standard habe sich der beklagte Gynäkologe verlassen dürfen.
Beweislast des Patienten hinsichtlich der Befundidentität
Beweislast des Patienten hinsichtlich der Befundidentität
Das OLG Köln folgte dabei dem erstinstanzlichen Urteil. Das Gericht war von der Identität
der beiden Befunde nicht überzeugt, da diese an unterschiedlichen Stellen lagen. Vor
der Krebsdiagnose sei der Knoten am lateralen Rand des musculus pectoralis gewesen,
und dort im dorsalen Bereich, wo sich jedoch kein Brustdrüsengewebe befinde. Zudem
sei es nach Einschätzung des Sachverständigen nicht vorstellbar, dass ein Karzinom
mit dem Grading G2 bis G3 über einen so langen Zeitraum (8 Jahre) unverändert bleibe
und dann ein radikales Wachstum zeige.
Vertrauen des Gynäkologen auf die Leistung des Radiologen
Vertrauen des Gynäkologen auf die Leistung des Radiologen
Für das Zusammenwirken zwischen Gynäkologen und Radiologen ist die Auffassung des
Gerichts von Bedeutung, dass seitens des Gynäkologen keine Pflicht besteht, den Radiologen
auf einen abzuklärenden Befund hinzuweisen. Unabhängig von den Angaben des überweisenden
Gynäkologen ist eine Mammografie nach den European Guidelines durchzuführen, wonach
immer auch der Pectorialsrand und die Region der vorderen Axillarlinie bzw. der Axilla
erfasst werden. Auf diese Standards darf der Gynäkologe auch ohne weitere Hinweise
vertrauen. Im Übrigen konnte das Gericht vorliegend nicht beurteilen, ob der Radiologe
die europäischen Standards verletzt hätte und sah sich auch nicht dazu veranlasst,
dies weiter zu überprüfen, da es eine Identität der Befunde ohnehin ablehnte.
Für den Radiologen hat dies zur Konsequenz, dass er sich – falls ihm gegenüber ein
möglicher Arzthaftungsanspruch eines Patienten aufgrund eines Diagnosefehlers geltend
gemacht wird – nicht durch einen Verweis auf einen mangelnden Hinweis des Gynäkologen
exkulpieren kann, sondern vielmehr nachweisen muss, dass die Mammografie den European
Guidelines entsprach. Diese Ansicht des OLG Köln liegt auf der Linie der bisherigen
Rechtsprechung. Auch das OLG München hatte in seinem Urteil vom 22.08.2013, (Az.:
1 U 204/12, Fortschr Röntgenstr 07/2014, S. 719 f.) die Auffassung vertreten, dass
sich der Orthopäde auf den schriftlichen Befund des Radiologen zu einer von diesem
gefertigten MRT-Aufnahme verlassen darf und einen Befund nur dann hinterfragen und
in geeigneter Weise verifizieren lassen muss, wenn sich dieser mit den von ihm erhobenen
klinischen Befunden nicht oder nur in erheblich eingeschränktem Umfang vereinbaren
lässt.
MRT-Untersuchung bei Wirbelsäulenschmerzen
MRT-Untersuchung bei Wirbelsäulenschmerzen
Das Zusammenwirken des Radiologen mit Fachärzten für Unfallchirurgie und Neurologie
war Gegenstand einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz vom 21.08.2014 (Az.:
5 U 868/14).
In dem zugrunde liegenden Verfahren hatte eine Patientin gegen den Krankenhausträger
und verschiedene Krankenhausärzte aus den Abteilungen für Unfallchirurgie und Neurologie
sowie auch gegen den Chefarzt und einen Oberarzt der Radiologie Klage erhoben.
