physiopraxis 2014; 12(03): 56-57
DOI: 10.1055/s-0034-1372555
physiospektrum
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Immer Ärger mit den Minusstunden

Die Rechtslage
Karsten Bossow

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
21. März 2014 (online)

 

Kurzfristige Patientenabsagen, Abzug der Minusstunden vom Gehalt, Anhäufung von Minusstunden in der Ferienzeit – viele Fragen dieser Art haben uns in der Redaktion erreicht. Unser Rechtsexperte Karsten Bossow weiß die Antworten.


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Karsten Bossow

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Karsten Bossow ist seit 1999 Rechtsanwalt mit den Tätigkeitsschwerpunkten Arbeits-, Medizin- und Sozialrecht. Seit 2003 ist er Fachanwalt für Arbeitsrecht und seit 2010 Fachanwalt für Medizinrecht.

Minusstunden in der Ferienzeit

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Abb.: NLshop/istockphoto.com

Während der Ferienzeit versucht mein Chef, die Behandlungen von der Mitte aus zu belegen, damit wir später kommen und früher gehen können und keine Wartezeit entsteht. Dadurch kommt es zu Minusstunden. Ein Arbeitszeitkonto ist bei uns vertraglich nicht festgelegt. Aber unsere Überstunden können wir mit Minusstunden verrechnen. Wenn sich zu viele Minusstunden angehäuft haben, verrechnet unser Chef unsere Urlaubstage. Ist das rechtens bzw. wie können wir dagegen vorgehen?

Zunächst ist der Arbeitgeber berechtigt, die Lage der Arbeitszeit festzulegen. Ihrer Frage entnehme ich, dass Sie die Führung eines Arbeitszeitkontos mündlich vereinbart haben. Das ist grundsätzlich möglich. Zulässig ist auch die mündliche Vereinbarung eines Stundenkontos, auf dem Minusstunden geführt werden. Allerdings sollte dann auch eine maximale Anzahl von Minusstunden vereinbart werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass die Vereinbarung unwirksam ist, weil das Risiko des Arbeitgebers, ob er genug Arbeit für die Mitarbeiter hat, in einem unangemessenen Umfang auf die Arbeitnehmer abgewälzt wird.

Die Verrechnung der Minusstunden mit Urlaubsansprüchen ist im Rahmen des gesetzlichen Mindesturlaubs nicht zulässig. Eine Verrechnung mit darüber hinausgehenden Urlaubsansprüchen ist mit Zustimmung des Arbeitnehmers möglich. Sind die Minusstunden aus betrieblichen Gründen angefallen, müssen Sie der Verrechnung nicht zustimmen, weil Sie damit das unternehmerische Risiko übernehmen würden. Sie würden quasi auf Gehalt verzichten, da Sie auf bezahlten Urlaub verzichten. Wenn sich Ihr Chef nicht überzeugen lässt, müssten Sie die Korrektur des Arbeitszeitkontos bzw. den Urlaubsanspruch notfalls gerichtlich beim Arbeitsgericht geltend machen.


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Unternehmerisches Risiko

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Abb.: NLshop/istockphoto.com

Stimmt es, dass eine kurzfristige Patientenabsage unter das „unternehmerische Risiko“ fällt? Dass also ein Arbeitgeber dazu verpflichtet ist, seinen Angestellten eine Ersatztätigkeit anzubieten? Bis zu welchem Grad darf er dieses Risiko auf seine Mitarbeiter abwälzen und wie sehr darf davon deren Gehalt abhängen?

Im Rahmen des Direktionsrechts weist ein Chef seinem Mitarbeiter Arbeit zu. Fällt diese wegen einer Patientenabsage weg oder hat der Arbeitgeber nicht genug Termine, trägt er das Risiko des Einnahmeausfalls. Er muss also den Arbeitnehmer für die Zeit der Nichtbeschäftigung bezahlen, obwohl er in dieser Zeit keine Einnahmen hat. Dieses Risiko kann der Arbeitgeber reduzieren, indem er eine Pause anordnet. Im Arbeitsvertrag kann auch ein Arbeitszeitkonto vereinbart werden. Hier geht der Arbeitnehmer in Vorleistung, indem er bei hohem Arbeitsanfall Plusstunden erwirbt. Der Arbeitgeber kann – entweder einvernehmlich mit dem Arbeitnehmer oder per Anweisung – den Abbau der Plusstunden anordnen, wenn weniger zu tun ist. Ebenso kann im Arbeitsvertrag vereinbart werden, dass Minusstunden möglich sind. Hier geht der Arbeitgeber in Vorleistung, wenn weniger zu tun ist. In Zeiten höheren Arbeitsanfalls ist der Arbeitnehmer wiederum verpflichtet, durch Mehrarbeit das Stundenkonto auszugleichen. Ist er am Ende des Arbeitsverhältnisses noch im Minus, kann der Arbeitgeber nur dann einen Ausgleich verlangen, wenn der Mitarbeiter das Minus herbeigeführt hat, also bei flexibler Arbeitszeit von sich aus weniger gearbeitet hat. Dann ist er verpflichtet, den zu viel erhaltenen Lohn zurückzuzahlen.

Im Ergebnis kann ein Chef das unternehmerische Risiko nicht auf seine Angestellten abwälzen. Sein wirtschaftliches Risiko kann er aber durch Umverteilung der Arbeitszeit oder Überstundenkonten reduzieren.


