Der Fall
Die Patientin (zukünftige Klägerin) erlitt bei einer Herzkatheteruntersuchung eine
Dissektion der Arteria femoralis. Später verlangte die Patientin aufgrund angeblicher
Aufklärungs- und Behandlungsfehler eine Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von
mindestens 10 000,00 Euro und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden.
Die Klägerin sah in der Aufklärung durch eine Medizinstudentin im Praktischen Jahr
einen Aufklärungsfehler. Bereits das erstinstanzliche Gericht wies die Klage ab. Das
Gericht kam zu dem Ergebnis, die Klägerin sei hinreichend über das Risiko von Gefäßverletzungen
aufgeklärt worden. Ein Behandlungsfehler bei der Herzkatheteruntersuchung sei nicht
erwiesen. Sodann ging die Patientin in Berufung und verfolgte ihre Ansprüche in vollem
Umfang weiter. Sie bemängelt insbesondere, das Landgericht sei zu Unrecht von einer
hinreichenden Risikoaufklärung ausgegangen. Zum einen sei das Aufklärungsgespräch
inhaltlich nicht ausreichend gewesen und zum anderen hätte eine Delegation auf eine
Studentin im Praktischen Jahr nicht erfolgen dürfen.
Das Urteil
Auch die Berufung wurde zurückgewiesen. Nach Auffassung der Richter des Oberlandesgerichts
hat die Patientin wirksam in die Herzkatheteruntersuchung eingewilligt. Die der Einwilligung
vorausgegangene Eingriffs- und Risikoaufklärung sei weder inhaltlich unzureichend
noch deshalb unbeachtlich, weil sie von einer Medizinstudentin im Praktischen Jahr
durchgeführt wurde.
Die Richter verwiesen auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH)
zur Aufklärung, wonach der Patient „im Großen und Ganzen“ wissen müsse, worin er einwillige.
Dazu müsse er über die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit
liegenden Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien
aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergäben und für seine Entschließung von Bedeutung
sein könnten. Dies bedeute nicht, dass die Risiken in allen erkennbaren Erscheinungsformen
aufgezählt werden müssten. Es müsse aber eine allgemeine Vorstellung von der Schwere
des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne
diese zu beschönigen oder zu verschlimmern. Bei diagnostischen Eingriffen – wie der
hier zu beurteilenden Herzkatheteruntersuchung – seien dabei grundsätzlich strengere
Anforderungen an die Aufklärung des Patienten über damit verbundene Risiken zu stellen.
Denn bei ihnen bedürfe es einer besonders sorgfältigen Abwägung zwischen der diagnostischen
Aussagekraft, den Klärungsbedürfnissen und den besonderen Risiken für den Patienten.
Aufklärung war ausreichend
Aufklärung war ausreichend
Im konkreten Fall kamen die Richter zu der Auffassung, dass die Klägerin insbesondere
darauf hingewiesen worden sei, dass es dort, wo der Katheter langgeschoben werde,
zu einer Gefäßverletzung kommen und deshalb ggf. eine Notoperation erforderlich werden
könne. Dieser Hinweis umfasse auch die tatsächlich eingetretene Dissektion der Arteria
femoralis. Auch bei einer rein diagnostischen Herzkatheteruntersuchung müsse nicht
jedes Risiko in allen denkbaren Erscheinungsformen dargestellt, sondern nur eine allgemeine
Vorstellung von dessen Art und Schwere vermittelt werden. Danach mussten weder die
gefährdeten Blutgefäße und die in Betracht kommenden Verletzungsarten medizinisch
exakt bezeichnet noch alle denkbaren Folgen im Detail geschildert werden. Dass diese
Folgen bei einer Gefäßverletzung gravierend und möglicherweise sogar lebensbedrohlich
sein können, ergäbe sich aus dem Hinweis auf eine ggf. erforderliche Notoperation.
Dies genüge.