Die Klägerin stellte sich in der Unfallchirurgie mit Schmerzen aufgrund eines Sturzes
mit Prellungen im unteren Wirbelsäulenbereich vor. Eine neurologische und eine röntgenologische
Untersuchung ergaben keinen Anhalt für eine knöcherne Verletzung. Jedoch wurde ein
Kontrolltermin 1 Woche später vereinbart. Zu diesem erschien die Klägerin mit starken
Schmerzen, wodurch der Chefarzt der unfallchirurgischen Abteilung ein MRT der Lendenwirbelsäule
beauftragte, das in der radiologischen Abteilung gefertigt wurde. Der Befundbericht
wurde im Namen des Chefarztes und eines Oberarztes der Radiologie an den Unfallchirurgen
übermittelt, sodass dieser von einem Bandscheibenvorfall ausging. Der Unfallchirurg
riet zu einer stationären Therapie in der neurologischen Abteilung. Nach der erfolgten
stationären Aufnahme äußerte sich die Klägerin wiederholt über Schmerzen im Gesäß-
und Beinbereich, wobei zwischen den Parteien streitig blieb, ob diese Äußerungen die
linke, wie von der Klägerin behauptet, oder die rechte Seite betrafen. Der Patientin
wurden daraufhin krankengymnastische Übungen, Massagen und Medikamente verordnet,
wobei die beklagten Ärzte eine Linderung behaupteten, was im Prozess auch durch Zeugenaussagen
gestützt wurde.
Einige Tage später war das linke Bein geschwollen und livide verfärbt. Es wurde ein
kompletter Verschluss der Vena illiaca communis festgestellt, worauf die Klägerin
in ein Universitätsklinikum verlegt wurde. Dort wurde eine Thrombektomie vorgenommen
und eine arterio-venöse Fistel angelegt. Innerhalb eines Jahres waren 2 weitere Klinikaufenthalte
erforderlich.
Die Klägerin behauptete, dass die thrombotische Entwicklung von den Beklagten gesamtschuldnerisch
zu verantworten sei. Schon auf dem MRT habe sie sich abgezeichnet und sei dann auch
weiterhin verkannt worden. Es hätten weitere Untersuchungen vorgenommen werden müssen,
da eine Risikolage durch Adipositas, Bewegungseinschränkungen und erlittenes Sturztrauma
vorgelegen hätte. Eine wirksame Thromboseprophylaxe sei vorwerfbar versäumt worden.
Daher sei sie nun erheblich gehbehindert, erwerbsunfähig und leide unter Schmerzen
und Schlaflosigkeit sowie unter Sehschwierigkeiten. In 1. Instanz hatte das Landgericht
Bad Kreuznach (Az. 3 O 333/10) die Klage abgewiesen. Das Landgericht bezeichnete den
Vorwurf, bei der Auswertung des MRT sei ein thrombotisches Geschehen verkannt worden
als unbegründet, da in der Kontrastmitteldarstellung Hindernisse für den venösen Blutfluss
nicht erkennbar gewesen seien. Auch nach der stationären Aufnahme sei die Betreuung
adäquat gewesen; einer besonderen Prophylaxe habe die Klägerin nicht bedurft.
Zur Beweislast bei ärztlichen Organisations- oder Behandlungsfehlern
Zur Beweislast bei ärztlichen Organisations- oder Behandlungsfehlern
Dies bestätigte das Oberlandesgericht Koblenz und lehnte eine Haftung des radiologischen
Chefarztes (wie auch des Krankenhausträgers und der übrigen Ärzte) ab. Die explizit
vorgetragene Behauptung der Klägerin die Chefärzte der Radiologie und der Neurologie
hätten an „entsprechenden Behandlungsentscheidungen“ mitgewirkt und würden für – von
der Klägerin nicht näher konkretisierte – „Organisationsfehler ihrer Abteilung“ haften,
wurden vom OLG Koblenz als unsubstantiiert zurückgewiesen. Das Gericht bezeichnete
die Radiologie zwar als den maßgeblichen Ort der Diagnosestellung. Jedoch sei das
MRT nicht schuldhaft falsch ausgewertet worden. Dabei bestätigte das Oberlandesgericht
die Feststellung des Landgerichts, dass in der Kontrastmitteldarstellung kein Hindernis
für den Blutfluss vorhanden gewesen sei. Das Vorliegen eines Bandscheibenvorfalls
sei für die Ärzte eine tragfähige Arbeitshypothese gewesen. Die entsprechende Symptomatik
habe trotz des klägerischen Vortrags auch keine Veranlassung geliefert, die Klägerin
als Risikopatientin einzustufen. Entsprechende Gründe hätten sich allein aus der Adipositas
ergeben können. Jedoch hätte sich auch aus Zeugenaussagen eine zwischenzeitliche Linderung
der Beschwerden ergeben. Daher seien die Behandlungsmaßnahmen angemessen gewesen.