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Arbeitgeberwechsel

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Abb.: NLshop/istockphoto.com

Ich möchte den Arbeitgeber wechseln, habe noch sieben Minusstunden und einen Resturlaubstag. Das möchte meine Chefin mit meinen Minusstunden verrechnen. Darf sie das?

Bei der Verrechnung von Minusstunden kommt es darauf an, wie diese entstanden sind. Wenn sie darauf zurückzuführen sind, dass Ihre Chefin Ihnen keine Arbeit zuwies, kann sie keinen Ausgleich verlangen. Auch eine Verrechnung mit Urlaubsansprüchen ist nicht möglich. Das Bundesurlaubsgesetz verbietet eine solche vom gesetzlichen Mindesturlaub abweichende Regelung. Für Urlaub, der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgeht, ist eine Verrechnung zwar nicht einseitig möglich, eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer jedoch erlaubt. Wie bei allen Verträgen müssen hiermit sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer einverstanden sein.


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Minusstunden

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Abb.: NLshop/istockphoto.com

Als Minus verbucht

Ich arbeite in einer privaten Praxis. Wenn ich zwei Patienten in der Stunde behandle (einer erhält eine 20-minütige, der andere eine 30-minütige Behandlung), fehlen mir manchmal zehn Minuten, um die Stunde effektiv zu füllen. Diese 10 Minuten verbucht mir mein Arbeitgeber als Minus. Darf er das?

Nach meiner Einschätzung darf er das nicht. Zunächst dürften sich die zehn Minuten schon dadurch reduzieren, dass ja jede Behandlung mit Vor- und Nachbereitungszeiten verbunden ist. Diese Zeiten zählen zur Arbeitszeit. Eine Ruhepause, die nicht vergütungspflichtig wäre, beträgt mindestens 15 Minuten. Die hier vorliegende Unterbrechung der Arbeitszeit aus betrieblichen Gründen von weniger als 15 Minuten gilt nicht als Ruhepause. Sie ist also zu vergüten.


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Stelle mit Minus beendet

Ich habe mit 21 Minusstunden den Arbeitgeber gewechselt. Die Minusstunden wurden mir vom Gehalt abgezogen. Ist das korrekt oder darf ich den Wert zurückfordern?

Auch in diesem Fall ist der Abzug vom Gehalt nur möglich, wenn die Minusstunden auf Veranlassung des Arbeitnehmers angefallen sind. Hat Ihnen der Arbeitgeber keine Arbeit zugewiesen, kann er die Minusstunden nicht vom Gehalt abziehen. Einen dennoch abgezogenen Betrag sollten Sie von Ihrem alten Arbeitgeber einfordern. Machen Sie das schriftlich und nennen Sie auch den geforderten Betrag, um später einen Nachweis zu haben.


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Minusstundenkonto

Ich habe ein Minusstundenkonto. Wenn ein Patient kurzfristig absagt, entsteht bei mir eine Lücke, die von meiner Arbeitszeit abgezogen wird. Obwohl ich meine Arbeitskraft anbiete, verbucht mein Arbeitgeber dies als Minusstunde. Berichte, Dokumentation oder Ähnliches sieht er nicht als Arbeitszeit. Er kann mir auch keinen Ersatzpatienten anbieten, durch dessen Behandlung ich die Minusstunde ausgleichen kann. Laut Vertrag ist der Arbeitgeber berechtigt, die Kernarbeitszeiten zu verändern. Ist der Therapeut jetzt der Dumme? Was ist Arbeitszeit – nur die Arbeit am Patient oder auch arbeitsbezogene Nebentätigkeiten wie Dokumentation?

Die Arbeitszeit ist die Zeit, in der der Arbeitnehmer die sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden Pflichten zu erfüllen hat. Sie beginnt also in der Regel mit Arbeitsaufnahme am Arbeitsplatz und endet, wenn keine vertraglichen Pflichten mehr zu erfüllen sind. Zu den vertraglichen Pflichten des Therapeuten gehört in der Regel auch die Erstellung von Berichten oder Dokumentationen, sodass auch die hierfür benötigte Zeit, und nicht nur die Arbeit am Patienten, Arbeitszeit ist.

Sofern im Arbeitsvertrag keine konkreten Arbeitszeiten vereinbart sind, bestimmt der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktions-rechts die Lage der Arbeitszeit. Das hat er sich in Ihrem Fall offenbar vorbehalten. Dank der wirksamen Vereinbarung zum Arbeitszeit- und Minusstundenkonto kann er daher Minusstunden anordnen. Aus Ihrem Arbeitsvertrag ergibt sich, wie viele Stunden Sie pro Woche arbeiten müssen. Für diese Zeit haben Sie einen Vergütungsanspruch. Ihr Arbeitgeber kann also nicht einfach für Minusstunden oder anderen Arbeitsausfall Lohn abziehen. Das wirtschaftliche Risiko eines Ausfalls trägt er. Der Therapeut ist also nicht der Dumme.

Vielen Dank ...

... an alle, die uns per E-Mail und auf Facebook bei der Recherche unterstützt haben! Wir zählen auch in Zukunft auf rechtliche Fragen aus Ihrem Berufsalltag! Kontakt: Simone.Gritsch@thieme.de und www.facebook.com/thiemeliebtphysiotherapeuten


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