Delegation der Aufklärung an PJ-ler zulässig
Delegation der Aufklärung an PJ-ler zulässig
Es ist nicht von vornherein unzulässig, die Aufklärung des Patienten auf einen Medizinstudenten
im Praktischen Jahr zu delegieren, so die Richter. Die Aufklärung durch einen solchen
Studenten kann (!) der ärztlichen Aufklärung gleichstehen. Das Gericht verweist insoweit
auf die Approbationsordnung für Ärzte, wonach Medizinstudenten im Praktischen Jahr
entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des
ausbildenden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen durchführen können und
sollen. Dies entspreche auch dem Zweck des Praktischen Jahres, die Anwendung der während
des vorhergehenden Studiums erworbenen ärztlichen Kenntnisse zu lernen und damit die
praktischen Fähigkeiten und die klinische Erfahrung zu erwerben, die in der medizinischen
Ausbildung vermittelt werden müssen. Die Voraussetzungen lagen nach Meinung der Richter
im konkreten Fall vor. Das Gericht kam zu der Überzeugung, dass die PJ-lerin sowohl
während ihres Studiums, dessen theoretischen Teil sie als Studentin im Praktischen
Jahr bereits absolviert hatte, als auch während der Famulatur mit Herzkatheteruntersuchungen
befasst war und diese auch schon in Patientengesprächen erläutert hatte. Sie war daher
nach ihrem Ausbildungsstand in der Lage, Patienten über diesen Eingriff und dessen
Risiken aufzuklären. Die Studentin habe sich auch nicht nur selbst anhand eines ihr
überlassenen Aufklärungsbogens in diese Aufgabe eingearbeitet. Sie habe vielmehr glaubhaft
bekundet, dass dieser Bogen mit ihr durchgesprochen und dabei hervorgehoben wurde,
worauf besonders zu achten sei. Von einer ausreichenden Anleitung und Aufsicht ging
das Gericht aus, da die Studentin die Aufklärungsgespräche nicht von vornherein selbstständig
geführt, sondern zunächst an mehreren Gesprächen teilgenommen habe, die von einem
Arzt geführt wurden.
Anwesenheit eines Arztes nicht zwingend
Anwesenheit eines Arztes nicht zwingend
Da ihre eigenen Aufklärungsgespräche nach den auch insoweit glaubhaften Angaben der
Zeugin regelmäßig in Anwesenheit eines Arztes stattfanden, war auch die erforderliche
Aufsicht gewährleistet. Zwar konnte sich die Studentin nicht mehr erinnern, ob im
konkreten Fall bei dem Gespräch ein Arzt anwesend gewesen sei. Darauf kommt es aber
nach Auffassung der Richter nicht entscheidend an. Begründet wird dies damit, dass
es sich bei einer Herzkatheteruntersuchung nicht um eine seltene Spezialmaterie, sondern
um einen standardisierten Eingriff, über den die Zeugin schon mehrfach aufgeklärt
hatte, ohne dass es dabei zu Beanstandungen gekommen wäre, handelt. Zum anderen könne
bei einem Aufklärungsgespräch, anders als beim Eingriff selbst, kein unvorhergesehener
Notfall auftreten, der das sofortige Eingreifen eines Arztes erforderlich machen würde.
Bei außergewöhnlichen Fragen des Patienten bestünde die Möglichkeit, einen Arzt hinzuzuziehen
oder um Rat zu fragen.
Auf mögliche Organisationsmängel kam es nicht an
Auf mögliche Organisationsmängel kam es nicht an
Die Frage, ob die ordnungsgemäße Durchführung der Aufklärung durch klare, stichprobenweise
kontrollierte Organisationsanweisungen sichergestellt war, stellte sich für das Gericht
als unerheblich dar. Ein Organisationsverschulden des Klinikträgers oder des operierenden
Arztes käme nur dann infrage, wenn der Patient falsch oder unzureichend aufgeklärt
worden sei. Dies sei hier aber gerade nicht der Fall gewesen. Die Studentin habe der
Klägerin alle für eine eigenverantwortliche Entscheidung erforderlichen Kenntnisse
vermittelt, sodass eine ärztliche Aufklärung auch aus diesem Grund entbehrlich gewesen
sei.
Fazit
Eine Delegation der Aufklärung an Studenten ist nach diesem Urteil grundsätzlich möglich.
Allerdings sollte hierin kein Freibrief für Delegationen der Aufklärung gesehen werden.
Maßgeblich ist immer der Ausbildungsstand des einzelnen Studenten. Darüber hinaus
muss die Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes auch tatsächlich
stattfinden und im Ernstfall nachgewiesen werden.