Interkulturelle Öffnung der Psychiatrischen Kliniken in Deutschland – Vorstellung
des Arbeitskreises Psychiatrie und Migration der Bundesdirektorenkonferenz
Die aktuell 14 Mitglieder des AK beschäftigen sich seit 2001 mit der klinischen Versorgung
von Patienten mit Migrationshintergrund. Eine Pilotstudie zur Inanspruchnahme stationärer
Versorgung 2004 ergab, dass Patienten mit Migrationshintergrund nahezu ihrem Anteil
an der Wohnbevölkerung von knapp 20 % entsprechend stationär-psychiatrisch behandelt
werden. 2006 bestätigte eine repräsentative bundesweite Umfrage die wesentlichen Aussagen
unserer Pilotstudie.
Ungeklärt ist bislang allerdings die Frage, ob diese Behandlung spezifischen Bedürfnissen
und Erwartungen unterschiedlicher ethnokultureller Gruppen sowie den Anforderungen
der Klinik, ihre Behandlungsziele zu erreichen, gerecht wird.
Die aktuelle Umfrage des AK befasst sich mit der interkulturellen Öffnung psychiatrischer
Krankenhäuser. 2012 wurde allen Mitgliedern der Bundesdirektorenkonferenz ein Fragebogen
mit 42 Items zugeschickt. Neben administrativen Rahmenbedingungen wurden therapeutische
und konzeptionelle Aspekte wie die Arbeit mit Dolmetschern und die allgemeine interkulturelle
Orientierung der Kliniken abgefragt. Es nahmen insgesamt 72 Kliniken teil (Rücklauf
von mehr als 60 %).
Ein Drittel der Kliniken verfügte über spezielle ambulante Angebote, 12,5 % hatten
stationäre Konzepte für Patienten mit Zuwanderungsgeschichte etabliert. Immerhin die
Hälfte aller Kliniken war der Ansicht, ihr stationäres Behandlungsangebot sei bereits
generell interkulturell ausgerichtet.
Behandlungsprobleme durch ein unterschiedliches Krankheitsverständnis werden stärker
gewichtet als Probleme bei der sprachlichen Verständigung. Daraus werden aber keine
Einschränkungen des therapeutischen Vorgehens abgeleitet – eine bedarfsgerechte Anpassung
therapeutischer Strategien erfolgt also nicht. Das entspricht den Ergebnissen vorangegangener
Erhebungen.
Obwohl die Migrantenversorgung in 54,2 % der Kliniken im Klinikkonzept und in 44,4 %
auch im Qualitätsmanagement verankert ist, messen weniger als 40 % der Versorgung
ihrer Patientenklientel mit Zuwanderungsgeschichte eine hohe Bedeutung zu, nur 25 %
sehen die interkulturelle Öffnung als bedeutendes Thema der Zukunft.
Für die Behandlung von Migranten sehen die Kliniken besonderen Bedarf an qualifizierten
Dolmetschern mit mehr als 75 % (sehr hoch und hoch) an erster Stelle vor hausinterner
Fortbildung und speziellen Curricula für das Pflegepersonal. Der Wunsch nach muttersprachlichen
Mitarbeitern folgt an vierter Stelle.
Die Umfrage zeigt eine zunehmende interkulturelle Orientierung psychiatrischer Krankenhäuser.
Im stationären Bereich sind spezielle Konzepte noch die Ausnahme. Die psychiatrischen
Institutsambulanzen beschäftigen hingegen oft muttersprachliche Mitarbeiter für die
Behandlung von Patienten mit Zuwanderungsgeschichte. Der zukünftige Bedarf wird von
den Direktoren recht pragmatisch gesehen: ein funktionierendes und bezahlbares Dolmetschersystem
sowie hausinterne Fortbildung in interkultureller Kompetenz sind die am häufigsten
genannten Erfordernisse.
Professionelle Basis der Arbeit mit Zuwanderern ist eine ausreichende sprachliche
Verständigung. Es leben mehr als 180 unterschiedliche Nationalitäten in Deutschland
und die Zahlen der Asylsuchenden nehmen in den letzten Jahren wieder zu. Daher ist
eine dolmetschergestützte Kommunikation von zentraler Bedeutung für Diagnostik und
Therapie. Studien weisen darauf hin, dass bei Patienten mit geringen Deutschkenntnissen
häufiger Angehörige, Freunde und Bekannte übersetzen. Ein solches Vorgehen ist unprofessionell
und kann nicht akzeptiert werden.
Inwiefern tatsächlich bereits 50 % der Kliniken eine grundlegende interkulturelle
Öffnung aller Stationen umgesetzt haben, kann durch die Umfrageergebnisse nicht weiter
konkretisiert werden. Die Diskrepanz zwischen der Angabe von Problemen (häufig und
sehr häufig rund 80 %) beim kulturell geprägten Krankheitsverständnis und der sprachlichen
Verständigung (rund 74 %) und der als wesentlich weniger problematisch eingeschätzten
Einigung auf ein gemeinsames therapeutisches Vorgehen (rund 40 %) lässt eine Marginalisierung
des Themas vermuten und könnte auch mit verborgenen Vorurteilen zusammen hängen. Diese
noch offenen Fragen erfordern weitere wissenschaftliche Untersuchungen.
Die Unterstützung durch die Krankenhausträger und die Verwaltungen vor Ort kann noch
verbessert werden. Eine eindeutige Öffnung im Sinne eines unmissverständlichen Top-down-Prozesses
ist nicht durchgängig vorhanden. Positiv zu werten ist, dass ein Drittel der Kliniken
bereits Migrationsbeauftragte benannt hatte. Allerdings benötigen die Migrationsbeauftragten
die klare, kontinuierliche und verbindliche Unterstützung der Klinikleitungen (definierter
wöchentlicher Anteil der Arbeitszeit).
Angemessene psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung für Menschen mit Migrationshintergrund
kann nur über verbesserte kulturelle Sensibilität aller Mitarbeiter erreicht werden.
Es geht darum, in der Begegnung mit den Patienten nicht nur das Fremde im Anderen
zu sehen, sondern auch die eigenen Einstellungen zu reflektieren und die Kultur der
Institutionen so zu verändern, dass alle Patienten einen fairen Zugang zu psychiatrisch-psychotherapeutischer
Behandlung erhalten.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Eckhardt Koch
Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Cappeler Straße 98
35059 Marburg
eckhardt.koch@vitos-giessen-marburg.de