Substantiierungspflicht des Patienten im Prozess
Substantiierungspflicht des Patienten im Prozess
Arzthaftungsrechtlich bedeutsam an dieser Entscheidung ist die Feststellung des Gerichts,
dass beim Zusammenwirken von Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen von dem Patienten
dargelegt und bewiesen werden muss, welches konkrete Fehlverhalten er jedem einzelnen
Arzt vorwirft. Der klagende Patient genügt seiner Substantiierungspflicht im Klageverfahren
daher nicht, wenn er pauschal und ohne Begründung Organisationsmängel und / oder Verstöße
gegen Kontroll- und Überwachungspflichten behauptet.
Dem Patienten obliegt es,
-
die Pflichtverletzung des Arztes (d. h. Abweichung vom Facharztstandard gemäß §§ 630a
Abs. 2, 630 h Abs. 4 BGB),
-
den Körper-, Gesundheitsschaden oder die Verletzung (Primärschaden),
-
die haftungsbegründende Kausalität,
-
den Sachverhalt für das Verschulden des Arztes und
-
die haftungsausfüllende Kausalität, d. h. den Kausalzusammenhang zwischen dem Primärschaden
und weiteren Gesundheits- und Vermögensschäden,
darzulegen und zu beweisen. Erst wenn Fallgruppen vorliegen, bei denen Beweiserleichterungen
greifen (z. B. voll beherrschbare Risiken, § 630 h Abs. 1 BGB; Dokumentationsmängel,
§ 630 h Abs. 3 BGB; Anscheinsbeweis) oder ein grober Behandlungsfehler feststehen
sollte, kommt es zu der Beweislastumkehr nach der Regelung in § 630 h Abs. 5 BGB,
wonach nur unter diesen eingeschränkten Voraussetzungen dem Arzt die Pflicht auferlegt
wird, nachzuweisen, dass der Fehler nicht für den Gesundheitsschaden bei dem Patienten
ursächlich war. Ein grober Behandlungsfehler ist ein Fehlverhalten, dass nicht aus
subjektiven, in der Person des behandelnden Arztes liegenden Gründen, sondern aus
objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler
dem behandelnden Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.
Haftungsgrundsätze bei Diagnosefehlern
Haftungsgrundsätze bei Diagnosefehlern
Bei der Annahme von Diagnosefehlern ist die Rechtsprechung jedoch zurückhaltend. Dies
gilt insbesondere hinsichtlich der Fehlinterpretation von Befunden, da es aufgrund
der zahlreichen diagnostischen Überschneidungen und Abgrenzungsproblemen äußerst schwierig
ist, eine exakte und sichere Diagnose zu stellen. Eine objektiv unrichtige Diagnose
stellt daher nicht notwendigerweise einen Behandlungsfehler dar. Ein „grober Behandlungsfehler“
liegt nur bei elementaren Diagnosefehlern vor; also einem Fehlverhalten, das aus objektiver
Sicht nicht mehr verständlich ist, weil ein solcher Fehler schlechterdings nicht passieren
darf. Hierzu gehören z. B. das Unterlassen einer ausreichenden Befunderhebung und
die unterbliebene Überprüfung einer „Arbeitsdiagnose“.
Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht
Lic. iur. can. Urs Fabian Frigger
Rechtsanwalt
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