Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2014; 21(02): 59
DOI: 10.1055/s-0034-1373718
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Standard der medizinischen Versorgung für Seeleute verbessern – Medizin auf See: Telemedizin ist kostengünstiger

Henny C, Hartington K, Scott D et al.
The business case for telemedicine.

Int Marit Health 2013;
64: 129-135
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Publication History

Publication Date:
22 April 2014 (online)

 

Henny C, Hartington K, Scott S et al. The business case for telemedicine. Int Marit Health 2013; 64: 129–135

Thema: Die Maritime Labour Convention forderte im Jahr 2006 einen medizinischen Versorgungsstandard auf See, der dem an Land soweit als möglich vergleichbar ist. Diese Forderung veranlasste die Autoren zu ihrer Studie.

Projekt: Untersucht wurde im Rahmen eines von der International Maritime Health Association (IMHA) veranstalteten Workshops, inwieweit telemedizinische Unterstützung zu einer besseren und kostengünstigeren Bewältigung medizinischer Probleme auf See beitragen könnte.

Am Workshop waren 9 öffentliche und 2 private Telemedizindienste beteiligt, die jeweils ihre Kommunikationsstatistiken zur Verfügung stellten. Weitere Daten – zum Beispiel zum weltweiten Schiffsverkehr – wurden aus öffentlich zugänglichen Quellen gewonnen.

In die Untersuchung wurden Massengut- und Containerfrachter, Tankschiffe sowie offshore Unterstützungsschiffe einbezogen. Das war insgesamt etwa ein Drittel der weltweiten Handelsflotte (23 299 Schiffe und 420 000 Seeleute), auf das die Inzidenz telemedizinischer Konsultationen und die Zahl der durch medizinische Problemstellungen erzwungenen Kursabweichungen und Ausschiffungen bezogen wurde.

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(Bild: Thieme Verlagsgruppe; U. Kippnich)

Ergebnisse: Insgesamt rechnen die Autoren damit, dass bei etwa 7 % der Seeleute pro Jahr eine Ausschiffung aus medizinischen Gründen erforderlich wird. Diese verursacht Kosten durch Umwege, Einsatz von Rettungstransportmitteln, Hafengebühren, Vertragsstrafen, Personalersatz et cetera. Von den am Workshop beteiligten Reedereien wurden Kosten für diese Teilaspekte angegeben und von den Autoren auf circa 163 750 Euro pro Schiff und Jahr hochgerechnet.

Demgegenüber stehen Kosten für die telemedizinische Ausstattung der Schiffe von 8333 Euro pro Schiff und Jahr sowie für die Ausbildung des nautischen Personals in Höhe von 3488 Euro pro Schiff und Jahr.

Hinzu kommen Kosten für Einrichtung und Betrieb der Telemedizindienste an Land, die aber – wie im Falle Deutschlands – nicht zwangsläufig von den Reedern aufzubringen sind und damit nicht auf die Schiffsbetriebskosten Einfluss nehmen. Die Autoren schätzen die weltweiten jährlichen Kosten für den Betrieb der derzeit aktiven Telemedizinzentren auf 750 000 Euro.

Fazit: In einer weiteren Schätzung unterstellen die Autoren der Studie, dass durch bestmöglichen Einsatz der Telemedizin etwa 20 % der Ausschiffungen vermieden werden könnten, woraus sich ohne Zweifel eine sehr günstige Kosten-Nutzen-Relation des Einsatzes der Telemedizin ergäbe.

Kommentar

Angesichts des Kostendrucks, der die internationale Schifffahrt beherrscht, verfolgten die Autoren den Ansatz, einen eventuell wirtschaftlichen Nutzen der Telemedizin auf See nachzuweisen und damit eine Entscheidungshilfe für deren Einsatz zu liefern.

Auch wenn man den Organisatoren des IMHA-Workshops die Mühe unterstellen darf, möglichst viele Beteiligte zusammenzubringen, muss offen bleiben, wie repräsentativ der Teilnehmerkreis und die von ihm eingebrachten oder erschlossenen Daten sind. Aber auch mit vielen Annahmen, Hochrechnungen und Schätzungen dürfte die Expertise für eine Trendanalyse ausgereicht haben. Diese fällt überraschend deutlich aus. Mit Kosten pro Schiff und Jahr in Höhe von 11 821 Euro und Einsparmöglichkeiten in Höhe von 32 750 Euro gelingt ein Plädoyer für die Telemedizin.

Interessant wird der Wirtschaftlichkeitsnachweis auch vor dem Hintergrund, dass mit der Entwicklung telemedizinischer Verfahren die Chance entsteht, einen deutlichen Qualitätssprung im Versorgungsniveau der Seeleute zu erreichen. Die Übertragung von Patientendaten und sogar Bildern zusätzlich zum Dialog mit medizinischem Fachpersonal erhöht die Diagnosesicherheit und erweitert die mögliche Bandbreite therapeutischer Maßnahmen.

Einen ersten Schritt in diese Richtung ist der Fachbereich Erste Hilfe der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherer [ 1 ] schon gegangen: Er empfiehlt nicht nur eine Telemedizinausrüstung für die Ersthelfer. Sie sollen auch dafür ausgerüstet und ausgebildet werden, unter Anleitung (rezeptpflichtige) Medikamente zu verabreichen. Dies soll die Erste Hilfe in Offshorewindparks sicherstellen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind hierfür, im Gegensatz zur Seefahrt, allerdings noch nicht vollständig geklärt [ 2 ].

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass für den Einsatz privater bewaffneter Sicherheitskräfte an Bord deutsch geflaggter Schiffe die Forderung nach einer Versorgungskompetenz für Schuss-, Splitter- und Brandverletzungen auf ärztlichem Niveau vorgeschrieben wird [ 3 ]. Ohne Telemedizin wird dies kaum zu erreichen sein.

Den Autoren ist zu danken: Ihr Artikel ist ein erster Versuch, die Hürde des Kostenarguments auf dem Weg zur Umsetzung der Maritime Labour Convention 2006 [ 4 ] zu überwinden.

Klaus Seidenstücker, Tarp
Deutsche Gesellschaft für Maritime Medizin


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(Bild: Thieme Verlagsgruppe; U. Kippnich)